Hubert Clifford: The Cowes Suite etc.

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
12. Juli 2017
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

Hubert Clifford: The Cowes Suite etc.

Das britische Spezialitäten Label Dutton, begründet vom britischen Toningenieur Michael J. Dutton, beherbergt die Unterlabel Vocalion und Epoch. Während Vocalion sich der Wiederveröffentlichung von Audiomaterial von der LP- bis zurück zur Schellack-Ära verschrieben hat, ist Epoch damit beschäftigt, bislang nicht auf Tonträger verfügbare Musik britischer Komponisten des 20. Jahrhunderts in modernen Digitalaufnahmen zugänglich zu machen.

Nach dem vor kurzem vorgestellten Album mit der ersten Gesamteinspielung der Filmmusik von Ralph Vaughan Williams zu Scotts letzte Fahrt (1948) widmet sich eine weitere bemerkenswerte Neuerscheinung von Dutton-Epoch musikalischen Raritäten von Hubert Clifford (1904–1959). Clifford war ein australischer Komponist, der allerdings ab 1930 praktisch ausschließlich in England gelebt und gewirkt hat. Das vorliegende Album präsentiert abgesehen von „The Cowes Suite“ weitgehend vergessene Kompositionen in Ersteinspielungen. Die erforderlichen Orchestermaterialien mussten aus noch erhaltenen, zum Teil in sehr schlechtem Zustand befindlichen Manuskripten aufwändig restauriert werden.

Hierzulande ist Hubert Clifford praktisch gänzlich unbekannt. Dass die Musik dieses hörbar vielseitigen, zudem über beachtliches melodisches Talent verfügenden Tonsetzers eine Entdeckung wert ist, belegt das vorliegende, nahezu randvoll bestückte SACD-Album dafür umso eindeutiger. Dass der Komponist in der Lage gewesen ist, für praktisch alle Gelegenheiten zu komponieren, zeigt die ihrem Namen alle Ehre machende „Victorian Polka“, ein charmantes Stück Library Music. Clifford war zeitweilig für die BBC tätig als Empire Director of Music und Head of Light Music. Dem entsprechend gibt’s zum Einstieg „The Cowes Suite“, entstanden im Jahr 1958, das vermutlich letzte Werk des Komponisten. Die Sätze dieser unmittelbar ins Ohr gehenden, eine knappe Viertelstunde dauernden Orchestersuite stehen in bester British-Light-Music-Tradition. Das sehr unterhaltsame, heitere Stück ist maritim und tonmalerisch gefärbt. Im besonders drolligen ,The Buccaneer‘ klingen diverse Shantys zuerst an, werden dann zu einem kleinen Fugato verarbeitet, und schließlich lässt Clifford es sogar swingen. Das finale ,Royal Visitor’ bildet einen angemessen festlichen Abschluss in Elgar-/Coatesmanier.

Vergleichbar gefällig, dabei aber keineswegs niveaulos, sind auch die hier interessanterweise präsentierten ganz frühen Kompositionen, die aus den Anfängen von Cliffords Karriere stammen und daher noch in Australien entstanden sind. Das pastorale „Dargo: A Mountain Rhapsody“ (1929) ist inspiriert von den australischen Alpen in der Provinz Victoria und erinnert im Ausdruck an Arnold Bax. „A Pageant of Youth“ (1926) gibt sich gemäß seinem Titel frisch und übermütig. Dem introvertierteren, von schönen Instrumentalsoli dominierten „Voyage at Dusk“ (1928) liegt ein die innige Stimmung des Stücks spiegelnder Vers von Humbert Wolfe zugrunde: Since it is evening, let us invent love’s undiscovered continent.

Clifford arbeitete aber auch für das Kino, etwa als Musikdirektor für Alexander Kordas London Films. In dieser Funktion war er übrigens auch an der Musik zu Carol Reeds berühmtem Der dritte Mann (1949) nachhaltig beteiligt. Zwar sind als Filmmusik zu Reeds Film ausschließlich die für Ihre Zeit als außergewöhnlich geltenden Improvisationen des Zitherspielers Anton Karas geläufig. Clifford sorgte jedoch für die zusätzlich erforderliche Hintergrundmusik und schuf etwa für die Szene im Nachtklub Casanova als Source-Cue „The Casanova Melody“.

