Sergio Sollima Italo-Western Box

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
14. Mai 2005
Abgelegt unter:
DVD

Film

(5/6)

Bild

(4.5/6)

Ton

(3/6)

Extras

(5/6)

Italo-Western von KOCH-Media. Das aufstrebende DVD-Label präsentiert sich im Frühjahr 2005 mit beachtlich erweitertem Programm.

1558Die luxuriöse Box, gewidmet dem italienischen Regisseur Sergio Sollima (geboren 1921), enthält La resa dei conti • Der Gehetzte der Sierra Madre (1966), Faccia a faccia • Von Angesicht zu Angesicht (1967) und Corri uomo corri • Lauf um Dein Leben (1968). Die drei Filme sind – erstmalig ungekürzt – inklusive eines Trailers auf jeweils einer DVD untergebracht. Zusammen mit einer zusätzlichen DVD mit Bonusmaterialien kommt die Westerntrilogie in einem visuell reizvoll gestalteten, aufklappbaren Digipack daher. Hinzu kommt noch das speziell für diese Box produzierte, rund 250-seitige Italo-Western-Lexikon mit dem sinnigen Titel „Leichen pflastern ihren Weg“ von Ulrich P. Bruckner. Es handelt sich hierbei um einen kleinen Bruder von Bruckners „Für ein paar Leichen mehr – Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute“. Neben Produktionsdaten wartet das Italo-Western-Lexikon zum Großteil allein mit einer kurzen Inhaltsangabe auf. Das kann man zwar beanstanden, eine kritische Betrachtung zu jedem Film hätte aber den Rahmen dieser Veröffentlichung gesprengt. Das handliche Hardcover-Buch gibt einen umfassenden Überblick über sämtliche hierzulande gezeigten Italo-Western sowie über die in Italien koproduzierten Eurowestern. Dabei wird das zu Lesende sehr ansprechend mit umfangreichem farbigem Bildmaterial auf Glanzpapier – in erster Linie Filmplakate und Plattencover – exquisit bereichert. In diesem Punkt kommen einem die ebenso vorzüglich mit Bildmaterial versehenen üppigen Begleithefte der Reihe „Deutsche Filmkomponisten“ von Bear Family in den Sinn.

Das ist aber noch nicht alles! Im Digi-DVD-Tetrapack findet sich noch ein weiteres Schmankerl: eingesteckt ist das 31-seitige Begleitheft „Cut, Gringo, Cut: Sollimas Western-Trilogie“ von Wolfgang Luley. Der Autor gibt eingehende Inhaltsangaben zu den Filmen und beschreibt die wichtigsten Unterschiede in den zum Teil beträchtlich (und auch regional unterschiedlich) gekürzten Fassungen im Kino und auf Video. Eine verlängerte Version desselben Textes ist übrigens unter www.dvd.klassiker.com im Internet abrufbar. Die Sollima-Filme sind hierzulande (bis auf Faccia a faccia) erstmalig ungekürzt zu sehen. Das Begleitheft erweist sich als eine wertvolle Hilfe beim Aufspüren und Analysieren der bislang fehlenden Teile. Die geschnittenen Szenen sind durch den italienischen Originalton leicht auszumachen. Die deutschen Untertitel sind dazu pfiffigerweise so platziert, dass sie nicht störend in das Bild hineinragen.

