Über den Dächern von Nizza (Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. Mai 2012
Abgelegt unter:
Blu-Ray

Film

(4/6)

Bild

(6/6)

Ton

(3/6)

Hitchcock zum ersten Mal in VistaVision

To Catch a Thief • Über den Dächern von Nizza ist nach Rear Window • Das Fenster zum Hof (1954) zwar der zweite Hitchcock, der bei Paramount realisiert worden ist. Es ist aber zugleich der erste Hitchcock-Film, der in Paramounts Antwort auf CinemaScope, dem hauseigenen Breitwandprozess VistaVision, aufgenommen und in der Regel im Format 1 : 1,85 vorgeführt worden ist. (Das Fenster zum Hof hingegen ist — flat — im 35mm-Vollformat aufgenommen und in den Kinokopien am oberen und unteren Bildrand maskiert, d. h. mit dickerem Bildstrich versehen, im Breitwandformat 1 : 1,66 gezeigt worden.)

Wie der deutsche Titel verrät, spielt die Handlung im an der Côte d’Azur gelegenen malerischen Nizza, man verkehrt fast ausschließlich in bestsituierten Kreisen. Ein Dieb geht um, der den Wohlhabendsten teuren Schmuck entwendet. Verdächtigt wird John Robie (Cary Grant), ein ehemaliger berühmter Juwelendieb, genannt „Die Katze“. Hitchcock variiert hier eines seiner geschätzten Krimi-Motive, dieses Mal in Form einer charmanten Komödie: Ein unschuldig Verdächtigter und von der Polizei Verfolgter nimmt die Aufklärung selbst in die Hände und jagt den wahren Schuldigen. Frances Stevens (Grace Kelly), das attraktive Töchterlein eines potentiellen neuen Opfers wird dabei sein weiblicher Widerpart und schließlich auch seine Frau. Jessie Royce Landis verkörpert dabei geradezu köstlich Frances’ häufig Bourbon-nippende, lebenserfahrene und um keinen lockeren Spruch verlegene, markante Frau Mama. Mrs. Stevens drückt auch schon mal verächtlich eine Zigarette im Spiegelei aus — ein Gag, der ironisch auf Hitchcocks Abneigung gegen Eier anspielt.

Aber auch die anfänglich etwas zurückhaltend erscheinende Frances ist nicht ohne. Sie übernimmt in Sachen Robie schon bald die Initiative. Und wenn es zwischen den Beiden so richtig funkt, dann wird das im Rahmen einer nächtlichen Kuss-Szene vor dem Hintergrund eines Feuerwerks gekonnt wortlos symbolisiert, indem zu den sich leidenschaftlich steigernden Küssen zwischendurch auf heftig explodierende Feuerwerkskörper überblendet wird.

In den Einstellungen findet sich auch darüber hinaus so manch weitere gelungene Anspielung. In der Eröffnungsszene sieht man ein schwarzes Kätzchen, das nächtens über die Dächer von Nizza schleicht. Anschließend hört man das hysterische Geschrei der Bestohlenen, worauf ein schneller Szenenwechsel zum hoch über der Stadt gelegenen eleganten Anwesen von John Robie führt. Und in diesem sitzt wiederum ein unschuldig drein blickendes schwarzes Kätzchen auf einem Sofa, neben einer aufgeschlagenen Zeitung mit der prangenden Überschrift „Die Katze geht wieder um“. Der Blick des kurz zuvor seinen Häschern nur knapp entkommenen Robie, der sich in einen Regionalbus gerettet hat, fällt auf das Gepäck einer der Mitreisenden: einen Käfig mit bunten, ihrer Freiheit beraubten Vögeln. Diese flattern aufgeschreckt herum, da „die Katze“ neben ihnen Platz genommen hat — die womöglich selbst bald hinter Gittern sitzt. Anschließend erkennt man, dass rechts neben Cary Grant Alfred Hitchcock sitzt. Und gerade derart pfiffige Drehbucheinfälle sind zusammen mit den auch mal salopp-frechen, aber immer recht intelligenten, erfrischend wortwitzigen Dialogen, ein mitentscheidender Faktor für die amüsante Eleganz des sehr unterhaltsamen und heutzutage zudem nostalgischen Streifens.

Zudem hat Kameramann Robert Burks das Leinwandgeschehen sehr delikat in Szene gesetzt. Burks war zuvor bereits für seine Kameraarbeit bei Strangers on a Train • Der Fremde im Zug (1952) und ebenso bei Rear Window (1954) für den Oscar nominiert worden. Für To Catch a Thief bekam er dann endlich die begehrte Auszeichnung überreicht.