Das vorliegende Album präsentiert zwei Beispiele aus seinen Filmkompositionen. Aus der Musik zum Propagandafilm Left of the Line (1944), in dem es um die Rolle der Kanadier beim D-Day geht, hat der Dirigent Ronald Corp eine rund neunminütige Suite erstellt. Die Aneinanderreihung diverser illustrativer, zum Teil marschartiger Abschnitte mündet in ein Statement der berühmten Marseillaise, mit welcher Clifford wiederum geschickt eine kleine Fuge gestaltet. Hunted * Ein Kind war Zeuge (1952, Regie: Charles Crichton) ist wohl der erste bedeutendere Film mit Dirk Bogarde. Dieser verkörpert hier Chris Loyd, der im Affekt den Liebhaber seiner Frau ermordet hat. Auf seiner Flucht muss er nun einen, von zu Hause ausgerissenen verängstigten Waisenjungen mitnehmen, der ihn beobachtet hat. Was anfänglich durch diverse Trümmer-Impressionen des vom Krieg schwer gezeichneten Nachkriegslondons im Stile eines vom deutschen Expressionismus beeinflussten, schwarz-weißen Noir-Thrillers beginnt, wandelt sich im Verlauf zunehmend zu einer eindringlichen Studie des Verhältnisses dieser beiden die Handlung tragenden Figuren und erhält so stärker melodramatische Züge. Die insgesamt sparsam eingesetzte Filmmusik wird hier als rund 14 Minuten umfassende, von Graham Parlett zusammengestellte, dreisätzige Konzertsuite präsentiert. Die perfekt auf den turbulenten Beginn einstimmenden „Main Titles“ betonen die Thrillermomente, das anschließende „North Road“ hingegen ist im Ausdruck erheblich intimer und wärmer gehalten und fast in seinem pastoralen Gewand die sich langsam entwickelnde Freundschaft zwischen Lloyd und seinem kleinen Begleiter adäquat in Töne. Im Finale, „Out to the Sea“, erhält interessanterweise die minutiös die Stimmungen spiegelnde Musik sogar nahezu allein das Wort. Sie bringt nicht nur nach einer die Thrills des Beginns in Erinnerung rufenden Passage den Moment kurzer Freude Lloyds zum Ausdruck, der seine Flucht schon gelungen wähnt. Sie macht im Anschluss auch sein dramatisches Ringen mit sich selbst erfahrbar, als er feststellen muss, dass sein junger Freund offenbar schwer erkrankt. Als Lloyd sich zur Umkehr entschließt, um den Jungen zu retten, weicht das Dramatisch-Heroische in der Musik schließlich einer das ungewisse Schicksal seiner Protagonisten eher neutral betrachtenden, klassizistisch anmutenden Coda.

Dieses so farbige, abwechslungsreiche und zugleich sehr unterhaltsame musikalische Programm entstand in Zusammenarbeit mit BBC 3. Es wird von den Musikern des BBC Concert Orchestra unter der Leitung von Ronald Corp sehr engagiert und klangschön zugleich interpretiert. Die mit hochauflösender digitaler Klangtechnik realisierten Einspielungen liegen wiederum im mehrkanalfähigen Hybrid-SACD-Format vor. Der üppige und zugleich sehr transparente Klang lässt keine Wünsche offen. Der informative Begleithefttext von Lewis Foreman macht das Produkt endgültig zu einer absolut runden Sache für Aufgeschlossene und Entdeckungsfreudige.

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Komponist:
Clifford, Hubert

Erschienen:
2017
Gesamtspielzeit:
77:38 Minuten
Sampler:
Dutton Epoch SACD
Kennung:
CDLX7338

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