Harry Potter und der Gefangene von Askaban
Gleich vorweg: Absolut neuartig ist der Score zum dritten Harry-Potter-Film keineswegs, aber trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) kann man dem Altmeister nur gratulieren. Ganz klar: die Musik zu Harry Potter und der Gefangene von Askaban ist nicht nur eine der bislang stärksten Filmvertonungen des laufenden Jahres, sie zählt darüber hinaus zu den besten Fantasy-Scores der letzten Jahre überhaupt. Williams hat hier einen erstklassigen Job verrichtet. Er präsentiert eine ungemein vitale, farbige und vielseitige, im wahrsten Wortsinn fantasievoll gestaltete Filmmusik. Bei deren Komposition hat er offenbar viel Spaß gehabt, so inspiriert, liebevoll und äußerst einfalls- und abwechslungsreich ist sie gestaltet. Man höre nur das in die Musik integrierte Ticken einer Uhr in „Forward to Time Past“, das die Zeitreise der Protagonisten tonmalerisch überzeugend spiegelt.
In jedem Fall muss man Williams eine signifikante Erweiterung der musikalisch-stilistischen Mittel attestieren: Dies betrifft die bereits in den Scores zu beiden filmischen Vorläufern anzutreffenden mittelalterlich-renaissancehaften Klänge, die im dritten Teil der Harry-Potter-Saga in elegant erweiterter Form beträchtlich mehr Gewicht erhalten. Ebenso kommt der aus Catch Me If You Can geläufige moderne Jazz in deutlich anderer Form zum raffinierten Einsatz.
Ausgangspunkt der Komposition ist auch hier erneut die elegante Tradition der Ballettmusiken Sergej Prokofjews, wobei „Aunt Marges Waltz“ außerdem ein leicht verfremdetes Zitat aus Rossinis Ouvertüre zur Oper „Die diebische Elster“ enthält, das in seinem pompösen Ausdruck sehr schrullig und damit ironisierend wirkt. Anschließend folgt noch eine sehr rossinihaft anmutende Passage, und auch ein entsprechend typischer Rossini-Ouvertürenschluss fehlt nicht.
In der vor Einfällen sprühenden, tänzerisch-spielerischen, oftmals ballettartig wirkenden Komposition ist nicht allein die stilistische Bandbreite sehr beachtlich. Gegenüber den Scores der ersten beiden Filme hat Williams deutlich draufgelegt. In Harry Potter und der Gefangene von Askaban stehen sich deutlich stärker unterschiedliche, mitunter geradezu gegensätzliche Musikstile gegenüber. So in „Knights Bus“, wo auf anmutig Prokofjewschen Ballettstil abrupt cartoonig gestaltete Einwürfe aus modernem Jazz folgen. Ebenso setzen die besonders häufig und liebevoll eingesetzten Instrumente des Mittelalters und der Renaissance (in „Double Trouble“, „A Window in the Past“, „Hagrid the Professor“) markante Kontraste: Das Cembalo erhält dabei einen besonders breiten Part. „A Window to the Past“ sowie „Hagrid the Professor“ geraten damit zugleich zur charmanten Hommage an Georges Delerues historisierend angelegte Vertonungen, wie Anne of the Thousand Days, The Borgias und A Walk with Love and Death.
Aber auch die Action- und dieses Mal (hörbar) besonders düsteren Spannungsmomente sind klanglich deutlich kühner und dissonanter gehalten. In „Apparition on the Train“ und „The Dementors Converge“ kommen hauseigene modernistisch angehauchte Vorbilder wie Close Encounters of the Third Kind und Born on the Fourth of July, aber auch A.I. und Minority Report in den Sinn. Die minimalistischen Einsprengsel und das Scherzohafte in „Saving Buckbeak“ wie auch die jazzigen Momente in „The Knight Bus“ rufen Catch Me If You Can in Erinnerung.
Bemerkenswert sind außerdem die sehr geschickt gestalteten Chorsätze, so der — dank Mehrstimmigkeit — geradezu wunderschön schimmernde (a capella) in „The Patronus Light“. Wer neue, breite Themen hören will, kommt hier ebenso voll auf seine Kosten. In mindestens fünf Tracks kann man fündig werden: in „Aunt Marges Waltz“, in dem Lied „Double Trouble“, im mit einem wuchtigen Pauken-Gewitter einsteigenden „Buckbeaks Flight“, in „A Window to the Past“ sowie in „Hagrid the Professor“. Das Thema für Professor Hagrid ist zudem ein enger Verwandter von „Double Trouble“; beide stehen dem zweiten Teil des Hedwig-Themas nahe.
Das Thema aus „A Window to the Past“ wird sowohl in „The Dementors Converge“ als auch im „Finale“ zitiert. Und das auch dieses Mal das Album eröffnende Thema für die Eule Hedwig scheint in der Musik verschiedentlich (auch in variierter Form) auf, mitunter als Begleitfigur. Beide Themen fungieren damit als verbindendes Element. Entsprechend kommt dem (neuen) Thema des „Double Trouble“ eine wichtige leitmotivische Funktion zu. Hier handelt es sich um ein reizendes, vom Knabenchor intoniertes und zum Teil mit mittelalterlichem Instrumentarium begleitetes Lied. Durch die alten Instrumente bekommt es zwar unmittelbar einen archaischen Touch, wirkt allerdings sowohl melodisch als auch harmonisch deutlich moderner, was einigen Reiz ausmacht. In „Secrets of the Castle“ erklingt das Thema von der Celesta, wunderschön und geheimnisvoll zugleich vorgetragen, was ihm eine merklich andere Stimmung verleiht.
Dem rund 12-minütigen Schlusstrack kann man als 1:1-Zusammenstellung der wichtigen Teile der Musik zwar Redundanz attestieren. Die prächtige Hörwirkung dieser überaus gelungenen Highlight-Kompilation vermag allerdings einen eventuellen Vorwurf nahezu vollkommen zu entkräften.
Die Album-Überschrift „Music from and inspired by the Motion Picture“ erinnert an schreckliche Entgleisungen diverser Tonträgerprodukte, die mit oftmals unsäglichen Poparrangements verunziert sind. Hier soll die etwas irreführende Bezeichnung aber wohl der „political correctness“ dienen, da es sich — wie bei Williamsschen Höralben Usus — in Teilen um verlängerte (auskomponierte) Konzertfassungen handeln dürfte.
Wertungsmäßig halte ich fette fünf Sterne für keinesfalls überzogen. Möglicherweise vermisst der eine oder andere beim ersten Hören etwas, das unmittelbar eine mit „Fawkes the Phoenix“ vergleichbare Ohrwurmqualität aufweist. An dieser Stelle gilt aber (wieder einmal): wer der Musik etwas Zeit gibt, sich zu entfalten, der dürfte auch an den neuen Themen und der virtuosen Machart sehr viel Freude finden. Summa summarum enthält das Album zum dritten Harry-Potter-Film einen überaus abwechslungsreichen, mit viel Liebe virtuos gestalteten und wiederum brillant instrumentierten Score. Einer, der zu Recht das Attribut originell verdient und viel Hörspaß garantiert.
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