Merry Christmas

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
23. Dezember 2006
Abgelegt unter:
DVD

Film

(4.5/6)

Bild

(4.5/6)

Ton

(5/6)

Extras

(5/6)

Merry Christmas (DVD und Buch)

Filme, die sich mit der Absurdität des Phänomens Krieg ernsthaft auseinandersetzen, gibt es mittlerweile in nicht geringer Zahl. In der grundsätzlichen „Botschaft“ sind sie zwangsläufig identisch. Insofern ist von einem weiteren Vertreter in dieser Kategorie zwar nichts wesentlich Neues zu erwarten. Trotzdem ist das Ausleuchten weiterer, bis dahin unbekannter Facetten des Themas nicht einfach nur repetitiv. Dabei werden nämlich nicht nur grundlegende Zusammenhänge deutlich, die für sämtliche Kriege der Menschheitsgeschichte gelten, sondern zugleich wird ein wichtiges Thema über die Generationen lebendig erhalten.

Regisseur Christian Carions Film Merry Christmas widmet sich einem (nicht nur) hierzulande erst seit kurzem stärker ins Bewusstsein gerückten Vorfall aus dem 1. Weltkrieg: Die Verbrüderung zwischen Deutschen, Franzosen und Briten an vielen Abschnitten der Westfront an Weihnachten 1914. Hatten britische Zeitungen sogar von den Vorfällen berichtet, blieb das Ereignis hierzulande und auch in Frankreich nahezu unbekannt. Der Journalist Michael Jürgs hat mit seinem 2003 erschienenen Buch „Der kleine Frieden im Großen Krieg“ besonders im deutschen Sprachraum den Stein ins Rollen gebracht, indem er die bemerkenswerten Geschehnisse der Kriegsweihnacht 1914 in flüssig lesbarer Form aufbereitete. Besonders eindringlich und packend sind die Schilderungen dann, wenn sie aus Tagebuchaufzeichnungen stammen. An Jürgs’ Buch ist allerdings neben Lob auch Kritik laut geworden, die man nicht einfach als überzogene Polemik abtun kann. Offenbar ist in Teilen nicht sorgfältig genug recherchiert worden, so dass neben Fakten auch ungenaue und fragliche Informationen enthalten sind. Auch mittlerweile als Mythos Entlarvtes wird aufgetischt, wie das so genannte „Kindermassaker von Ypern“. Selbst für den Laien auffällig ist die äußerst knapp gehaltene Auflistung der zu Rate gezogenen Quellen. Nun, trotz dieser Einschränkungen erlaubt die Publikation einen guten Einstieg bei einem wenig geläufigen Ereignis des 1. Weltkriegs. Offenbar muss man selbst heute noch, mehr als 90 Jahre danach, fast von einem Tabu-Thema sprechen: Carion musste sich nämlich vom französischen Militär brüskieren lassen, das ihm die Drehgenehmigung auf Armeeareal mit dem Hinweis verweigerte: man könne doch wohl nicht Hilfestellung bei einem Film über eine Rebellion leisten.

Am Verlauf des Großen Krieges, der in Folge noch rund drei Jahre weitergehen sollte, hat besagter „Kleiner Frieden“ zu Weihnachten 1914 nichts geändert. Die daran Beteiligten wurden zum Teil drakonisch bestraft, wie es auch Carions Film anreißt. Nicht allein, dass die deutschen Soldaten des betreffenden Frontabschnitts nach Russland strafversetzt werden. Im Bonusmaterial wird in den „geschnittene(n) Szenen“ gezeigt, wie man sich auf höchster Ebene bemüht, die Vorfälle zu vertuschen und wie eine französische Katze wegen „Fraternisierens mit dem Feind“ erschossen wird. Auf derartigen Fanatismus stimmen die einleitend von jeweils einem Schüler der am Krieg beteiligten Nationen in der jeweiligen Landessprache vorgetragen Hetzgedichte bereits ein. Und wenn am Schluss ein aus Schottland angereister Bischof seine Landsleute mit Hilfe einer Hasspredigt wieder auf Linie bringt, wenn er sogar davon spricht, man solle alle Deutschen rücksichtslos erschlagen, damit alles einmal ein Ende habe; dann ist das derart ruchlos, das der Zuhörer allein fröstelnd zurückbleibt.

