The Adventures of Mark Twain • Die Abenteuer Mark Twains (1944) gehört zu einer ganzen Reihe von Filmen des Warner-Studios, welche die Biografien berühmter Persönlichkeiten in freier, dramatisierter (und auch geschönter) Form auf die Leinwand bringen. Mark Twain, der eigentlich Samuel Clemens hieß, wird hier ansprechend von Fredric March verkörpert. Es handelt es sich wohl kaum um einen großen Film, aber um eine durchaus passable Unterhaltung. Und neben einem guten Hauptdarsteller der Titelfigur bekommt der Zuschauer die abenteuerliche Lebensgeschichte des Schriftstellers in recht ansehnlich inszenierter Form präsentiert.
Max Steiner hat für The Adventures of Mark Twain eine sehr inspirierte Filmmusik komponiert. Dafür steht nicht allein das prächtig melodische Hauptthema für den titelgebenden Charakter, mit dem, zusammen mit einem daraus abgeleiteten „Glücks-Motiv“, die Musik in besonderem Umfang leitmotivisch und damit stimmungsmäßig gestaltet wird. Besonders bemerkenswert und typisch ist die üppige melodische Inspiration des Scores, die dem Hörer in Form verschiedener, unmittelbar ansprechender und einprägsamer breit ausschwingender Themen in fortlaufend wechselnden Stimmungen begegnet. Und auch die immer wieder als ein Charakteristikum der romantischen Steiner-Musiken angeführten, besonders innig und liebevoll auskomponierten Cello-Soli sind zu hören, beispielsweise in „Public Shame“. Hinzu kommt das für die komödiantischen Momente der Filmhandlung das Bild verdoppelnde, oftmals virtuos gehandhabte Mickey-Mousing: beispielsweise in „Frogs“, wo Bassklarinette und Fagott ein geradezu ulkiges orchestrales Scherzo aufführen. Entsprechendes gilt für das tonmalerisch-illustrativ nachgeahmte Geschrei des Maulesels in „The Mule — Digging-Cave in“ sowie für das Pferdegetrappel in „Buggy Ride“.
Für diesen geradezu urtypisch amerikanischen Filmstoff hat Steiner eine in weiten Teilen — trotz ihrer hörbar europäischen Wurzeln — sehr amerikanisch wirkende Musik komponiert. Dies gilt nicht allein für die eingangs zu hörende, impressionistisch und Wagnerisch zugleich gefärbte stimmungsvolle musikalische Reflexion des Stroms der Ströme, des Mississippi. Man kann hier durchaus von (Steiner-)Americana sprechen — sollte hierbei allerdings nicht mit Copland-Americana verwechseln. Vielmehr hat der Wiener Maestro (s)ein eigenes, folkloristisch angehauchtes und durch reizvoll eingearbeitete volkstümliche Traditionals geprägtes, unverwechselbares Klangidiom geschaffen. Eines, das er bereits zuvor mit Dodge City (1939), Gone with the Wind (1939) und They Died with their Boots On (1942) in ausgeformter Form vorstellte. Begründet hatte er es allerdings schon wesentlich früher, nämlich bereits in den tonfilmmusikalischen Gründerjahren bei RKO mit Little Women (1933).
Das Zitieren volksliedhafter Themen ist dabei nicht grundsätzlich neu. Derartiges findet sich bereits in der Klassik zuhauf: Man denke nur an Beethovens Pastorale oder das erste Klavierkonzert von Peter Tschaikowsky. Bemerkens- und hörenswert ist, wie Steiner die adaptierten Traditionals mit dem typischen Steiner-Touch versehen und mitunter montage- und collagehaft verarbeitet hat. Etwas, das der Musik ihren ausgesprochenen, für das Golden Age typischen Charme verleiht.
Der Komponist wies hier einen aus einer Synthese von europäischer Tradition und Broadway-Musical-Standards geprägten Weg, dem beispielsweise Alfred Newman, Dimitri Tiomkin und auch andere in ähnlicher Art und Weise — Letztgenannter allerdings mit besonders markant-individueller Note — folgten. In Die Abenteuer Mark Twains zieht der Maestro geradezu exemplarisch sämtliche Register seiner Kunst: hat vom Volkslied „O My Darling Clementine“, mit vom US-Bürgerkrieg Assoziiertem wie „Dixie“ und „Battle Hymn of the Republic“ über das klingende hawaiianische Synonym für Südseeromantik „Aloha Oe“ und dem noch heute regelmäßig in den britischen Proms gespielten Klassiker „Rule Britannia“ bis hin zum Spiritual „Nobody Knows the Trouble Ive Seen“ nichts ausgelassen (in „Meeting General Grant“, „Bedtime“, „World Tour Begins“, „World Tour Continues“ und „Oxford“). Und hinzu treten verschiedene besonders bezaubernde breit-melodische Themen von ebenfalls typisch Steinerschem Charme. So, neben dem bereits erwähnten für die Titelfigur, ein warmes Liebesthema und weitere, die zum Teil offenbar allein einer Handlungssituation zugeordnet sind und dementsprechend nur einmal erscheinen, wie in „The Call“. Und neben der chorunterstützten Klangvision für den bedeutsamen, in Twains Geburts- und Todesjahr auftauchenden Halleyschen Kometen gibt es auch ein leicht verändertes Selbstzitat Steiners zu hören: ein reizendes Menuett in „Theater Scene“, entliehen aus The Old Maid (1939).
