Fantasia (Platinum-Edition, Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
24. Dezember 2010
Abgelegt unter:
Blu-Ray

Film

(6/6)

Bild

(5.5/6)

Ton

(4/6)

Extras

(4.5/6)

Fantasia (1940), das umfangreichste und zugleich wohl ambitionierteste Zeichentrickprojekt, das Disney in jenen Jahren bewältigt hat, ist ebenfalls im HD-Zeitalter angekommen. Seit dem 4. November 2010 ist der Film als Special-Edition-Doppel-Disc-Set erhältlich, welches die Blu-ray-Version mit der parallel veröffentlichten Standard-DVD-Ausgabe kombiniert. Wichtige Basisinfos zu diesem außergewöhnlichen Zeichentrickfilm und seiner Entstehung finden sich im Artikel zur 2002er DVD-Edition sowie im Fantasia-2000-Special.

4224Fantasia ist letztlich aus den „Silly Symphonies“ der 1930er hervorgegangen — siehe dazu auch die Cartoon-Kollektionen „Lustige Melodien“ und „Micky Maus — im Glanz der Farbe“. Was ursprünglich nur ein Kurzfilm mit Micky Maus als Zauberlehrling, unterlegt mit der berühmten gleichnamigen sinfonischen Dichtung von Paul Dukas, hatte werden sollen, geriet schließlich zum abendfüllenden, rund zweistündigen Konzertevent auf der Kinoleinwand. So beginnt der Film und zeigt auch zwischen den einzelnen animierten Teilen Realszenen in einem stilisierten Konzertsaal — gefilmt übrigens vom legendären Kameramann James Wong Howe. Die Bühne, auf der im Anschluss das Orchester Platz nimmt, wird sichtbar, wenn sich ein im Bild eingeblendeter schwarzer Vorhang zu den Seiten hin öffnet. Die Musiker sind dabei fast ausschließlich als mehrfarbig angestrahlte Silhouetten vor einem blauen Hintergrund zu erkennen. Stars des Films sind in jedem Fall das seinerzeit noch neuartige Drei-Farben-Technicolor-Verfahren und ebenso die faszinierende Raumeffekte ermöglichende Multiplantechnik.

Deems Taylor, damals ein bekannter Rundfunksprecher und Musikkritiker, gibt vor jedem einzelnen Programmsegment eine kurze Einführung. Disney hatte Taylor wegen seiner ambitionierten Kommentare in den Pausen der sonntäglichen Konzerte der New Yorker Philharmoniker ausgewählt. In der Mischung aus seriös vermittelten Werkinformationen, aufgelockert mit einer Prise Humor, erschien ihm Taylor als der Richtige, klassische Musik auch Nicht-Konzertsaalbesuchern schmackhaft zu machen. Taylors Auftritte wurden allerdings als eher zu steif kritisiert und wurden in späteren Aufführungen mehr oder weniger drastisch gekürzt. Das blieben allerdings nicht die einzigen Eingriffe, die Fantasia nach seinem enttäuschenden Kinodebüt im Jahre 1940 verkraften musste. Bereits 1942 hatte RKO den Streifen zum B-Movie degradiert und von 120 auf etwa 83 Minuten gekürzt. Diese getrimmte Version kam auch 1952 erstmalig nach Deutschland. Erst bei einer erneuten Wiederaufführung im Oktober 1971 kam der Film (von Fox/MGM) in einer mit 113 Minuten bis auf die Kommentare von Deems Taylor vollständigen Version zurück in die Kinos. Diese Schnittfassung dürfte auch der 2002er DVD-Edition zugrunde liegen, in der Taylor nicht auftaucht, die Kommentare in veränderter und verknappter Form in den (künstlich verlängerten) Pausen eingesprochen sind — siehe Fußnote.

Die als Special-Edition erschienene neue Ausgabe von Fantasia zeigt den Film übrigens auch hierzulande erstmals praktisch vollständig. Was gegenüber der Roadshow-Version von 1940 freilich anders ist, sind die bereits in den späten 1960ern vorgenommenen Veränderungen in der Sequenz mit der Beethoven’schen Pastorale. Dort ist nach wie vor die dunkelhäutige Zentaurin entfernt, welche in einigen Szenen die „Weißen“ bedient — s. u. unter weiterführende Links. Dass man in den Zeiten der „Black-Power-Bewegung“ auf eine „schwarze Dienerin“ allzu sensibel reagierte, kann man ja noch respektieren. Dass man offenbar selbst heutzutage gegenüber diesen an sich doch eher harmlosen Bildern eines spielerischen, rein mythischen antiken Zentauren-Panoptikums nicht gelassener zu reagieren vermag, sich immer noch zu derartig verstümmelnden Eingriffen veranlasst sieht, ist zumindest schade. Derartige Zensur ist m. E. ähnlich überzogenes Saubermannsgebaren wie beim von Spielberg nachträglich „kindgerecht“ veränderten E.T. (1982). Wie geradezu hysterisch mitunter Rassismusvorwürfe geraten können, belegt der dem Ballett der swingenden „schwarzen Krähen“ (!) in Dumbo, der fliegende Elefant (1941) attestierte. Dafür ist jedoch erstmalig die im ersten US-Durchlauf noch enthaltene Pause (Intermission) wieder integriert, die nach der besonders eindrucksvollen Urzeitepisode, unterlegt mit der Musik von Igor Strawinskys Ballett „Le Sacre du Printemps“, platziert war.

