Der amerikanische Nachwuchskomponist Peter Boyer (geboren 1970) stellt sich auf dem KOCH-Album als Schöpfer kraftvoll-rhythmischer, farbiger und gekonnt instrumentierter Orchestermusik vor, wobei auch ein gutes melodisches Talent spürbar ist. Boyer, der sich als Teenager ursprünglich für Rock-and-Roll interessierte, führt als Vorbilder sowohl (seriöse) Konzertkomponisten wie Benjamin Britten, Aaron Copland, Leonard Bernstein, John Adams und John Corigliano (bei dem er Privatunterricht genommen hat) als auch Filmkomponisten wie John Williams, Bernard Herrmann, Jerry Goldsmith und Elmer Bernstein an.
Die „Celebration Overture“ und auch das Schlussstück „New Beginning 2000“ klingen partiell ein wenig so, als seien sie Bonus-Tracks zur Williams-CD „Call of the Champions“, wobei der Tonfall aber im Verlauf deutlich individueller wird.
Boyers Hang zu antiker Mythologie spiegelt sich in „Ghosts of Troy“, „Three Olympians“ und „The Phoenix“. In „Three Olympians“ charakterisiert der Komponist drei Gottheiten des Olymp: Apollo, Aphrodite und Ares. Das musikalische Porträt Apollos ist ein energisches, von klassischen Harmonien und chorischen Streichern bestimmtes Stück. Aphrodite, die Göttin der Schönheit, wird repräsentiert durch lyrische Melodik. Der kriegerische Ares wird durch raffinierte rhythmisch-wilde, ausgefeilte Effekte der Streicher charakterisiert.
„The Phoenix“ ist eine effektreiche Tondichtung, welche die Geschichte des mythischen Vogels gekonnt in raffinierte Orchesterklänge umsetzt. „Ghosts of Troy“ ist eine mehrsätzige epische Tondichtung mit stark wechselnden Stimmungen (von wild und kriegerisch bis lyrisch zart) und von zum Teil fast filmmusikalischem Ausdruck — in „The Death of Patroclus“ erweist Boyer Goldsmith Reverenz, es handelt sich um eine reizvolle Stilkopie von „The Hunt“ aus Planet of the Apes.
Das (in Amerika) bekannteste der hier vertretenen Werke ist die 1995 entstandene modern-eigenwillige, hochdramatische Tondichtung „Titanic“, die rund zwei Jahre vor James Camerons Film entstand. Boyer entwirft zuerst im Rahmen einer gut angelegten Steigerung ein packendes musikalisches Bild der „ewigen See“ und symbolisiert anschließend die nächtliche Idylle auf dem Schiff durch einen Walzer und Irving Berlins „Alexander’s Ragtime Band“ — ein Gassenhauer von 1911/12. Die Kollision mit dem Eisberg wird durch einen großen Ausbruch des vollen Orchesters mit großem Schlagwerkeinsatz illustriert. Der Untergang vollzieht sich musikalisch in Form einer Passacaglia, aus deren dramatischem Höhepunkt der innige Choral „Nearer, My God, to Thee“ (den die Schiffs-Kapelle als letztes gespielt haben soll) von der Celesta delikat vorgetragen wird und der schließlich von einer entfernten Trompete erklingt und so das Stück zum geisterhaft verlöschenden Ausklang bringt.
Nicht allein in „Titanic“, sondern auch in den anderen Werke zeigen sich gewisse Parallelen zu den leichteren Werken von John Corigliano auf dem Telarc-Sampler, bei denen ebenfalls Romantisches, Traditionelles und Avantgardistisches gekonnt und recht eingängig miteinander kombiniert sind (siehe Kleine Klassikwanderung #3: „Creations“). Das Album bietet abwechslungsreich gestaltete, handwerklich mehr als nur überzeugende Orchesterwerke. Eine effektvolle, rhythmisch bewegte, klanglich reich und schillernd angelegte Musik, die nicht ohne Melodie daherkommt und farbig orchestriert immer wieder wirkungsvoll von der großen theatralischen Geste Gebrauch macht. Die stilistische Nähe zur Filmmusik ist häufig unüberhörbar. Der Komponist dirigiert zupackend und dynamisch das bestens disponierte London Symphony Orchestra. Sowohl der vorzügliche Klang der CD als auch das sehr informative Booklet (nur in Englisch) machen die CD zu einer wahrhaft runden Sache: eine lohnenswerte Entdeckung.
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