Youth without Youth

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
4. August 2008
Abgelegt unter:
CD

Score

(4/6)

Rund elf Jahre ist es her, dass im Kino ein aktueller Rollenvorspann mit „Regie: Francis Ford Coppola“ firmierte: die Verfilmung des John-Grisham-Bestsellers The Rainmaker • Der Regenmacher (1997, Musik: Elmer Bernstein), ein Justiz-Thriller mit Matt Damon — nicht zu verwechseln mit der Verfilmung des gleichnamigen komödiantischen Bühnenstücks von Richard Nash mit Burt Lancaster und Katharine Hepburn The Rainmaker (1956, Musik: Alex North).

Mit Youth without Youth • Jugend ohne Jugend meldet sich der inzwischen 69-jährige Coppola zurück. Das Drehbuch verfasste der Regisseur selbst nach der gleichnamigen Novelle des rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade (1907-1986). Wie eine fantastische, ja fast mysteryhafte (Liebes-)Geschichte mit Thrillerelementen mutet der äußere Rahmen der komplexen Handlung an. Tim Roth verkörpert den rumänischen Sprachwissenschaftler Dominic Matei, der am Vorabend des Zweiten Weltkrieges bei der Arbeit an einem wissenschaftlichen Buch über den Ursprung der Sprachen zu verzweifeln droht. Bei einem Gewitter wird er vom Blitz getroffen, was er nicht nur überlebt, sondern wodurch er vielmehr übernatürliche Fähigkeiten entwickelt und sich zudem beträchtlich verjüngt. Das befördert ihn ins Visier sowohl der Nazis als auch der Amerikaner. Matei flüchtet in die Schweiz und lernt dort die hübsche Veronica (Alexandra Maria Lara) kennen, die seiner Jugendliebe verblüffend ähnlich sieht. Veronica macht — ebenfalls vom Blitz getroffen — eine Verwandlung im umgekehrten Sinn durch. Sie altert fortwährend, indem sie abwechselnd verschiedene Identitäten in immer weiter zurückliegenden Stadien der Menschheitsgeschichte durchlebt. Das eröffnet Matei zwar die Perspektive, sein bislang Fragment gebliebenes Buch zu vollenden, allerdings um den Preis, Veronica durch den Tod zu verlieren …

Das liest sich alles wesentlich linearer als es im Film herüberkommt. Der aktuelle Coppola ist gewiss keine leichte Kost, eher ein philosophisch überladen und recht verworren zwischen Realität und Traum pendelndes, sehr eigenwilliges Opus. Komplexe Bildmontagen, ein Gewirr aus alten und Kunst-Sprachen, aber auch, dass Dominic Matei fortwährend mit einem irrationalen Doppelgänger Zwiegespräche führt, erleichtern das Verstehen nicht gerade. Anstelle einer aufwändigen Genreproduktion handelt es sich dieses Mal um einen vom Regisseur selbst finanzierten Kunstfilm, fast vollständig in Rumänien in HD-Video aufgenommen. Interessanterweise liegen die Schauplätze der Filmhandlung überwiegend in der Schweiz.

Für den Autor der Buchvorlage und gleichermaßen für den Regisseur gilt, dass sie umstritten sind. Der Name Coppolas ist eh eng sowohl mit Triumph als auch mit Desaster verbunden. Sein neben der Mafia-Trilogie Der Pate bedeutendster Film ist das Vietnamkriegsdrama Apocalypse Now. Gerade Letzteres zeigt, wie langwierig mitunter der Weg vom Verriss zur Anerkennung sein kann. Inwieweit eventuell auch Jugend ohne Jugend Derartiges bevorsteht, ist nicht abzusehen. Wegen der sehr zwiespältigen Aufnahme im englischen Sprachraum hat man sich hierzulande mit dem Start nicht nur merklich Zeit gelassen, sondern ist von Seiten des Verleihs offenbar von vornherein mit niedrig gesetzten Erwartungen, also mit nur wenigen Kopien an den Kinostart gegangen.

