Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende zu und im Sinne guter Tradition wird auch dieses Mal zum Einstimmen auf die bevorstehende Advents- und Weihnachtszeit eine Handvoll stimmungsmäßig dazu passender CDs vorgestellt.
„Christmas Round the World“
Ausgehend vom aus dem US-amerikanischen Appalachengebirge stammenden „I wonder as I wonder“ führt die DG-Kompilation entsprechend ihrem Titel „Christmas Round the World“ den Hörer über rund 65 Minuten über den Globus, kreuz und quer mit weihnachtlichen Klängen aus verschiedensten Regionen. Vielleicht ein wenig inspiriert von der letztjährigen Veröffentlichung des Querstand-Labels „Weihnachten in der Welt“ hat man sich auf eine Wanderung durch die weitläufigen Archive der unter dem Sammelbegriff „Universal Music“ vereinten Labels begeben. Das bedeutet natürlich, dass der Interessent möglicherweise den einen oder anderen Titel bereits in seiner Sammlung besitzt. Natürlich geben sich eine Reihe renommierter Interpreten ein Stelldichein, wie Bryn Terfel, Roberto Alagna, Anne Sofie von Otter oder auch Luciano Pavarotti. Überwiegend wird selten zu Hörendes geboten, wie das rumänische Weihnachtslied „O! Ce veste minunatā“, das aus Argentinien stammende „La peregrinación“ oder auch ein zeitgenössischer Beitrag aus Korea, komponiert von Hyun Cheol Kim.
Eingestreut sind aber auch ein paar der geläufigen Klassiker, wie das unverwüstliche „Stille Nacht“ oder „O Tannenbaum“. Die Handvoll vertrauter Einschübe wirkt allerdings gerade im Kontrast mit der Masse des eher Unbekannten nicht ermüdend, was auch mit auf die insgesamt recht abwechslungsreichen Arrangements zurückzuführen ist. Auch der berühmte Geiger Jascha Heifetz tritt auf, in einem klanglich vorzüglichen Schätzchen der ausgehenden Schellack-Ära: Der amerikanische Weihnachtsklassiker Irving Berlins, „White Christmas“, erklingt in einer hierzulande wenig bekannten charmanten Version und bildet den Abschluss einer ansprechenden Kollektion.
„A Christmas Caroll from Westminster Abbey“
Der Chor von Westminster Abbey unter der Leitung von James O’Donnell zeigt sein Können auf „A Christmas Caroll“. Zur Gotik der Londoner Abteikirche passend alte Chormusik steht dabei überraschenderweise kaum auf dem Programm. In einem aus in erster Linie aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammenden Chorkompositionen zusammengestellten Programm sind die beiden deutschen Quellen entstammenden sehr bekannten Lieder „In dulci jubilo“ und Franz Grubers „Stille Nacht“ mit Abstand das Älteste. Dabei finden sich durchweg Stücke, in denen sehr alte Texte ein neues klangliches Gewand erhielten. (So erklärt sich übrigens auch das auf sehr alter Schreibweise beruhende, titelgebende „Caroll“.) Trotzdem wird der sich nach Harmonie sehnende Hörer nicht enttäuscht. Fast durchweg wird ein wenig komplexer Mix aus Liedern und Motetten geboten, der in die Kategorie gehobener Light-Music gehört. Und auch die genannten beiden Weihnachtsklassiker des deutschen Repertoires erklingen hier in etwas anderer Form, diese sind nämlich im 19. Jahrhundert in speziellen Arrangements ansprechend anglisiert worden. Überhaupt ist bemerkenswert, wie vielfältig und abwechslungsreich auch reine Chormusik sein kann, die hier sogar fast völlig ohne klangliche Verstärkung durch ein Instrumentalisten-Ensemble agiert. Nur vereinzelt wird die Königin der Instrumente, die Orgel, hinzugezogen.
