Tombstone von George P. Cosmatos: Western-Legende im authentischen Gewand.
Seinen Mythos hat Wyatt Earp, der zeitlebens eine eher unbedeutende, aber dafür umso zwielichtigere Figur geblieben ist, geschickt selbst begründet. 1928, kurz vor seinem Tod, fand er in Stuart N. Lake denjenigen, der bereit war, aus der ihm überlieferten Mär vom tapferen Gesetzeshüter in den berüchtigten Grenzstädten des Westens eine große Legende zu stricken. Eventuelle Zeitzeugen, welche die wahre Rolle Earps hätten an den Tag bringen können, waren längst verstorben. Und so wurde Lakes Buch „Wyatt Earp: Frontier Marshal“ (1930) ein Riesenerfolg und regte auch die Fantasie weiterer Autoren an. William Riley Burnetts „Saint Johnson“ aus demselben Jahr kam denn auch gerade rechtzeitig, um im sich etablierenden Tonfilm erste Spuren zu hinterlassen.
In unzähligen Western taucht seitdem die Figur Wyatt Earps zumindest in einer Nebenrolle auf. Zu den berühmtesten klassischen Western um den berühmtesten Teil der Earp-Legende, die Ereignisse am O.K. Corral, zählen John Fords My Darling Clementine • Faustrecht der Prärie, alternativer Titel Tombstone (1946, Musik: Cyril J. Mockridge), John Sturges 1957er Gunfight at the O.K. Corral • Zwei rechnen ab (Musik: Dimitri Tiomkin) und Hour of the Gun • Die fünf Geächteten (Musik: Jerry Goldsmith) desselben Regisseurs. Aus den nachfolgenden Dekaden sind in erster Linie zwei zu nennen: George P. Cosmatos starbesetzter 1993er Tombstone (Musik: Bruce Broughton) sowie das parallel entstandene Konkurrenzprodukt, Lawrence Kasdans Wyatt Earp (1994, Musik: James Newton Howard) mit Kevin Costner in der Titelrolle.
Lange Zeit war Tombstone von George P. Cosmatos auf Video nur in einer, besonders durch das an den Seiten beträchtlich beschnittene Bild, unbefriedigenden Fassung zugänglich. Walt Disney Studios Home Entertainment präsentiert das Westernepos jetzt in einem neuen Transfer, erstmalig im korrekten Scope-Format und außerdem als gegenüber der Kinofassung um rund fünf Minuten längeren „Directors Cut“.
Die Einleitung zum Film bildet ein recht drolliger Einfall: eine im Stil der Stummfilmära, schwarzweiß und im Normalformat präsentierte und vom Klavier begleitete, natürlich rein fiktive Wochenschau. Diese ist neben Schnipseln aus frühen Leinwandwestern auch aus auf alt getrimmten Tombstone-Filmausschnitten montiert. Ein Kommentator erläutert dazu die Situation im aufstrebenden, aber von Gesetzlosen terrorisierten Ort Tombstone in Arizona. Eine Bande, erkennbar an ihren roten Schärpen, die sich selbst „Die Cowboys“ nennt, wird dabei als Beginn des organisierten Verbrechens bezeichnet. Anschließend geht das Bild in die (Scope-)Breite, wird farbig und der stereophone Raumton umgibt den Zuschauer: Man sieht die berüchtigten Cowboys im Galopp, unterstützt durch einen wuchtigen musikalischen Kommentar von Bruce Broughton. Das ist übrigens auch im gut gerüsteten Heimkino ein eindrucksvoller Moment. Möglicherweise sollte man das nun Folgende eh nicht zu ernst nehmen. Erscheint doch am Schluss des schwarzweißen Prologs augenzwinkernd die berühmte Schlussszene des allerersten Kinowesterns überhaupt, Der große Eisenbahnraub (1903), in welcher der Bösewicht direkt auf den Zuschauer schießt.
Über die rund 129 Minuten (PAL-Videolaufzeit!) erzählt Tombstone seine Geschichte in einer Mixtur aus Stilismen des klassischen wie des italienischen Westernkinos, in Kombination mit der auf schnelle Schnittfolgen setzenden Bildsprache des modernen Actionkinos. In vielem will der Film sehr authentisch sein und damit wohl auch suggerieren, er erzähle eine wahre Geschichte. Die historischen Fotos sorgfältig nachempfundene Ausstattung der Sets, der Kleidung, der Haar- und auffälligen Barttrachten sowie die Waffen der Protagonisten stehen dafür, wie auch die auf Realismus setzende Inszenierung der Schießerei am O.K. Corral. Im Gegensatz zum zeitlich arg überdehnten Ablauf in Fords My Darling Clementine geht der Showdown bei Cosmatos erheblich schneller vonstatten, ist deutlich näher am wahren Vorfall.
