Im Jahr 2010 hat sich James Fitzpatrick den Filmmusikfreunden wahrlich fortlaufend in Erinnerung gebracht. Neben insgesamt drei feinen Jarre-Doppelpacks (Lion Of The Desert/The Message, Mad Max — Beyond Thunderdome und fast noch presswarm Lawrence of Arabia) hat der rührige Produzent dem Markt noch zwei weitere Veröffentlichungen beschert: die ebenfalls pressfrische Conan the Barbarian (1982) von Basil Poledouris sowie die in diesem Artikel vorgestellte Neueinspielung zu Dimitri Tiomkins The Alamo (1960) — beide produziert in Zusammenarbeit mit Luc Van de Ven für Prometheus Records.
John Waynes äußerst zwiespältiges, geschichtsklitterndes Opus über „Freiheit und Demokratie“ für Texas, Alamo (1960), kommt in der Kritik zu Recht schlecht weg. Trotzdem genießt das patriotisch-triefige Epos wegen Waynes Ruf als Western-Darsteller und wohl auch der indirekten Beteiligung John Fords zugleich einen gewissen Klassikerstatus. So taucht der Streifen in recht regelmäßigen Abständen immer wieder im deutschen TV auf. Infos zur John-Wayne-Version finden sich im Artikel zu Alamo (2004).
Das Wayne’sche Epos vertonte Dimitri Tiomkin (1894-1979), der insbesondere als Spezialist für Westernmusiken galt. Mit Duel in the Sun (1946) setzte er für seine „Westernkarriere“ eine erste, besonders markante und zugleich superbe Marke. Zu High Noon (1952) lieferte Tiomkin nicht nur ebenfalls eine optimale Musik. Mit dem unmittelbar eingängigen Theme-Song „Do not forsake me, oh my darlin’“ bewies er zugleich ein Händchen für den Kommerz. So begründete er, ob gewollt oder ungewollt, die Tradition des Songscores und damit zugleich die Pop-Ära der Filmmusik — eingehendere Infos zum Komponisten in Red River. Dimitri Tiomkin wurde dadurch aber zugleich zum bekanntesten und bestbezahlten Komponisten in der Glitzerwelt Hollywoods. Aus diesem Grund zählte er auch noch bis Mitte der 1960er Jahre zu den gefragteren Komponisten unter den Veteranen des sogenannten „Golden Age“. Für Dimitri Tiomkin war Alamo zwar nicht die letzte, aber schon die letzte große Westernfilmvertonung. Im selben Jahr entstand noch die Musik zu John Hustons The Unforgiven • Denen man nicht vergibt. Ein weiteres und zugleich letztes Mal lieferte er im Jahr 1967 Musik für einen Western. Für Burt Kennedys schwachen The War Wagon • Die Gewaltigen entstand zwar nur noch eine kleinere, aber letztlich doch noch sehr solide und süffige Komposition, deren sich schnell entwickelnder Charme besonders vom im Zentrum stehenden inspirierten Songthema herrührt.
Der Trend zum populären Filmsong ist zwar auch in der Musik zur 1960er Version von Alamo unübersehbar. Allerdings ist der ebenfalls berühmt gewordene, einem Volkslied nahestehende Alamo-Song „The Green Leaves of Summer“ im Score nicht nur überaus gut verankert, ihm stehen noch verschiedene weitere, vergleichbar markante und für die gesamte Konzeption der Filmmusik bedeutende Themen zur Seite, z. B. „Ballad of the Alamo“ (s. u.). Und gerade die überaus sorgfältige Verarbeitung des Materials ist etwas, das erst jetzt, beim Hören der von Tadlow/Prometheus mit den Philharmonikern der Stadt Prag unter Nic Raine in Angriff genommenen Neueinspielung der vollständigen Filmmusik, so richtig bewusst wird.
