Der Herr der Ringe: Waffen und Kriegskunst

Geschrieben von:
Peter Kramer
Veröffentlicht am:
4. Dezember 2004
Abgelegt unter:
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Dieses umfangreiche und großformatige, leider nur kartonierte Buch „verspricht das aufregendste aller Begleitbücher zur Filmtrilogie ‚Der Herr der Ringe’ zu werden.“ „Alle Hintergrundinformationen zu jeder Schlacht, die militärischen Strategien beider Seiten, jede größere Kampfhandlung im Film, vom Letzten Bündnis der Menschen und Elben bis hin zu der Entscheidungsschlacht auf den Pelennor-Feldern — all das wird mit aufregendem Bildmaterial dokumentiert.“ Soweit der Werbetext auf dem hinteren Buchumschlag.

Tatsächlich sind mal wieder die Abbildungen das Beste an dem Werk. Etwa 1000 (Film-)Fotos, Zeichnungen, Karten, Entwürfe und Abbildungen von Modellen geben tiefere Einblicke in den großen Bereich der Waffentechnik und Kriegskunst des außergewöhnlich vielschichtigen und eigentlich durchgehend gelungenen Produktions-Designs der Filme von Peter Jackson. Die Bilder sind durchgehend farbig, die Reproduktionen von hoher Qualität. Ganzseitige Abbildungen gibt es jedoch nur wenige.

Der Text ist aus der Sicht eines Menschen (Gondorianers?) des frühen Vierten Zeitalters geschrieben, angereichert durch Pseudozitate (z. B. S. 93-96: „Auszüge aus Die Schwerter des Dritten Zeitalters und ihre Herstellung“), Pseudodokumente (z. B. S. 134: „Diese Seiten Sarumans hat man im Orthanc gefunden“ oder S. 171: „Authentische Feldzugkarte, bei einer Orkleiche gefunden“) und Pseudokunstwerke (z.B. S. 100: „Figurine eines Rohan-Kriegers und seines Reittiers. Wahrscheinlich gondorisch“). Das Buch gliedert sich in 57 etwas willkürlich (aber halbwegs chronologisch) aneinander gereihte Kapitel von 1-10 Seiten, wobei der Haupttext jeweils (bei Bedarf) ergänzt wird durch Textkästen zu einzelnen Waffen und anderen Themen. Der Schreibstil ist teilweise unangenehm schwülstig und weitschweifig, und der Inhalt ist leider nur eine unreflektierte Mischung aus Tolkien, Film und blühender Phantasie des Autors.

Hier nur zwei willkürlich ausgewählte Beispiele. (Ich habe das Buch an zufälliger Stelle aufgeschlagen und Passendes gefunden.) Im Kapitel „Die Orks von Moria“ (S. 60-66) heißt es (S. 62): „Einer Theorie zufolge hat die primitive Intelligenz der Orks sie in dieser abgeschlossenen Welt der unterirdischen Hallen dazu gebracht, das Balrog als ein Gott-ähnliches Wesen anzuerkennen, das man fürchtete und verehrte. Das könnte zu einer Schamanenkultur geführt haben, die dem flammenden Dämonengott rituelle Opfer darbrachte, um dessen Schutz zu erlangen oder vielleicht bloß einen Aufschub ihrer Zerstörung.“ Bei Tolkien wird lediglich beschrieben, wie die Orks dem Balrog ehrfürchtig Platz machen, damit dieser zur Brücke vordringen kann. Im Film brechen die Orks ihren Angriff ab und flüchten die Säulen der Halle hinauf, als der Balrog sich nur nähert. Daraus „spinnt“ sich Smith fast eine ganze Seite seines Buches zusammen.

