Horror-Rhapsodie

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
18. Juni 2000
Abgelegt unter:
Special

2363

Hollywoods klassische Horror-Filme waren primär eine Domäne der kleineren Studios und hier ganz besonders von Universal. Zu den legendären Namen dieses Genres gehören der Regisseur James Whale und die Schauspieler Boris Karloff und Bela Lugosi. Der erste Frankenstein und Dracula entstanden in der Morgendämmerung der Tonfilm-Ära. Beide enthalten noch keine zusammenhängende, speziell komponierte Filmmusik sondern eher stummfilm-typisch einige Versatzstücke klassischer Musik, so z. B. Dracula aus Tschaikowskis Schwanensee-Ballett. Frankenstein besitzt allerdings bereits eine Vorspannmusik von Bernhard Kaun (1899-1980). Kauns Name ist späterhin zwar in erster Linie als Orchestrator geläufig. Bis etwa Mitte der 1930er war er allerdings auch als durchaus talentierter Filmkomponist im Geschäft.

Den entscheidenden Schritt in Sachen Tonfilmmusik machte Max Steiner (siehe auch They Died with their Boots on) für den Fantasy-Horror-Film King Kong • King Kong und die weiße Frau (1933), der damals die aufwendigste RKO-Produktion war. Für Steiner war es zwar nicht die erste breitangelegte Film-Musik, doch war es auch für ihn das erste Filmprojekt, für das er auf keinen Fall die „übliche“ musikalische Lösung – aus Archivmaterial eine Musik zusammenstellen – akzeptieren wollte, was infolge der hohen Produktionskosten des Films ursprünglich beabsichtigt war. Es gelang ihm den Produzenten Merian C. Cooper zu überzeugen und „völlige“ Aktionsfreiheit zu erhalten. Grenzen setzten zum einen das klein besetzte RKO-Orchester (30 bis maximal 45 Spieler) und auch die noch in den Kinderschuhen steckende Lichton-Aufnahmetechnik – letztere machte eine stärker auf Akzente der Bläser als der Streicher setzende Musik erforderlich. Die Musiker hatten zum Teil mehrere verschiedene Instrumente im Wechsel zu spielen, was eine größere Vielfalt des verwendeten Klangkörpers vortäuschte. Der bereits eingangs erwähnte Bernhard Kaun war übrigens ebenfalls mit von der Partie: als Orchestrator. Die vorliegende hervorragende erste Gesamteinspielung der King-Kong-Musik ermöglicht es, die Bedeutung dieser wichtigen frühen Steiner-Film-Komposition voll zu erfassen. Die Musik enthält bereits nahezu alles, was den „Steiner-Touch“ ausmacht. Das einprägsame 3-Notenmotiv für den großen Affen durchzieht raffiniert die ganz der wagnerischen Tradition verpflichtete und dazu mit impressionistischen Elementen durchsetzte dramatisch-kraftvolle und auch atmosphärisch dichte Musik. Steiner-typisch werden die Bilder teilweise musikalisch verdoppelt: Der Hörer erlebt so auch ganze Handlungsabläufe „plastisch“ ohne das Bild sehen zu müssen. Nach dem großen Erfolg des Films, an dem auch die hervorragend wirksame Musik einen nicht unbeträchtlichen Anteil hatte, wurde den Hollywood-Produzenten die Bedeutung von spezifischen Originalkompositionen für Kino-Filme zunehmend bewusst – dies macht die vorliegende CD-Veröffentlichung auch noch ein Stück bedeutender.

Den nächsten wichtigen Schritt in Sachen Horror-Filmmusik setzte der aus Nazi-Deutschland frisch emigrierte Franz Waxman (näheres zu Waxman, siehe Mr. Skeffington) mit seiner Komposition zu Bride of Frankenstein • Frankensteins Braut (1935). Waxmans intelligenter und ausgefeilter Musikbeitrag gab dem auch heute nicht antiquiert – sondern skurril und originell zugleich – wirkenden Film von Regisseur James Whale eine besondere bis dahin ungehörte und entscheidende Note. Teile dieser Musik wurden bei Universal dann auch x-mal in weiteren Filmen und Serials wie Buck Rogers wiederverwendet. Die vom Westminster Philharmonic Orchestra unter Kenneth Alwyn eingespielte Gesamtaufnahme erreicht zwar nicht die Durchschlagskraft der Charles-Gerhardt-Version der Schöpfungs-Szene (RCA, Classic-Film-Scores-Series), ist aber insgesamt sorgfältig und liebevoll ausgeführt. Als kleine Zugabe wird noch eine reizvolle kleine Suite aus der Musik zu einem weiteren Universal-Horror-Fantasy-Film The Invisible Ray Tödliche Strahlen (1935) geboten; Waxman wechselte bald darauf zu MGM und vertonte dort als erstes einen weiteren Horror-Film The Devil Doll (1936). Auch diese CD wird durch ein informatives und ansprechend illustriertes Booklet ergänzt.

