Das farbenprächtig und verschwenderisch inszenierte Breitwandepos Diane • Diane – Kurtisane von Frankreich (1956) bietet Weltgeschichte à la Hollywood: Die von Lana Turner dargestellte Titelfigur, die Adlige Diane de Poitiers (1499-1566), war die langjährige Geliebte des rund 20 Jahre jüngeren Thronfolgers und späteren Königs Henri II. (im Film verkörpert vom späteren Bond-Darsteller Roger Moore).
Schenkt man historischen Quellen Glauben, dann muss Diane nicht allein eine interessante und schillernde Figur ihrer Zeit, sondern selbst im reiferen Alter noch eine ausnehmend schöne und verführerische Frau gewesen sein. Daneben war sie aber wohl in jedem Fall ebenso klug wie geschäftstüchtig. Sie nahm einigen Einfluss auf die Politik (sie betrieb maßgeblich die Verfolgung der Hugenotten) und verstand es neben großem Reichtum selbst die Kronjuwelen einzuheimsen. Bei allem ausgeprägten Sinn fürs Materielle verfügte sie offenbar über Realitätssinn und Augenmaß. Diane verstand es nämlich nicht nur sich das Wohlwollen einflussreicher Personen bei Hofe dauerhaft zu erhalten: selbst ihre Rivalin, die vor der Geschichte besonders skrupel- und rücksichtslose Katharina von Medici, blieb ihr verpflichtet, nachdem sie Katharina bei einer lebensbedrohenden Scharlach-Erkrankung trotz Ansteckungsgefahr (!) aufopfernd gesund gepflegt hatte. So konnte Diane von Poitiers nach dem tragischen, tödlichen Turnierunfall Heinrichs II. im Jahr 1559 ihre letzten Jahre zwar entmachtet aber in gesichertem materiellen Wohlstand verbringen.
MGMs Kinoversion geht mit dem historisch Belegbaren in der Story um die große Kurtisane – wie üblich – sehr frei um. Im passablen Plot ist Diane eine – sogar etwas zu ausgeprägt – honorige Figur. Heinrich II. fällt zum Schluss einem von italienischer Seite gesteuerten Machtkomplott zum Opfer. Der Film glänzt besonders durch die verschwenderisch üppigen In- und Exterieurs sowie die prachtvollen Kostüme von Walter Plunkett. CinemaScope und Eastmancolor besorgen den Rest, runden das Historienspektakel zur soliden und prallbunten epischen Leinwandunterhaltung ab.
Miklós Rózsa komponierte Diane etwa in der Mitte seiner Jahre bei MGM (1948-1962). Entstanden nach den ebenfalls historisierend angelegten Vertonungen zu Quo Vadis (1951), Ivanhoe (1952), Die Thronfolgerin (1953), Die Ritter der Tafelrunde (1953) und Des Königs Dieb (1955), steht Diane qualitativ den besten der Genannten nicht nach. Die lyrisch-warme, kunstvoll (und wohlüberlegt) angelegte Melodie für den titelgebenden Charakter bildet die Seele der Filmmusik. Sie erklingt in ausgeklügelten x-fachen Varianten und jeweils raffiniert angepasster Form und verleiht so den vielfachen Stimmungen der Filmhandlung facettenreichen Ausdruck. Im Begleitheft zur FSM-Edition finden sich zur Konzeption des Diane-Themas interessante analytische Hinweise, die einmal mehr das hervorragende handwerkliche Geschick des Ungarn aufzeigen. Wichtige Merkmale von Dianes Charakter wie ihre Noblesse und ihre Anmut sind perfekt integriert – was in vergleichbarer Weise auch auf das Katharina von Medici zugeordnete Thema zutrifft. Im Gestus ist Dianes Melodie übrigens recht melancholisch. Darin spiegelt sich bereits ihr späteres, nach dem Tode Heinrichs II., ungünstigeres Schicksal unter der Regentschaft der Königinmutter Katharina von Medici.
(Wie Rózsa originellerweise in seiner Autobiografie „Double Life“ vermerkte, brachte er das Publikum um einen offenbar erwarteten Film-Song „Die-ann“ – was bereits ein wenig die Pop-Ära der Filmmusik vorweg nimmt. Das schöne Hauptthema erlangte aber trotzdem beachtliche Popularität – arrangiert für Streicher, unter dem nicht vom Komponisten stammenden Titel „Beauty and Grace.“)
Dem einprägsamen Hauptthema stellt der Komponist außerdem eine ganze Hand voll weiterer prägnanter Themen und auch kurze Motive zur Seite. Zum Teil fungieren diese zwar primär als Erinnerungsmotive, aber auch hier (siehe ebenfalls Moonfleet) wirken kurze Tonfolgen entscheidend mit bei der charakteristischen und wirkungsvollen dramatischen Gestaltung einer fesselnden, kongenialen Kostümfilmmusik.
