Mitunter lächelt den Anhängern von Filmmusik (selbstverständlich beiderlei Geschlechts) das Glück. So geschehen bei der offenbar recht chaotisch verlaufenen Herstellung der Universal-Produktion von The Wolfman, unter der Regie von Joe Johnston (The Rocketeer, Jurassic Park III) einem Remake des 1941er Horror-Films gleichen Namens.
Insgesamt drei Mal (!) wurde der Kinostart verschoben. Ursprünglich sollte bereits am 12. November 2008 The Wolfman das Licht der Kinoleinwände erblicken. Anschließend platzten drei avisierte Termine: 13. Februar 2009, 3. April 2009 und 6. November 2009. Erst rund 1¼-Jahre nach dem ersten Termin, am 12. Februar 2010, war es dann schließlich so weit. Allerdings entpuppte sich das aktualisierte Wolfsmensch-Horrorspektakel als totaler Flop und verschwand mit geradezu abenteuerlicher Geschwindigkeit wieder von den Programmplätzen.
Im offenbar äußerst schwierigen Postproduktionsprozess spielten auch Querelen um die Filmmusik Danny Elfmans eine nicht unbedeutende Rolle. Nachdem die Komposition fertig gestellt und eingespielt war, wollten die Produzenten diese nicht mehr. Aber das wohl nur schreckliche Ergebnis des eiligst als Ersatz herbei gerufenen Paul Haslinger (ehedem Mitglied bei „Tangerine Dream“), fiel ebenfalls durch. Das verwundert eigentlich nicht. Zeichnet Haslinger doch für eher unterirdische, meist elektronische Belanglosigkeiten wie Death Race 2000 oder Underworld verantwortlich. Jetzt sollte Elfmans Score doch wieder hinein, wobei zwischenzeitlich erfolgte Änderungen beim Film — Kürzungen, Nachdrehs sowie massive Änderungen im Schnitt — beträchtliche Umarbeitungen erforderlich machten. Elfman war entweder wirklich zu sehr bei Alice in Wonderland involviert, oder er hatte einfach nur keine Lust mehr — was ihm wohl kaum jemand verdenken würde. Eingesprungen ist Conrad Pope, der zwar selbst ein versierter Komponist ist, aber in erster Linie durch seine Arbeit als Orchestrator geläufig ist, z. B. für Danny Elfman bei Sleepy Hollow oder jüngst John Powells Ice Age: Dawn of the Dinosaurs.
Komponist Danny Elfman zeigte sich gegenüber „Variety“ erleichtert darüber, dass das Original nicht über eine derart prägnante Musik verfügt, die bei breiteren Publikumsschichten unauslöschlich mit dem Wolfsmenschen assoziiert werden würde. Für das 1941er Original von The Wolf Man komponierten übrigens Frank Skinner und Hans Salter, in Teilen unterstützt von Charles Previn — siehe dazu auch die „HORROR-RHAPSODIE“ auf Cinemusic.de.
Hört man nun die das Varèse-Album eröffnende „Wolf-Suite Pt.1“ fällt dafür unmittelbar eine Merkwürdigkeit auf, nämlich die insbesondere zu Beginn in der Kombination aus rhythmisch pochenden Ostinatofiguren und der zuerst erklingenden Viernoten-Tonfolge spürbare Verwandtschaft mit Wojciech Kilars Musik zu Francis Ford Coppolas Dracula (1992).
Diese Ähnlichkeit irritierte nicht nur, wie in diversen Forenbeiträgen nachzulesen, so manchen Elfmanfreund kräftig, sie hat auch beim Rezensenten im Vorfeld für Skepsis gesorgt. Und so hinterließ die genannte „Wolf-Suite Pt.1“ zuerst auch gewisses Unbehagen. Doch je weiter die Albumspielzeit voranschritt, umso stärker hat mich diese Musik beeindruckt und nach einem weiteren Hördurchgang hatte sie mich bereits komplett in ihren Bann gezogen. Dabei trat der „Kilar-Dracula-Aspekt“ mehr und mehr in den Hintergrund. Inzwischen nehme ich diesen kaum noch wahr. Von störend, kann hier inzwischen jedenfalls aus meiner Sicht keine Rede mehr sein. Das liegt daran, dass Elfmans Wolfman-Komposition bei eingehenderer Beschäftigung ihre vorzügliche wie eigenständige Machart offenbart, was den Anschein des sorgfältig gemachten Plagiats rasch vergessen lässt. Ein wesentlich wichtigerer Bezugspunkt für den Elfmanschen The Wolfman wird an dieser Stelle übrigens meist übersehen: der ähnlich konzipierte Dracula (1978) von John Williams.
