Der 1968 geborene Pianist Alexandre Tharaud präsentiert sich als in den meisten Genres sattelfester, dabei sensibler Interpret. Seine aktuellste Veröffentlichung auf Tonträger widmete er der Musik für die tönende Leinwand. Dabei wird beim etwas genaueren Hinsehen deutlich, dass das Doppel-CD-Set sich in zwei Abteilungen gliedert: Die erste CD in welcher Tharaud zusammen mit dem renommierten Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano agiert und eine zweite, bei der er Solostücke vorträgt. Das ist zwar ein durchaus respektabler Ansatz, aber eben auch ein sehr markanter Kontrast, der den Zuhörer ein wenig herauszufordern vermag. So ansprechend und insgesamt eben auch recht abwechslungsreich gehalten sich gerade das Zusammenspiel zwischen Orchester und Pianisten präsentiert, so streifen die sehr intimen Piano-Solo-Darbietungen gerade über die beachtliche Gesamtdauer von knapp 80 Minuten m. E. zwischendurch schon verschiedentlich ein wenig die Grenzen zur dezenten Monotonie. Sie können damit also schon auch ein wenig ermüden. Aber das ist letztlich eine sehr individuelle, vom persönlichen Geschmack geleitete Feststellung. Die Sängerinnen Vanessa Paradis, Camélia Jordana und Sabine Devieilhe, der Klarinettist Michel Portal und der Geiger Nemanja Radulović absolvieren in diesem zweiten Albenteil Gastauftritte.
Tharauds filmusikalisches Album ist ansonsten nicht grundsätzlich neu, sondern bildet ein weiteres Glied innerhalb einer kleineren Anzahl ähnlicher Veröffentlichungen – siehe dazu auch „Across the Stars“. Dabei reiht sich das aktuelle Album prima bei seinen Vorläufern ein, indem auch hier sorgfältige Arrangements, feinsinnige und zugleich spielfreudige Interpretationen und tadellose Aufnahmetechnik optimal zusammen wirken.
Dafür ist die aufgebotene Auswahl der Stücke partiell bemerkenswert anders als aus den mehrheitlich von Hollywood dominierten Alben gewohnt. Nur zum kleineren Teil ist tönendes Material aus US-Filmen mit dabei. Neben Marvin Hamlisch – The Way We Were * So wie wir waren (1973) sind dazu nur einige Stücke vom heutigen US-Superstar John Williams vertreten, davon zwei im orchestralen Albenteil, nämlich das an Rachmaninoff gemahnende „Over the Moon“ aus E.T. (1982) und das eher selten gespielte Hauptthema aus Sabrina (1995). Letztgenanntes in einer wiederum gelungenen Darstellung, die zugleich ein ansprechendes Pendant zur Interpretation Anne Sophie Mutters im Album „Across the Stars“ (s.o.) bildet. Im Solopart gesellen sich dann noch das Thema der Macht aus Star Wars sowie das Hauptthema aus Schindlers Liste hinzu.
Darüber hinaus tummelt sich CINEMA auf europäischem Terrain, bedient sich z. B. mehrfach in Italien bei Nino Rota und Ennio Morricone. Rotas Thema zu 8 ½ (1962) bildet dabei die Eröffnung des Soloparts in einer Übernahme der Transkription aus Massimo Palumbos Nino-Rota-Klavieralbum, im Jahr 1999 auf Chandos veröffentlicht. Rotas Themen aus Die Nächte der Cabiria (1957) und Der Leopard (1963) sind im Klavier-mit-Orchester-Part vertreten. Und von Ennio Morricone sind dabei: Cinema Paradiso (1988), La banchiera * Die Bankiersfrau (1980), La Disubbidienza * Der Ungehorsam (1981), Gente di rispetto * Werkzeug der Mächtigen (1975). Eine ganz besonders seltene Perle ist im Gebotenen auch noch zufinden: Wojciech Kilars Beitrag zum bereits 1946 begonnenen, aber erst 1980 vollendeten, außergewöhnlichen französischen Animationsfilm Le Roi et l’Oiseau * Der König und der Vogel. Hinzu kommen zwei Kompositionen von Ryūichi Sakamoto zum britischen Film von Nagisa Ōshima Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence (1983) sowie zum spanischen Filmdrama von Pedro Almodóvar Tacones lejanos * High Heels – Die Waffen einer Frau (1991).
