Capricorn One

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
17. Dezember 2005
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

Capricorn One/Hour of the Gun

Zwei Ausgrabungen zum Komponisten Jerry Goldsmith bescherten Intrada und Varèse: Die Musik zum Science-Fiction-Thriller Capricorn One • Unternehmen Capricorn (1978) sowie die Musik zum Spätwestern Hour of the Gun • Die fünf Geächteten (1967).

Capricorn One (Regie: Peter Hyams) ist ein effektvoll inszeniertes Szenario um einen groß angelegten Betrug der NASA: eine fingierte Marslandung. Dabei wird den beteiligten Astronauten erst (fast zu) spät klar, dass sie Teil eines Spiels geworden sind, bei dem für sie kein Happy End vorgesehen ist. Zwar bleibt der Film in der Behandlung seines Themas völlig an der Oberfläche, eine raffinierte und spannende Thriller-Unterhaltung bekommt man aber in jedem Fall geboten. Anhänger von Verschwörungstheorien dürften sogar hellauf begeistert sein.

In Hour of the Gun geht es um das legendäre Duell am OK Corral, mit dem sich bereits John Ford in My Darling Clementine • Tombstone (auch Faustrecht der Prärie, 1946, Musik: Cyril J. Mockridge) beschäftigte. John Sturges inszenierte diesen Stoff im Jahre 1967 nicht zum ersten Mal. Bereits zehn Jahre zuvor hat er sich mit dem Thema gekonnt auseinandergesetzt, in The Gunfight at the OK Corral • Zwei rechnen ab (1957, Musik: Dimitri Tiomkin). Seine 1967er Neubetrachtung ist im Stile eines realistischen Spätwesterns gehalten, bei dem besagtes Duell nicht der Höhe-, sondern vielmehr der Ausgangspunkt der Filmstory ist. Der sehenswerte Hour of the Gun fokussiert damit auf die ebenso blutig und rücksichtslos ausgetragenen Auseinandersetzungen nach dem legendären Duell und lässt dabei das Gebrochene und Zwiespältige seiner „Helden“ deutlich werden. (Ein weiterer interessanter Ansatz zum Thema ist, sowohl filmisch wie musikalisch, der 1993er Tombstone von George P. Cosmatos mit der ebenfalls vortrefflichen Musik eines Bruce Broughton.)

Bei Capricorn One handelt es sich nicht um den wiederveröffentlichten alten LP-Schnitt, der bereits 1993 zusammen mit der Musik zu Outland auf einer CD von GNP Crescendo erschienen ist. Die aktuelle Veröffentlichung auf Intrada macht erstmalig die vollständige Musik der originalen Studioeinspielungen abseits des Films offiziell zugänglich. Varèses Hour Of the Gun ist, wie schon die 1991er Intrada-Version, identisch mit dem Schnitt der ehemaligen United Artists LP. Hierbei handelt es sich vermutlich um eine dicht am Original orientierte Nachspielung.

Beide Scores zu Filmen sehr unterschiedlichen Sujets zeigen Goldsmith von seiner besten Seite, als großen filmmusikalischen Könner und zugleich raffinierten Musikdramatiker. Beide Vertonungen sind weitgehend monothematisch angelegt, wobei die Westernmusik mit einem superben melodischen Einfall aufwartet, der Thriller hingegen hauptsächlich auf einem zentralen rhythmisch markanten Ostinato-Motiv basiert. Es gibt zwar auch ein breiteres Liebesthema, das allerdings bedingt durch die Filmhandlung (!) in der Musik nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Die CD zu Hour of the Gun präsentiert das breitausschwingende Thema mit Ohrwurmcharakter gleich eingangs, in Form eines merklich angepoppten Arrangements, das übrigens nur für die LP eingespielt worden ist — mit dem Film also nichts (!) zu tun hat. Im Film setzt die Musik vielmehr mit Track zwei ein. Was auf der LP als „Main Title“ bezeichnet wird, ist allerdings nicht wirklich ein solcher. Vielmehr handelt es sich um eine kunstvoll auskomponierte Spannungsmusik für den fast fünf-minütigen Prolog: die Gunfight-Sequenz am OK Corral.

Spannungsmusiken im Film und allein von CD sind oftmals zwei sehr verschiedene paar Schuhe. Wie es Goldsmith allerdings gelingt, aus motivischen Bruchstücken seines Hauptthemas über die gesamte Spieldauer einen Spannungsbogen zu gestalten und raffiniert zur Klimax zu führen, ist weitaus mehr als nur bemerkenswert. Das komplette Thema erklingt im Score erst anschließend und wird fortlaufend, auch in unterschiedlich langen Bruchstücken, variiert und meisterhaft verarbeitet. Es taucht dabei kunstvoll gespiegelt in den verschiedenen Orchestergruppen auf.