Elfmans Kompositionsansatz kann man als eine doppelte Hommage auffassen. Neben der Referenz an die klassischen Horrorscores der 1930er und 1940er, besitzt in ganz besonderem Maße Bedeutung die Verneigung vor einem musikalischen Großmeister des Unheimlichen in Filmmusik: Bernard Herrmann.
In den (Universal-)Horror-Filmmusiken besitzen kurze, aus nur wenigen Noten bestehende Motive eine Schlüsselfunktion. Max Steiner hat bereits 1933 in seiner bahnbrechenden Komposition zu King Kong vorgemacht, wie raffiniert man (Film-)Musik mit einem derartigen Musikpartikel gestalten kann. Die Komponisten der Universal-Horror-Movies knüpften daran und natürlich auch an Franz Waxmans exzellenter Musik für Bride of Frankenstein (1935) an.
In ganz besonderem Maße hat Bernhard Herrmann das Arbeiten mit kurzen Tonfolgen weiter entwickelt, ja geradezu exerziert, wobei häufig bereits eine ausgeprägte minimalistische Tendenz spürbar wird. Herrmann galt und gilt in vielem als derjenige Komponist Hollywoods, dessen Techniken mit den größten Einfluss auf den Nachwuchs ausüben. Seine motivische Arbeit ist wie Teile der Instrumentationseffekte z. B. in vielen Arbeiten von Jerry Goldsmith, John Williams aber auch von Danny Elfman unverkennbar. Danny Elfman knüpfte bereits frühzeitig bei Bernard Herrmann an und hat dazu insbesondere mit Sleepy Hollow (1999) ein exzellentes Beispiel geliefert.
In seiner Musik zu The Wolfman dient Elfman ein Drei-Notenmotiv als motivische Keimzelle seiner gesamten Komposition — bereits im 1941er Original The Wolf Man findet sich etwas Ähnliches: ein Drei-Noten-Warnmotiv. Besagte Tonfolge scheint leicht erkennbar zweimal hintereinander in der „Wolf-Suite Pt. 2“ (zwischen etwa 1:07 und 1.26 Min.) auf. Was Elfman daraus macht, das besitzt echte Klasse und ist erfreulicherweise für den Filmmusikfreund anhand des wohlgefüllten Varèse-Albums über rund 66 Minuten detailliert erfahr- und studierbar. Dabei ist auch die das klangliche Geschehen sehr gut ausleuchtende Aufnahmetechnik behilflich. An dieser Stelle kommt übrigens das eingangs erwähnte Glück zum Tragen, denn der Albumschnitt ist aus der ursprünglichen Elfman-Musik zusammengestellt worden, erfreulicherweise nicht aus dem von Pope nachträglich bearbeiteten und ergänzten Material.
Wie geschickt und abwechslungsreich Elfman seine Musik gestaltet hat, indem er sein Basis-Motiv raffiniert ausbaut und auch in variierten Bruchstücken einsetzt, das macht Eindruck. Wie er es über die bereits erwähnte, besonders häufig auftauchende vier-nötige Phrase bis hin zu einem sehr melancholischen Mondlicht-fahlen aber ausdrucksstarken „Wolfsthema“ erweitert, dieses wieder dekonstruiert und durch das Orchester wandern lässt, das funktioniert selbst abseits des Films über die gesamte Albumlänge ermüdungsfrei. Dabei ist die dank der vorzüglichen Instrumentierung erzeugte Vielfalt der Klangfarben mehr als nur bemerkenswert. Ganz besonders betrifft dies die im Zentrum des gesamten musikalischen Geschehens stehende, groß besetzte Streichersektion des Hollywood Symphony Orchestras. Diese wird äußerst differenziert und zugleich sehr virtuos gehandhabt: von den höchsten Höhen der Violinen bis in die tiefsten Register der Celli und Kontrabässe.