Zu den besonderen melodischen Perlen gehören Michael Heads (1900-1976) „The Little Road to Bethlehem“, Jonathan Doves (•1959) „The Three Kings“ und auch das vom britischen König des zeitgenössischen Weihnachtslieds John Rutter (•1945) stammende exquisite „Dormi Jesu“. Ein kleiner Hauch modern-archaisierender Strenge durchzieht dafür Teile des 1969 entstandenen, aus fünf Liedern bestehenden Zyklus „Ave Rex“ von William Mathias (1934-1992).
Der wohl disponierte gemischte Chor und die Gesangssolisten sind überzeugend in ein insgesamt sehr sauber gestaffeltes, großvolumiges räumliches Klangbild eingebettet. Dass in den Musikpausen anstelle von bei Digitalaufnahmen gewohnter Stille ein dezenter Untergrund hörbar ist, ist nach Auskunft von Hyperion auf die außerordentliche Akustik der Westminster Abbey zurückzuführen.
John Rutter: „A Christmas Festival“
Der bereits erwähnte John Rutter hat für sein hauseigenes Label, Collegium Records, ein weiteres brandneues Weihnachtsalbum produziert — siehe auch „The John Rutter Christmas Album“. „A Christmas Festival“ vereint die von Rutter gegründeten „Cambridge Singers“, den „Farnham Youth Choir“ sowie die Solisten Elin Manahan Thomas, Clara Sanabras und Melanie Marshall mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Hinzugemixt worden ist noch das Orgelspiel von Dr. John Birch, aufgenommen in der klangprächtigen Royal Albert Hall.
Mit der vorliegenden CD knüpft Rutter unmittelbar an die Tradition der von ihm mit diesen Künstlern veranstalteten jährlichen Weihnachtskonzerte an. Über 70 Minuten erhält der Hörer einen Eindruck dieser alljährlich zweifellos sehr geschmack- und stimmungsvoll ausgestalteten Konzertevents. Auch hier ist es wiederum die Mischung aus in der Mehrzahl neu komponierten und eingestreuten traditionellen Weihnachtsliedern, die im Zusammenspiel mit den abwechslungsreichen Arrangements den sehr guten Gesamteindruck macht. Dabei stammen die meisten Arrangements von Mr. Rutter höchstpersönlich. Daraus resultiert auch in den vertrauten Melodien ein merklich eigener Charme, der sich vom bereits allzu Gewohnten angenehm ein Stück absetzt. Mal wird der Klang eindrucksvoll von festlichen Fanfaren sowie dem Fortissimo des groß besetzten Klangkörpers nebst Chorgesang bestimmt. Dafür vermögen die an anderer Stelle wiederum sehr dezenten Begleitungen der Gesangssolisten ebenso für sich einzunehmen.
Da ist z. B. der mit Originalinstrumenten charmant renaissancemäßig gefärbte Orchestersatz zum aus einer finnischen Liedersammlung des 16. Jahrhunderts stammenden „Gaudete“; das auf Joseph Haydn zurückgehende walisische Lied „Nos galan“, das unter der Bezeichnung „Deck the Hall“ geläufiger ist und traditionell bevorzugt an Neujahr, dem Tag der Beschneidung Jesu, gesungen wird. Ebenfalls vertreten ist das bei uns mittlerweile ebenfalls sehr vertraute englische Weihnachtslied „Hark! The herald angels sing“. Dieses hat nicht zuletzt über die angelsächsischen Weihnachtsfilme Einzug in das hiesige Repertoire gehalten. Dabei ist der sehr alte Liedtext interessanterweise erst nachträglich auf eine Melodie von Felix Mendelssohn Bartholdy, entlehnt aus dessen Festkantate „Festgesang“ Op. 68, angepasst worden.
Zwei farbige Orchesterstücke sorgen zwischendurch für zusätzlichen Kontrast: „A Christmas Overture“ von Nigel Hess und „Sleigh Ride“ von Frederick Delius. Und natürlich fehlen auch eine Reihe der galanten Eigenschöpfungen Rutters nicht, wie „Ave Maria“, „New Year“ oder „I wish you Christmas“. Das nachdenkliche „Have yourself a merry little Christmas“ aus dem Judy-Garland-Musical Meet me in St. Louis (1944) bringt das Programm stimmungsvoll und dezent zugleich zum Abschluss. Ein sehr ambitioniert interpretiertes, auch klangtechnisch opulentes und überhaupt süffiges Porträt zeitgenössischer britischer Weihnachtskonzerte: Eines, bei dem Festtagsstimmung garantiert ist. Das Begleitheft wartet übrigens zu jedem der vertretenen Stücke mit Informationen und Liedtexten auf.
