Susi und Strolch
Disneys bekannte und liebenswerte Hundekomödie ist mit drolligen Tiercharakteren bevölkert, in denen sich natürlich menschliche Vorbilder charmant widerspiegeln. Die gestalterische Mitarbeit des Malers Eyvind Earl, der späterhin den Look von Sleeping Beauty • Dornröschen (1959) entscheidend prägte, hat an der Schönheit von Susi und Strolch entscheidenden Anteil. Dies und mehr Wissenswertes zur bislang wenig geläufigen Entstehungsgeschichte des Films erfährt der Interessierte in der im reichhaltigen Bonusmaterial unter der Rubrik „Backstage Disney“ enthaltenen rund 50-minütigen Doku „Susis Stammbaum — Das Making Of von Susi und Strolch“. Diese Dokumentation bildet übrigens den vorzüglichen Ausgangspunkt zum Erforschen der weiteren ebenso wertvollen Bonusmaterialien. Lustig, und heutzutage allein amüsiertes Schmunzeln hervorrufend, sind die Bedenken der Macher, die damals Einspruch der prüden US-Zensurbehörde allein wegen des Titels, The Lady and the Tramp, befürchteten — immerhin wird Strolch, der männliche Protagonist der nicht folgenlos bleibenden Romanze auf zweimal vier Pfoten als Landstreicher (Vagabund) präsentiert.
Aufschlussreich sind die Informationen zur wenig bekannten Entstehungsgeschichte, deren Wurzeln in den späten 30er Jahren liegen und auf eine Idee des Karikaturisten Joe Grant zurückgehen — der in den Filmcredits übrigens nicht genannt wird. Grant war seinerzeit Mitglied der Disney-Mannschaft und hatte bereits die Hexe für Schnewittchen und die sieben Zwerge entworfen. Besonders faszinierte ihn das hauseigene Cartoon um Die drei kleinen Schweinchen. Und so entstand und reifte in einer Reihe gezeichneter Entwürfe eine kleine Geschichte um eine Spanielhündin, die sich nach der Geburt eines Babys vernachlässigt fühlt. Ursprünglich war die Story ausschließlich auf das Heim der Familie beschränkt, kreiste um Susi, zwei ihrer Hundeverehrer sowie ihre diversen Probleme mit den beiden arglistigen Katzen der das Baby betreuenden Großmutter — bei denen schließlich Lucifer aus Cinderella sicher ein wenig Pate gestanden hat. Die Sache wurde dann aber erst einmal auf Eis gelegt, da dem Ganzen noch der entscheidende Pfiff, unter anderem in Form des noch fehlenden Strolchs, fehlte. Joe Grant, letztlich der Vater von Susi und Strolch, schied Ende der 40er Jahre nach einem Streit aus dem Disney-Team aus. Als rüstiger Mitachtziger kehrte er zurück und lieferte noch Ideen für unter anderem Der König der Löwen.
Ebenso wird erklärt, was es mit der bei reiferen Zuschauern häufiger anzutreffenden Erinnerung auf sich hat, man habe die Abenteuer des Hundeduos in zwei bildlich partiell deutlich unterschiedlich gestalteten Fassungen gesehen. Was auf den ersten Blick etwas verwirrend erscheint, wird anschaulich erläutert: Susi und Strolch war der erste Disney-Zeichentrickfilm in CinemaScope (Seitenverhältnis 1 : 2,55). Für die damals noch in der Überzahl befindlichen Abspielstätten mit Bildwand im Normalformat (Bildseitenverhältnis 1 : 1,37) wurde allerdings eine spezielle eigene Version (!) produziert — also nicht einfach durch seitliches abdecken das Scopebildes gefertigt. Letztere Normalformat-Fassung ist abseits der Kinos auch die bis dato geläufige geblieben und liegt sowohl den im TV gezeigten Ausschnitten als auch der ersten europäischen DVD-Veröffentlichung des Films im Jahr 2001 zugrunde. Auf Disc 1 ist der Film erfreulicherweise erstmalig in der Scope-Version und im korrekten Format zu sehen. Qualitativ ist die Präsentation äußerst zufriedenstellend: Der Stereoton ist solide, aber wie zu erwarten weniger surroundaktiv als man heutzutage gewohnt ist. Die dezenten altersbedingten Schwächen beim Ton werden aber durch das brillante, sehr detailfreudige und makellose Bild überspielt, das neben sehr gutem Kontrast auch mit üppigen ebenfalls sehr natürlich erscheinenden Farben aufwartet. Besser dürfte Susi und Strolch auch im Jahr der Uraufführung in frisch gezogener Kopie kaum ausgesehen haben.
Für Susi und Strolch gilt ähnliches wie für Cinderella. Auch hier bekommt der Zuschauer einen durchdachten, originellen und sehr unterhaltsamen Plot, der beträchtlichen Charme besitzt, und in der technischen Ausführung wird zweifellos vorzüglich solides Animationshandwerk geboten. Aber selbst das eingesetzte CinemaScope kann man hier nur bedingt als aufwertendes Novum in die Waagschale legen. Gravierender wiegen m. E. Einschränkungen dadurch, dass hier leider nicht die Multiplantechnik (siehe auch Fantasia 2000) zum Einsatz kam. Im Bonusmaterial der 2005er DVD-Edition zu Bambi findet sich ein Beitrag aus einer TV-Sendung der Reihe „Disneyland“ aus dem Jahr 1957, in der Walt Disney die Vorzüge dieser verblüffende (quasi-)Räumlichkeit der Bilder ermöglichenden Technik sehr anschaulich erläutert. Das dort zu sehende Beispiel mit dem nächtlichen Motiv im Mondlicht belegt eindrucksvoll die faszinierenden Möglichkeiten, indem der Mond beim Heran-Zoomen, wie in der Natur, unverändert in der Ferne bleibt und eben nicht (!) größer wird, wie in Susi und Strolch.