Bei den ehedem fehlenden Szenen handelt es sich nicht um nahezu belanglose Filmschnipsel. Selbst die weniger bedeutenden sind interessant anzuschauen und manche davon setzen interessante, zum Teil politische und/oder moralische, Akzente. Im Begleitheft finden sich ausführliche Erläuterungen zur in Teilen verflachenden deutschen Synchronisation, die Aussagen der Protagonisten klar entschärft, ja sogar entstellt. Daraus ergeben sich zum Teil auch „logische“ Kürzungen offenbar unerwünschter Szenen, also klare Zensurschnitte. Und spätestens hier wird es spannend. So ist beispielsweise La resa dei conti hierzulande um immerhin satte 25 Minuten beschnitten worden. Da wird die politische Vergangenheit des Gehetzten der Sierra Madre, Cuchillo, (ehedem ein Anhänger von Juarez) komplett unterschlagen, und ein mexikanischer Hauptmann steht dem Ansinnen des Verfolgers Corbett auf Unterstützung eher abweisend gegenüber: „Wissen Sie, wen ich noch weniger mag als die Anhänger von Juarez? Die Amerikaner!“ Und später gibt er Corbett mit auf den Weg: „Bis nach Mexiko hinein können sich die Amerikaner und die Anhänger von Juarez gegenseitig abschlachten – mit dem Segen der Behörden. Ist es nicht schön, in einem freien Land zu leben?“ An dieser Stelle zeigt sich allerdings ein editorischer Schwachpunkt: Die anwählbaren deutschen Untertitel folgen abseits der neuen Szenen schlichtweg der entstellenden deutschen Synchronisation.

Besonders gravierend sind die Kürzungen um die Figur des österreichischen Aristokraten und Hauptmanns von Schulenberg. Dieser im Verlauf der Filmhandlung nicht unbedeutende Bösewicht, von Sollima als eine Hommage an Erich von Strohheim gedacht, ist in der deutschen Fassung zwar noch zu sehen; er ist allerdings zum praktisch belanglosen Komparsen ohne Sprachauftritt degradiert worden. Und folgende, weniger bedeutsame, aber doch wertvolle kleinere Szene zeigt die komplette Fassung ebenfalls. Als Corbett einem Kloster an der mexikanischen Grenze eine Stippvisite abstattet, begegnet er in einem der Padres dem ehemaligen Revolverhelden „Bruder Smith and Wesson“. Dieser hält ihm und seinen Beweggründen für die Menschenjagd in einem aufschlussreichen Dialog den Spiegel vor.

In der exklusiv produzierten Featurette „Sergio Sollima – Face to Face“ auf der Bonus-DVD kommt der Regisseur ausführlich (über knapp 60 Minuten) zu Wort und weiß interessant und humorvoll zu den drei Film-Produktionen und ihren Begleitumständen zu berichten. Das Interview findet sich zum Großteil als Einleitung im „Italo-Western-Lexikon“ abgedruckt. Darin gibt Sergio Sollima auch Erläuterungen zum sehr individuellen Stil und der Position seiner Filme, die er übrigens nur ungern als Italo-Western, lieber allgemein als Filme bezeichnet wissen möchte. Diese sollen eine moralische Botschaft übertragen, sollen als unvoreingenommener Versuch gelten, die Moral darzustellen. Den Regisseur fasziniert der bösartige Effekt der so genannten zivilisierten Gesellschaft, eines Systems, welches sich selbst als „Recht und Ordnung“ definiert. Und damit auch die Korruption revolutionärer Ideen, die nur am Anfang aufrichtig sind, die sich bald in Selbstsucht verwandeln. Er beschäftigt sich in seinen Geschichten mit allgemein bekannten moralischen Richtlinien und damit, wie sie nicht funktionieren. Daraus resultiert, dass manches, was für den Zuschauer anfänglich eindeutig zu sein scheint, sich im Laufe des Films, mitunter rasch, als falsch entpuppt.

1562Der Jäger Corbett in La resa dei conti erkennt, dass er als Werkzeug in einem hässlichen Spiel um Macht und viel Geld dienen soll und wendet sich schließlich zusammen mit Cuchillo, den er töten soll, gegen seinen Auftraggeber nebst Anhang – darunter befindet sich übrigens auch der „hässliche Deutsche“ Hauptmann von Schulenberg. Im Duell zwischen Schulenburg und Corbett zitiert Ennio Morricone originell aus Beethovens „Albumblatt für Elise“, das der Adlige in einer früheren Szene am Klavier spielte. (All dies ist jetzt erstmalig von DVD zu sehen.)