Osvaldo Golijov

2736Für die musikalische Untermalung ist Francis Ford Coppola an Osvaldo Golijov (•1960) herangetreten. Golijov wuchs in Argentinien als Sohn aus Osteuropa emigrierter Juden auf. Und so wurden bereits früh vielfältige musikalische Einflüsse für den Jungen prägend: neben europäischer Klassik liturgische jüdische, aber auch traditionelle Klezmermusik und natürlich der „Tango Nuevo“ von Astor Piazzolla. Golijov ist ein Stellvertreter der zeitgenössischen Musik, der sich einer einfachen Kategorisierung entzieht. In seiner polystilistischen Arbeitsweise steht er Alfred Schnittke in Teilen nah. So in dem der amerikanischen Sopranistin Dawn Upshaw gewidmeten Liederzyklus „Ayre“ (DG 477 5414) oder in der 2003 uraufgeführten Oper „Ainadamar“ (DG 477 6165) oder auch dem Chorwerk „Oceana“ (DG 477 64 26).

2737„Ayre“ ist ein Begriff aus dem südlichen Spanien des Mittelalters und steht für Melodie. Gemeint ist die Begegnung und Vermischung der dort ansässigen Kulturen (der Christen, Araber und sephardischen Juden). Der vielseitigen und ausdruckstarken Sopranistin Dawn Upshaw steht ein Kammerensemble mit großem Klangfarbenspektrum gegenüber. Der Komponist verarbeitete und verschmolz Originalthemen, z. B. ein sephardisches Liebeslied und einen christlichen Osterhymnus; er erfand aber auch eigene Melodien. Dabei geht es im klanglichen Kosmos des Osvaldo Golijov durchaus nicht immer nur belcantomäßig, sondern auch volksnah, dabei mitunter rau und kehlig zu. Ebenso wenig scheut er die Berührung mit Unterhaltungsmusik und Popkultur.

„Ainadamar“, das arabische Wort für „Quell der Tränen“, ist der Name eines Brunnens in Granada. Zu Beginn des spanischen Bürgerkrieges soll dort der spanische Dichter Federico Garcia Lorca von den Faschisten der Falange ermordet worden sein. Golijovs Opus transportiert Lorcas Schicksal in Form der Erinnerungen einer engen Freundin des Dichters auf die Bühne. Er lässt die Ereignisse als surreal anmutende albtraumhafte Revue lebendig werden. Dabei ist die Musik unmittelbar eher weniger opernhaft, man fühlt sich häufiger in ein modernes, ja experimentelles Musical versetzt. So konstruiert der Komponist für den Moment der Ermordung aus elektronisch übereinander gelegten und vervielfältigten Pistolenschüssen eine eher geräuschhafte „Flamenco-Fuge“. Dawn Upshaw steht auch hier wiederum markant an der Spitze eines Vokalisten-Ensembles, das nebst Chor vom Atlanta Symphony Orchestra unter der Leitung von Robert Spano einfühlsam, aber auch zupackend unterstützt wird. Auch in „Ainadamar“ werden die bereits im Liederzyklus „Ayre“ erwähnten Stile hörbar. Tragendes Element ist allerdings der von Lorca besonders geschätzte Flamenco, in welchem sich wiederum verschiedene multikulturelle Einflüsse spiegeln. Osvaldo Golijovs musikalischer Stilmix ist hier häufiger auch von entrückter, tranceartiger Wirkung, in Teilen aber auch collagenhaft und klangbezogen. Dabei moduliert er außerdem vom Flamenco-Stil zu einem satten, aus der Spätromantik geläufigen Klang.

2738Weitere interessante Beispiele des Schaffens dieses Komponisten finden sich auf dem Album „Oceana“, dessen Untertitel „Meeres- und Landschaftsbilder voller Leidenschaft“ verspricht. „Oceana“ entstand auf Texte des sozialkritischen chilenischen Dichters Pablo Neruda. Das knapp halbstündige Werk für Vokal-Solo (Luciana Souza), doppelten Chor, Kinderchor und Orchester (Atlanta SO, Robert Spano) steht im Zeichen Johann Sebastian Bachs. Entstanden als Auftragskomposition für das alljährliche Bach-Festival Helmuth Rillings in Oregon kombiniert das Stück Elemente des Barock mit außergewöhnlicher Rhythmik, erzeugt zum Teil mit südamerikanischen und afrikanischen Schlaginstrumenten. Eine außergewöhnliche, aber unmittelbar besonders ansprechende lyrische Musik. Einen eigenwilligen intimen Kontrast dazu setzt das rund 13-minütige „Tenebrae“ für Streichquartett. Das Kronos-Quartett bietet eine angemessene Interpretation dieses seltsam ruhig, geheimnisvoll und abgeklärt wirkenden Stücks. Eine Musik, über die der Komponist sagt, sie handle vom Schmerz, aber einem Schmerz, der sowohl von innen als auch aus der Entfernung gesehen wird. Dawn Upshaw und wiederum das Atlanta Symphony Orchestra unter Robert Spano liefern eine Interpretation von suggestiver Eindringlichkeit der das Album beschließenden „Three Songs for Soprano and Orchestra“. Seelenlandschaften werden sensibel ausgebreitet im Wiegenlied „Nacht der fliegenden Pferde“, in der Klage über den „bleichen Mond“ und in der verinnerlichten Totenklage „Wie langsam der Wind“. „Oceana“ ist das der drei hier kurz vorgestellten Golijov-Alben von der Deutsche(n) Grammophon, das ich dem Interessierten für die ersten Schritte zur Musik dieses Komponisten ganz besonders empfehle.

