Nostalgisch und modern zugleich: Kenneth Branaghs Cinderella für Disney
Bereits in Disneys überraschend düsterem Into the Woods (Regie: Rob Marshall) hat Cinderella einen Part erhalten. Dazu könnte allerdings Kenneth Branaghs Neuinterpretation des 1950er Zeichentrick-Klassikers, Cinderella, wohl kaum einen größeren Kontrast bilden. Äußerst charmant und leichtfüßig, sich zwar gewisse Freiheiten nehmend, aber immer den reizenden Vorläufer fest im Blick behaltend, kommt Branaghs Version daher. In ihrer betont üppigen, dabei edlen Buntheit wirkt die Realverfilmung bereits auf den ersten Blick mindestens so – im positiven Sinne natürlich – unrealistisch und ist ebenso reizend märchenhaft wie ihre Vorgängerin geraten. Das romantische Element der Vorlage spiegelt sich dabei besonders in den vielfach abgestuften Blautönen, wobei die „blaue Blume der Romantik″ in den Uniformen der Prinzen-Garde und erst Recht in Cinderellas Ballkleid ganz besonders üppig erblühen darf. Da fühlt man sich durchaus an das klassische 3-Farben-Technicolor erinnert. Hinzu kommt ein opulenter, ja geradezu verschwenderischer Look, für den Produktionsdesigner Dante Ferretti (Hugo Cabret) und Kostümbildnerin Sandy Powell (Aviator) gesorgt haben. Die mitunter vor Dekor überquellenden Räume sind eingebettet in mit dem Computer bearbeitete Landschaften, deren Originale in Merry Old England zu finden sind. Im Winterbild mag man an Disney-typischen Zuckerguss denken, und ein prächtiges Prinzen-Schloss gibt’s ebenso, welches dem Dresdner Zwinger nachgestaltet worden ist.
Nicht die Grimmsche Version vom Aschenputtel diente als Märchenvorlage, sondern Charles Perraults „Cendrillon oder der kleine gläserne Pantoffel“ von 1697. Shakespeare-Spezialist Branagh hat den altbekannten Plot visuell mit viel Glamour kräftig aufgepeppt, dabei allerdings vergleichbar behutsam und liebevoll, ähnlich den besten der jüngeren TV-Märchenklassikeradaptionen, modernisiert. Dies gilt ebenso für die längst zum TV-Weihnachtsklassiker avancierte, ebenso reizende Aschenputtel-Variante: die tschechisch-deutsche DEFA-Produktion Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (1973).
Branagh hat aus der 1950er Disney-Zeichentrickversion einen opulenten und trotz dezenter Verjüngungskur vergleichbar vergnüglichen, sehr nostalgischen Augenschmaus, eine Art von Sommernachtstraum, gepaart mit ein paar tragischeren König-Lear-Momenten, gemacht. Entsprechend sind auch im aktuellen Cinderella-Remake die Reize des beliebten 1950er Originals keineswegs verloren gegangen. Remake steht hier allerdings nicht für eine annähernd 1:1-Umsetzung. Verschiedenes ist neu hinzugekommen, anderes in seiner Bedeutung verändert. So beginnt die aktuelle Verfilmung erstmalig mit einem eingehenderen Blick auf Ellas (die spätere Cinderella) glückliche Kindheit. Die böse Stiefmutter ist keineswegs eine Karikatur. Ihr Charakter erhält dieses Mal in entscheidendem Maße mehr an Profil und Tiefe und wird damit für die Handlung umso bedeutungsvoller. Cinderella bleibt zwar die Titelfigur, die Hauptrolle ist hier aber eher von der bösen Stiefmutter besetzt. Diese stielt der warmherzigen und liebenswerten Cinderella schlichtweg die Show. Brillant verkörpert von Cate Blanchett, erscheint die immer elegant gekleidete und gewählt Auftretende außergewöhnlich markant und unmittelbar in besonderem Maße unheimlich. Ihre intelligent-zynischen Ränkespiele verleihen ihr dabei einen schon realistisch anmutenden Touch. Ebenso neuartig ist, dass gezeigt wird, wie Ella nach dem Tode des Vaters von der Stiefmutter und deren beiden so einfältigen wie habgierigen Töchtern (Holliday Grainger und Sophie McShera) erst nach und nach in die Rolle des Aschenputtels gedrängt wurde und erst dann auch den Spottnamen Cinderella erhielt.