Das alles bereitet jedoch letztlich nicht wirklich den Raum für die wahre Geschichte um Wyatt Earp (Kurt Russell), seine Brüder Virgil (Sam Elliott) und Morgan (Bill Paxton) sowie Doc Holiday (Val Kilmer). Hier gibts vielmehr eine nach wie vor weitgehend klassische Form der Wyatt-Earp-Legende zu sehen, freilich präsentiert in einem ausgeprägt historisierenden Gewand. Punktuell wird modern aufgepeppt, z. B. in der Love-Story zwischen Wyatt Earp und der Schauspielerin Josephine Marcus (Dana Delany). Was resultiert, ist dementsprechend eine Täuschung. Freilich eine, die infolge der üppigen, mitunter atemberaubend schönen Kameraeinstellungen von William A. Fraker sowie den gut choreographierten Actionszenen zumindest eine visuell eindrucksvolle und dazu wuchtige Westernunterhaltung abgibt. Die mitreißende Filmmusik Bruce Broughtons ist nicht allein funktional. Sie macht auch von den Bildern gelöst eine sehr gute Figur und ist derzeit sogar noch bei INTRADA erhältlich. Vom sich insgesamt wacker schlagenden Darstellerensemble ist besonders Val Kilmer als Doc Holiday bemerkenswert. Lawrence Kasdans Wyatt Earp schneidet, obwohl fast 3,5-mal teurer produziert, insgesamt weniger überzeugend ab.
Am Schluss bemüht Tombstone noch einmal die große Geste und unterstreicht poesievoll die Legende. Der Sprecher des Prologs gibt resümierend Einblicke in das weitere Schicksal der Protagonisten. Dabei heißt es am Schluss, als von Wyatt Earps Begräbnis die Rede ist, bei der auch zwei Darsteller des frühen Westernkinos den Sarg trugen: „Tom Mix weinte.“
Tombstone auf DVD
Die auf zwei Discs angelegte Edition enthält erwartungsgemäß auf DVD 1 den Hauptfilm inkl. eines anwählbaren Audiokommentars des Regisseurs. Im Plauderton erläutert Regisseur George P. Cosmatos die einzelnen Szenen, gibt einige aufschlussreiche Hinweise und auch manch nette Anekdote zum Besten. Das im korrekten Scope-Format (1 : 2,35) präsentierte, überzeugend konturierte Bild ist rauscharm und sieht überwiegend recht knackig aus. Es wartet mit ausgewogenem Kontrastverhältnis und (manchmal etwas zu) satten Farben auf, zeigt meist gute Schärfe und in den häufiger luxuriösen Interieurs viele Details. Nur vereinzelt trüben etwas soft wirkende Passagen (besonders bei Innenaufnahmen) den überwiegend sehr guten Gesamteindruck. Die nur ganz vereinzelt auftretenden minimalen Bildschäden fallen da kaum ins Gewicht. Diese sind nicht störend, eher beim mehrfachen Betrachten auszumachen. Ebenfalls sehr positiv kommt der detail- wie effektreiche, sehr voluminöse und in den Actionmomenten kraft- und bassstrotzende, Surround-Mix hinzu.
Gegenüber der Kinofassung sind im jetzt vorliegenden „Directors Cut“ nicht zuletzt die Actionteile unmittelbar erkennbar erweitert, zeigen mehr Details – dem wird durch den FSK-16-Vermerk Rechnung getragen. Sie erscheinen jetzt noch ein Stückchen blutiger und damit härter. Daneben sind jetzt ein paar Szenen enthalten, welche Details in den Beziehungen zwischen den Figuren beleuchten (z. B. Wyatt und seine opiumsüchtige erste Frau) und auch solche, die den Handlungsablauf noch etwas logischer und damit runder erscheinen lassen.
Auf der zweiten DVD befindet sich der Rest des Bonusmaterials. Neben einer Kollektion an Trailern und TV-Spots in eher mittlerer Qualität gibt es ein knapp halbstündiges dreiteiliges Making-of: „Die Darsteller“, „Wie man einen authentischen Western macht“ und „Die Schießerei am O.K. Corral“. Zur O.K.-Corral-Sequenz kann außerdem das originale Storyboard begutachtet werden. Alles in allem ist das Making-of recht unterhaltsam, allerdings leider auch etwas glatt geraten. Wie meist handelt es sich hier eben nicht um eine kritische Edition des Films. Entsprechend bleiben die Probleme hinter den Kulissen dieses Konkurrenzprodukts zu Lawrence Kasdans Wyatt Earp leider ausgespart. Diese betreffen den Ersatz des ursprünglichen Regisseurs und Autors des Drehbuches Kevin Jarre durch George P. Cosmatos. Wobei Cosmatos nur bedingt Regie geführt hat, in vielem wohl von Kurt Russell instruiert worden ist.
Neben der Standard-Doppel-DVD-Ausgabe ist auch eine optisch attraktivere Deluxe-Version im Pappschuber erhältlich. Bei dieser wird das die DVDs beherbergende, aufklappbare Innenleben originellerweise durch eine als „Einschussloch“ gestaltete Öffnung herausgezogen. Dazu kommt noch ein Begleitheft und eine Skizze des legendären „Gunfight at the O.K. Corral“.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2009.
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