The Razor’s Edge

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
11. Februar 2001
Abgelegt unter:
CD

The Razor’s Edge • Auf Messers Schneide (1946) ist die Verfilmung eines Romans von Somerset Maugham, in dem ein aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrter Jagdflieger sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens begibt. Newmans überwiegend lyrische Musik hierzu zählt wohl nicht zu seinen Meisterwerken, zeigt aber eindrucksvoll, mit welcher Sorgfalt auch ein Stück abseits der ganz großen Filmprojekte bei 20th Century Fox von Seiten des Music Departments gearbeitet worden ist.

Tsunami hat die offenbar komplett vorliegenden Ton-Master technisch brillant aufbereitet und präsentiert das üppig bestückte CD-Album in einem Stereo-Sound, der sich vor den vergleichbaren Produktionen von Film Score Monthly und Varèse keinesfalls verstecken muss. Dies gilt leider nicht in gleichem Maße für die Booklets, die besonders zu den betreffenden Filmmusiken nur spärliche Infos bieten. Neben inspirierter Melodie und melodramatischen Musikpassagen, die offensichtlich aus Newmans Feder stammen, findet der Hörer Eigenkompositionen und zum Teil auch Arrangements von Originalstücken, die als „reale“ Hintergrundmusik dienen und im Film eine atmosphärische Funktion haben. So gibt es verschiedene geschmackvolle Arrangements von Liedern und Tanzmusik der Ära (der Filmhandlung), aber auch mehrere delikate Walzer, die Newman unter Verwendung seiner Themen speziell komponiert hat. Daneben sind auch verschiedene folkloristisch geprägte Musikstücke vertreten, die auf Frankreich, den Hauptschauplatz der Handlung verweisen. Neben einem Hauch von fernöstlichem Flair (durch ein exotisch anmutendes Klarinetten-Solo) wird ein russisches Lied, nicht wie meist in älteren Hollywood-Filmen üblich, englisch, sondern sogar russisch gesungen – beides musikalische Verweise auf die weitgestreuten Schauplätze der Filmhandlung. Man erlebt hier eine musikalische, stilistische Vielfalt, die ein wenig an die in der Musik zu Chicken Run • Hennen Rennen erinnert. Auch die CD zu The Razor’s Edge enthält einige Outtakes als Zugaben. Besonders interessant sind die drei alternativen Versionen des Finales, die sich dezent von der schließlich verwendeten pathetisch wuchtig wirkenden Version unterscheiden.

Ähnlich wie Max Steiner war auch Alfred Newman ein Komponist, bei dem herrliche melodische Einfälle keine Seltenheit, sondern wesentlicher Bestandteil des Schaffens waren. Alle drei von Tsunami präsentierten Scores stellen dies klar unter Beweis; sie legen aber auch klingendes Zeugnis ab für Newmans besonderes Markenzeichen: den ausgiebigen Gebrauch der Streichersektion des Orchesters in hoher und höchster Lage. Der hieraus resultierende charakteristische „20th-Century-Fox-Sound“ hat die filmmusikalischen Schöpfungen vieler in dieser Periode bei der Fox tätigen Komponisten beeinflusst.

Fazit: Zwei, genauer sogar drei sehr willkommene Erweiterungen der Alfred-Newman-Diskografie bieten die Tsunami CD-Editionen zu Captain from Castile • Der Hauptmann von Kastilien (1947) – die als Zugabe auf der zweiten CD des Doppelpacks noch die Musik zu The Snake Pit • Die Schlangengrube (1948) enthält – sowie die Einzel-CD zu The Razor’s Edge • Auf Messers Schneide (1946). Die Qualitäten der drei Scores aus der zweiten Hälfte der 40er Jahre reichen von qualitativ Hochwertigem bis zu perfekter und inspirierter handwerklich ausgefeilter Routine. Alle drei sind dazu deutlich unterschiedlich angelegt und spiegeln damit auch die Vielseitigkeit Newmans gut wider. Der vollblütigen exotisch-romantischen Abenteuermusik zum Conquistadoren-Epos Captain from Castile stehen die verstärkt dissonante Klangschöpfung zu The Snake Pit und die primär lyrische, mit stilistisch besonders vielseitiger Source-Music versehene Tonschöpfung zu The Razor’s Edge gegenüber.

Die bei Tsunami unüberhörbaren Fortschritte bei der Ton-Restauration machen die alten Originale nicht nur gut anhörbar, sondern verleihen der Wiedergabe sogar gewissen Glanz. Dies gilt besonders für die zum Teil verblüffend frisch und voll klingende Stereo-Präsentation von The Razor’s Edge; die Booklet-Texte bieten zwar ein Kurzporträt von Alfred Newman, sind allerdings bezüglich der präsentierten Filmmusiken wenig informativ. Ein Pluspunkt ist das sorgfältig erstellte Tracklisting, mit dessen Hilfe sich die Musikstücke gut zuordnen lassen. Leider sind bei The Razor’s Edge Source-Cues und Newman-Musik nicht klar voneinander abgesetzt und gekennzeichnet – ein editorischer Schwachpunkt. Unterm Strich resultiert aber eine klare Empfehlung für die – alles in allem – liebevoll gefertigten Editionen.

Durch die mittlerweile erschienenen, mustergültig editierten und mit herausragendem Begleitheft versehenen offiziellen SAE-Editionen von Captain from Castile und The Razor’s Edge haben die Tsunami-Editionen drastisch an Bedeutung verloren. Um dies zum Ausdruck zu bringen, haben wir die ursprünglich sehr positive Wertung entfernt und verweisen primär auf den legitimen Nachfolger.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Newman, Alfred

Erschienen:
2000
Gesamtspielzeit:
72:03 Minuten
Sampler:
Tsunami
Kennung:
TSI 0622

Weitere interessante Beiträge:

April Captains

April Captains

Operation Walküre

Operation Walküre

Berlinale 2000: Songs and Sounds

Berlinale 2000: Songs and Sounds

Violin Concerto

Violin Concerto

Cinemusic.de