Dagegen ist der Part der hilfreichen und liebenswerten Mäuse gegenüber dem 1950er Original merklich verkleinert. Niedlich sind die nun unverständlich plappernden, computeranimierten Viecher zwar nach wie vor, aber sie sind insgesamt doch etwas weniger bedeutend. Sie sind zwar auch hier dabei hilfreich, dass Cinderella und der Prinz sich schließlich kriegen. Sie müssen sich dafür aber nicht derart ins Zeug legen, um, wie im Original, den der Stiefmutter entwendeten Schlüssel für’s Turmzimmer mühevoll durchs ganze Haus und die Wendeltreppe empor zu transportieren. Noch stärker beschnitten ist die Rolle von des Stiefmütterleins bösem Kater, Lucifer, welcher hier eher atmosphärische Miniauftritte hat. Praktisch verschwunden ist auch der durch die diversen hübschen Liedeinlagen im 1950er Original verursachte Musical-Touch – auf welchen allerdings im Abspann dann doch noch sehr hübsch reflektiert wird (s.u.).
Indem in tragenden Rollen neben Leinwandgrößen wie Cate Blanchet als brillante böse Stiefmutter oder Helen Bonham Carter als Gute Fee auch Jungstars wie Lily James (Downton Abbey) als Cinderella und Richard Madden (Game of Thrones) als ihren Prinzen einsetzt, wird geschickt auf das jüngere Publikum gezielt, dem die betreffenden TV-Serien geläufig sind.
Das absolute Highlight ist zweifellos die animationstechnisch besonders aufwändig, dabei ungemein fantasievoll gestaltete Verwandlung eines Kürbisses – der sich drolligerweise in einem, für das was gleich kommt, viel zu kleinen Gewächshaus befindet – in die Prinzessinnenkutsche, wobei die benötigten Pferde und Bediensteten, wie geläufig, aus Cinderellas tierischen Freunden rekrutiert werden. Wenn die Turmuhr Mitternacht schlägt und der Zauber wieder erlischt, ist die langsam einsetzende Rückverwandlung (etwa wenn die Pferde wieder Mäuseohren bekommen) mindestens ebenso köstlich anzuschauen. Schmunzeln ist dabei garantiert. Die gesamte Sequenz aus Ver- und Rückverwandlung ist sowohl eine äußerst liebevolle Verneigung vor der 1950er Version als auch Beleg für die seit damals enorm erweiterten tricktechnischen Gestaltungsmöglichkeiten.
Cinderella von Blu-ray in HD
Die HD-Präsentation macht in Bild und Ton eine sehr gute Figur. Das Bild ist sehr detailreich. Es zeigt fast durchweg sehr gute Schärfe, und ebenso einen überzeugenden Kontrastumfang. Nur in einzelnen Momenten weist es infolge eines etwas zu hellen (dezent grau erscheinenden) Schwarzwertes geringfügige Schwächen auf. Die Farbpalette ist insgesamt besonders üppig angelegt und neigt zu sehr satten, leuchtend dargestellten Farbtönen, wobei aber auch Pastellfarben sauber abgebildet werden. Dazu präsentiert sich ein fitter, auf den einzelnen Kanälen sehr aktiver DTS-HD 7.1-Surround-Sound-Mix.
Die Bonikollektion ist komplett in HD und wirft über rund 40 Minuten anhand von Featuretten einige Blicke hinter die Kulissen und präsentiert außerdem als geschnittene Szene einen verlängerten „Alternativen Anfang“ – den man ruhig im Film hätte lassen können. Das ist zweifellos sehr nett anzuschauen. Im Vergleich mit anderen Editionen hätte es davon aber gern noch etwas mehr sein dürfen. Etwas schade ist zudem, dass es zum Einstimmen keine Cinderella-Kinotrailer gibt. Dafür ist der bereits im Kino als Vorfilm fungierende, indirekt bereits für die Fortsetzung von Die Eiskönigin – Völlig unverfroren werbende, Kurzfilm Die Eiskönigin: Party-Fieber vertreten.
Das Filmmusikalbum von Patrick Doyle
Patrick Doyle ist quasi Kenneth Branaghs Hauskomponist. Die Musik zu Cinderella ist nun die zwölfte Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Komponisten seit 1989. Doyle hat sich in seiner Komposition wohl ganz bewusst auf die klassischen, rein orchestralen Tugenden besonnen, die das klassische Kinoerlebnis vergangener Tage oftmals so unvergesslich gemacht haben.
Entsprechend geht es, im Gegensatz zur deutlich hipperen Musikuntermalung des Cinderella-Kinotrailers, ohne zeitgemäßen Schnickschnack zur Sache mit dem mit 65 Spielern ausgestatteten London Symphony Orchestra. James Shearman hat die Partitur Doyles nicht nur erstklassig instrumentiert, er dirigierte auch die Einspielungen.