Es ist zwar keineswegs zwingend das Album zu Hour of the Gun filmchronologisch abzuhören. Hat man jedoch das vollständige Thema bereits von Anfang an gut im Ohr, kann man dem wohlüberlegten Aufbau der Musik besonders leicht folgen. Dies ist bei der für einen breiten Hörerkreis gedachten Höralbumkonzeption ein durchaus beabsichtigter Aspekt, der abseits des Films (zumindest bei den ersten Hördurchgängen) zudem einigen Sinn macht.

Bei Capricorn One verhalten sich die Dinge in gewisser Weise umgekehrt. Im „Main Title“ wird das markante motivische Material des Scores komplett vorgestellt, das anschließend überwiegend in feinste Partikel zerlegt eingesetzt wird. Wird also bei Hour of the Gun das Thema erst im Laufe des Scores komplett entwickelt, wird das Motiv in Capricorn One quasi dekonstruiert. Wie immer setzt Goldsmith in der Gestaltung dieser beiden Musiken auf Ostinato-Strukturen, die er, wie eines seiner entscheidenden Vorbilder, Bernard Herrmann, äußerst geschickt zu handhaben weiß. Entsprechend kommt beim Anhören auch keinerlei Langeweile auf.

Letzteres möchte ich bei Capricorn One zwar ebenfalls, allerdings mit etwas Vorsicht verallgemeinern. In diesem Fall ist für den Ersthörer ein Studium des Zusammenwirkens von Musik und Filmbildern via DVD besonders hilfreich, die Qualitäten der sehr atmosphärischen, also besonders eng mit dem Leinwandgeschehen verbundenen Musik zu erfassen. Nur so „begreift“ man auch ein scheinbares Manko des Scores, nämlich das zwangsläufig eher „oberflächlich“ implantierte melodische Liebesthema. Die in der neuen Edition zusätzlich vertretenen, ebenfalls sehr auf das Bild bezogenen Stücke, bieten rein musikalisch gegenüber der LP-Fassung wenig essentiell Neues. Sie fungieren (und funktionieren) zum Teil als Source-Cues, was bei einem Höralbum nicht zwangsläufig bereichernd, mitunter sogar störend wirken kann. Der Goldsmith-Einsteiger und/oder reine Gelegenheitstäter, dürfte es daher bei Hour of the Gun und natürlich auch im thematisch geradezu reichhaltigen Bandolero spürbar einfacher haben. (Insofern halte ich das zusätzliche Musikmaterial bei der Langfassung von Bandolero auch für ein Stück entscheidender und wichtiger.)

Der den entscheidenden Reiz und auch den hohen Stellenwert ausmachende Punkt der neuen Capricorn-One-Edition liegt jedoch darin, dass sie, rund 30 Jahre nach dem Filmstart, (erstmalig offiziell) den Vergleich mit der LP-Version ermöglicht. Goldsmith hat nämlich für die separat in London eingespielte LP-Veröffentlichung das Original fachkundig bearbeitet, vergleichbar mit John Williams bei The Fury. Gewisse Unterschiede zwischen Original-Filmmusik und der für die LP-Nachspielung eingerichteten Höralbumkonzeption der Musik waren im Business zwar die Regel (siehe auch Wild Rovers), meist sind diese aber eher dezent und wenig auffällig. Bei Capricorn One hingegen sind gegenüber dem Original nicht nur einige Stücke merklich anders montiert, sondern in der Instrumentierung ganz beträchtliche, das Klangbild einschneidend verändernde Retuschen vorgenommen worden.

Simples unterscheiden zwischen „gut“ und „schlecht“, hilft hier aber nicht weiter. Immerhin handelt es sich im vorliegenden Fall keineswegs um eine krampfhaft auf kommerziell getrimmte LP-Nachspielung, wie sie in der Geschichte der Filmmusik in der Pop-Ära verschiedentlich vorkam, z. B. bei Elmer Bernsteins True Grit • Der Marshal (1969). Auch nach dem Vergleich beider Fassungen von Capricorn One bietet die LP-Version exzellente Musik. Gegenüber der kompromisslosen Schroffheit des Originals erweist sich die LP-Fassung allerdings als die (im sinfonischen Sinne) eindeutig konventionellere und klanglich glattere Lösung.

