Ein nostalgisches Wiedersehen mit Munchkinland in: Die fantastische Welt von Oz
Wohl jeder dürfte ihn, zumindest in Ausschnitten, schon einmal gesehen oder zumindest in Form des unvergesslichen Judy-Garland-Songs „Over the Rainbow“ bereits von ihm gehört haben: Gemeint ist Victor Flemings 1939 für MGM produzierter The Wizard of Oz Der Zauberer von Oz (auch als Das zauberhafte Land gezeigt). Die drolligen und zugleich mit einer gehörigen Portion Tiefsinn versehenen Abenteuer der kleinen Dorothy (Judy Garland) im von Zwergen bevölkerten zauberhaften Land Oz vermögen auch heutzutage noch zu bezaubern. Zusammen mit dem aus demselben Jahr stammenden Vom Winde verweht zählt die verschwenderisch ausgestattete MGM-Produktion zu den Prunkstücken des klassischen Hollywooder Studiosystems und ebenso des damals zur Reife entwickelten 3-(Film-)Streifen-Technicolor-Prozesses. Hier gelang es der legendären Traumfabrik, die Talente unzähliger am Projekt beteiligter Künstler und Künstlerinnen gekonnt zu bündeln und zu exemplarischen Beispielen kollektiver Gesamtkunstwerke der Filmkunst zu verschmelzen.
Nachdem Disney bereits mit Return to Oz Oz eine fantastische Welt (1985, Regie: Walter Murch, Musik: David Shire) eine – allerdings wenig erfolgreiche – Fortsetzung des Stoffes produzierte, hat der Regisseur der Spiderman-Reihe, Sam Raimi, im Jahr 2012 mit Die fantastische Welt von Oz – wiederum für Disney – eine Vorgeschichte in Szene gesetzt. Steht im 1939er Original Dorothys Suche nach dem geheimnisvollen Zauberer von Oz im Zentrum, lüftet Raimis Film das Geheimnis um die Herkunft besagten Zauberers.
In vielem ist Oz eine fantastische Welt eine recht liebevolle Hommage an das 1939er Original. Wie dort beginnt auch Raimis Film mit einem schwarzweißen Prolog (von sogar vergleichbarer Länge), der auch im klassischen Akademieformat (1 : 1,37) daherkommt und dessen provinzielle Kansas-Impressionen ähnlich studiomäßig wirken. Im Zentrum der Handlung steht Oscar Diggs (James Franco), ein Zauberkünstler und Magier, der Anfang des 20. Jahrhunderts auf Jahrmärkten in der US-Provinz herumtingelt. Im Bundesstaat Kansas gerät der etwas schmierige Diggs, der unter dem Künstlernamen Oz firmiert und sich auch als Schürzenjäger betätigt, auf der Flucht vor einem erzürnten Ehemann mit einem Fesselballon in einen Tornado und dadurch in die fantastische Welt von Oz. Dort wie ehedem Dorothy (Judy Garland) angekommen wird das Bild nicht nur wie im klassischen Vorläufer farbig: Es geht auch langsam in die Breite und präsentiert das knallig bunte zauberhafte Land schließlich im eindrucksvollen Scope-Panoramaformat.
Im Land Oz wird Diggs offenbar ähnlich sehnlich erwartet wie Alice in Tim Burtons Adaption für Disney von Alice im Wunderland. Mit Produzent Joe Roth und dem Produktionsdesigner Robert Stromberg (Oscar für Alice und Avatar) sind denn auch unübersehbar bedeutende Mitglieder des Burton-Alice-Teams mit im Boot. Das sorgt nicht nur für einen in Teilen merklichen Tim-Burton-Touch, auch darüber hinaus gibt es weitere Verweise. So spiegelt sich in der fantastischen Oz-Welt einiges von Avatar wie auch ein wenig von Der Herr der Ringe.