Als orchestrales Requiem für den im Sterben liegenden Vater Heinrichs II., Franz I. (Pedro Armendáriz), komponierte Rózsa mit „Death of Francis I.“ ein exquisites Stück, das auf dem berühmten gregorianischen „Dies Irae“ basiert. Hervorstechend ist aber auch das Geheimnisvoll-Visionäre in der Musik für die Prophezeiungen, wie die vom „Goldenen Käfig“. Rózsa setzt hier dissonante Staccati des Cembalos plus Orchester und darüber gelegte Chorvocalisen ein. In ihrer merklichen Nähe zur Klangcollage erinnern diese Passagen deutlich an das „Creole Lullaby“ aus Alfred Newmans Dragonwyk und lassen ebenso ein wenig Thomas Newman vorausahnen.
Ebenso gibt es typisch Historisierendes zu hören: Nicht nur der Freund der archaisierenden Rózsa-Bläserfanfaren kommt hier voll auf seine Kosten, kann fast schon darin schwelgen. Und neben der klanglichen Pracht für den Königshof wirkt das renaissancehafte Kolorit in den höfischen Tänzen ebenso überzeugend. Dies gilt, auch wenn der Komponist in der Anlehnung an historische Klangvorbilder nicht sehr exakt auf die Zeit der Filmhandlung abzielt. In jedem Fall gelingt ihm auch hier ein überzeugend authentisch wirkendes Klanggefühl, das sich von dem in o. g. Scores deutlich absetzt. So schafft es der große Könner Rózsa einmal mehr, den Hörer zu begeistern, anstatt ihn mit einfallslosem Déjà-vu eher zu langweilen und zu ermüden. Man höre hierzu den glanzvoll festlichen Medici-Marsch (Track 8 „Cortege“, auf CD-1). Diane und Die Thronfolgerin bilden übrigens die höfisch-prachtvollsten Kostümfilmvertonungen im Œuvre dieses Komponisten.
Besonders bemerkenswert ist die Präsentation des exzellenten FSM-Albums. Die erste CD enthält die komplette Filmmusik in chronologischer Folge – im Falle von alternativ vorhandenen Cues in der jeweils musikalisch optimalen Fassung. CD-2 präsentiert darüber hinaus weitere rund 57 Minuten mit alternativer Musik zu Diane: in Form einer Reihe von Source-Cues für Laute oder Cembalo bzw. Stücke höfischer Tanzmusik, die nicht komplett auskomponiert wurden. Selbst einige speziell für die Dreharbeiten zur Inspiration der agierenden Schauspieler angefertigte Piano-Cues – so genannte Scratch-Tracks – fehlen nicht.
In den Alternativen finden sich neben weiteren schönen Fanfaren und verworfenen Entwürfen einzelner Stücke auch interessante Varianten bekannten Materials: beispielsweise eine gegenüber der Filmversion deutlich weniger opulente Version des Medici-Marsches, wie auch eine spürbar abweichend gelagerte (frühe) Version des Requiems für Franz I.
Darüber hinaus wird der zweite Tonträger noch mit restlichen Tracks (zum Teil Source-Music) aus [url id=1104]Plymouth Adventure und Moonfleet auf insgesamt knapp 78 Minuten aufgefüllt, die auf den betreffenden FSM-Alben aus Platzgründen nicht untergebracht werden konnten. Auch wenn das hier vertretene Material als substantiell weniger wichtig eingestuft werden darf, vorhandenen CD-Platz derart pfiffig zu nutzen, taugt nicht ausschließlich dazu, die Triebe unersättlicher Sammlernaturen zu befriedigen. Nein! Die akribisch genaue Art und Weise, wie hier „das Buch des jeweiligen Scores geschlossen“ wird, indem die Macher alles Auswertbare aus den Archiven zutage fördern, macht die FSM-Editionen nicht allein für den normalen Sammler interessant. Zusammen mit den sorgfältigen und detaillierten Informationen (im zugleich üppig gestalteten) Begleitheft ermöglichen diese Alben eindeutig wissenschaftlich orientierte Studien zur Filmmusik Hollywoods im Allgemeinen und Besonderen. Deshalb dürften die FSM-Titel in zunehmendem Maße ins Blickfeld entsprechender kultureller Institutionen geraten. Und ganz nebenbei findet sich unter den derart geretteten Musikstücken auch eine reizende Source-Music-Alternative: das Traditional Greensleeves in „Tavern Music“, charmant gesetzt für Cembalo.
Wie auch im Falle von Moonfleet gab es auch zu Diane vor einigen Jahren auf dem US-Markt ein schlicht gestaltetes Doppel-CD-Bootleg. Dieses enthält neben ungenauem Tracklisting insgesamt nur rund 95 Minuten der Musik. Zwar immerhin in Stereo, allerdings in deutlich schwankender, in Teilen sogar relativ bescheidener Tonqualität. FSM bietet in diesem Fall nicht allein rund dreißig Minuten zusätzliches Material, sondern erfreulicherweise auch insgesamt erheblich besseren (Stereo-)Sound. Zwar finden sich auch hier leichte Qualitätsunterschiede – nicht immer ist das Klangbild völlig klar , und vereinzelt sind trotz Tonrestauration geringfügige Restmängel hörbar. Allerdings sind diese Beanstandungen unterm Strich letztlich eher marginal. Eine Beurteilung des Diane-Klanges beginnt bei einem knappen „Gut“ und erreicht in den besten Teilen fast ein „Sehr Gut“. Dementsprechend steht einer vollmundigen Empfehlung für diese sowohl herausragende Filmmusik als auch für die geradezu exemplarische Album-Edition nichts im Wege.