Vier Filme, vier John Barry Scores:
Die Filme
The Lion in Winter • Der Löwe im Winter (1968), inszeniert nach einem Bühnenstück von James Goldman, zeigt ein Familiendrama aus Hass, Neid und Intrige aus der Zeit Heinrichs II. von England (1133 – 1189). Ein modernes Drama mit historischen Figuren: sehr geschickt und auch spannend inszeniert glänzt der sehenswerte Film mit sehr guten schauspielerischen Leistungen (u. a. von Peter O’Toole, Kathrin Hepburn und Anthony Hopkins in seiner ersten Film-Rolle).
Mary, Queen of Scots • Maria Stuart, Königin von Schottland (1971) erzählt die Geschichte der glücklosen Königin, die den Versuch, den schottischen Königsthron für die Stuarts zu sichern, mit dem Leben bezahlte. Der trotz einiger Unstimmigkeiten und Vereinfachungen insgesamt sehenswerte Historienfilm, hebt sich neben opulent inszenierten Bildern durch darstellerische Qualitäten hervor (z. B. von Vanessa Redgrave, Glenda Jackson und Trevor Howard).
Eine sehr humorvoll-ironische Fortsetzung der bekannten Robin-Hood-Legende inszenierte Richard Lester mit Robin and Marian • Robin und Marian (1975). Zwanzig Jahre nach den berühmten Ereignissen in Sherwood Forest kehrt Robin Hood (Sean Connery) dem vom Kreuzzug heimkehrenden, heruntergekommenen Heer, das mittlerweile in Frankreich plündert, den Rücken und geht heim nach England, um seine ehemalige Geliebte Marian (Audrey Hepburn) wiederzusehen. Der Film bezieht einigen Reiz aus dem originellen Ansatz, dass seine Figuren sich – bei ungebrochener Streitlust – inzwischen im Herbst des Lebens befinden und sich bei turbulenten Aktionen natürlich entsprechend schwer tun.
The Last Valley • Das vergessene Tal (1970) ist ein im Dreißigjährigen Krieg spielendes, recht zähes Kostümepos, das zwar schöne Bilder bietet, dem trotz Aufwand allerdings ein wenig der epische Atem abgeht – dazu einer der letzten Filme, die noch auf 70-mm-Film aufgenommen worden sind.
Die Film-Musiken
Für The Lion in Winter schuf John Barry eine (sehr frei) historisierende Musik, die sich stilistisch bei Gregorianik und früher Kirchenmusik orientiert. Klanglich steht die Musik Orffs „Carmina Burana“ nahe. Ein wenig kann man sich auch an Strawinskys (allerdings anspruchsvollere) „Psalmensinfonie“ erinnert fühlen. Die Ton-Schöpfung ist damit dezent herb archaisierend und dabei zugleich (typisch barryhaft) eingängig melodisch angelegt. Chorale Passagen, angelehnt an die einstimmige Gregorianik und breite, aber auch intime orchestrale Intermezzi sowie einige Bläser-Fanfaren, bilden eine der überzeugendsten sinfonischen Arbeiten des Komponisten.
Stilistisch verwandt mit The Lion in Winter ist die Musik zu The Last Valley, deren Reize neben der schönen Melodik besonders in den archaisierend-düster gehaltenen – zeitgenössische deutsche Texte (aus „Tränen des Vaterlandes“ von Andreas Gryphius) verwendenden – Männerchören liegen. Diesen stehen kontrastierend ausgeprägt lyrische Passagen mit Frauenchören gegenüber. Als Zugabe präsentiert die Lion-in-Winter-CD noch eine gut kompilierte längere Suite (16:09) aus Mary, Queen of Scots (1971). Kaum historisierend, hingegen romantisch gefühlvoll, melancholisch und dabei ebenfalls getragen von sehr schönen Themen ist auch diese Musik.
Alle hier vertretenen Klangschöpfungen zählen zu den rein sinfonischen Arbeiten des Komponisten. Allerdings stößt John Barry hier doch auf gewisse Grenzen, eine komplexe dramatische Gestaltung des musikalischen Materials ist ihm nicht vergönnt. Die Variationen der schönen Themen sind dementsprechend durchweg recht einfach gehalten. Von den hier genannten Filmmusiken erzeugt insbesondere Robin und Marian in Gänze gehört doch gewisse Ermüdungserscheinungen, das Hauptthema zählt dafür zu den besonders schönen Melodien, die Barry komponiert hat – was ebenso für das lyrische Thema des „vergessenen Tales“ als auch für die Themen in Mary, Queen of Scots gilt. The Lion in Winter, The Last Valley und (etwas dahinter) Mary, Queen of Scots erweisen sich insgesamt innerhalb von John Barrys sinfonischem Œuvre als besonders abwechslungsreich und geschickt ausgearbeitet.
Nic Raine und die Prager Sinfoniker haben bei den jetzt vorliegenden Neueinspielungen der kompletten Musiken sehr gute Arbeit geleistet. Die Nachspielungen sind durchweg sowohl orchestral als auch in den Chor-Passagen in Intonation und Tempi dicht am jeweiligen Original gelungen, wobei allerdings das altfranzösische Lied „Vivre et Mourir“ aus Mary, Queen of Scots nur rein instrumental erklingt. Eine kürzere Suitenfassung dieses Scores findet sich übrigens auf dem Silva-Sampler „The Classic Film Music of John Barry, Volume 2“ (SSD 1055). Die Aufnahmetechnik hat ebenfalls gut gearbeitet und auch die jeweiligen Booklets sind ansprechend und recht informativ gehalten.
Manch einem dürfte im Falle von Robin and Marian die rund 8-minütige gelungene Kurzfassung auf dem Silva-Sampler „The Classic John Barry“ (FILMCD 141) durchaus genügen. (Die auf dieser CD ebenfalls enthaltenen kurzen Suiten aus Lion in Winter und The Last Valley sind, da ohne Chöre eingespielt, eher als Appetithäppchen für die jetzt komplett vorliegenden Neueinspielungen geeignet.) Viele Freunde von John Barrys Filmmusiken werden aber auch die vollständige Neueinspielung von Robin and Marian begrüßen, zumal diese bislang nur auf einer LP-Raubpressung in Mono erhältlich gewesen ist.
Mehrteilige Rezension:
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