Wie Diggs nach vielen turbulenten Abenteuern schließlich die Vorstellung seines Lebens gibt und stimmig zum 1939er Film zum Zauberer von Oz wird, das ist durchaus ansprechend und liebevoll verpackt. Für die Hommage stehen unter anderem die prächtige grüne Smaragdstadt oder die gelbe Ziegelsteinstraße. Ein hier noch mutiger Löwe erhält seinen Auftritt und auch Vogelscheuchen kommen vor. Diese spielen hier eine ungewöhnliche, allerdings wichtige Rolle. Dabei sind das Auftreten der Figuren und der Tonfall der lockeren Sprüche deutlich moderner als im 1939er Original. Auch hier zeigt sich wiederum charmant, dass die in Oz anzutreffenden Charaktere auf Personen beruhen, denen man bereits im Kansas-Prolog begegnete. Natürlich wird auch elegant mit CGI gezaubert, nicht nur bei den imposanten Landschaften, sondern ebenso beim marionettenhaften Porzellanmädchen, dem die Schauspielerin Joey King mittels Motion-Capture-Technik die Gesichtszüge und im englischen Original auch die Stimme geliehen hat. In der deutschen Fassung erledigt dies übrigens Vivien Gilbert. Darüber hinaus wird gar wie in Martin Scorses Hugo Cabret – wenn auch auf völlig andere Art – die Magie (der Vorläufer) des frühen Kinos beschworen. So befindet sich unter den Jahrmarktsattraktionen des Oscar Diggs Verschiedenes, das zum Erzeugen optischer Täuschungen taugt, etwa frühe Dia-Projektoren oder die Laterna Magica, ein Vorläufer der bewegten Leinwandbilder. Darauf spielt auch schon der drollig gestaltete Rollentitel an.
Letztlich bleibt das 1939er Original in der Wirkung unerreicht. Das betrifft die dort besonders ausgefeilte Zeichnung der Charaktere, die für die Zeit bemerkenswert unpatriotische, ja geradezu pazifistische Tendenz und nicht zuletzt das außergewöhnliche Finale, in dem der legendäre Zauberer überraschenderweise als normaler Mensch entlarvt wird, der überhaupt nicht zaubern kann, vielmehr nur mit Illusions-Tricks zu täuschen vermag. Dies ist derart geschickt und kindgerecht zugleich inszeniert, dass es nicht alles entzaubernd wirkt, sondern vielmehr Realität und Traum elegant miteinander verbindet. Dass Vieles nicht so ist, wie es anfänglich scheint, ist die sehr humorig aufbereitete zentrale Botschaft dieses meisterlichen Filmklassikers.
Vergleichbar Überraschendes fehlt im 2012er Prequel. Ebenso fehlt hier der unverwechselbare Musical-Charme der mit einprägsamen Themen versehenen und durch viel treffenden Wortwitz überaus originellen Liedeinlagen. Allein die Munchkins erhalten singend einen stilistisch dem Original angenäherten, freilich sehr kurzen Auftritt. Erst Recht fehlt dabei etwas, das man als ein Pendant zu „Over the Rainbow“ akzeptieren könnte. Mariah Careys über den End Credits erklingender Song „Almost Home“ verdient nur deswegen erwähnt zu werden, weil er erfreulicherweise nicht den Weg auf das Disney-Intrada-Album (s. u.) gefunden hat. Allerdings muss man berücksichtigen, dass es sich beim 1939er Der Zauberer von Oz um einen echten Glücksfall handelt. Und das ist etwas, das selbst in der Hochphase des klassischen Hollywood-Studiosystems nicht in Serie gelang.
Aber auch, wenn Raimis Film nicht das Zeug zum ebenbürtigen Klassiker besitzt, steht er trotzdem gar nicht schlecht da. Mit den genannten Handlungsmotiven des Klassikers wird nämlich nett jongliert und außerdem ist eine originelle Variante des Schneewittchen-Apfels, dieses Mal grün statt rot, eingearbeitet. So wird der rund 34 Jahre später erfolgende Besuch Judy Garlands als Dorothy im Lande Oz denn doch durchaus stimmig vorbereitet. Temporeiches, visuell mitreißendes und auch im Übrigen sehr unterhaltsames Popcorn-Kino, das sich große wie kleine Leute gern auch wiederholt anschauen dürften: Dies wird hier zum stimmigen Etikett.
Außergewöhnlich großen Spaß bereiten dabei aber gerade auch die in ungewöhnlicher Üppigkeit und da nicht überzogen vordergründig, sondern vielmehr gut in die Aktionen integrierten und damit sehr gelungenen 3D-Effekte. Für Befürworter des dreidimensionalen Films ist diese Disney-Produktion ein absoluter Geheimtipp, wie er in der gegenwärtigen 3D-Ära bislang geradezu absoluten Seltenheitswert besitzt. Neben die Tiefe des Raumes geschickt betonenden Raumeffekten wartet das Trickspektakel nämlich geradezu in Serie mit solchen auf, die direkt ins Publikum zielen: etwa wenn eine burtonnesque kleine Flusselfe, versehen mit spitzen, scharfen Zähnchen dem Zuschauer höhnisch grinsend Wasser direkt ins Gesicht spuckt. Wer eine derart überzeugend verspielt daherkommende Pop-out-Offensive als überfällig angesehen haben mag, der kommt voll auf seine Kosten. Der 3D-Effektspaß beginnt bereits mit der schwarzweißen Eröffnungssequenz, wo einige Effekte sogar die am linken und rechten Bildrand zu sehenden schwarzen Balken einbeziehen. Das ist ein kreativer Gag, welcher den virtuellen Raum des 3D-Bildes äußerst wirkungsvoll unterstreicht und damit an die entsprechend brillante Szene mit den fliegenden Fischen in Ang Lees Life of Pi erinnert.