4225Insbesondere bei der Bildqualität hat die aktuelle Veröffentlichung von Fantasia gegenüber der seinerzeit bereits tadellos wirkenden 2002er-DVD-Ausgabe beträchtlich zugelegt, hat damit qualitativ mit den vergleichbaren Ausgaben zu Schneewittchen (1938) und Pinocchio (1941) gleichgezogen. Das Bild ist jetzt nicht nur weniger körnig, es ist auch deutlich heller, zeigt erstmalig viele Details, die zuvor im Schwarz verschwunden waren. Insbesondere dunklere Szenen, wie die mit einem nächtlichen Elfenreigen beginnende „Nußknacker-Suite“, machen dies eindrucksvoll deutlich. Bereits das Hintergrund-Blau in den Realszenen wirkt nun merklich anders, und wer bei besagter „Nußknacker-Suite“ alte und neue Ausgabe einander gegenüberstellt, dürfte fast unmittelbar vom eklatant Besseren überzeugt sein. Diesen Effekt macht freilich bereits ein Vergleich der DVD-Ausgaben eindeutig. In der HD-Präsentation von Blu-ray wird allerdings darüber hinaus erstmals unübersehbar, wo die Macher im Bild kristallklare Schärfe oder aber wo sie eher Weichzeichner-Effekte bevorzugten. Was sich an dieser Stelle vielleicht etwas banal liest, sticht live mit geradezu bestechender Brillanz hervor. Hat man Fantasia erst einmal einige Minuten lang in der HD-Version erlebt, mag man nicht nur die 2002er-DVD-Ausgabe kaum noch einlegen, man möchte auch nur noch ungern auf die, für sich genommen wiederum sehr gut ausschauende, aktuelle DVD-Ausgabe von 2010 zurückgehen.

Jetzt zu behaupten, Fantasia in HD sei ein völlig anderer Film, wäre zwar überzogen, aber ein Körnchen Wahrheit steckt schon darin. Macht doch erst eine auch technisch derart tadellose High-Tech-Präsentation die Intentionen der Macher eindeutig erkennbar: etwas, das für eine optimale Rezeption letztlich unerlässlich ist.

4226Zu den bereits genannten Innovationen bei Fantasia kommt aber noch der damals absolut futuristische Vorgriff auf die Magnetstereo- und Surroundsound-Ära hinzu. Gemeint ist der — ähnlich dem eine Dekade späteren Cinerama-Prozess — mit einem separaten, synchron laufenden 35-mm-Filmstreifen für den Ton operierende „Fantasound“. Die möglichst naturgetreue Reproduktion eines Konzertsaalerlebnisses war hierbei freilich nicht angestrebt. Es wurde dem Zuschauer vielmehr das Gefühl vermittelt, er sitze mitten in einem aktiven Klangfeld, in dem auch die Instrumente bzw. deren Gruppierungen gewisse Mobilität besitzen. Dank verbreiterter Lichttonspuren konnte der damals noch im Experimentalstadium befindliche Stereoton gegenüber dem Standard-Lichttonformat klanglich deutlich verbessert werden. Dass man dafür die in den Lichtspielhäusern vorhandenen Tonanlagen extrem teuer aufrüsten musste, erklärt von selbst, dass nur eine handvoll Kinos bei diesem Wagnis mitgewirkt haben und entsprechend wenige Zuschauer seinerzeit den Film überhaupt mit Fantasound erlebt haben können. Anschließend ist Fantasia in den USA erstmalig ab Mitte der 1950er wieder mit Stereoton gezeigt worden. Für Deutschland dürfte das erst ab etwa 1963 der Fall gewesen sein. (Fantasia enthält übrigens eine intelligente Visualisierung der Lichttonspur in „Meet the Soundtrack“.)

