Die Jagd auf und durch Vampire geht weiter. Nach den derzeit insbesondere bei den Teenies für Interesse sorgenden eher soften und romantischen Interpretationen des Vampirmythos à la Twilight-Saga oder deren TV-Ableger Vampire Diaries steht so manchen Genrefans natürlich auch der Sinn nach härterem Stoff. Diese Klientel haben die Spierig-Brüder mit Daybreakers im Visier. Dieser ist hierzulande übrigens nicht regulär in den Kinos, sondern ausschließlich im Rahmen der „Fantasy Filmfest Nights 2010“ in verschiedenen Großstädten gezeigt worden.
Die Grundidee einer durch einen Virus zu Vampiren werdenden Weltbevölkerung dürfte nicht zuletzt der Resident-Evil-Reihe entstammen. Im Übrigen aber wartet Daybreakers erst einmal mit einer Fülle origineller, augenzwinkernder Einfälle auf, die eine gelungene, ja intelligente Genreunterhaltung erwarten lassen.
Im Jahr 2019 ist die Welt infolge einer von Fledermäusen ausgelösten Virusepedemie fast durchweg von Vampiren bevölkert, die Jagd auf die letzten Menschen machen. Gefangene Menschen werden in so genannten Blutfarmen als Zapfstationen gehalten. Die Ressource Blut ist knapp geworden und droht bald zu versiegen. Die Vampirzivilisation wird bereits von Protesten und einzelnen gewalttätigen Übergriffen hungernder Vampire erschüttert. Und wenn die Vampire lange hungern müssen, dann verwandeln sie sich in unkontrollierbare, aggressive Monster, so genannte Subsiders, die selbst ihre Artgenossen anfallen. Der rücksichtslose Industrielle Charles Bromley (Sam Neill) lässt mit Hilfe des Hämatologen Edward Dalton (Ethan Hawke) an einem Blutersatzstoff arbeiten. Hawke verkörpert einen sehr melancholischen Vampir mit Gewissen, einen Untoten zwar mit spitzen Eckzähnen, aber zugleich jemanden, dem die Menschen leid tun und der nur äußerst widerwillig menschliches Blut zu sich nimmt. Dalton kommt infolge eines Verkehrsunfalls zufällig in Kontakt mit einer Gruppe von Menschen, die mit Hilfe vertrauenswürdiger Vampire eine Lösung für das Problem realisieren wollen. Der Schlüssel zur Heilung steckt in Elvis Cormac (Willem Dafoe), einem Ex-Vampir, der für coole Sprüche wie „Keine Angst, ich beiße nicht“ oder „Wir sind die Leute mit den Armbrüsten“ zuständig ist. Erfrischend sind aber auch die vielen originellen Einfälle, z. B. wenn es darum geht, das Leben der Untoten auf der Erde sicherer zu machen. Das fängt beim vampirfreundlichen Auto an, wo der Tageslichteinfall komplett abgedimmt wird und man sich mit Hilfe mehrerer, nebeneinander montierter Kamerabilder (Cinerama-like) orientiert und bei öffentlichen Durchsagen wie „Nur noch zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang“ noch längst nicht erschöpft ist. So gibt es das Subwalk-Tunnelsystem, die sicherste Möglichkeit, sich bei Tag fortzubewegen und in die „School Zone“ wird zur Rücksicht auf den Vampir-Nachwuchs insbesondere in der Zeit zwischen zwei und drei Uhr (natürlich) nachts gebeten. Für Auto fahrende Vampire finden sich ebenfalls praktische Hinweise wie „Bei Tageslicht tanken“. Auch die Medien sind offenbar wie gewohnt aktiv. Eine Zeitung titelt mit „German Blood Substitute Fails!“ und ebenso gibt es einen Hinweis auf einen Special Report: „The Outbreak. 10 Years On. How A Single Bat Started It All.“
Die Stadt der Vampire ist eine tagsüber wie ausgestorben wirkende Metropole, die im fast schon kunstvoll gestalteten Rollentitel in der Abenddämmerung porträtiert wird. (Unterlegt ist diese Sequenz mit „Night Falls“. Dies ist übrigens einer der wenigen Teile des Films, wo die meist eher (zu) leise abgemischte exzellente Musik Christopher Gordons (s. u.) zu ihrem Recht kommt.) Der Pharmakonzern „Bromley Marks“ hat darin seinen Sitz in einem Hochhaus mit Metropolis-Flair. Das kühle, dominierende Nachtblau in Kombination mit einer an kaltes LED-Licht erinnernden City-Beleuchtung schafft Nähe zu Blade Runner. Und wenn Vampire, weils ja so schön aussieht, auch hier im grellen Sonnenlicht fulminant abgefackelt werden, dann lassen John Carpenters Vampires (1998) grüßen. Im TV wird dazu sarkastisch gemeldet, dass verzweifelt im Tageslicht umherwandernde Vampire die Auslöser für zahlreiche Waldbrände seien. In einer frühen Szene sieht man, wie Edward Dalton in einem der Seitenspiegel seines Fahrzeugs kein Spiegelbild liefert, nur die Kleidung ist zu sehen. Das verweist auf den drolligen Tanz der Vampire (1968). Und in den Bildern mit auf den Blutfarmen gehaltenen Humanoiden kann man eine Referenz an Matrix (1999) sehen.
