Eine bildgewaltige Verneigung vor dem klassischen Kinoabenteuer: John Milius’ Der Wind und der Löwe
Zwar kann man im Œuvre des John Milius (*1944) mitunter ausgesprochen reaktionäre Tendenzen feststellen (z. B. Red Dawn). Zudem ist er bereits als ein leidenschaftlicher Waffennarr und dazu Vorstandsmitglied der National Rifle Association unmittelbar verdächtig. Doch wie immer, so gilt auch hier, dass man es sich mit ambivalenten Charakteren nicht zu einfach machen sollte. Milius hat nämlich auch durchaus Bemerkenswertes vorzuweisen. Er begann seine Hollywoodkarriere als talentierter Drehbuchschreiber und dürfte nicht zuletzt damit im Gedächtnis bleiben. Zu den beachtlichen Früchten seiner frühen Jahre im Business zählt etwa das Drehbuch für den späterhin von Sydney Pollack realisierten Jeremiah Johnson (1972), der einem der legendären „Mountain Man“ der US-Geschichte ein modern-realistisches und weitgehend glaubwürdig inszeniertes Denkmal errichtet. Darüber hinaus hat er aber nicht nur Teile von Der weiße Hai und des bis heute immer noch besonders faszinierenden Vietnamkriegsdramas Apocalypse Now mitgestaltet. Er hat auch den so charmanten wie witzigen Blick auf die amerikanische Jugend der 1970er, George Lucas’ American Graffiti (1973), mit inspiriert und, nicht zu vergessen, zu Walter Hills bestechendem Geronimo – An American Legend das Drehbuch verfasst. Späterhin, als Regisseur eines im Umfang überschaubaren, im Qualitätslevel sehr uneinheitlichen Werkkatalogs, muss er sich allerdings auch nicht komplett verstecken. Das mitreißende Kinoabenteuer The Wind and the Lion * Der Wind und der Löwe (1975) liefert dafür einen besonders eindrucksvollen Beleg.
Als Hintergrund der Handlung dient der Perdicaris-Zwischenfall, der sich im Jahr 1904 vor dem Hintergrund der 1. Marokkokrise ereignete. Es war die Zeit vor dem 1. Weltkrieg als die europäischen Mächte sich, misstrauisch beäugt von den keinesfalls uneigennützigen USA, im Wettlauf um Einfluss in Afrika befanden. Der Berber-Fürst Raisuli rebellierte damals als Anführer einer kleinen Armee Aufständischer, den Rifkabylen, gegen den korrupten Pascha von Tanger und damit natürlich auch gegen den marokkanischen Sultan. Teile Marokko standen schon länger unter französischer und spanischer Verwaltung (wurden ab 1912 Protektorat), aber auch die Deutschen wollten Einfluss gewinnen. Durch eine spektakuläre Entführung wollte er seinen Forderungen an Sultan Abd al-Aziz, im Film verkörpert von Marc Zuber, Nachdruck verleihen: Einstellung der Unterdrückung des Rifs (eine zum Atlasgebirge gehörende Gebirgskette), Freilassung aller gefangenen Stammesangehörigen, 70.000 Dollar in Gold und seine Anerkennung als Pascha zweier Bezirke um Tanger.
Was durchaus das Zeug zum triefigen, imperialistisch angehauchten, letztlich todtraurigen Rührstück besäße, wird von Milius zum einen durch viel Wortwitz, gepaart mit einer gehörigen Portion Selbstironie, in der mitunter gar komödiantischen, immer eleganten Inszenierung entschärft und zum anderen visuell zu einer bildgewaltigen Hommage an das große klassische Kinoabenteuer à la Lawrence von Arabien (1962) umgestaltet, die mit James Bond Sean Connery (Raisuli) und Candice Bergen (Eden Pedicicaris) ein mitreißendes Protagonistenpaar besitzt. Und bereits hier zeigt sich, dass sich Milius große Freiheiten in der Umsetzung des historischen Vorfalls genommen hat. Während im Film Eden Pedicicaris und ihre zwei Kinder, William und Jennifer, als Geiseln genommen werden, wurden nämlich im Mai 1904 tatsächlich nur der Ehemann Iron Pedicaris und einer der beiden Söhne entführt, welche seine Frau Ellen (statt Eden) aus erster Ehe mitgebracht hatte. Mit der korrekten Konstellation hätte man natürlich nicht vergleichbare Möglichkeiten besessen, aus dem Vorfall eine große romantische und zugleich epische Abenteuerstory zu machen. Dass sämtliche Charaktere eher einfach gestrickt, also ohne größere Tiefe gestaltet bleiben, ist zudem hilfreich dabei, das Ganze zur Hochglanzunterhaltung mit Wohlfühlfaktor aufzubereiten, welche einen bedeutenden Teil ihres Reizes aus der Berührung der einander völlig fremden Kulturen bezieht. So sind die beiden Kinder von den ungewohnten Freiheiten des Berberlebens schnell fasziniert und werden im Verlauf auch äußerlich Berberkindern immer ähnlicher, wogegen Ihre Mutter Raisuli geraume Zeit für einen ungehobelten und kulturlosen Banditen hält. Aber auch Eden und Raisuli werden sich im Zuge regelmäßiger Schachpartien nach und nach zunehmend sympathischer. Der originell inszenierte Clash der Kulturen manifestiert sich zudem in pfiffigen Dialogen, wobei durch die blumige Ausdrucksweise Raisulis die Story in die Nähe eines (Kino-)Märchens aus 1001 Nacht gerückt wird. Die zum Film auf Filmzitate.info aufgeführten immerhin 51 Zitate liefern zur Qualität des Wortwitzes diverse Belege.