1648In Waxmans Universal-Fußstapfen trat anschließend ein weiterer Emigrant, der wie Steiner aus Wien stammende Hans Salter (1896-1994). Der Komponist besaß eine solide akademische Ausbildung und war kurze Zeit Schüler von Alban Berg und auch des in den zehner- und zwanziger Jahren im deutschen Sprachraum berühmten Frank Schreker gewesen. Zusammen mit dem aus dem Bereich Unterhaltungsmusik stammenden Frank Skinner (1898-1968) betreute Salter neben Kompositionen für alle übrigen Film-Genres nahezu sämtliche Universal-Horrorfilme bis in die fünfziger Jahre. Zu Skinner, mit dem er zuerst bei Son of Frankenstein(1939) zusammenarbeitete, entwickelte der Wiener eine tiefe Freundschaft. Für Skinner war die langjährige Zusammenarbeit auch ein großer künstlerischer Gewinn. Vergleichbar heutigen Komponisten wie Elfman und Newton Howard gelang es dem aufgeschlossenen Skinner so, sich autodidaktisch ein gutes Gespür für kinosinfonische Dramatik anzueignen und seinen Stil zu verfeinern. Zu seinen auch auf Tonträger veröffentlichten Arbeiten gehören die Musiken zu Filmen wie Imitation of Life • Solange es Menschen gibt (1960) und Shenandoah • Der Mann vom großen Fluß (1965). Die umfangreiche Titelliste der Filmmusiken im Œuvre beider Komponisten ist zudem Beleg für das enorme Arbeitspensum, das pro Mann bewältigt werden musste (bis zu ca. 30 Filmvertonungen im Jahr) und zeigt besonders, dass das Komponisten-Duo die entscheidende Rolle in Sachen Horrorfilm-Musik spielte. Bei der Vielzahl der zu vertonenden Filme musste aus Zeitnot, aber auch weil manches nicht gefiel, bereits komponierte Musik erneut eingesetzt werden. Die im Verhältnis zu den großen Studios sehr knappen Orchesterbudgets begrenzten neben dem enormen Zeitdruck noch zusätzlich den Rahmen des Machbaren. Aber trotz des eindeutigen B-Charakters der primär auf Massenware spezialisierten Universal-Studios verdienen manche der Filme und besonders der Filmmusiken dieser Zeit durchaus Beachtung, da man auch hier mit einem hohen Maß an Professionalität zu Werke ging.

1649Universals kleines Musikdepartment wurde damals von Charles Previn (dem Onkel von André) und später von Joseph Gershenson geleitet. Unglücklicherweise standen der zweifellos talentierte Hans Salter und Frank Skinner immer im Schatten ihrer großen Kollegen. Nur dem Kultstatus den eine Reihe der Universal-Horrorfilme heutzutage besitzen, ist es zu verdanken, dass die zum Teil hochwertigen Musikbeiträge dieses Duos für weitgehend mittelmäßig bis belanglose Grusel-Filme nicht in Vergessenheit geraten sind. Das bewährte Marco-Polo-Team Morgan-Stromberg hat bereits 1995 zwei CDs mit rekonstruierten Universal-Horror-Musiken (House of Frankenstein sowie eine Kompilation „Universal’s Classic Scores of Mysterie and Horror“) neu eingespielt. An diese Tradition knüpften die beiden Produzenten jetzt nochmals an und legten das aktuelle Album „The Monster Music of Hans J. Salter and Frank Skinner“ vor (inzwischen auf Naxos unter dem Titel „Monster Music“ wiederveröffentlicht). Darauf sind vertreten Suiten aus Son Of Frankenstein (1939), The Invisible Man Returns (1940) und The Wolf Man (1941).

Bei geplanten Neueinspielungen sind Originalpartituren nicht nur der Stummfilmzeit selten verfügbar. Häufig existieren sogar bei Musiken aus den sechziger Jahren keine Orchestermaterialien mehr. Ähnliches gilt auch für die reinen Musikaufnahmen für viele Filme, insbesondere der 30er und 40er Jahre. Die für die Einspielungen benötigten Partituren mussten daher liebevoll und mühsam anhand von Klavierauszügen aus Salters Privatarchiv, mit Hilfe noch existierender Musikeinspielungen und teilweise allein nach Gehör durch Abhören der Filmtonspur (Soundtrack) neu niedergeschrieben werden. Die Original-Einspielungen dieser Musiken leiden nicht nur an den Unzulänglichkeiten der damaligen Aufnahmetechnik, sondern zwangsläufig auch unter den klanglich stark eingeschränkten Möglichkeiten der zur Verfügung stehenden arg klein besetzten Orchester. Für die vorliegenden Neueinspielungen wurden daher im Interesse einer verbesserten orchestralen Balance die Instrumentengruppen behutsam verstärkt.