So weit so gut. Nach einer durchaus respektabel in Szene gesetzten, recht rasanten Verfolgungsjagd, bei der Edward Dalton sich bemühen muss, dem durch Einschusslöcher einfallenden grellen Sonnenlicht auszuweichen (Das Sicherheitssystem meldet dazu sinnigerweise: „UV-Warnung!“), beginnt der Film allerdings in der zweiten Hälfte abzuflachen. Die weitere Handlung wirkt deutlich weniger durchdacht und strebt einem nicht übermäßig intelligenten, dafür umso heftiger bissigen Finale zu. Hier trifft das mit „The Matrix meets 28 Days Later“ bewerbende Marketing gerade in Bezug auf den grottigen 28 Days Later recht genau den Kern und lässt das Blut bis in die letzte Reihe spritzen. Nun, hiermit sollten wohl gerade die Hardcore-Splatterfans nicht enttäuscht werden. Dass Splatterfans und auch diejenigen, die gelegentlich Ballerspiele mögen, nicht zwangsläufig böse Buben sind, hat sich mittlerweile wohl herumgesprochen. Und das gilt anscheinend auch für die Spierig-Brüder, die mir als Mitproduzenten der m. E. völlig indiskutablen Saw-Reihe eher suspekt waren. Nun, im vorbildlich produzierten Making-of der Special-Edition wirken selbst diese, wie auch das übrige Team, recht entspannt und auch angenehm selbstironisch.
Gerade Letzteres gilt m. E. auch für Daybreakers. Drum sollte man das Ganze nicht allzu ernst nehmen, vor allem dieses meist völlig überzogene Hineininterpretieren von angeblichem Tiefgang in schlichtweg banale, reine Splatter-Stories besser vermeiden, wie es beispielsweise zu Romeros Zombie-Reihe, aber auch zu 28 Days Later, offenbar beliebt ist.
Alles in allem ist Daybreakers sicherlich kein Knüller, aber trotz seines etwas flauen, dafür übertrieben blutigen Finales bietet der Film über weite Strecken eine ordentliche Genre-Unterhaltung. Gegenüber dem schlichten Vorläufer Undead (2003) lag das Budget für Daybreakers zwar unübersehbar höher. Vermutlich sind aber doch einige der dem Streifen besonders in der zweiten Hälfte zu attestierenden Vorbehalte auch durch die Grenzen der für die Produktion zur Verfügung stehenden Mittel mit begründet. Mit mehr Geld hätte man den im letzten Drittel eher hastig und wenig ausgegoren wirkenden Plot intelligenter ausgestalten, hätte ihm durch etwas mehr Zeit interessantere Konturen verleihen können. Aber trotz gewisser Mängel kombiniert der Film in Teilen geschickt Elemente des Horror-, Science-Fiction- und Thriller-Kinos und wartet dabei mit einer Reihe recht origineller Einfälle auf, die den Betrachter verschiedentlich amüsiert zurücklassen. Mit etwas Rückenwind halte ich dreieinhalb Cinemusic.de-Sternlein und damit ein Quäntchen mehr als die nur ganz „kleine Empfehlung“ für verdient.
Daybreakers als Special-Edition auf Blu-ray & DVD
Die DVD enttäuscht keinesfalls, aber besonders in der Blu-ray-Version zeigt der Film überwiegend ein sehr gutes Bild, das selbst in den meisten Nachtszenen mit gutem Kontrast und vielen Details aufwartet. Einzelne Effekt-Shots allerdings wirken recht weich, wobei sich zumindest in Teilen die Frage stellt, ob dies nicht auch beabsichtigt ist. So ist z. B. der ausgeprägte Weichzeichner in Teilen des Prologs unübersehbar, ist also Teil der Dramaturgie. Und auch beim digital getricksten Shot mit den gefangenen Humanoiden, denen das Blut abgezapft wird, dürfte das Bild partiell weichgezeichnet worden sein. Untadelig ist auch die Wiedergabe der in den meisten Szenen stark gefilterten, also sehr kühl gestylten, eher unnatürlichen Farben. Insgesamt kommt hier beim Anschauen durchaus HD-Freude auf. Wertungsmäßig sind für das Bild fette fünf Sterne, also knapp an der Fünfeinhalb-Marke vorbei, für die Blu-ray angemessen. Wobei der gerade in den Actionpassagen sehr detailfreudig wie druckvoll daherkommende Surroundtonmix den positiven Eindruck weiter fördert. Heimkinofreunde, die über eine am Puls der Zeit befindliche Audiotechnik verfügen, dürften außerdem die in Deutsch sogar 7-kanalig vorliegende Tonmischung als DTS HD Master Audio 7.1 besonders begrüßen. Als eine letzte nette Zugabe gibts auf Disc 1 den 2000er Mystery-Kurzfilm The Big Picture (14 Minuten), das erste, zweifellos sehr preiswerte, aber atmosphärisch recht nette Produkt der Spierig-Brüder.