Bis dahin standen dem Tiomkin-Interessierten offiziell nur der alte, knapp 44 Minuten umfassende Columbia-LP-Albumschnitt aus dem Jahr 1960 — der bezeichnenderweise nie vom Markt verschwunden und 1989 von Varèse auch auf CD herausgebracht worden ist — sowie das 1995 von Sony auf Columbia Legacy CK 66138 mit insgesamt 23 Tracks (ca. 67 Minuten) herausgebrachte CD-Album zur Verfügung. Letztgenanntes vereinigt den alten LP-Schnitt mit ein paar noch im Archiv zusätzlich vorhandenen Stücken — ursprünglich war offenbar ein Doppel-LP-Album geplant gewesen. Weiteres reines Musikmaterial der Originaleinspielung hat offenbar nicht überlebt. Und so wurde das Album mit einigen, direkt vom Film-Magnetton, dem wahren Soundtrack (!), abgenommenen Teilen ergänzt, bei denen die Musik zwangsläufig zusammen mit Dialogen und Geräuschen abgemischt ist — zwei mit patriotischen Statements von Davy Crockett (John Wayne) überlagerte Musik-Tracks sind übrigens bereits auf dem alten LP-Album zu finden. Dieses enthält auch zwei rein kommerzielle Songeinlagen, die in dieser Form zwar nicht Teil der Filmmusik, aber deren Themen immerhin Teil des Scores sind: eine Cover-Version von „The Green Leaves of Summer“, interpretiert von The Brothers Four und „Ballad of the Alamo“, interpretiert von Marty Robbins.
In der Sammlerszene kursiert darüber hinaus noch ein Einzel-CD-Bootleg (Laufzeit rund 71 Minuten), das, abgesehen von den wohl von der o. g. Sony-Ausgabe geliehenen Tracks, gerade technisch eher bescheiden ist. Zwar enthält es bis auf an einzelnen Stellen dezent vernehmbares Übersprechen von Dialogfetzen ausschließlich Musik. Das zusätzliche Material liegt aber nur in Mono vor und ist teilweise stark verrauscht.
Das alles ist mit der nun zum 50-jährigen Jubiläum des Films vorliegenden Gesamteinspielung des Scores von Tadlow/Prometheus praktisch Geschichte. Die insgesamt rund 140 Minuten der vollständigen Filmmusik sowie eine rund 27-minütige Bonisektion verteilen sich auf insgesamt drei CDs. Das äußerst saubere und präzise Orchesterspiel zieht den Hörer rasch in seinen Bann. Das Prager Orchester und auch der separat in London aufgenommene Crouch End Festival Chorus sind verdammt gut in Form. Da wird mit sehr straffen Tempi überaus flüssig musiziert, wobei die Tiomkin-typischen Manierismen nicht nur nicht unterschlagen werden, sondern sehr treffend eingefangen sind. Das betrifft die Farbigkeit der Instrumentierung, die charakteristische Rauheit des Klanges (insbesondere des Blechs) und ebenso die markant ausgeprägte Rhythmik. Der tadellose Gesamteindruck geht auch mit auf das Konto der Top-Aufnahmetechnik, die im erstklassig präsent und transparent eingefangenen Klangbild mit Hall erfreulich zurückhaltend umgegangen ist.
Darüber hinaus hinterlässt die Musik in ihrer kompletten Form auch qualitativ einen deutlich besseren Eindruck als zuerst erwartet. Der alte LP-Schnitt mit einem Score-Anteil von weniger als 40 Minuten und auch einzelne darüber hinaus vom Film in der Erinnerung zusätzlich haftengebliebene Teile ließen zwar schon auf eine gute, aber nicht auf eine in den obersten Kategorien anzusiedelnde Westernfilmkomposition schließen. Diese Aussage gilt grundsätzlich auch für das verlängerte Sony-CD-Album (s. o.). Auch hier fehlt einfach zu viel der gesamten Musik (die immerhin knapp 140 Minuten umfasst), um noch einen repräsentativen und damit stimmigen Gesamteindruck des Scores zu hinterlassen. Hinzu kommt, dass einzelne, über die Jahre entstandene neueingespielte kleinere Suitenkompilationen aus der Alamo-Musik, abgesehen davon, dass sie interpretatorisch in der Regel nicht voll auf vergleichbar starkem Level sind, ausschließlich bereits vertrautes Musikmaterial reproduzieren. Hier wären in erster Linie zu nennen: die kleine, knapp sechs-minütige Suite unter dem Dirigat von Stanley Black auf der 1972er Decca-LP „Film Spectacular: The Epic“; die 1995 in der RCA-BMG-CD-Reihe „100 Jahre Filmmusik“ erschienene, sogar rund 30-minütige Suite, eingespielt vom Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin unter Lawrence Foster und schließlich die von James Fitzpatrick 2004 für das Silva-4-CD-Tiomkin-Set „Alamo: Dimitri Tiomkin — The Essential Film Music Collection“ produzierte, rund 25 Minuten umfassende Zusammenstellung — gewissermaßen der Vorläufer der Tadlow/Prometheus-Gesamteinspielung des Jahres 2010.