2342Das vorliegende klingende Marco-Polo-CD-Triumvirat quillt über vor originellen orchestralen Einfällen und widerlegt das klassische Vorurteil, dass für drittklassige Filme auch immer nur drittklassige Musik geschrieben worden ist. Die eingespielten Kompositionen belegen das ausgezeichnete Bemühen, den überwiegend schwachen Filmen eine möglichst aufwertende Begleitmusik mit auf den Weg zu geben. Entstanden sind keinesfalls nur schrill und laute, sondern mit Geschick ausgeführte atmosphärisch dichte und dabei in Teilen auch charmant-lyrische Kompositionen. Diese belegen auch durch ihre sorgfältige Instrumentierung, mit wie viel Liebe damals mitunter das Hollywood-Alltagsgeschäft auch jenseits der Großproduktionen erledigt wurde. Die in Koproduktion mit dem deutschen Emigranten Paul Dessau entstandene Musik zu House of Frankenstein • Frankensteins Haus (1944) gehört mit ihren im wesentlichen von Dessau stammenden, kräftigen Dissonanzen – welche die Universal-Bosse doch ein wenig arg erschreckt haben sollen – zum Modernsten, was die Hollywooder Filmmusik dieser Jahre zu bieten hat. Die Moskauer Orchestermusiker, die die Musik neu einspielten, meinten denn anfangs auch, es handele sich um eine Musik zu einem aktuellen Horror-Film. Der bis fast zuletzt rüstige Hans Salter hat in seinen frühen 90ern zusammen mit einem Freund nochmals das Universal-Archiv besucht. Dort war man zwar sehr freundlich und hilfsbereit, doch kaum einer der Anwesenden wusste mit seinem Namen noch etwas anzufangen …

Über die zum Teil originell und kurios zugleich anmutenden Hintergründe bei der Komposition dieser Scores geben die informativen und auch liebevoll ausgestatteten CD-Booklets eingehend Auskunft. John Morgan förderte z. B. bei der Rekonstruktion der Komposition zu The Wolf Man (1941) bislang im Kino nicht erklungene Musik zutage, die in der Postproduktion infolge nachträglicher Schnitte zweier Szenen der Schere zum Opfer fiel. Somit können die im Film nur noch als Fragment erhaltenen Untermalungen Frank Skinners zu „Bela’s Funeral“ und „Sir John’s Discovery“ jetzt erstmalig in der ursprünglichen, vollständigen Version gehört werden.

Es bleibt zu wünschen, dass sich das verdienstvolle Marco-Polo-Team in einem weiteren Salter-Skinner-Sampler auch den hörenswerten Musikbeiträgen zu Kostüm- und Western-Filmen widmet, wie Magnificent Doll • Die wunderbare Puppe (1946), Against All Flags • Gegen alle Flaggen (1952) und Bend of the River • Meuterei am Schlangenfluß (1952). Daneben zeichnen sich aus dem Horror-Genre noch die Arbeiten zur Mumien-Trilogie The Mummy’s Hand (1940), The Mummy’s Tomb (1942) und The Mummy’s Ghost (1944) durch ihr reizvoll-archaisierendes „ägyptisches“ Flair aus.

2395Fazit: Drei Marco-Polo-CDs präsentieren das Beste aus dem Universal-Horror-Film-Musik-Archiv der dreißiger und vierziger Jahre. Es war vor allem das Komponisten-Duo Hans Salter und Frank Skinner – für dieses Genre maßgeblich –, das diese Stücke komponiert hat. Die CDs bieten reizvolle akustische Einblicke in pfiffige Musik-Untermalungen für häufig (allerdings nicht ausschließlich) belanglose B-Filme, in denen Monster, Werwölfe und Untote die entscheidende Rolle spielen.

Die Filmmusik-historisch wichtigen Ausgangspunkte dafür bilden die hervorragenden Kompositionen Steiners und Waxmans zum Film King Kong bzw. The Bride of Frankenstein, von denen im ersten Fall nun eine sehr überzeugende, zu Frankensteins Braut eine zumindest respektable Gesamteinspielung vorliegt. Wertungsmäßig rangieren die Musiken der Universal-Horror-Serie etwa zwischen drei und vier Sternen. Der außerordentlich hohe editorische Wert spiegelt sich in der jeweiligen Albumwertung von fünf Sternen. Waxmans The Bride of Frankenstein rechtfertigt bereits rein musikalisch zumindest annähernd einen Spitzenplatz. Die stattdessen vergebenen „nur“ 4½ Sterne verstehen sich als Albumwertung.

Sämtliche vorgestellten Alben sind informationstechnisch gut bis sehr gut ausgestattet und lassen auch beim Klang wenige Wünsche offen. Sie sind somit eine Bereicherung für jeden Sammler, der sich für die Filmmusik des klassischen Hollywood begeistern kann.

Weitere interessante Beiträge:

Frank Strobel – Interview

Frank Strobel – Interview

Lucerne Festival im Sommer 2008

Lucerne Festival im Sommer 2008

Der Herr der Ringe – Die Gefährten: eine Literaturverfilmung? (Teil IV)

Der Herr der Ringe – Die Gefährten: eine Literaturverfilmung? (Teil IV)

Klassische Britische Filmmusik – Folge 2

Klassische Britische Filmmusik – Folge 2

Cinemusic.de