Die fantastische Welt von Oz auf Blu-ray in 3D
Optisch wie akustisch gibt es kaum etwas zu bemängeln. Das Bild wird fast durchgehend von exzellenter Schärfe und einer Fülle an Details bestimmt. Hinzu kommen die dem üppigen Technicolor-Look des 1939er Der Zauberer von Oz angenäherten, satten, häufig knallbunten Farbkompositionen. Eine gewisse Künstlichkeit ist wiederum dem unübersehbaren Studio-Charme des Originals geschuldet. Einziger kleiner Schwachpunkt ist der nicht immer optimale, verschiedentlich etwas zu Grau tendierende Schwarzwert. Bereits die 2D-Fassung wartet mit einem betont plastischen Bild auf, das neben der räumlichen Tiefe auch die erwähnten vielen Pop-out-Effekte der 3D-Version bereits andeutet. Zur wahren Wucht und Wonne wird dann aber natürlich erst die 3D-BD-Version, die zudem nur in absolut vernachlässigbarem Maße Ghosting-Artefakte zeigt.
Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch die selten großzügig vorgenommene Unterteilung der 130 Filmminuten in 52 Kapitel! Da muss wohl keiner mehr erst noch großartig mit Hilfe der Fernbedienung vor- und/oder zurückspulen, um gewünschte Szenen aufzufinden: Das ist wirklich selten komfortabel und optimal gelöst.
Der satte Surround-Tonmix in Deutsch in DTS HD High Resolution 5.1 ergänzt das Bild nahezu perfekt. Er sorgt für satte Akustik mit vielen präzise gesetzten direktionalen Effekten. Dabei kommt aber nicht nur der Bass kraftvoll zur Geltung, feine Details werden ebenso sauber abgebildet. Top-ausgestattete Technikfreaks mögen sicher auch das in der entsprechenden 7.1-Version befindliche englische Original testen.
Auch bei den auf der zweiten BD (mit der 2D-Filmversion) untergebrachten Boni macht die Edition einen überaus soliden Eindruck. Zwar in der Menge nicht überwältigend, deckt die rund eine volle Stunde umfassende Kollektion an Extras jedoch die wichtigsten Aspekte der Produktion gut ab. Zum Einstieg sehenswert ist das rund 10-minütige Feature über „Walt Disney und der Weg nach Oz“. „Meine Reise nach Oz mit James Franco“ über rund 22 Minuten ist ein ansprechendes Video-Tagebuch. „Das Porzellanmädchen: Die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit“ (rund 5 Minuten) zeigt, wie der Charakter der Porzellanfigur zum Leben erweckt worden ist, und „Vor deinen eigenen Augen: Von Kansas nach Oz“ wartet mit sehenswerten Infos zum Look des Films und den Spezialeffekten auf. In „Mr. Elfmans musikalische Erfindungen“ erhalten die Freunde des Komponisten über rund 7 Minuten Impressionen von den Aufnahmesitzungen. Ein echtes Wermutströpfchen ist allerdings der leider fehlende Filmtrailer. Für diesen netten Appetizer hätte sich doch wohl (gerade in 3D!) noch ein Plätzchen finden lassen müssen.
Danny Elfmans klingende Illustrationen zu Oz auf Disney Records (Intrada)
Ein charmanter, durchaus ohrwurmverdächtiger Spieluhren-Walzer, eingangs von der Celesta mit Nußknacker-Touch vorgestellt, bildet das zentrale Leitmotiv in Danny Elfmans überbordender Fantasy-Vertonung. Sicher greift der Komponist hierbei im Wesentlichen „nur“ in die bewährte Trickkiste des versierten Handwerkers. So manches erinnert dabei etwa an die Musik zu Alice im Wunderland, aber auch weitere frühere seiner Kompositionen klingen an, etwa Edward mit den Scherenhänden (1990). Souverän zieht Elfman sämtliche Register, die für eine stimmige Untermalung eines derartigen Fantasy-Märchens passend sind. Was dabei in der Summe herausgekommen ist, klingt somit zwar durchaus vertraut, es verdient aber keineswegs die abwertende Bezeichnung Dutzendware.