Über den Dächern von Nizza zählt noch zu Hitchcocks frühen Farbfilmen (der fünfte seit Rope • Cocktail für eine Leiche aus dem Jahr 1948), und das sieht man hier ganz besonders. Entsprechend sorgfältig kalkuliert sind in den Bildern die Technicolorfarben aufeinander abgestimmt. Dabei bleibt pralle Buntheit, wie in den Musicals der Ära beliebt, überwiegend ausgespart. Das helle Azurblau der französischen Riviera kommt ebenso überzeugend zur Geltung wie die Ansichten von Monte Carlo oder auch das üppige Blütenmeer auf dem „Marché aux Fleurs“, dem Blumenmarkt in der Altstadt von Nizza. Interessant gemacht sind auch die in ein fahles Grün getauchten Nachtsequenzen, inklusive der recht spannend inszenierten finalen Verfolgungsjagd, in der bereits die Eröffnung von Vertigo Aus dem Reich der Toten (1958) wetterleuchtet. Besonders superb wirken natürlich die prachtvollen Kostüme auf einem Ball im höfischen Stil des 18. Jahrhunderts, auf dem auch die Handlung kulminiert. Hier tritt Technicolor dann so richtig aus der Reserve und begeistert mit der Farbenpracht der Stoffe, ebenso wie beim Glanz des Goldes und der Juwelen. Wie exzellent man dabei in den opulenten Kleidungsstücken die fein strukturierten, kunstvoll-prächtigen Muster und Verzierungen erkennen kann, das demonstriert die Vorzüge des gestochen scharfe und sehr detaillierte Bilder liefernden VistaVision-Verfahrens — siehe dazu auch Die zehn Gebote.

Die an sehr geschickt ausgewählten Drehorten entstandenen grandiosen Landschaftstotalen und Luftaufnahmen sind von geradezu bestechender Schärfentiefe. Diese machen den Film geradezu zum Werbeträger der Fifties für Reisen an die französische Riviera. Diese Feststellung unterstreicht sogar der Titelvorspann, wo in einem Schaufenster ein Plakat zu sehen ist mit der Aufschrift „Wenn Sie das Leben lieben, dann werden Sie auch Frankreich lieben“. Über den Dächern von Nizza gilt nicht nur als Begründer eines neuen Genres, der kultivierten „Thriller-Romanze“. Der Film wird außerdem zu Recht als „Hitchcock-Champagner“ bezeichnet.

Hitchcocks mediterrane Thriller-Romanze auf Blu-ray

Zum Bild braucht man nach dem bereits zuvor Geschriebenen nur noch wenig anzumerken. Neben den erstklassig zur Geltung kommenden, fein differenziert abgestuften Farben sind auch der sehr gute Kontrastumfang und der tadellose Schwarzwert mitentscheidend für den vorzüglichen Gesamteindruck. Dies sorgt neben den brillanten Farben nämlich dafür, dass auch die diversen Grauabstufungen in der Kleidung der Herren bis zum Rabenschwarz des Kätzchens derart überzeugend aussehen. Und da, wo getrickst worden ist, erkennt man die Rückprojektion oder auch das Studioambiente dank HD umso deutlicher. Besser dürfte der Film selbst in den Top-US-Erstaufführungskinos kaum ausgesehen haben. Nur einzelne kurze Einstellungen wirken mal etwas weniger scharf. Feines Filmkorn ist zwar erkennbar, macht sich aber keinesfalls störend bemerkbar. Umso unspektakulärer ist im Vergleich dazu die VistaVisions-typisch etwas dürftige akustische Seite. Gemeint ist der in der englischen Originalfassung gegenüber der deutschen etwas frischer und lebendiger klingende, zwar passable, aber eben „Nur“-Mono-Ton. Von den recht umfangreichen Boni der US-Ausgabe (in SD, da von früheren DVD-Ausgaben übernommen) ist leider gar nicht’s vorhanden: Schade!

Fazit: Nach und nach kommen nun auch die Verfilmungen Alfred Hitchcocks im HD-Zeitalter an. Der immer wieder amüsant-spritzige To Catch a Thief • Über den Dächern von Nizza macht von BD insbesondere beim Bild eine erstklassige Figur und ist damit auch für Demozwecke geeignet. Das komplette Fehlen der Boni der US-Version ist schon ein dezentes Ärgernis.

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2012.

© aller Logos und Abbildungen bei Paramount Pictures. (All pictures, trademarks and logos are protected.)

Regisseur:
Hitchcock, Alfred

Erschienen:
2012
Vertrieb:
Paramount Home Entertainment
Kennung:
BD P424372
Zusatzinformationen:
USA 1955

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