Witold Lutosławski: „20 polnische Weihnachtslieder“
Eine Veröffentlichung des Naxos-Labels aus dem Albenzyklus mit Werken des polnischen Komponisten Witold Lutosławski bildet das Schlusslicht des hier vorgestellten CD-Quartetts mit weihnachtlicher Musik.
In der künstlerisch restriktiven stalinistischen Nachkriegsära war für klangliche Experimente kaum Raum. Und so flüchtete sich Lutosławski besonders in die Bearbeitung von Volksliedern. Darunter entstand im Jahr 1946 der Zyklus „20 polnische Weihnachtslieder“, gesetzt für Sopran und Klavier. Mitte und Ende der 1980er Jahre hat der Komponist diese Lieder dann (in zwei Etappen) zusätzlich in einem Arrangement für Sopran, Frauenchor und Kammerorchester vorgelegt.
Die aus polnischen Quellen des 19. Jahrhunderts stammenden Lieder bleiben im Ton besonders verbindlich und sind unmittelbar zugänglich. Der von Lutosławski sehr transparent gehaltene, dabei sehr farbige Orchestersatz verleiht zusätzlichen Charme. Was es hier zu hören gibt, sticht vom häufig schwelgerischen Gestus der angelsächsischen Weihnachtsmusik ein Stück ab. Lutosławskis weihnachtlicher Liederzyklus bildet dazu einen intimeren, auf seine Art gleichwertigen, im Ausdruck auch dezent exotischen Kontrast.
Die Naxos-Aufnahme präsentiert den rund 40 Minuten in Anspruch nehmenden vollständigen Liederzyklus nicht nur kompetent, sondern zudem besonders stimmungsvoll. Immerhin erklingen die Lieder im polnischen Originaltext und nicht in der englischen Übersetzung der Uraufführung in London im Dezember 1990.
Darüber hinaus sind noch zwei weitere Werke Lutosławskis vertreten, die mit dem Christfest allerdings nicht verbunden sind. Das nur knapp vierminütige lyrische und ausdrucksstarke „Lacrimosa“ ist eine von zwei Teilkompositionen nach der katholischen Totenmesse. Bereits 1937 entstanden, zählt es zu den frühesten Arbeiten, die erhalten geblieben sind. Außerdem ist noch der 1957 komponierte, nur 10 Minuten umfassende Zyklus der „Fünf Lieder“ vertreten. Diese Stücke sind im Werkkatalog des Polen sicher typischer. Im Gestus sind sie eindeutig moderner, erweisen sich aber, wie meist bei Lutosławski, wiederum nicht als schlichtweg sperrig.
Antoni Wit und seine Mitstreiter lassen auch diesem mittlerweile neunten Album der NAXOS-Reihe mit Einspielungen der Musik Witold Lutosławskis liebevolle, einfühlsame Interpretationen zuteil werden. Dabei gibt es auch klangtechnisch nichts zu beanstanden. Wer bei Lutosławski bislang noch gezögert hat, der sollte bei den „20 polnischen Weihnachtsliedern“ ruhig den Zugriff wagen. Für manchen Leser mag vielleicht gerade diese CD den Höhepunkt dieses Artikels markieren.
Das Begleitheft wartet mit soliden Informationen, übrigens auch in Deutsch, auf. Die Liedtexte sind aus Kostengründen verständlicherweise nicht enthalten. Erfreulicherweise können sie aber online abgerufen werden.
Fazit: Die vorgestellten vier Titel sind mit den im vergangenen Jahr vorgestellten zwar schon eng verwandt. Aber wie bei diesen handelt es sich auch hier erfreulicherweise nicht um ausschließlich repetitive und damit schnell etwas abgedroschen erscheinende Vertreter der Gattung Weihnachts-CD-Album.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2008.
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