Christian Carions Film ist in Teilen zweifellos sentimental und bewusst pathetisch, so wenn Benno Fürmann als Tenor Nikolaus Sprink (natürlich im Playback) das altbekannte „Stille Nacht“ intoniert. Aber das Pathos des Weihnachtssingens wird hier eben nicht missbraucht, wie etwa in der Goebbels’schen „Weihnachtsringsendung“ vom 24.12.1942. Es ist hier vielmehr Ausgangspunkt für Völkerverständigung auf der Ebene der Internationalität von Musik. Was aus der Begegnung der Feinde resultiert, ist nicht nur ein ausgelassenes Fußballspiel zwischen den Gegnern. Sehr berührend und eindrucksvoll zugleich ist vielmehr, wenn im Niemandsland gemeinsam die Gefallenen der Kämpfe der vergangenen Wochen bestattet werden. Das Niemandsland wird so zu einem mit Kreuzen übersäten, großen, gespenstisch erscheinenden Friedhof, auf dem Freund und Feind vereint eine Messe zelebrieren; weniger um der Gläubigkeit, sondern vielmehr um des Augenblicks willen. Und bevor es zum Sturmangriff geht, werden auch Beklemmung und Angst bei den Soldaten deutlich, ähnlich wie im auch nach rund 80 Jahren immer noch sehr eindrucksvollen Lewis-Milestone-Klassiker aus dem Jahr 1930: Im Westen nichts Neues.

Um einen möglichst großen potentiellen Zuschauerkreis anzusprechen, hat man auf eine Riege geläufiger Namen in der Besetzungsliste gesetzt. Neben Diane Krüger (Troja), Guillaume Canet (The Beach) und Gary Lewis (Gangs of New York, Billy Elliot) zielt Daniel Brühl (Good Bye Lenin) natürlich eindeutig auf das deutsche Publikum ab. Besonders die männliche Darstellerriege liefert solide bis eindringliche Leistungen und macht Merry Christmas zum sowohl gefühl- als auch eindrucksvollen (Heim-)Kinoerlebnis, abseits von überzogenem Kitsch und Saccharin-Süßlichkeit. Betont werden vielmehr die Menschlichkeit und das Verbindende unter denen, welche die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln pauschal zu Feinden erklärte.

Die DVD präsentiert den Film im originalen Scope-Format (1 : 2,35) mit gutem Bild, das besonders in der Darstellung von Farben und Kontrasten überzeugt. Der (etwas) einschränkende Punkt ist die nicht voll befriedigende Schärfentiefe, welche eine Einstufung bei vollen fünf Sternen knapp verhinderte. Volle fünf Sterne hingegen verdient der sehr sauber verräumlichte Ton, der sowohl in den Schlachtmomenten druckvoll ist als auch in feinen Details stimmig erscheint, wie bei einem im Niemandsland klingelnden Wecker. Sehr atmosphärisch ist übrigens auch die neben einer komplett französisch- und deutschsprachigen Version anwählbare Original-Tonspur. Hier sprechen alle Beteiligten in der jeweiligen Landessprache, was dem Geschehen (ähnlich wie in Der längste Tag) noch ein zusätzliches Quantum Realismus verleiht.

Ebenso überzeugend ist das Bonusmaterial der DVD-Edition. Der informative Audiokommentar von Regisseur und Produzent, ein solides rund 24-minütiges „Making Of“ sowie die knapp 15 Minuten geschnittener Szenen sind dabei die besonders erwähnenswerten Highlights. Wer nun noch mit der Filmmusik von Philippe Rombi liebäugelt, der erhält hier Informationen zur CD-Veröffentlichung.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2006.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Regisseur:
Carion, Christian

Erschienen:
2006
Vertrieb:
Ufa
Kennung:
88697 01868 9
Zusatzinformationen:
F/D/GB/B 2005

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