Die Nibelungen (Gottfried Huppertz)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
5. November 2015
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

Gottfried Huppertz: Stummfilmmusik zu Die Nibelungen

Fritz Langs Die Nibelungen (1924) galten im Jahr ihrer Uraufführung als ein nationales Ereignis und avancierten schnell zum beliebtesten Film des Jahres. Diese Aussage gilt allerdings in erster Linie für den ersten Filmteil Siegfried. Nur dieser war späterhin der, welchen auch die Nazis so schätzten, aber keineswegs Teil zwei, Krimhilds Rache, dessen destruktive, fatalistische Energie sie vielleicht gar erschreckte.

Eine erste Restaurierung, durch das Filmmuseum München unter der Leitung von Enno Patalas, wurde in den 1980er Jahren fertiggestellt. Dabei griff man auch erstmalig wieder auf die Originalmusik von Gottfried Huppertz zurück: eingerichtet vom Dirigenten Berndt Heller und vom Münchner Rundfunkorchester unter seiner Leitung eingespielt. Diese, noch rein schwarz-weiße Fassung ist auch im Fernsehen gezeigt worden.

Die zweite Restaurierung, durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, wurde im Jahr 2010 abgeschlossen. Das Ergebnis stellt (insbesondere im zweiten Teil, Krimhilds Rache) alles, was man zuvor von Langs Nibelungen sehen konnte, klar in den Schatten. Erstmalig konnte auch die originale, abgesehen von Krimhilds in Lavendel eingefärbten Falkentraum durchgehende, gelborange Viragierung wiederhergestellt werden. Damit entspricht dieser ganz spezielle Look wieder annähernd der Uraufführungsversion von 1924, was zugleich die darauf abgestimmte, vorzügliche Arbeit des Kameramanns Carl Hoffmann auf ganz besondere Art unterstreicht. Die Virage verleiht den Filmbildern etwas vom Look eines alten vergilbten Pergaments und schafft damit zugleich eine Entsprechung zu der alten Legende. Es entsteht so aber auch eine ganz besondere Licht- und Schatten-Dramaturgie. Entsprechend treten jetzt manche Facetten eindringlicher hervor: etwa wenn Alberich mit seiner jetzt geradezu golden leuchtenden Lampe in der Tropfsteinhöhle zu sehen ist, oder die vom Hass überwältigte Krimhild besonders unheilvoll, fast lodernd wirkt.

Für ihre Zeit hervorragend und immer noch ansehnlich sind die aufwändig realisierten Filmtricks und auch die so speziell stilisierten Studiobauten, etwa der phantastisch anmutende Gipswald. Besonders beeindruckend erscheint der rund 20 m lange Drache, eine Art früher Animatronic, in der sechs kräftige Arbeiter steckten, die nicht nur seine Glieder, sondern auch die Augen stimmig bewegten, ihn Wasser saufen oder Feuer speien ließen.

Die Uraufführung dieser Version erfolgte am 27. April 2010 in Berlin. Die TV-Premiere auf ARTE am 3. Oktober 2011.

Die Komposition von Huppertz liegt als Klavierauszug komplett und teilweise in einer reduzierten Instrumentation für Salon-Orchester vor. Für Letztere mussten die ursprünglichen Orchesterdimensionen wieder hergestellt, die nur noch als Klavierauszug verfügbaren Teile neu orchestriert werden. Anschließend war es erforderlich die Musik der restaurierten Originalpartitur und vorhandenes Filmmaterial wieder in Einklang zu bringen. Bei diesem Prozess des Einrichtens sah man sich natürlich ebenso gezwungen die von der Ufa bald nach der Uraufführung erfolgten Schnitte in Krimhilds Rache zu berücksichtigen. Entsprechend ist das, was man nun auf den vier CDs über rund viereinhalb Stunden an Musik aus Langs Nibelungen zu hören bekommt, eben zwangsläufig nicht ganz die komplette originale Huppertz-Musik.