Bereits der betriebene Aufwand für die Einspielungen des vom Dirigenten Leopold Stokowski handverlesen zusammengestellten großen Orchesters war exorbitant. Die in den Selznick-Studios erfolgten Musikaufnahmen verschlangen die damals schwindelerregende Summe von 160.000 $.

Bereits die auch tontechnisch sorgfältig aufpolierte 1991er US-Laserdisc-Ausgabe ist klanglich von erstaunlicher Qualität. Allerdings waren gelegentliche Verzerrungen schon noch durchaus auffällig. Davon ist jetzt so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Dank sorgfältiger Restauration in Kombination mit sorgfältiger Abmischung sind nicht nur gegenüber der klanglich schon besonders feinen 2002er-Edition nochmals gewisse graduelle Verbesserungen erreicht worden. Die inzwischen 72 Lenze zählenden Tonaufnahmen können natürlich nicht ernsthaft mit dem konkurrieren, was man heute akustisch zaubern kann. Allerdings: So gut — im Verhältnis zu seinem Alter und der eingesetzten Aufnahmetechnik sogar brillant — wie jetzt (in Deutsch in 5.1-, in Englisch sogar als 7.1-Abmischung abrufbar) hat der originale Fantasound zweifellos live nie geklungen.

4227Ein wenig enttäuschend stellt sich dafür auf den ersten Blick die Situation bei den Extras dar. Diese Aussage hat allerdings nur im Vergleich mit den prachtvollen Diamond-Editions aus dem Hause Disney Bestand. Für sich betrachtet sind die auf der jeweiligen Disc dem Film beigegebenen Boni durchaus beachtlich. Es fehlt jedoch leider die in der 2002er-Edition enthaltene, ursprünglich für Fantasia vorgesehene Episode zu Claude Debussys „Clair de Lune“. Überzeugend sind die zum Film anwählbaren Audiokommentare, von denen es nur (!) auf der Blu-ray sogar drei gibt. Diese sind sämtlich erfreulicherweise nicht geschwätzig, sondern vielmehr mit vielen wertvollen Infos zum Entstehungsprozess des Films durchsetzt. Neben aus Archivmaterial stammenden Kommentaren Walt und auch Roy Disneys sind der Disney-Historiker Brian Sibley, der Filmhistoriker und Animator John Canemaker und der Dirigent James Levine zu hören.

Eher Beiwerk sind dagegen „Disney View“ (zum Auffüllen der bei 16:9 Präsentation des originalen Akademieformats rechts und links erscheinenden schwarzen Balken) oder der knappe, mit nur vier Minuten eher eigenwerberische Blick in das in San Francisco gelegene „Disney Familienmuseum“.

Fazit: Sicher erscheint heutzutage vieles von dem, was Fantasia seinerzeit aus der Masse des ansonsten Verfügbaren so eindeutig heraushob, auf den ersten Blick nicht mehr derart spektakulär wie im Umfeld der New Yorker Premiere am 13. November 1940. In der Vielseitigkeit seiner Animationsstile in Kombination mit der ebenso vielschichtig gehaltenen farblichen Gestaltung der einzelnen Programmsegmente, wie auch seiner ausgeklügelten Spezialeffekte, ist der Film aber auf seine Art nach wie vor einzigartig. Für den aufgeschlossenen Zuschauer breiter Altersschichten ist daher auch Fantasia immer noch ein außergewöhnliches, packendes Erlebnis von besonderer, vielleicht sogar zeitloser Faszination. Dies wird mit der erheblich verbesserten HD-Präsentation von Blu-ray nochmals unterstrichen.

Weiterführende Links:

Die verschiedenen Fassungen von Fantasia: www.imdb.com/title/tt0032455/faq

Einige der dortigen Informationen werfen allerdings Fragen auf. So machen etwa die angegebenen Kürzungen nur etwa 20 Minuten Filmlänge aus. Das ist eindeutig zu wenig, um von ursprünglich 124 Minuten auf 83 (oder auch 81) Minuten zu gelangen. Ob in der aktuellen Version Corey Burton Deems Taylor seine Stimme leiht, konnte ich ebenfalls nicht überprüfen. In jedem Fall ist die im englischen Original zu hörende Stimme mit der von der 1991er „50th-Anniversary-US-LD-Edition“ zu hörenden identisch.

Fantasia-Zensurschnitte: www.schnittberichte.com/schnittbericht.php?ID=409

Und hier geht’s zur Fortsetzung, Fantasia 2000, auf Blu-ray.

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2010.

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Erschienen:
2010
Vertrieb:
Walt Disney Studios Home Entertainment
Kennung:
BGY 0076504 (2-Disc-Special-Edition, Blu-ray + DVD)
Zusatzinformationen:
USA 1940

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