Der Schwerpunkt der übrigen Musiken entfällt dann naheliegender- wie interessanterweise auf Schöpfungen französischer Komponisten und damit auch fast durchweg auf französische Kinoproduktionen:
Michel Legrand: Summer of 42 (1971), Zwei Themen aus The Thomas Crown Affair * Thomas Crown ist nicht zu fassen (1968), La Vie de Chateau * Leben im Schloss (1966), Les Demoiselles de Rochefort * Die Mädchen von Rochefort (1967), Yentl-Medley (1983),
Vladimir Cosma: L’As des as * Das As der Asse (1982), Un Éléphant ça trompe énormément * Ein Elefant irrt sich gewaltig (1976), Le Grand blond avec une chaussure noire * Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh (1972), Les Palmes de Mr Shultz (1997), Montparnasse-Pondichéry (1994), Diva (1981), Maldonne (1969),
Georges Delerue: Le Mépris * Die Verachtung (1963),
Philippe Sarde: Les Choses de la Vie * Die Dinge des Lebens (1970), Le Chat * Die Katze (1971), Beau–Père * Ausgerechnet ihr Stiefvater (1981),
Jean Wiener: Zwei Themen aus Touchez pas au grisbi * Wenn es Nacht wird in Paris (1954), Lettres d’amour en Somalie (1982),
Philippe Rombi: Joyeux Noël * Merry Christmas (2005),
Stéphane Grappelli: Les Valseuses * Die Ausgebufften (1974),
Francis Lai: Un homme qui me plaît * Der Mann, der mir gefällt (1969), Emmanuelle 2 (1975),
Yann Tiersen: Amélie * Die fabelhafte Welt der Amélie (2001)
sowie Gabriel Yared: L’Amant * Der Liebhaber (1992).
Das zu Hörende geht sämtlich unmittelbar gut ins Ohr. Wobei ja insbesondere für Francis Lai gilt, dass seine Filmkompositionen fast durchweg poppig und betont leichtgewichtig daher kommen. In weiten Teilen gilt diese Aussage zwar auch für die meisten seiner Kollegen. Wobei einige davon neben betonter poppigen Arbeiten auch diverse beachtlich ausgefeilte sinfonische Filmkompositionen im Werkkatalog haben, was z.B. für Georges Delerue, Vladimir Cosma, Gabriel Yared und ganz besonders für Philippe Sarde, Michel Legrand und Philippe Rombi zutrifft.
Zeitlich umfassen die vertretenen französischen Filme mehrheitlich etwa die drei Dekaden zwischen 1962 und 1994. Nach oben darüber hinaus gehört mit rund einer Dekade Abstand dann noch Merry Christmas hinzu. Und wenn man nach unten wohlwollend noch den ältesten, aus dem Jahr 1954 stammenden filmischen Vertreter, Wenn es Nacht wird in Paris, mit hinzunimmt, dann umspannt CINEMA mit ein wenig Rückenwind sogar satte 50 Jahre französische Kinogeschichte. Dies alles und einiges mehr ist hier vereint in einem überzeugenden Doppel-CD-Album des edlen Easy-Listening, das sowohl zum entspannten nebenbei Hören als auch zum Zuhören und Genießen einlädt.
Als Zeichen einer sehr persönlichen Liebeserklärung Alexandre Tharauds an das Kino im Allgemeinen und in der Auswahl der Stücke betont das Europäische und dabei das Französische Kino im Besonderen hervorhebend ist CINEMA also in jedem Fall eine willkommene Bereicherung derartiger Filmmusik-Kompilationsalben (s.o.). Das Begleitheft verdeutlicht im Rahmen eines Gesprächs von Tharaud mit Christophe Geudin hierzu interessant lesbar die bis in die Kindheit des Pianisten zurückreichenden Hintergründe. Auch klanglich ist die Produktion edel geraten. Die orchestralen Darbietungen zeichnen sich durch ein sorgfältig ausbalanciertes, breit gefächertes, sehr warmes Klangbild aus, während die Solovorträge im zweiten Teil des Albums ebenso natürlich, kammermusikalisch offen, aber betont intim herüber kommen.
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