Es fällt schwer, bei den Nibelungen nicht unmittelbar an die Musik zu Wagners Ring-Dramen zu denken – die im Übrigen auch praktisch verschiedentlich zu Langs Film gespielt worden ist. Lang wollte allerdings ausdrücklich keinerlei Wagner-Musik, sondern beauftragte Gottfried Huppertz mit der Komposition. Für den multibegabten Huppertz, der zuvor in Langs Dr. Mabuse-Filmen geschauspielert hatte, wurde es das Debut in Sachen Filmkomposition. Es ist schon erstaunlich, wie elegant er diese schiere Mammutaufgabe, quasi aus dem Stand, ohne eingehendere Vorerfahrungen rund fünf Stunden Filmmusik zu entwerfen, gemeistert hat. Huppertz’ Nibelungenmusik präsentiert sich als ein sehr eigenständiger, von Wagner weitgehend unabhängiger Klangraum. Als wagnerisch kann man in erster Linie einzelne Aspekte in der Klanglichkeit des groß besetzten Orchesters assoziieren. In diesem spielt aber auch ein nicht konzertierend, sondern als gleichberechtigte zusätzliche Klangfarbe agierendes Klavier verschiedentlich eine markante Rolle, das man wohl besser nicht (s. u.) mit dem Stummfilmpianisten assoziieren sollte. Darüber hinaus erweist sich der musikalische Fluss über die gesamte Lauflänge, auch ohne die Bilder, als überwiegend sehr abwechslungsreich und weitgehend frei von Längen. Der erste Filmteil besitzt als der handlungsmäßig reichere zwar schon die unterm Strich farbigere musikalische Untermalung, aber insbesondere bei nochmaligem Hören erweist sich auch Krimhilds Rache als doch sehr flüssig durchkomponiert. Die immer wieder in eher einfacheren Varianten auftauchenden Themen funktionieren als verbindende Erinnerungsmotive. In manchem erscheint auch diese Huppertzmusik als wegbereitend für Max Steiner – siehe dazu auch Metropolis.

Frank Strobel und die Musiker des hr-Sinfonieorchesters sind unüberhörbar ein sehr gut aufeinander eingespieltes Team, und auch die Tontechnik hat makellos gearbeitet. Die vier CDs befinden sich untergebracht in Papiertaschen, nebst einem informativen, aus Pressetexten zusammengestellten Begleitheft, in einem stabilen, klappbaren Pappschuber.

In den Tagen des Stummfilms war es allerdings keinesfalls selbstverständlich, Filme mit Original-Filmmusik auszustatten. Vielmehr zählte eine komplett (durch-)komponierte originale Filmmusik gegenüber der Masse produzierter Filme eher zu den großen Seltenheiten, eine, die ausschließlich Prestigeproduktionen vorbehalten blieb. Hinzu kommt, dass abseits der ganz großen Filmpaläste der Stummfilm-Ära, die sich den Aufwand eines großen Musikensembles leisten konnten, auch der Umgang mit der Originalmusik ein völlig anderer war, als späterhin aus der Tonfilmära gewöhnt.

In ihrem 2013er Essay „Zwischen Patina und High-Tech – Zur Problematik der Rekonstruktion von Stummfilm-Originalkompositionen der 1920er Jahre“ erklärt Claudia Bullerjahn interessanterweise sogar die landläufige, unmittelbar einleuchtend erscheinende (!) These „dass Stummfilm und Musik von Anfang an zusammengehörten“ als in das Reich der Mythen und Legenden gehörend. Nicht nur in diesem Punkt zeigt sich, dass der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm eine gewaltige, geradezu revolutionäre Zäsur gewesen ist, sowohl in den überwiegend noch wenig definierten Standards (z. B. das Bildformat und die Projektionsgeschwindigkeit) als auch im Rezeptionsverhalten. Das darf in den zwangsläufig aus heutiger Sicht stattfinden Betrachtungen nicht außer Acht gelassen werden. Man sollte also keinesfalls aus der Tonfilmära einfach zurück in die des stummen Films extrapolieren, sonst begibt man sich allzu schnell nicht nur auf äußerst dünnes Eis, sondern hilft gar dabei, alte Mythen zu zementieren und neue zu begründen.

Fazit: Das Vierer-CD-Set mit der nahezu kompletten Filmmusik von Gottfried Huppertz zum berühmten Stummfilm-Epos von Fritz Lang ist hochwillkommen. Eventuelle Befürchtungen, dass man davon letztlich zuviel nicht brauche, erweisen sich schnell als hinfällig. Somit bleibt zu hoffen, dass die im Mai dieses Jahres auf arte erfolgte Uraufführung des restaurierten Zur Chronik von Grieshuus (1925), für die Huppertz ebenfalls eine sinnfällige Musik komponierte, in naher Zukunft ebenfalls auf CD veröffentlicht wird.

weiterführende LINKS:

Claudia Bullerjahn: „Zwischen Patina und High-Tech – Zur Problematik der Rekonstruktion von Stummfilm-Originalkompositionen der 1920er_Jahre“

Jörg Hackfurth: „Die Nibelungenfilme und der Deutschen Not“

DIE NIBELUNGEN, Presseheft der Murnau Stiftung zur aktuellen Restauration

Erschienen:
2015
Gesamtspielzeit:
270 Minuten
Sampler:
PANCLASSICS
Kennung:
PC 10345
Zusatzinformationen:
hr-Sinfonieorchester Frankfurt; Dirigent: Frank Strobel; 4-CD-Set

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