Der Golem
Dreimal hat sich der Regisseur Paul Wegener mit dem jüdischen Mythos um den „Golem“, einem aus Lehm geformten künstlichen Menschen, auseinandergesetzt: Der vorliegenden DVD-Edition liegt dabei die dritte und wohl wichtigste Verfilmung, Der Golem, wie er in die Welt kam, zugrunde. Diesem gingen Der Golem (1914) und Der Golem und die Tänzerin (1917) voraus.
Im Ghetto von Prag formt der Rabbi Löw den Golem und belebt ihn durch magische (kabbalistische) Beschwörungskünste. Den anfänglich durch kaiserliches Edikt von Vertreibung bedrohten Juden verhilft der Golem zum Bleiberecht, indem er das Leben des Kaisers rettet. Doch das Geschöpf gerät bald außer Kontrolle und wird zur zerstörerischen Bedrohung …
Bei dieser Edition der Reihe Transit Classics handelt es sich nicht um eine hierzulande erarbeitete Restauration, sondern um eine zuvor bei Eureka-Video erschienene britische Produktion. Äußerlich ist die Transit-DVD-Box den anderen Vertretern der Reihe angepasst, ihr Innenleben entspricht qualitativ jedoch nicht voll dem exquisiten Level von Ausgaben wie zu Der letzte Mann, Metropolis oder Dr. Mabuse, der Spieler.
Neben (trotz Restauration) besonders deutlich sichtbaren Altersspuren erscheinen Teile von Der Golem merklich überbelichtet, wodurch dunklere Bild-Details zu hell wirken, hellere Gefahr laufen, sogar komplett verschluckt zu werden. Daraus resultiert ein deutlicher Detailverlust, der sich besonders auffällig in den Gesichtern der Figuren zeigt. Teilweise sind in diesen kaum noch Konturen zu erkennen, sie erscheinen mitunter als nahezu weiße Flächen. Und natürlich beeinflusst das zuviel an Helligkeit auch die Atmosphäre des Gezeigten. Aus den zugrunde gelegten Kopien sind durchgehend Viragierungen (monochrome Einfärbungen der einzelnen Szenen) übernommenen worden. Wobei die meist kräftigen Einfärbungen mit der oben beschriebenen „Überbelichtung“ nicht immer vorteilhaft zusammenwirken. Allerdings ist auch das von dieser DVD zu Sehende nun nicht einfach schlichtweg enttäuschend. Nein! Vielmehr fällt es im Vergleich mit den o. g. Top-Ausgaben der Reihe ein merkliches Stück(chen) ab. Unterm Strich ist das Bild aber schon recht ansehnlich, es darf daher — in Anbetracht des Alters — (noch) mit dem Prädikat „Gut“ versehen werden.
Für Der Golem hat der Komponist Aljoscha Zimmermann eine neue, respektable, vielleicht etwas unscheinbare musikalische Untermalung für kleines Ensemble komponiert — siehe auch Dr. Mabuse, der Spieler. Beim Bonusmaterial ist die Dokumentation des Filmhistorikers R. Dixon Smith „Das Königreich der Geister — Paul Wegeners DER GOLEM und die expressionistische Tradition“ zwar ansprechend, aber doch etwas knapp geraten. Überdies ist die Qualität der in der Doku gezeigten Filmausschnitte fast durchweg recht bescheiden.
Paul Wegener zählt zu den Begründern der deutschen Stummfilmkunst zu Beginn der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts — der bislang vielleicht glanzvollsten Ära des deutschen Films überhaupt. Der im ostpreußischen Briesen geborene Regisseur zeigte sich vom Theater Max Reinhardts und der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts beeinflusst. Neben anderen, ist sein 1920er Golem-Film ein Vorbild für die beiden Frankensteinfilme von James Whale: Frankenstein (1931) und Frankensteins Braut (1935).
Wer auch für die Reize des Stummfilms aufgeschlossenen ist, gern auf Spurensuche geht, für den ist auch diese DVD-Edition trotz kleiner Einschränkungen daher kaum verzichtbar. Da ist das ausdruckstarke Minenspiel des Golem, der vom Regisseur höchstpersönlich verkörpert wird. Hinzu kommen die expressionistischen Bauten Hans Poelzigs, die das jüdische Ghetto in Prag als märchenhafte, teils bizarr anmutenden Ort aus windschiefen Häusern mit abenteuerlich anmutenden Dachkonstruktionen und engen Gassen lebendig werden lässt. Es bleibt zu hoffen, dass auch Wegeners Der Student von Prag (1913) mittelfristig ebenfalls in der Reihe Transit Classics erscheinen wird.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2005.