The Film Music of Clifton Parker
Die Frage, ob sie schon Musik des Briten Clifton Parker (1905-1989) von Tonträger gehört haben, werden viele Leser verneinen. Einige dürften immerhin das als Konzertstück ausgekoppelte tonmalerische „Seascape“ aus dem Kriegsdokumentarfilm Western Approaches (1944), möglicherweise den musikalischen Schnipsel aus Night of the Demon • Der Fluch des Dämonen (1957) und eventuell auch den Marsch aus Sink the Bismarck • Die letzte Fahrt der Bismarck (1960) kennen. Besagte „Seascape“ hat bislang wohl noch am häufigsten den Weg auf Tonträger geschafft: neben einer CD-Veröffentlichung bei EMI mit Schellack-Schätzchen des British Golden Age of Film Music hat auch Stanley Black im Rahmen seiner Filmmusikeinspielungen für Decca in den 70ern diese Piece auf LP verewigt. Auf älteren Silva-Samplern sind vertreten, die rund drei Minuten aus Night of the Demon (auf „Horror“, erschienen 1996) und ebenso das Marschfinale aus Sink the Bismarck (auf „The Longest Day“, erschienen 1994).
Das derzeit jüngste Album der Reihe „Chandos Movies“ schafft jetzt erfreulicherweise die Gelegenheit, erheblich mehr vom bislang auf Tonträger völlig unterrepräsentierten Clifton Parker kennen zu lernen. Dem Interessierten steht nun ein mit knapp 80 Minuten Spielzeit (davon immerhin rund 68 Minuten CD-Ersteinspielungen!) großzügig und auch sehr zufriedenstellend bestücktes Album zur Verfügung.
Die IMDb (Internet Movie Database) listet von Clifton Parker (inkl. einiger TV-Vertonungen) immerhin 86 Filmcredits. Hierbei ist bemerkenswert, dass diese sämtlich zwischen 1942 und 1966 entstanden. Parker und zwei weitere seiner Komponisten-Kollegen (Franz Reizenstein und William Alwyn) warfen nämlich im Jahr 1966 das Handtuch: Aus Protest gegen überzogene Tantiemenforderungen bei Filmkompositionen von Seiten der britischen Musikverlage traten die Herren aus dem Berufsverband britischer Komponisten aus und waren fortan nicht mehr zu einer Filmvertonung zu gewinnen.
Clifton Parker trug übrigens noch zwei weitere Vornamen: Edward und John. Als dritter Sohn eines Londoner Bankzweigstellenleiters wuchs er in gesicherten Verhältnissen auf. Der musikalisch begabte Junge erwarb seine Kenntnisse zuerst weitgehend als Autodidakt und schrieb als 16-jähriger eine Sonate für Violine und Klavier, die sogar verlegt wurde. Anfänglich plante er als Edward John, Unterhaltungsmusik und, als Clifton Parker, „seriöse“ Musik zu komponieren — letztlich ist es dabei aber allein bei Clifton Parker geblieben.
Zur Filmmusik kam er, der neben Light Music regelmäßig für das Theater komponierte, auf Umwegen. Zuerst unterstützte er während der Kriegsjahre den Songwriter Nicholas Brodszky und auch Noël Coward bei diversen Filmvertonungen. Seine Arbeit zum Propagandastreifen Yellow Canary (1943) verschaffte ihm einige Beachtung und der bereits oben erwähnte Western Approaches (1944) markierte den endgültigen Durchbruch. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass viele britische Filmkompositionen jener Zeit in umgearbeiteter Form ein geschätztes und mitunter auch recht erfolgreiches Eigenleben in den Konzertsälen führten, worauf häufiger auch (78er-Schellack-)Platteneinspielungen erfolgten — was heutzutage besonders wenig geläufig ist. Die 1944er „Seascape“ gehört zu den im Konzertsaal und auch auf 78er-Schellack-Platte besonders beachteten Stücken jener Zeit — wie auch das noch berühmtere „Warschauer Konzert“ von Richard Addinsell.