Auffällig ist bei der LP-Nachspielung der deutlich sattere Streicherklang. Im Original hingegen fallen die erheblich stärker betonte Bläsersektion sowie die ausgeprägter avantgardistisch auskomponierten Effekte (und auch die spezielle räumliche Platzierung einiger Instrumentengruppen) deutlich ins Ohr. Die beträchtlichen Änderungen zeigen sich bereits beim Vergleich der Main Titles beider Fassungen. Im Original nur von rund einer Minute Dauer, ist die LP-Version fast dreimal so lang. Durch das einbezogene, breit ausgespielte Liebesthema erhält diese Fassung, auch ohne die auffällig unterschiedliche Instrumentierung, bereits einen deutlich anderen, konventionelleren Charakter.

Im Zentrum der Filmmusik zu Capricorn One steht das Stück „Breakout“. Im Film entfliehen die Astronauten aus ihrem als tödliche Falle erkannten geheimen Aufenthaltsort, einem in einer unwirtlichen Wüstengegend befindlichen Gebäudekomplex, in dem die „Mars-Show“ inszeniert wurde. Goldsmith zeigt sich hier (aufs Neue) als musikdramatischer Könner par excellence. Für den unvorbereiteten Hörer gibt es dabei allerdings ein Hörproblem. Dem Film entsprechend ist der Ausbruch musikalisch eine sich in Stufen, also nicht kontinuierlich, entwickelnde Musiksequenz von rund fünf Minuten Dauer. Die dabei auftretenden Haltepunkte laufen Gefahr, ohne Film von vielen (weniger filmmusikerfahrenen) Hörern eher als holprig empfunden zu werden. Entsprechend wären sie im kommerziellen Höralbum ein „Schwachpunkt“, den Goldsmith in der rund zwei Minuten kürzeren (in Teilen aber auch merklich anders montierten) LP-Version des Stücks beseitigt hat. Auf der Intrada-CD gibt es hierzu noch einen originellen Bonus: ein so genanntes „LP-Imitat“ des Breakout-Tracks — d. h. das Imitat ist, der Konzeption des LP-Stücks folgend, aus genau dem Musikmaterial des Originals montiert, das Goldsmith auch seiner Nachspielung zugrunde legte. Nur hier kann man also beide Versionen 1 : 1 exakt miteinander vergleichen!

Unterm Strich offenbart gerade Intradas Edition zu Capricorn One in der unüberhörbaren Schärfe des Originals, die im wahren Wortsinn als unsentimental und kompromisslos zu bezeichnende Arbeitsweise des Komponisten. Die LP-Version hingegen wartet mit deutlich mehr an Wohlklang und infolge des bereits im „Main-Title“ zusätzlich eingebauten Liebesthemas mit einem merklichen Schuss an Sentimentalität auf. Insofern ist das Intrada-Album sicherlich in ganz besonderem Maße ein Leckerbissen für den bei Goldsmith fortgeschrittenen Hörer und überhaupt ein vorzügliches Album für vergleichende Hör-Studien. (Intrada hatte ursprünglich geplant, beide Einspielungen — analog Varèses The Fury — in einer Doppel-CD-Box zu vereinen. Dies war aus lizenzrechtlichen Gründen leider nicht möglich.)

Klanglich gibt es an beiden vorgestellten CD-Editionen nichts Entscheidendes auszusetzen. Altersbedingt ist jeweils ein leichtes, allerdings nicht wirklich störendes Rauschen vernehmbar, der Orchestersound ist in beiden Fällen sehr präsent und klar. Wobei Capricorn One durch sein geradezu fantastisch präsentes und räumlich optimal durchhörbares Stereo-Klangpanorama ganz besonders fasziniert. Zusammen mit dem sehr informativen Begleitheft erwirbt der Käufer eine TOP-Edition in Sachen Goldsmith. Hour of the Gun bietet zwar nur eine knappe halbe Stunde Filmmusik, wobei, wenn mich meine Erinnerung an den Film nicht täuscht, darüber hinaus kaum mehr wichtige Musik vorhanden ist. Das Begleitheft ist Varèse-typisch deutlich schlichter. Immerhin enthält es einen mehrseitigen Text, der aber schlichtweg zuwenig Informationen zur Musik enthält, sich dafür in etwas zuviel allgemeinem Drumherum um die Entstehung des Films verliert.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Erschienen:
2005
Gesamtspielzeit:
56:32 Minuten
Sampler:
Intrada Special Collection
Kennung:
Vol. 21

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