In Faccia a faccia mutiert der an Tuberkulose erkrankte Professor Fletcher, ein anfänglich eher humanistisch orientierter Intellektueller, nach und nach zu einem äußerst rücksichtslosen Gesetzlosen, der seine Fähigkeiten entdeckt, eine Herrschaft des Verbrechens, einen Staat im Staate, zu errichten. Sollima fokussiert hierbei zugleich auf die Fragwürdigkeit monopolisierter Staatsgewalt in totalitären Regimen. Dass er dabei auch die jüngere italienische Vergangenheit im Auge gehabt haben dürfte, erscheint nahe liegend. Auch die Amerikaner kommen in dem Punkt nicht allzu gut weg: erweist sich doch das gegen die Outlaws offiziell in Marsch gesetzte Aufgebot als von zwielichtigen Mordbuben durchsetzt, ähnlich denen, die vom Gesetz bestraft werden sollen.

Corri uomo corri ist in dieser Beziehung sicherlich der harmloseste und am stärksten auf Unterhaltung angelegte Film der Trilogie. Es handelt sich um einen mit besonders viel humoristischen Elementen versehenen Revolutionswestern, in dem ein Dieb einen von den Juaristen ehedem außer Landes gebrachten Goldschatz schließlich doch zurück ins Land der anstehenden Revolutionen, nach Mexico, schafft. Aber auch dieser Film hat seine ernsthaften Momente. So, wenn José in einem ehemaligen Freund und Weggefährten aus Revolutionstagen einen zynischen Gegner erkennen muss, der allein noch das Gold will. José bleibt im Duell der Pistolen, trotz seines Einsatzes für die gerechte Sache, tot auf der Strecke, denn sein Gegner ist in den zurückliegenden Jahren zum Revolverhelden geworden. Jener stellt anschließend nüchtern fest: „Es reicht nicht, dass die Sache gerecht ist, José!“

Sollima ist in seinen Filmen nicht nur stilistisch einen eigenen, vom Vorbild des Genre-Begründers Leone weitgehend unabhängigen Weg gegangen. Seine Filme sind zudem eindeutig politischer und sozialkritischer als die Leones. Der Grund liegt zum einen sicherlich in der eindeutig linksgerichteten Überzeugung Sollimas, zum anderen führt dieser dazu seine Herkunft vom Theater ins Spiel: „Weil ich, im Gegensatz zu Leone, ein Mann des Theaters bin. Ich schrieb Theaterstücke, bevor ich hinter der Kamera stand. Auf der Bühne hat man nicht die Unterstützung von wunderschönen Kameraeinstellungen, von heroischer Morricone-Musik. Die Charaktere müssen stark und echt sein und das Blickfeld des Publikums für zwei Stunden ohne technische Gimmicks auf sich ziehen.“ … „Deshalb zeigen meine Filme außer guten Kameraeinstellungen und guter Musik ein psychologisches Muster, das typisch ist für Regisseure, die vom Theater kommen.“ Natürlich ist auch die Musik in allen drei Fällen gut: La resa dei conti und Faccia a faccia vertonte der legendäre Ennio Morricone höchstpersönlich auf die ihm unverwechselbare Art und Weis; Corri uomo corri stammt von Bruno Nicolai und weist ein schmissiges Revolutionslied auf – mehr zu den Sollima-Filmmusiken im Beitrag von Magdi Aboul-Kheir.

Sieht man Sollimas (Western-)Filmtrilogie heute, erscheint sie, trotz ihres Unterhaltungsanspruchs, gerade wegen ihrer scharfkantigen politischen und sozialkritischen Akzente in den Aussagen als besonders frisch und aktuell. Zugleich sind seine Filme zwar punktuell vom Leone Stil inspiriert, jedoch weitab vom Plagiat inszenierte, eigenständige Beiträge. Sie wirken auf mich damit letztlich auch ein Quäntchen realistischer als die zweifellos vorzüglichen Leone-Western jener Jahre, die allerdings dank ihrer deutlich üppigeren Budgets mit mehr an visueller Opulenz punkten können.