Dabei empfängt und umfängt der Komponist den Hörer mit einem überwiegend filigranen, mit Instrumentalsoli durchsetzten, häufig transparent schimmernden Orchestersatz. Mit einer Musik, die neben viel klingender Feen-Magie (Celesta und metallisches Schlagwerk) betont tänzerisch-ballethaft anmutet und dezent ein anmutiges „Nussknacker“-Bouquet verströmt. Ein wenig klingt’s auch nach Doyles Vertonungen zu Branaghs Shakespeare-Verfilmungen wie Much Ado About Nothing oder Sense And Sensibility. Und wenn die gute Fee die Verwandlung vom Kürbis zur Kutsche und den Mäusen zu Rössern inszeniert, dann geht’s musikalisch tonmalerisch mit drolligem Cartoon-Touch zur Sache.
Für den großen Ball des Prinzen hat Doyle mehrere sehr charmante Tänze (Walzer und Polkas) einkomponiert, die klingen als würden sie aus dem Strauß-Umfeld in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Das verstärkt noch den Eindruck einer romantischen Balletmusik. Dass diese auch darüberhinaus von verschiedenen eingängigen Themen getragen wird, versteht sich fast von selbst. Des Weiteren ist im Score eine warme englische Volksweise aus dem 17. Jahrhundert geschickt verarbeitet, die im eleganten musikalischen Fluss quasi einen roten Faden bildet: Das Lied „Lavendel Blau“ steht als klingende Erinnerung an Cinderellas Mutter und Ellas sorglose Kindheit. „Lavender’s Blue“, spielt nicht nur auf die Farbe Blau (s.o.) an, sondern wartet sinnigerweise zugleich mit einem zur Geschichte sehr passenden Text auf: „Lavender’s blue, dilly dilly, lavender’s green, when I am king, dilly dilly, you shall be queen“. Leider ist der Song nicht auf dem im Übrigen tadellosen CD-Album vertreten, aber man kann ihn sich problemlos via YouTube anhören.
Ein originelles Song-Tripel beschließt sowohl den Filmabspann als auch das Score-Album. Dabei kontrastiert der zeitgemäß poppige und dabei durchaus ansprechende Filmsong „Strong“ äußerst originell mit zwei zentralen Liedern des 1950er Originals in stimmungsvollen Coverversionen, was den Kreis auch musikalisch sehr stimmig und nostalgisch zugleich schließt: Cinderellas Lied „A Dream Is a Wish Your Heart Makes“, hier sinnigerweise interpretiert von Lily James, und Helena Bonham Carter mit dem witzigen Zauberlied „Bibbidi-Bobbidi-Boo“.
Übrigens, in besagtem Cinderella-Lied kommt die generelle Disney-Philosophie klingend zum Ausdruck: Man muss nur fest genug an sich und das Gute glauben und Herzenswünsche können in Erfüllung gehen. Hier und jetzt ist diese auch nur leicht entschlackt worden: Sei mutig und freundlich.
Über die gesamte Spielzeit des mit knapp 79 Minuten prallgefüllten CD-Albums kommt absolut keinerlei Langeweile auf, im Gegenteil: Es macht enorm viel Spaß, diese unmittelbar sehr eingängige Musik zu Hören. Ähnlich wie Merida so zählt auch Cinderella zu den ambitioniertesten und zugleich schönsten Filmkompositionen aus der Feder Patrick Doyles seit rund einer Dekade.
Fazit: Kenneth Branagh hat dem 65-jährigen Disney-Zeichentrick-Klassiker gekonnt und liebevoll neues Leben eingehaucht. Die Realverfilmung kommt überzeugend modern und trotzdem wohltuend altmodisch daher. Hier wird ein sehr überzeugendes Wohlfühl- und Familienkino in bester Disney-Tradition geboten, bei dem sich durch die liebevolle Machart und visuell prachtvolle Ausstattung auch größere Zuschauer nicht langweilen werden. Das ist etwas, das wohl nie wirklich aus der Mode kommen wird. Ich bin daher sicher, dass die neue Cinderella das Zeug zum Disney-Klassiker besitzt.
Wer die 1950er Version schätzt, der sollte daher auf die vergleichbar knuffige Wiedergeburt des Jahres 2015 keinesfalls verzichten und beim Zugreifen am besten die feine Filmmusik-CD mit Patrick Doyles edlem Score gleich noch mit hinzunehmen.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.
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