Natürlich kommen auch die übrigen Instrumente in der insgesamt äußerst eleganten Behandlung des Orchesters zum Tragen, aber sie treten wie auch der Chor und das Klavier eher unterstützend hinzu. So, wenn z. B. im partiell modernistisch anmutenden „Reflection/2nd Transformation“ das schwere Blech zusammen mit dem Schlagwerk wuchtig eingreift, um die Verwandlung in den Wolfsmenschen zu illustrieren. Dabei erhalten die grummelnden Klangfiguren der Kontrabässe noch durch Einwürfe der Kontrafagotte geradezu schaurige Verstärkung. Und zum Abschluss erklingt dann das „Wolfsthema“, das vom vollen Orchester inklusive Chor geradezu hymnisch vorgetragen wird. In den ausgedehnteren lyrischen Ruhepunkten treten auch mal die Holzbläser und das Klavier stärker hervor, etwa in „The Healing Montage“ und „The Antique Shop“. Wobei sich in „Wake Up, Lawrence“, auch die Celesta einbringen darf. (Ob und in wieweit Elfman bei der Instrumentierung eventuell durch Dritte unterstützt worden ist, kann im Moment nicht beantwortet werden. Dazu finden sich weder im Begleitheft noch auf dem Cover irgendwelche Hinweise.)
Das hier zu Hörende ist insgesamt weder simpel gestrickt, noch lässt es Abwechslung oder stimmige Atmosphäre vermissen. Daher muss sich der Elfmansche The Wolfman absolut nicht verstecken: weder vor so manch vergleichbarer Arbeit von Goldsmith noch vor dem eigenen Sleepy Hollow und ebensowenig vor dem bereits oben erwähnten Dracula. Im so packend demonstrierten kreativen Feuerwerk, das Elfman hier über mehr als eine Stunde zelebriert, wird die zu Beginn deutlich spürbare Prise des Kilar-Dracula mehr und mehr verdeckt, fällt somit nicht mehr ernsthaft ins Gewicht. In seiner vergleichbar eigenständigen wie geschickten Adaption des Herrmann-Vorbildes erweist sich vielmehr der Williamssche Dracula (1978) als der entscheidende Bezugspunkt.
Wobei für den Kilar-Bezug vermutlich ein entsprechender Temp Track und damit ein ausdrücklicher Wunsch der Produktion verantwortlich zu machen sein dürfte. Und dass sich der Komponist anschließend so konsequent davon gelöst und durch markant eigene Wege das Vorbild überwunden hat, war möglicherweise entscheidend mit dafür verantwortlich, dass seine Musik zuerst durchfiel.
Nun, wie auch immer: Wertungstechnisch dürften für den Elfmanschen The Wolfman volle fünf Sterne korrekt sein. Dies erscheint mir nicht nur im Kontext der Elfmanmusiken als stimmig, bei denen ich nach wie vor Sleepy Hollow als Topleistung empfinde. (Dieses Niveau wird mit The Wolfman freilich keineswegs unterschritten, eher wird hier noch ein Mini-Quäntchen obendrauf gepackt.) Es funktioniert aber auch in der Gegenüberstellung mit dem Dracula von John Williams, der vergleichbar vorzüglich gearbeitet, aber keineswegs einfach besser ist.
Fazit: Unglücklicherweise wird in der Hörergunst The Wolfman mit Elfmans ebenfalls sehr gelungener Alice im Wunderland konkurrieren. Gegenüber der dank ihres charmanten Hauptthemas unmittelbar ins Ohr gehenden Alice dürfte es The Wolfman bei vielen Hörern freilich merklich schwerer haben. Wer hier allerdings einem Horrorscore das Ohr leihen mag und auch die Mühe des ausgiebigeren Einhörens nicht scheut, dem dürfte sich bald das wirklich Meisterliche und zugleich Mitreißende dieser exzellent ausgearbeiteten Filmmusik offenbaren. Zusammen mit den beiden australischen Veröffentlichungen Christopher Gordons, Daybreakers (2009) und Maos Last Dancer (2009), bildet das vorstehend genannte Elfman-Duo übrigens derzeit die Topliga aktueller Filmmusikveröffentlichungen.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2010.
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