„The Classic Film Music of Georges Auric: La Belle et la Bête“, „The Film Music of Georges Auric“ und „The Classic Film Music of Georges Auric, Vol. 2“
Auch in Europa entstand während und nach dem „Golden Age“ hervorragende Filmmusik: Dafür sind die drei vorliegenden CDs mit Musik des Franzosen Georges Auric ein gutes Beispiel. Noch pressfrisch sind die Marco-Polo-CD „Georges Auric: Classic Film Music, Vol. 2“ sowie „The Film Music of Georges Auric“ auf dem Chandos-Label; Marco Polos „Classic Film Music, Vol. 1“, die Musik zu La Belle et la Bête ist hingegen bereits rund drei Jahre auf dem Markt.
Die im Jahr 1996 veröffentlichte La Belle et la Bête • Die Schöne und die Bestie (1946) ist nur ein weiteres Glied in einer Reihe wertvoller CDs europäischer Filmmusik des Marco-Polo-Labels. Bevor das US-Team John Morgan und William Stromberg 1995 damit begann, auch Hollywood-Musiken einzuspielen, hatte bereits ab dem Jahr 1987 der Schweizer Dirigent Adriano mit verdienstvollen Einspielungen von Filmmusiken Arthur Honneggers und Jacques Iberts (neben anderen) Pionierarbeit in Sachen europäischer Filmmusik geleistet. Die ebenso hochwertigen Bemühungen des Chandos-Labels führten seit 1990 zu insgesamt 6 CDs mit britischen Filmmusiken. Als ich die aktuelle Veröffentlichung mit Stücken von Auric zum ersten Mal in die Hand nahm, musste ich schmunzeln: Diese CD trägt nämlich jetzt erstmalig einen „unverschämt offenen Hinweis“ auf Filmmusik (die Bezeichnung „Chandos Movies“) – wohl ein deutlicher Hinweis dafür, dass sich die Kinosinfonik im Aufwind befindet!
Wie schon oben erwähnt, handelt es sich hier um Kompositionen, die abseits von Hollywood entstanden sind und die in der Regel auch deutlich anders klingen. Vom musikalischen Glitzer und Glamour und dem üppig spätromantischen typischen Hollywood-Sound ist bei Georges Aurics Filmkompositionen nur ansatzweise etwas zu spüren; doch selbst für eingefleischte Hollywood-Fans lohnt sich das Einhören. Auric (1899-1983) war Mitglied der „Groupe de Six“ – Arthur Honneger, Darius Milhaud, Germaine Tailleferre und Francis Poulenc -, ein Zusammenschluss sehr unterschiedlicher französischer Nachwuchskomponisten am Ende des ersten Weltkrieges. Die Bezeichnung „Gruppe“ ist hier in erster Linie als eine lockere, freundschaftliche Verbindung zu verstehen, deren „spiritus rector“ der Dichter, Dramatiker und Filmregisseur Jean Cocteau wurde. Cocteau, der auch begeisterter Musikliebhaber war, gründete in dieser Zeit Werkgemeinschaften von Musikern und Theaterleuten. In der Musik sollte dem „schwermütigen germanischen Geist“ eines Beethoven und Wagner der Kampf angesagt werden, ebenso dem „impressionistischen Klangnebel“ eines Claude Debussy, aber auch den Einflüssen der russischen Musik. Allerdings waren „Les Six“ keine strenge ästhetische Schule – programmatische Richtlinien sollten lediglich neue Akzente setzen – und auch keine Vereinigung von nationalen Fanatikern, welche die genannten Komponisten grundsätzlich verdammen wollten: Die „antiwagnerische“ und „antiromantische“ Haltung richtete sich vielmehr gegen jene platten Nachahmer, deren Epigonentum der Wiedergewinnung der eigenen französischen Identität in der Musik im Wege stand. Für Auric bedeutete dies, dass seine Kunst den Prinzipien Einfachheit, Klarheit und Natürlichkeit folgen sollte.
Im Laufe seiner vierzigjährigen Filmkarriere hat Georges Auric fast dreißig britische Filme sowie weit über hundert französische, italienische, deutsche und amerikanische Filme vertont. Adrianos Einspielungen auf Marco Polo sind bislang auschließlich den Arbeiten zu Filmen Cocteaus gewidmet oder Musiken zu Filmen, die nach Stoffen Cocteaus realisiert wurden (zwei weitere CDs mit Musiken zu anderen Regisseuren sind noch in Vorbereitung). Die unter dem Dirigat von Rumon Gamba vorliegende Chandos-CD legt eine Auswahl seiner Musiken zu den nicht-französischen Produktionen vor. Insgesamt zeigen die vorliegenden Aufnahmen einen vielseitigen und in allen Situationen versierten Könner. Wie ich am Beispiel der Videokopien von Die Schöne und das Biest sowie Moulin Rouge feststellen konnte, sind die Einspielungen sehr sorgfältig und im Geist der Originale erstellt.
Den oben genannten Grundsätzen folgend, bevorzugte Auric einen eher kammermusikalisch durchsichtigen und sparsamen Orchestersatz: Der Klang bleibt selbst in den Tuttipassagen im Vergleich zu Musik von Steiner, Newman oder Korngold eher schlank und transparent – man höre hier die Musik zu monumentalen Szenen in Ceasar and Cleopatra • Cäsar und Cleopatra (1946). Streicherkantilenen für Liebesszenen sind ebenfalls weitgehend ausgespart; impressionistische Elemente sind zwar vorhanden – hier sei besonders auf die faszinierende Musik zu La Belle et la Bête verwiesen – die Musik ist aber eher vergleichbar mit der von Gabriel Fauré, einem der musikalischen Wegbereiter dieser Stilrichtung, als mit der von Claude Debussy. La Belle et la Bête ist sowohl ein faszinierender Film als auch eine begeisternde Musik geworden und gehört zum Edelsten, was Auric für das Kino komponiert hat. In dieser ebenso exzellent wie ungewöhnlich umgesetzten Märchenstoffverfilmung erzeugte Cocteau durch zweifellos einfache, aber raffiniert umgesetzte Tricks eine Aura des Fantastischen. Teilweise verlangt der Film ein gewisses Schwelgen in Klang, dem sich auch der Komponist nicht verweigert – insofern steht die La-Belle-et-la-Bête-Musik partiell auch Hollywoods Golden-Age-Kompositionen noch am nächsten; aber wer etwas tiefer hinein hört, merkt schnell, dass Auric mehr die poetische Seite des Stoffes durch eine filigrane Musik betonen will.
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