John Morgan hat sich mit dieser Neueinspielung mit den Moskauer Sinfonikern einen ganz persönlichen Wunsch erfüllt. Bereits im Rahmen der 1995er (kurioserweise nur in Europa offiziell vertriebenen) neuen filmmusikalisch orientierten RCA-Serie „100 Years of FILM Music 1895-1995“ hatte er eine rund 36-minütige Suite aus dieser Filmmusik mit den Brandenburger Philharmonikern — mittlerweile das Deutsche(s) Filmorchester Babelsberg — vorgelegt. Wie verschiedentlich von Morgan im Internet zu lesen war, ist er mit der Akustik der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem nicht zufrieden gewesen, empfindet die dort erfolgte Aufnahme als zu hallig. Die jetzt neu vorliegende, auf rund 71 Minuten erweiterte Suitenfassung von The Adventures of Mark Twain ist aufnahmetechnisch in einer Mischung aus Close-Miking und Raumklang eingefangen worden. In der Tat ist das Klangbild gegenüber der älteren, kompakter klingenden Berliner Einspielung breiter aufgefächert und merklich hallärmer geraten. Als eindeutig schlechter vermag ich die 1995er Fassung allerdings nicht einzustufen, vielmehr unterscheiden sich beide Einspielungen in erster Linie durch eine jeweils merklich unterschiedliche Ästhetik in der klanglichen Realisierung. Mit dem Resultat, dass die neue Moskauer Einspielung anfänglich (unwillkürlich) gegen die ältere Berliner „antreten“ musste. Ein Effekt, der in sehr ähnlicher Art und Weise auftritt, wenn man von der Klangästhetik (insbesondere älterer Lichttonaufnahmen) geprägt anschließend das Film-Original mit einer Neueinspielung des jeweiligen Scores vergleicht.
Der vorliegende Fall ermöglicht somit den interessanten Vergleich zweier interpretatorisch sehr dicht beieinander liegender Nachspielungen derselben Filmmusik. Neben der Tatsache, dass die Berliner Version nur kurzzeitig erhältlich war, verbleiben unterm Strich für die neuere Moskauer Variante fast durchweg dezente Meriten. Aufnahmetechnisch verfügt die Berliner Version gegenüber der Moskauer Abmischung aber in „Oxford“ eindeutig über die klangvollere (echte) Orgel — anscheinend stand in den Mosfilm Studios allein eine elektronische zur Verfügung.
Nicht zu übersehen ist, dass seit der letzten Morgan & Stromberg-Veröffentlichung (Korngolds Robin Hood) diese Neueinspielung des Duos nun auf das Naxos-Label umgezogen ist. Damit ist auf der einen Seite natürlich ein sehr günstiger Preis verbunden; von den sehr ausführlichen informativen Booklet-Präsentationen der besten Veröffentlichungen der Marco-Polo-Serie heißt es allerdings Abschied zu nehmen. Immerhin haben die Naxos-Veröffentlichungen, was den Informationsgehalt angeht, inzwischen einen sehr ordentlichen, angesichts des bescheidenen Preisniveaus sogar sehr beachtlichen Standard erreicht — siehe auch das Naxos-Spezial —, und das gilt auch im vorliegenden Fall. Darüber hinaus bekommt der Leser jetzt erstmalig eine solide deutsche Übersetzung geboten.
Nett ist auch der als Headline erscheinende, auf Filmmusik verweisende Serien-Titel „Film Music Classics“. Schade hingegen bleibt die bereits bei Robin Hood monierte, völlig abseits (!) des Films angesiedelte optische Präsentation: Im vorliegenden Fall suggeriert das Cover-Bild eher ein Hörspiel über Mark Twain oder die Abenteuer Huck Finns. Natürlich darf man hierbei die zwar unverständlich bleibenden, aber trotzdem — gegenwärtig wohl unüberbrückbaren — rechtlichen Probleme nicht außer Acht lassen, aber wird nicht gerade die Präsentation eines Golden-Age-Scores durch das aus Plakatmotiven, Filmbildern etc. resultierende nostalgische Moment entscheidend beflügelt und (nur so) erst richtig „schön“?
Alles in allem ist mit der jetzt vorliegenden Langfassung der Musik zum Mark-Twain-Film sicherlich eine für Max Steiner besonders typische Filmmusik auf Tonträger greifbar. Eine herrlich schwelgerische Musik des Golden Age, die sich neben der unüberhörbaren handwerklichen Souveränität dank ihrer schönen Melodien durch besonders großen Hörcharme auszeichnet und damit auch zum idealen Album für den Steiner-Einsteiger taugt.
Die im Begleithefttext gemachte Feststellung, es handle sich um eine der allerbesten Arbeiten des Vaters der Tonfilmmusik, halte ich allerdings für doch etwas zu hoch gegriffen. Für dieses zweifellos in vielem geradezu exemplarische Kaleidoskop Steinerscher Filmmusikstandards dürften wertungsmäßig fette viereinhalb Sterne stimmiger sein als die mit vollen fünf suggerierte Zugehörigkeit zur obersten Liga. Somit verbleibt in jedem Fall eine mehr als „nur“ eindeutige Empfehlung für dieses wertvolle und zugleich erfreulicherweise besonders preiswert erhältliche Album. Möge das mit dieser Produktionsentscheidung offensichtlich angestrebte Kalkül aufgehen und nachhaltig breitere Käuferschichten auf John Morgans und Bill Strombergs wertvolle Aktivitäten in diesem Feld aufmerksam machen. Diesen vorzüglichen Einspielungen klassischer Filmmusiken ist ein weiterhin zunehmendes Publikumsinteresse unbedingt zu wünschen.
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