In der Tradition der klassischen Ouvertüre klingt bereits im Main-Title das wichtigste thematische Material an, und auch der Geist des Jahrmarkts tritt hervor, wenn am Schluss der Spieluhrenwalzer im Rummelplatz-Stil, versehen mit entsprechendem Um-ta-ta, erklingt. Zauberhaft klingende Impressionen des zauberhaften Landes gibt’s erstmalig in „Oz revealed“, wo sirenenhafte Chöre, glitzernde Orchesterklänge und Glocken einen Eindruck von der Schönheit der fantastischen Welt vermitteln. Weitere derart verführerisch klingende Schmankerl zu den erstaunlichen Plätzen von Oz finden sich in Tracks wie „A strange World“ oder „The Bubble Voyage“. Höfische Pracht gibt es in „The Emerald Palace“, und in „Treasure Room“ wird das Glitzern des Goldes zum Klingen gebracht. Eine elegante, quasi barocke Fanfare erscheint gegen Ende von „Time for Gifts“. Etwas cartoonhaftes Mickey-Mousing findet sich in „Meeting Finley“ und „Monkey Business“. Wer den Film dazu gesehen hat, dem erschließt sich schnell, wie eng der Spieluhren- und Zirkuswalzer mit dem Charakter von Oscar Diggs verknüpft ist. Er vermag ebenso leicht das Evanora (Rachel Weisz – Agora), der bösen Hexe des Ostens, zugewiesene Motiv zu erkennen wie auch das majestätische Thema für die Smaragdstadt. Auch die Doppeldeutigkeit des bereits im Kansas-Prolog in „A Serious Talk“ aufscheinenden Liebesthemas wird deutlich. Steht es dort für Diggs und seine Freundin Annie, so verbindet es ihn in Oz mit der spiegelbildlichen Glinda, der guten Hexe des Südens, beide verkörpert von Michelle Williams in einer Doppelrolle. Das anrührende Violinsolo in „China Town“ reflektiert auf das Porzellanmädchen mit den zerbrochenen Beinen, aber auch der kleine Auftritt der Munchkins ist vertreten, die in „Munchkin Welcome“ singend ihren Willkommensgruß entbieten.
So entsteht über die knapp 67 Albumminuten trotz grundsätzlicher Vertrautheit doch ein insgesamt sehr abwechslungsreiches wie charmantes Programm. Spätestens nach zwei oder drei Durchgängen ist klar, dass es sich nicht allein um eine die Atmosphäre und die Situationen der Filmhandlung gelungen unterstreichende Filmmusik handelt, sondern sie funktioniert auch abseits der Bilder als ein feines Höralbum mit beträchtlichem Unterhaltungswert. Entsprechend resultiert unterm Strich deutlich mehr als „nur“ ein nettes klingendes Souvenir zum Film: Es ist ein abwechslungsreiches CD-Album, das auch dank der erstklassigen Aufnahmetechnik allen Freunden virtousen Orchesterhandwerks beträchtliche Freude bereiten dürfte. Dafür erscheinen mir fette vier Cinemusic.de-Sternlein angemessen. Das auf Intrada erschienene CD-Album ist hierzulande physisch nur als US-Import erhältlich.
Fazit: Disneys Prequel zum märchenhaften Technicolor-Klassiker aus dem Jahr 1939, Der Zauberer von Oz, besitzt zwar nicht das Zeug, ein vergleichbarer Klassiker zu werden. Diese Feststellung bereitet dem Spaßfaktor aber kaum Abbruch. Die fantastische Welt von Oz ist in jedem Fall eine bildgewaltige, liebevoll gemachte und sehr unterhaltsame Verneigung vor dem berühmten Vorläufer geworden. Sie verfügt zudem über eine geradezu bestechende 3D-Optik. Bei diesem ob der unzähligen überzeugend platzierten Pop-out-Effekte echten 3D-Hingucker aus einer Welt jenseits des Regenbogens können die großen wie kleinen Freunde der dreidimensionalen Kinotechnik ihrer Begierde nach Dingen, die scheinbar zum Greifen nah erscheinen, mal so richtig freien Lauf lassen.
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Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.
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