Offenbar beeindruckte die Fähigkeit Parkers zur versierten tonmalerischen Gestaltung der Meeresstimmungen in Western Approches die Produzenten besonders nachhaltig. Die „Seascape“ belegt dies in Form eines dreiteilig angelegten Konzertstücks. In jedem Fall wurden ihm anschließend häufig maritime Filmstoffe zur Vertonung angeboten, was sich auch in der Konzeption des Chandos-Albums widerspiegelt. Treasure Island • Die Schatzinsel (1949), The Blue Lagoon • Die blaue Lagune (1948), Virgin Island (1958) und Sink the Bismarck • Die letzte Fahrt der Bismarck (1960) stehen dafür ein. Die Musik zur blauen Lagune ist, wie bereits der Titel erahnen lässt, angenehm und weitgehend idyllisch. Hinzu kommt ein durch reizvolle Holzbläsersoli und Harfen-Arpeggien erzeugtes, dem Impressionismus nahestehendes Klanggewand. Die Klänge der „Caribbean Rhapsody“ aus Virgin Island zeichnen sich (ebenfalls) durch sanfte Meeresdühnung und außerdem reizvolles Karibik-Flair aus. Neben der Sologitarre setzen exotisches Schlagwerk wie Maracas, Bongos und Timbales charmante Akzente.
Die rund vier Minuten aus Sink the Bismarck dürften aus dem Main Title und den End Credits montiert sein. Parker gibt sich hier besonders unüberhörbar britisch, sein feierlicher Siegesmarsch steht ganz im Sinne der Tradition von Elgar und Walton. Sea of Sand • Die schwarzen Teufel von El Alamein (1958) ist zwar ein heute weitgehend vergessener Kriegsfilm, der allerdings ein zum Ohrwurm tendierendes Marschthema besitzt.
Die auf dem Album vertretenen Filme aus der Disney-Werkstatt, Treasure Island und The Sword and the Rose • Eine Prinzessin verliebt sich (1952), waren lange Zeit immer wieder einmal im TV zu Gast. Mittlerweile scheinen sie allerdings für die Programmplaner (leider) etwas aus der Mode gekommen zu sein. Mit Disney-Film assoziieren die allermeisten in erster Linie kurze Cartoons um Micky Maus und seine Freunde und eine Vielzahl abendfüllender Zeichentrickfilme, wie Bambi (1942), Pinocchio (1940) und Fantasia 2000. Etwas weniger geläufig ist, dass Walt Disney daneben eindrucksvolle Naturfilme produzierte und auch im Segment Realfilm aktiv war. Natürlich sind die vom Disney-Studio verfilmten Abenteuerstoffe (Disney-)typisch in erster Linie als kindgerechte Unterhaltung für die ganze Familie angelegt. Keinesfalls sollte man deswegen die in ihrer Zeit zudem sehr erfolgreichen Streifen heutzutage leichtfertig zum eher banalen Kitsch für verregnete Sonntage oder Feriennachmittage abqualifizieren. Trotz relativ bescheidener Budgets sind viele davon nämlich sehr liebevoll gemacht; sie besitzen sowohl Atmosphäre als auch in den Geschichten Pfiff und Charme. Die allermeisten der Streifen sind in üppigem Technicolor aufgenommen; Kostüme und Interieurs sind sorgfältig auf das Glanzvolle in der Epoche der jeweiligen Filmhandlung abgestimmt. Übrigens, damals gingen die Generationen innerhalb der Familie eben oftmals noch gemeinsam ins Kino, das war, im Gegensatz zu heute, normal. Gespart wurde an aufwändigen Bauten. Entsprechend sind die Hintergründe besonders in der Tiefe nicht echt, sondern als schöne Glasmalereien (Matte Paintings) gestaltet. Walt Disney soll bei Diskussionen um Sets häufiger (sinngemäß) gesagt haben: „Das brauchen wir nicht zu bauen, das malt uns Peter (Ellenshaw)“. Ein Highlight der Disney-Spielfilme ist übrigens 20 000 Meilen unter dem Meer (1954): bereits in CinemaScope, mit stereophonem Sound und (neben anderem) auch mit einem tollen Matte Painting des Hafens von San Francisco und natürlich ebenso von Kapitän Nemos Insel.
Treasure Island • Die Schatzinsel (1949) ist eine nett und unterhaltsam geratene Adaption des berühmten Romans von Robert Louis Stevenson. Mit seinen nur etwa 96 Minuten Lauflänge hat der Film allerdings Probleme, den recht epischen Ausmaßen der Vorlage gerecht zu werden, ist denn doch etwas sehr komprimiert und wirkt damit zwangsläufig etwas sprunghaft. Musikalisch präsentiert Parker auch hier mancherlei was Meeresbrandung und frische Seebrise suggeriert, aber ebenso Spannungs- und turbulente Actionmusik. The Sword and the Rose • Eine Prinzessin verliebt sich (1953) ist eine besonders farbenprächtig umgesetzte, reizende Abenteuer- und Liebesgeschichte, angesiedelt im England der Tudor-Zeit — besagte Prinzessin ist eine Schwester Heinrich VIII. Die knapp achtminütige Suite aus Parkers Filmmusik wartet mit höfischen Klängen auf: eine eröffnende Orchesterfanfare und eine Reihe apart historisierend auskomponierter Tänze, bei denen Vergleichbares von Georges Delerue in Erinnerung kommt.