Die Feinheiten in der thematischen Verarbeitung und die bislang verborgenen Schönheiten der Alamo-Musik offenbart also allein die jetzt verfügbare Gesamteinspielung. Insofern bedürfen die im Artikel zum 2004er Alamo (s. o.) zur Musik Dimitri Tiomkins gemachten, dezent verhaltenen Bemerkungen eindeutig einer Revision.
Alle Ingredienzien eines sehr guten Tiomkin’schen Westernscores sind in Alamo zu finden. Aufgrund der außergewöhnlichen Länge des Films (ursprünglich 202 Minuten) sind die insgesamt ca. 137 Minuten Musik der Neueinspielung schon für sich genommen ein abendfüllendes Programm. Dabei wird auch erst bewusst, wie inspiriert das melodische Themenmaterial, und auch, wie ökonomisch die Musik gearbeitet ist. Über sehr weite Strecken ist die Komposition eher dezent, ja geradezu kammermusikalisch durchsichtig gehalten. Der dem Komponisten gern gemachte Vorwurf des Bombastischen ist damit auch an dieser Stelle mehr ein Klischee denn gerechtfertigt. Es zeigt sich aber auch, wie stark gerade die machtvollen Passagen eines Scores die Erinnerung an die gesamte Musik beeinflussen und damit verfälschen können. Auch sollte man es tunlichst vermeiden, eine eventuell vorhandene Aversion gegenüber einem Film auf die Musik zu übertragen.
Häufig erhält die Alamo-Musik einen merklich folkigen Einschlag. Dann spielen meist eher schlank besetzte Ensembles mit Akkordeon, Marimba und Gitarren, ergänzt nur mit einzelnen Holzbläsern und kleiner Streichersektion auf. Ein authentischer Folksong ist dieses Mal freilich nur einmal dabei: die texanische Hymne „The Eyes Of Texas Are Upon You“, die der Komponist übrigens auch im Finale von Giant (1956) zitiert. Eine kräftige Prise mexikanischen Flairs kommt ebenfalls nicht zu kurz, z. B. in der reizenden „Cantina Music“ (CD 1, Track 8), in der zwei mexikanische Volkslieder ansprechend als Source-Music arrangiert sind. Erwähnt werden muss an dieser Stelle auch das auf Wunsch von Wayne aus dem John-Ford-Western Rio Bravo (1956) wiederverwendete markante Thema für Mariachi-Trompete, Deguello, welches als musikalisches Synonym für General Santa Anna fungiert und direkt zu Beginn der vor dem Film gespielten Ouvertüre erstmalig erklingt.
Ungewöhnlich, aber charmant ist der Klang des von Tiomkin offenbar geschätzten, zum Filmstoff freilich eher anachronistisch wirkenden, da aus dem Barock stammenden Cembalos. Es erhält z. B. in „I Believe“ (CD 2, Track 19), zusammen mit Gitarre und Trompete eingebettet in den Klang eines kleinen Streicherensembles, einen besonders intimen Auftritt. Die Muskeln des im Tutti groß besetzten Klangkörpers lässt der Komponist in Anbetracht der Gesamtmenge an Musik nur vereinzelt spielen, in den größer angelegten Action-Tableaus: Dazu ist natürlich besonders die finale, mit knapp 10 Minuten ausladend auskomponierte Schlachtmusik (CD 3, Track 2) zu nennen, bei der sich die Prager übrigens prima ins Zeug legen — siehe auch das Pendant, Max Steiners The Charge of the Light Brigade.
Auch das Vorspiel zum Sturm auf den Alamo, der Aufmarsch der mexikanischen Truppen im ersten Morgenlicht zum Rhythmus der Militär-Trommeln, ist überzeugend, freilich anders als im Film gelöst. Im Film hört man die Trommeln erst sehr leise. Wenn die davon alarmierten Verteidiger die Wälle erklommen haben und den Aufmarsch in Augenschein nehmen, erfolgt ein Schnitt auf die Trommler und die ihre Positionen einnehmenden Truppen. Damit ist zwangsläufig auch spontan ein kräftiger Sprung in der Lautstärke verbunden. Ohne die dazugehörigen Filmbilder macht das keinen Sinn und so lässt die Neueinspielung die Mexikaner, entsprechend Beethovens „Wellingtons Sieg“, akustisch stetig langsam näher kommen.