Beide Special-Editionen von Daybreakers enthalten das nicht in HD produzierte zweistündige Making-of jeweils auf einer DVD als zweitem Bilddatenträger. Dieser äußerst ausführliche Blick hinter die Kulissen ist vorbildlich strukturiert und zeichnet die Entstehung und Produktion des Films sowohl gelungen als auch umfassend nach. Zusammen mit dem sehr informativen, zum Film wählbaren Audiokommentar sowie bei der Blu-ray-Ausgabe einer noch zusätzlich vorhandenen, szenenspezifisch mit Bild-in-Bild-Storyboardeinblendungen aufwartenden Fassung bleiben eigentlich keine Wünsche mehr offen, außer, dass der Audiokommentar ebenfalls deutsche Untertitel verdient hätte. Nun, dieses kleinere Wermutströpfchen soll die im Segment Ausstattung ansonsten voll überzeugende Sunfilm-Entertainment-Produktion die Spitzenwertung ausnahmsweise nicht kosten.
Christopher Gordons Filmmusik
Der im australischen Sydney residierende, in London geborene Komponist begann seine Karriere Mitte der 1980er mit Arbeiten für kleinformatige TV-Filme und ebenso als Orchestrator und Dirigent für Komponistenkollegen. International wurde Gordon durch seine Vertonung verschiedener TV-Produktionen bekannt: Moby Dick (1998), On the Beach (2000), When Good Ghouls Go Bad (2001) und Salems Lot (2004).
Seine jüngsten Vertonungen entstanden zu zwei Kinofilmen: dem Tänzer-Drama Maos Last Dancer (deutscher Kinostart am 4. November 2010) und dem Vampir-Opus Daybreakers. Diese beiden, stilistisch weit auseinander liegenden Kompositionen gehören zum Interessantesten und Hörenswertesten beim Thema Filmmusik der letzten Zeit. Abgesehen von ein paar Synthie-poppigen Einsprengseln, die wohl auf einen Wunsch der Produzenten zurückzuführen sind, zählt Gordons Daybreakers zu den besonders packenden und hochkarätigen Beispielen für eine mit akustischem Instrumentarium raffiniert ausgeführte Filmkomposition. In den Chorpassagen gibt es zwar gewisse Verwandtschaft zu Salems Lot, aber im Übrigen ist die Musik weitgehend eigenständig. Eher am Rande noch dazu: Christopher Gordon ist kein Vielschreiber und auch nicht, weder räumlich noch stilistisch, im mitunter schlicht lärmenden Hollywood-Mainstream beheimatet. Dass es sich bei seiner (Film-)Musik um etwas handelt, dass auch in Verbindung zu seinen anspruchsvollen Kompositionen für den Konzertsaal steht, wird schnell deutlich. Ihre meist unmittelbar sehr ansprechende, oftmals mitreißende Wirkung bezieht sie aus der geschickten dramatischen Konzeption im Verbund mit der effektvoll ausgeführten Instrumentierung.
Sebastian Schwittay hat auf FilmmusikWelt.de eine sehr detaillierte, analytische Betrachtung der Filmmusik zu Daybreakers (in Europa auf CD erschienen bei Silva Screen Records UK) publiziert, die ich ausdrücklich empfehlen möchte.
Fazit: Zwar hätte man mehr aus Daybreakers machen können, aber es stellt sich zugleich die Frage, ob das die Mehrheit der Genrefans, die man hier zweifellos anvisieren wollte/musste, nicht eher verprellt hätte. Nun, trotz der o. g. Schwächen, sowie einiger Plotlöcher und gewisser Stereotype in den jedoch nicht generell platt gezeichneten Charakteren, ist der zudem nicht billig, vielmehr mit respektablem Budget realisierte Film insgesamt gewiss nicht misslungen. Durch seine vielen pfiffigen Ideen, welche gerade in der ersten Hälfte ein durchaus originelles Szenario tragen helfen, und ebenso einige gelungen philosophierende Einschübe (z. B. über das Vampirdasein) ragt er aus der Masse des eher Trashigen schon ein Stück weit hervor und ist mindestens ebenso unterhaltsam. Und Letzteres unterstreichen die in der Filmpräsentation untadligen und insbesondere in den Boni vorbildlich informativen beiden Special-Editionen. Die Nase vorn hat dabei, wie zu erwarten, die Blu-ray-Ausgabe.
Homepage des Komponisten Christopher Gordon
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.
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