1565Alle drei Sollima-Filme sind für die KOCH-DVD-Edition neu transferiert worden, annähernd im exakten Scope-Bild-Seitenverhältnis von 1 : 2,35. Das verwendete Kopienmaterial war in sehr gutem Zustand: nur vereinzelt sind kurzzeitig kleinere Bildschäden zu beobachten. Die Qualität der Transfers ist, wenn auch nicht ganz perfekt, so doch sehr beachtlich. Besonders Farben und Kontraste schneiden sehr gut ab. Leichtere Defizite bereitet mitunter ein merkliches Bildrauschen, wobei sowohl in Sachen Schärfe als auch Detailreichtum zwar gute bis sehr gute, aber nicht optimale Werte erreicht werden. Mitunter zeigen helle Flächen (besonders in Faccia a faccia und Corri uomo corri) eine Neigung zum Überstrahlen. In Corri uomo corri fällt zudem besonders in Schwenks deutliches Ruckeln im Bild auf.

Bei den hier vorgebrachten Einschränkungen handelt es sich allerdings um Defizite auf hohem Niveau – die auch in Transfers der Großen des Marktes zu beobachten sind. Die leicht schwankenden Bildeindrücke erhalten sicherheitshalber „nur“ fette viereinhalb Sterne, wobei das Bild in Teilen auch zu vollen fünf Sternen tendiert. Zu überzogenem Klagen besteht daher ganz sicher kein Anlass. Im Sollima-Interview (auf DVD 4) finden sich zum Vergleich einige Szenenausschnitte aus den bisherigen, deutlich unterlegenen alten Videotransfers.

Der Ton ist in Deutsch (Dolby-Digital-2.0 in MONO) und Italienisch (meist im MPEG-Format) abrufbar. Die deutsche Synchronfassung klingt generell frischer und klarer, die italienische mehr oder weniger deutlich belegt und hallig, neigt gelegentlich zu leichten Verzerrungen. Die Tonbewertung von drei Sternen bezieht sich auf die bessere deutsche Version, die jeweilige italienische Fassung liegt um einen halben bis einen Stern darunter.

Neben dem bereits erwähnten Sollima-Interview wartet die vierte DVD zu jedem Film der Trilogie noch mit einer handvoll Trailer (zum Teil sowohl auch in Gegenüberstellung vor und nach Restauration) auf. Zu jedem Film ist eine nett mit musikalischen Höhepunkten (in Mono) unterlegte Diashow mit Plakatmotiven und Werbematerialen vorhanden. Zum Teil können alternative Titelvorspänne und essentielle Hintergrund-Motive im Drehortvergleich damals/heute in Augenschein genommen werden. Darüber hinaus vermittelt eine originelle Fundsache einen Eindruck aus der Zeit vor der Videokassette: Eine rund 35-minütige Super-8-Fassung zeigt, welch technisch eher bescheidene Möglichkeiten dem filminteressierten Sammler in jenen Jahren zur Verfügung standen. Der Film ist bei besagter Kurzfassung zum entsetzlich sprunghaften Torso zusammengestückelt worden. Das qualitativ nur bescheidene Schwarzweiß-Bild lässt nicht allein beim Kontrast und der Detailvielfalt beträchtlich zu wünschen übrig, es ist zudem auf Normalformat (1 : 1,33) gebracht, also an den Seiten um rund die Hälfte (!) beschnitten.

Fazit: Die Sergio-Sollima-Westernbox ist derzeit wohl das Prachtstück unter den Veröffentlichungen von KOCH Media. Besonders bei Gestaltung und Ausstattung der Box bleiben keine Wünsche offen. Die neuen Bildtransfers sind zwar nicht völlig perfekt geraten, aber insgesamt befindet sich die Herstellerfirma auch hier auf dem richtigen Weg, zeigt, dass sie bemüht ist, dem Käufer ein qualitativ hochwertiges Produkt zur Verfügung zu stellen. Schon die so typischen, extravagant und avantgardistisch sowie in grellen Farben gehaltenen Rollentitel lassen beim Betrachter erste Freuden aufkommen. Für Fans der Italo-Western führt also wohl kaum ein Weg an dem edlen Stück vorbei.

Italo-Western-Special 4: CDs zu Filmen von Sergio Sollima


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Regisseur:
Sollima, Sergio

Erschienen:
2005
Vertrieb:
KOCH Media
Kennung:
DVD DVM 000051D [4 DVDs]

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