Im 31-seitigen, informativen Begleitheft gibt es detaillierte Infos zur Musik, einen einführenden Kommentar der Tiomkin-Witwe, Olivia Tiomkin Douglas, sowie Anmerkungen von James Fitzpatrick zur Produktion der Einspielung. Tiomkins Nachlass wird an der University of Southern California in der Cinematic Arts Library verwaltet. Offenbar war die Materialsituation vorzüglich. Anstelle von zusätzlich zeitaufwändiger, mühevoller Restaurationsarbeit mussten Dank der Vermittlung von Frau Tiomkin ausschließlich neue Orchestermaterialien aus der beim Musikverlag noch vollständig erhaltenen Originalpartitur erstellt werden. Wobei das Team um Orchestrator Patrick Russ beim Übertragen der Notenblätter in ein Computerprogramm immerhin rund 1.000 Notationsfehler korrigiert hat.
Die in das Projekt gesteckte umfassende Sorgfalt und die Detailverliebtheit spiegeln sich auch in der als Anhang auf CD 3 untergebrachten Boni-Sektion, die aus einigen Alternativ-Versionen und sonstigen Stücken besteht. Da ist z. B. selbst die Reproduktion der kommerziellen Variante, der liedhaften Ballade „Ballad Of The Alamo“ (Text: Paul Francis Webster), welche in der Alamo-Musik als das zentrale Leitmotiv fungiert, sehr überzeugend geraten. Im Score erhält die Ballade einen besonders markanten Auftritt in der den zweiten Teil des Films eröffnenden Intermission-Music (CD 2, Track 1). Die speziell für die Filmwerbung erstellte Country-Pop-Version des Stücks beschließt die Boni-Sektion (CD 3, Track 16) und wird von David Shannon mit vergleichbarem Biss interpretiert wie seinerzeit von Marty Robbins (s. o.). Das Top-Bonusstück ist aber wohl die mitreißende, einen markanten Kontrast zur im Film verwendeten Fassung bildende alternative Version des Finales (CD 3, Track 6), in der auch die oben erwähnte Texas-Hymne einen chorunterstützten Auftritt erhält. Interessant ist aber auch die hier präsentierte, ausschließlich orchestrale Begleitung des Chorsatzes der Intermission-Music. Zwar vermisst man zuerst schon etwas die Chorstimmen. Nach ein oder zwei weiteren Durchgängen funktioniert allerdings auch die geschickte Orchesterbegleitung als Solo-Version überraschend gut.
Vergleicht man mit dem Original, vermag die Neueinspielung mit den Pragern sehr gut zu bestehen, auch wenn sie natürlich, wie jede noch so ambitionierte Nachspielung, punktuell kleinere Differenzen aufweist. Unterschiede, die sowohl von etwas anders gesetzten Akzenten in der Interpretation, aber auch vom anders abgemischten Gesamtklang herrühren.
Abschließend sei noch angemerkt, dass James Fitzpatrick offenbar vergleichbare Probleme mit den Rechteinhabern der Filme hat, wie seinerzeit bereits Morgan & Stromberg: Originale Plakatmotive und Filmbilder haben deshalb bislang leider in keiner der Tadlow-Produktionen ihren Niederschlag gefunden — siehe dazu auch The Adventures of Robin Hood. Das gemäldeartige Covermotiv der Alamo-Edition ist allerdings recht überzeugend gelungen.
Fazit: Was uns Tadlow mit den famos aufspielenden Pragern seit 2007 beschert hat, das ist qualitativ vergleichbar mit den hochwertigen Einspielungen, die Tribute mit den Moskauern, oder auch mit dem, was Chandos in seiner Filmmusik-Reihe mit den Orchestern der BBC produziert. Darunter ist die jetzt erstmalig zugängliche komplette Musik Dimitri Tiomkins für Alamo (1960) ein ganz besonderes Schmankerl. Die im Geiste des Originals und insgesamt sehr wohlgeratene Gesamteinspielung ist im bisherigen Tadlow-Kanon nicht nur musikalisch ein besonderes Highlight. Mit insgesamt rund 170 Minuten Spielzeit bildet das 3er-CD-Set zugleich die derzeit umfangreichste Tadlow-Veröffentlichung.
Hier finden Sie einen Überblick über alle bei Cinemusic.de besprochenen CDs des Labels Tadlow Music.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2010.
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