Nach dem Album „Max Steiner: The RKO Years 1929-1936“ aus der Brigham Young University Film Music Archives Production (BYU) folgen nun zwei Produktionen von Screen Archives Entertainment (SAE). Screen Archives Entertainment – renommierter US-Händler im Segment Filmmusik – vertreibt ebenfalls die BYU-CDs (www.screenarchives.com).
Drei hochinteressante Alfred-Newman-Scores auf SAE: liebevoll restauriert und anhand der einzelnen Lichtton-Elemente sehr überzeugend auf Stereo gemixt. Beide CD-Alben sind mit vorzüglichen Booklets versehen, die sich hinter denen der FSM-CD-Alben aus dem Hause Lukas Kendall nicht verstecken müssen.
Dragonwyck • Weißer Oleander (1945) ist ein außergewöhnliches Kostümmelodram um dekadenten Adel und abhängige, quasi leibeigene Bauern. Eine Story, die einen europäischen Schauplatz vermuten lässt, aber vielmehr in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts im Staate New York angesiedelt ist. Vincent Price verkörpert Nicholas Van Ryn, den Herren des feudalen Herrensitzes „Dragonwyck“. Price probt hier bereits ein wenig den Rollentypus, mit dem er besonders Horror-Fans der 50er und 60er Jahre bestens geläufig ist.
Van Ryns Besitz und Status sind ein Relikt aus den Tagen der holländischen Kolonialherren. Der Landedelmann entpuppt sich nicht allein als opiumsüchtig und bösartig, sondern ist außerdem mörderisch. Aber damit nicht genug: neben plüschigem Kostüm-Touch mit Krimi-Elementen gibt sich das Übernatürliche in Form des Geistes von Azilde, der aus New Orleans stammenden, verstorbenen Großmutter Van Ryns, ein Stelldichein.
Darryl F. Zanuck sah in der Produktion ein Prestigeobjekt und Al Newman legte sich mächtig ins Zeug, komponierte einen seiner breitesten und üppigsten Melodram-Scores. Newman entwarf fünf Hauptthemen, die wichtigen Elementen der Handlung leitmotivisch zugeordnet sind. Da ist zum einen das prachtvoll-düstere Dragonwyck-Thema, das in x-fachen Variationen immer wieder auftaucht. Dieses steht nicht allein für den Landsitz selbst, sondern auch für das Böse im Charakter Van Ryns. Zum anderen ist da eine optimistisch und schwelgerisch klingende Melodie, die Newman verschiedentlich als charmanten Walzer erklingen lässt und die für den positiven weiblichen Charakter von Miranda steht. Mirandas Thema verweist aber in den aufwärts gerichteten Streicherfiguren im Schlussteil auch schon auf einen von Newmans berühmten späten Scores: The Diary of Anne Frank (1959).
Besonders markant, ungewöhnlich, ja geradezu herausragend modernistisch ist das geheimnisvoll und zugleich gespenstisch wirkende Thema für Alzide. Newman schuf hierfür sein „Creole Lullaby“, eine stark impressionistisch eingefärbte Klangvision aus mehreren übereinander geschichteten musikalischen Ebenen: weibliche Vocalise, Orchesterklänge und (teilweise dissonante) Cembalo-Begleitung. Neben dem Kompositorischen benötigte dieses Stück schon damals eine für seine Zeit relativ komplexe Abmischungstechnik. Hier steht der „alte“ Newman den zeitgenössischen Klangcollagen seines Sohnes Thomas schon ein wenig Pate.
Daneben spielen auch drei prägnante, nicht unmittelbar personenbezogene Motive eine wichtige Rolle: so das fanfarenartig-kraftvolle für „The Patroon“, Symbol der Macht der Familie Van Ryn. Dass mit dem gesamten thematischen Material durchdacht gearbeitet wird, ist für Alfred Newman typisch. Er gestaltete auch Teile der Source Cues komplett eigenhändig, und zwar jene Teile, die stilistisch – besonders stimmig auf die Zeit der Filmhandlung abgestimmt sind: „Astor House Waltz“ sowie Walzer und Polka für die „Kermess-Sequence“.
Teile der aus dem Œuvre der Strauß-Familie entliehenen Stücke entstanden erst Jahre nach der Zeit der Filmhandlung. Zwar sind sie insofern anachronistisch, erklingen allerdings klangschön arrangiert von versierten Orchestratoren des Fox Music Departments, wie Maurice de Packh.
Insgesamt handelt es sich hier zweifellos um eine der erstklassigen Arbeiten des Hollywood-Altmeisters und es ist höchst erfreulich, dass die Originaleinspielung dieser Musik komplett in derart frischem, sogar gekonnt auf Stereo aufbereitetem Klang auch für spätere Generationen „gerettet“ worden ist. Abseits dieser Aufnahmesessions ist die Musik aus Dragonwyck erstmals fast exakt 50 Jahre später, im Jahr 1996, erneut eingespielt worden: in Form einer knapp 9-minütigen Suite vom New Zealand Symphony Orchestra unter Richard Kaufman für das Koch-Album „Wuthering Heights – A Tribute to Alfred Newman“.
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