Um daraus nun auch noch ein actionfreudiges Kinospektakel mit hohem Unterhaltungswert zu machen, dient der mitten im Wahlkampf befindliche US-Präsident Theodore Roosevelt (Brian Keith), mit dessen mitunter etwas grobschlächtigen Gebaren. Theodor Roosevelt (1858–1919) erhielt für seine Vermittlung im Russisch-Japanischen Krieg zwar den Friedensnobelpreis, allerdings galt er auch als Macho mit dem „dicken Knüppel“. Entsprechend hat sein feinsinniger Außenminister John Hay (John Huston) seine liebe Not mit ihm. Natürlich ist der Präsident bereit die Situation für sich auszuschlachten und schickt die Kavallerie, hier in Form der South Atlantic Squadron der Navy, welche vorbildlich marschiert und den Palast des Paschas erstürmt, was die anderen europäischen Kolonialmächte, insbesondere die Deutschen auf den Plan ruft.
Der Film besitzt sämtliche Ingredienzien eines klassischen, d.h. im Sinne reiner Unterhaltung agierenden Kinoabenteuers, das sich elegant geläufiger Klischees bedient und seine Figuren auch dank der eindeutig satirisch überspitzten Dialoge der Wirklichkeit entrückt. Das verleiht dem Leinwandgeschehen zusätzlich einen ausgeprägt märchenhaften Charakter, vergleichbarer den romantisierten wie heroisierten Kinoabenteuerunterhaltungen der 1930er und 1940iger Jahre etwa Four Feathers * Vier Federn (1939, Musik: Miklós Rózsa) oder Gunga Din * Aufstand in Sidi Hakim (1939, Musik: Alfred Newman). Dies ermöglicht es dem Zuschauer die imperialistischen Aktionen entspannt, im Kino- oder auch dem heimischen Fernsehsessel zurückgelehnt, zu goutieren. Das besonders prägende Vorbild lieferten allerdings eindeutig die prächtigen Landschafts- und Wüstenpanoramen in David Leans Lawrence von Arabien (1962), von dem Milius u. a. auch das originale Aquaba-Set für die finale Schlacht zwischen den Rifkabylen und einem deutsch-marokkanischen Militärkontingent benutzt hat. Mit den in Teilen der Inszenierung behutsam eingearbeiteten Modernisierungen wirkt das Spektakel immer noch nostalgisch, aber nicht altbacken.
Der Wind und der Löwe in HD auf BD
Die Blu-ray-Veröffentlichung von explosive media ist als Einzel-BD in schwarzer Amaray-Box im Schuber, versehen mit ansprechendem, auf einem Filmplakatmotiv beruhenden Cover erhältlich.
Bild und Ton
Der HD-Transfer des im korrekten Scope-Format (1:2,35) sieht, abgesehen von marginalen Verschmutzungen und einzelnen leichten Bildschäden, prima aus. Neben den häufig besonders üppig und leuchtkräftig erscheinenden Farben sorgt dabei fast durchweg das bis hinunter zum tiefen Schwarz optimal abgestuft erscheinende Kontrastverhältnis zusammen mit der sehr guten Schärfe für vielfältig dargestellte Bilddetails und für Brillanz. Nur in einzelnen Einstellungen schwächeln kurzzeitig die Schärfe sowie insbesondere der Schwarzwert und damit der Gesamteindruck.
Der deutsche Mono-Ton ist insgesamt leider recht blass. Er ist nicht bloß auffällig leise, sondern klingt zudem dumpf und, da er kaum Dynamik besitzt, sehr flach und weist stellenweise leichtere Verzerrungen auf. Deutlich überzeugender schneidet da die originale Stereotonspur ab. Auch wenn diese in den großen Actionmomenten nicht voll mit dem brachialen Sound aktueller Blockbuster mitzuhalten vermag, erfreut ihr auch die Dialoge angenehm verräumlichender Tonmix mit Frische und einiger Dynamik – wobei es sich empfiehlt den Pegel ein wenig anzuheben. Die englischen Dialoge sind relativ einfach und daher gut verständlich gehalten. Bei Bedarf können dazu sehr sauber ins Deutsche übersetze Untertitel eingeblendet werden. Die Originalfassung ist aber in jedem Fall der Nutzung wert, denn nur hier bekommt man einige sprachlich unüberhörbar fremdländisch gefärbte, sich ungemein köstlich anhörende deutsche Text-Einsprengsel zu hören.
Extras
Als Boni gibt es neben der üblichen ansprechenden Bildergalerie mit Standfotos bzw. Werbematerialien eine rund 10-minutige Featurette „Hinter den Kulissen“ sowie einen deutschen Trailer. Zum Film ist ein Audiokommentar von John Milius (nur in Englisch, ohne deutsche Untertitel) wählbar. Milius, der im Film kurz als einarmiger Militärberater auftritt, erzählt darin mit zum Teil dezentem, aber unüberhörbarem Schmunzeln, wie er diesen ungemein charmanten „Abenteuerfilm für Jungen aus der Sicht von Kindern“ realisierte. Darüber hinaus findet sich auch noch eine Musik/Geräuschtonspur, welche im Menü zwar nicht ausgewiesen ist, aber über die Audio-Taste der Playerfernbedienung angewählt werden kann. Das beiliegende 12-seitige, sehr informative und dazu nett bebilderte Begleitheft rundet den bereits zuvor sehr positiven Gesamteindruck vorzüglich ab.
Fazit: John Milius’ Der Wind und der Löwe (1975) wird von explosive media jetzt erstmalig in HD auf Blu-ray in vorzüglicher Qualität und Aufmachung vorgelegt und ist damit ein edler Ersatz für die im Jahr 2003 erschienene DVD-Edition.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.