Im Kapitel „Bogen Mittelerdes“ (S. 142-144) behauptet Smith: „Bogen wurden hauptsächlich aus Holz gemacht, vor allem aus Eibe, Esche und Mallorn, wie man den Quellen entnehmen kann, letzteres jedoch ausschließlich von den Elben Lothlóriens, denn dies war der einzige Ort in Mittelerde, an dem der sagenhafte Baum aus Númenor wuchs. (Das Fällen der Mallorn konnte vermutlich nur unter rituellen Opferzeremonien für Yavanna geschehen.)“ Bei Tolkien steht nirgendwo, dass Bogen aus Mallornholz gemacht werden, geschweige denn irgendetwas über das Fällen von Mallornbäumen! Auch über rituelle Opferzeremonien ist nichts bekannt; die Elbenreligion scheint eher informell gewesen zu sein. Auch im Film wird weder das Bogenmaterial noch das Fällen von Mallorns thematisiert. Ganz nebenbei bemerkt wüsste ich auch nicht, warum man einen Baum fällen sollte, um einen Bogen zu machen. Soweit ich weiß, benutzt man dazu besser junge, biegsame Zweige und Äste.

Es würde zu weit führen, auf alle Fehler und Ungenauigkeiten in der Beschreibung von Tolkiens Welt einzugehen – man findet sie auf nahezu jeder zweiten Seite. Ein Beispiel, das mir besonders unangenehm aufgefallen ist, möchte ich jedoch noch kurz herausheben. Im Kapitel „Die Menschen von Gondor“ (S. 148f.) wird behauptet, das Königreich Gondor sei bis zum Ende des Dritten Zeitalters praktisch zu einem Stadtstaat geschrumpft und dass die Statthalter keine tatkräftige Führung ausgeübt hätten. Beides ist natürlich Unfug, wie man unschwer in den Werken Tolkiens nachlesen kann. Vermutlich beruht es auf der verkürzten und pointierten Darstellung des Films, in welchem Denethor, der letzte der Statthalter, zum völlig unfähigen und arroganten Schnösel verzeichnet und der Einzug der Truppenkontingente aus den Teilen des Reiches in die Hauptstadt schlicht weggelassen wurden. Smith geht hier wie sonst auch häufig deutlich darüber hinaus. Immerhin konnte ich direkte Widersprüche zum Film nicht entdecken. Alle Ergänzungen und „Detailisierungen“ passen sich in die Filmhandlung ein, auch wenn sie Tolkien widersprechen.

„Waffen und Kriegskunst“ bietet in Bild und Text Details zur Ausrüstung jeder Hauptfigur und zur Massenausrüstung aller Völker. Drei Schlachtpläne im Stil der bereits im Filmbegleitbuch zu Die zwei Türme veröffentlichten (und hier verkleinert wiederholten) Schlacht von Helms Klamm ergänzen das bereits erwähnte Material. So werden zwar viele Details einfach hinzuerfunden, aber man wird auch auf Dinge hingewiesen, die im Film zunächst gar nicht auffallen und die einen vielleicht beim nächsten Betrachten des Films auf manches Ausstattungsdetail achten lassen.

Dennoch stellt sich mir die Frage: Wozu soll das gut sein? Weder das Vorwort von Christopher Lee noch die Einleitung von Daniel Falconer und Richard Taylor geben Aufschluss über den tieferen Sinn und Zweck des Buches. Als Vertiefung des Filmerlebnisses (oder gar nach dem Lesen des Originals!?) erscheint es mir durch den missglückten Text von eher zweifelhaftem Wert. Tolkien-Liebhaber werden sich nur darüber ärgern. Für an Waffentechnik und Kriegskunst Interessierte bietet das Werk wohl zu wenig technische Details. Wer nähere Informationen zum Production Design sucht, könnte sicher mit einem sachlichem Text, der auch wirklich auf Themen der Filmproduktion eingeht, mehr anfangen. Also: Für wen ist dieses Buch geschrieben? Wohl doch nur für den Filmfan und Sammler, der alles haben muss.

Dieser Artikel ist sowohl Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2004 als auch Teil unseres umfangreichen Herr-der-Ringe-Specials.

Erschienen
2003
Seiten:
218
Verlag:
Klett-Cotta
Kennung:
3-608-93630-0

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