Die Filmmusik zu Youth without Youth

In einem Interview (siehe The World) hat Osvaldo Golijov die intensive Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Komponist während des Prozesses der Vertonung erwähnt, aber auch seine Unsicherheit und Nervosität beim Komponieren für den Film betont. Auch zur Musik an sich finden sich wertvolle Hinweise. Um einen möglichst entrückt wirkenden Sound zu erhalten, blieben neben dem schweren Blech auch die Holzbläser komplett ausgespart. So besteht das die Einspielungen bestreitende Bucharest Metropolitan Orchestra (Dirigent Radu Popa) in erster Linie aus Streichern, denen weiteres Instrumentarium wie Harmonium, Celesta, Akkordeon und Stabglocken zur Seite gestellt sind. Zusätzliche Klangfarben und exotisches Flair steuern das markante Cimbalom und ebenso die aus Persien stammende Kemansche, eine viersaitige Knie- oder Spießgeige, bei. Letztere ist besonders zum Erzeugen für westliche Ohren ungewohnter, geisterhaft anmutender Sounds geeignet. Golijov erklärt auch, wie er einen von Coppola besonders geschätzten mexikanischen Popsong der 1960er als Vorbild für das Liebesthema in „Farewell“ benutzte.

Wie Golijov betont, besitzt der Film für ihn ein nach spätromantischer Musik verlangendes Feeling. Dem entspricht der in Teilen schwelgerisch-sinnliche Gestus der Filmmusik, welcher die Aura des Adagiettos aus Mahlers 5. Sinfonie beschwört, z. B. in den Tracks „Love Lost: Laura“, „Time“ und „Laura Reborn“. Aber auch das Geheimnisvolle wird bereits hier oder auch in „Powers“ und „Veronica’s Nightmare“ sehr schön spürbar. Man fühlt sich partiell ein wenig an die Atmosphäre der romantischen Passagen von Herrmann-Scores wie Vertigo oder Fahrenheit 451 erinnert. (Dafür vermag ich den von Golijov erwähnten Herrmann-Bezug in „Refugee“ kaum eindeutig auszumachen.) Sehr nostalgisch mutet bereits der Beginn an, mit dem das Album eröffnenden Hauptthema „Youth without Youth“, das in seiner klanglichen Üppigkeit an die breit ausschwingenden Themen Ennio Morricones erinnert.

Stärker klangbezogen und auch collagenhaft sind auf Thomas Newman verweisende Tracks, wie „Dominic’s Nightmare“ und „Dr. Rudolf’s Suicide“. Insgesamt bietet die Musik zu Youth without Youth ein interessantes, zum Großteil meditativ wirkendes Spiel der Klangfarben in Kombination mit romantisch süffigen Themen. Neben der bereits zum Einstieg bei Golijov empfohlenen CD „Oceana“ ist diese Filmmusik sicher vergleichbar leicht fasslich. Zwei Tracks des Albums (Nr. 8 & 19) sind reine Source-Cues, abgenommen von antiquiert klingenden Schellack-Schätzchen, die ohne Film kaum Sinn ergeben. Damit entfallen auf den reinen Scoreanteil rund 55 Minuten.

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Komponist:
Golijov, Osvaldo

Erschienen:
2008
Sampler:
Deutsche Grammophon
Kennung:
DG 477 6603

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