Jacques Tourneurs subtil-raffinierter Horrorklassiker Night of the Demon besitzt auch als Film wahrlich dämonische Atmosphäre. Diese vermag auch der (vom Regisseur übrigens nicht gewollte) leibhaftige finale Auftritt des Monsters nicht wirklich zu vermasseln. Dafür tritt besagtes Monster, mit seinem, wie das Begleitheft zu Recht spottet, Muppet-haften Aussehen allerdings auch nur (zu) kurz in Erscheinung. Im Übrigen bleibt der Regisseur von The Cat People (1943) und I Walked with a Zombie (1943) auch hier seinem subtilen, die Fantasie des Zuschauers behutsam in die gewünschten Bahnen lenkenden Inszenierungsstil treu. Sensible Spannung und eher sanftes Schaudern der besonderen Art werden durch geschickten, auf Atmosphäre setzenden Inszenierungsstil erreicht, ohne dass überzogene Action und/oder Blutorgien benötigt werden. Die vertretenen rund drei Minuten aus Parkers Musik könnte man als eine Art kleine, wirkungsvolle Ouvertüre ansehen; eine, die sowohl die exotisch-geheimnisvolle Grundstimmung als auch das akut Lebensbedrohliche für einen der Protagonisten im spannenden Finale gelungen vorwegnimmt.
Den Abschluss des Albums bildet ein Ausflug in Parkers Vertonungen zu Dokumentarfilmen: die rund viertelstündige Kompilation aus dem Eisenbahnfilm Blue Pullman (1960). Interessanterweise gibt es bei diesem die Jungfernfahrt dieses Schnellzuges von Manchester nach London begleitenden Film keinen gesprochenen Kommentar. Neben eher dezent eingesetzten Geräuschen hat hier ausschließlich die Musik das „Wort“. Das Stück ist eine freie Konzertfantasie für Klavier und Orchester, ist sowohl tonmalerisch illustrierend als auch subtil Stimmungen reflektierend. Die auch musikalisch majestätisch umgesetzte Fahrt des Schienenexpress ist kompositorisch das wohl am dichtesten gestaltete Werk des gesamten Programms und damit das Highlight (desselben).
Rumon Gamba hat dieses Mal mit dem in London ansässigen BBC Concert Orchestra aufgenommen. Spiel- und auch aufnahmetechnisch ist dabei alles auf hohem Niveau. Ob man sich vielleicht insgesamt etwas weniger Hall und an einigen Stellen noch eine Spur energischeres (etwas weniger kühl anmutendes) Dirigat wünschen mag, ist dabei in erster Linie eine Sache des individuellen Geschmacks. Unterm Strich bleibt ein wohlinterpretiertes, geschickt und sehr überzeugend zusammengestelltes Album, das mit jedem Hördurchgang reizvoller erscheint. Parker erweist sich als überaus tüchtiger Handwerker und talentierter Melodiker. Im Schnitt ist seine Musik sinfonisch überzeugender gearbeitet als die Ron Goodwins, dürfte etwa auf vergleichbarem Level mit der Addinsells liegen. Möge die vorliegende CD den Komponisten stärker ins Bewusstsein der filmmusikalisch Interessierten rücken.
Kompilations-Alben sind zwangsläufig schwieriger stimmig zu bewerten als einzelne Scores. Rein kompositorisch gesehen beginnen die Musiken des Parker-Albums bei dreieinhalb, rangieren überwiegend bei vier bis viereinhalb Sternen. Der hohe Repertoirewert und auch das dieses Mal vom Einführungstext besonders sorgfältige informative Begleitheft rechtfertigen im Sinne einer „Albumwertung“ in jedem Fall glatte fünf Sterne. Ein kleines Wehrmutströpfchen bleibt der (allerdings wie gewohnt) etwas sehr nüchterne Look des wiederum leider ausschließlich mit — dazu nur wenigen — schwarzweißen Filmfotos bestückten Begleitheftes. An dieser Stelle bleibt nur von der — die Disney-Filme sind in Technicolor — zweifellos (farben-)prächtigen Bebilderung einer vergleichbaren FSM-Edition wehmütig zu träumen.
Hier gibt es eine Übersicht der bisher besprochenen Chandos-Movies-CDs.
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