Oliver Wallace komponierte die stimmige orchestrale musikalische Untermalung; Edward H. Plumb und Sidney Fine fungierten als Orchestratoren. Auch dieses Mal sind wieder eine Reihe vortrefflicher Songs eingebunden, wie das gefühlvolle Liebeslied „Bella Notte“ sowie das nostalgische zum Fest der Liebe erklingende „Peace on Earth“, und nicht zuletzt das einschmeichelnde Wiegenlied „La La Lu“. Die Höhepunkte der sämtlich von der Schauspielerin und Sängerin Peggy Lee und dem Komponisten Sonny Burke erarbeiteten fünf Lieder sind aber das frech-verführerische „He’s a Tramp“ und das exotische „We Are Siamese“. In „He’s a Tramp“ imitiert Lee die Stimme von Peg, einer Pekinesendame, und in „We Are Siamese“ verkörpert sie sogar beide Charaktere des arrogant-bösartigen siamesischen Katzenduos, Si und Am. Die Song-Arrangements besorgte John Rarig. Dem drolligen „We Are Siamese“ ist sogar ein spezielles Segment gewidmet, in dem nicht verwendete Experimente mit den Stimmen für Si und Am: in „Das siamesische Katzenlied“ (auf Disc 2 im Segment „Musik & mehr“).
Der Interessierte bekommt im Bonusmaterial auf Disc 2 — in der Sektion „Backstage Disney“ — unter anderem sehr liebevoll aufbereitete Auszüge aus Walt Disneys wöchentlicher TV-Show „Disneyland“ zu sehen. Diese flimmerte als geschickt gemachte, also keineswegs substanzlose Eigenwerbung seit 1954 über die US-Bildschirme und ist späterhin in Teilen auch hierzulande im Fernsehen gezeigt worden. Ab 1961 erstrahlten die Shows im US-NTSC-TV unter dem neuen Namen „Walt Disney’s Wonderful World of Color“ auch in Farbe. Dabei konnten auch manche der älteren, bereits vorausschauend auf Farbfilm produzierten Beiträge wieder verwendet werden. „Cavalcade of Songs“ wurde erstmalig im Februar 1955 gezeigt. Es beleuchtet über rund 22 Minuten eingehend die Hintergründe für die Lieder in Susi und Strolch, dessen Premiere damals für Juni anstand. Peggy Lee und Sonny Burke kommen ausführlich zu Wort und veranschaulichen unter anderem, wie Lee die Stimmen beider Tiercharaktere bei „We Are Siamese“ simultan, mit Hilfe der damals noch neuartigen Overdubbing-Technik aufgenommen hat. Aber auch das von einem im Zwinger des Hundefängers gefangenen Hundequartett zur Tarnung eines Ausbruchsversuchs drollig heulend interpretierte „Home sweet Home“ wird präsentiert. Oliver Wallace dirigiert dabei höchstpersönlich die mit lustigen Grimassen agierenden „The Mellow Men“. Und „The Story of Dogs“, erstmalig am 1. Dezember 1954 ausgestrahlt, gestattet über rund 18 Minuten Blicke hinter die Kulissen der Produktion. Die dazu im Bonusmaterial wählbare „Einführung“ zeigt, wie dieses Segment aus unterschiedlichen Fundstücken im Disney-Archiv jetzt erstmalig vollständig in Farbe rekonstruiert werden konnte.
Im rund 13-minütigen „Auf der Suche nach Susi: Das Storyboard“ wird man nicht nur zu einem informativen Besuch ins Zeichentrickstudio geführt. Der weniger Beschlagene wird hier geradezu vorbildlich, auf sehr anschauliche und unterhaltsame Art und Weise in die auch bei der Herstellung von Spielfilmen traditionell wie auch heute noch so bedeutende Storyboard-Technik eingeführt. Und wer bei Susi und Strolch zu den Wurzeln vorstoßen möchte, kann dies im Segment „Original-Storyboards von 1943“ tun.
Des Weiteren gibt es ausführliche Bilder-Galerien zur visuellen Entwicklung der Geschichte (Storyboards), zur Entwicklung der einzelnen Figuren, zu Layouts und Hintergründen sowie Produktionsfotos. Und im Segment Trailer finden sich deren drei: von der 1955er Premiere sowie den Wiederaufführungen 1972 und 1986.
Fazit: Alles in allem erhält der Käufer und Sammler der klassischen Disney-Cartoon-Produktionen mit der jetzt vorliegenden 2-Disc-Special-Edition von Susi und Strolch eine Ausgabe, die man getrost als definitiv bezeichnen kann. Eine, die neben einem perfekt aussehenden Transfer des Films in der auf Video bislang raren Cinemascope-Version mit liebevoll zusammengestellten aufschlussreichen, wertvollen Bonusmaterialien aufwartet. Aber auch der (noch) verspielte Nachwuchs dürfte auf seine Kosten kommen: Finden sich doch auf beiden Datenträgern diverse unterhaltsame Spiele, die den auf temporeiche Action abbonierten heutigen Kids auch diesen, mit sehr liebenswerten Helden auf vier Pfoten bevölkerten Vertreter aus der Disney-Küche näher bringen mögen. Und wer davon noch nicht genug hat, der sollte besser gleich beim ebenfalls erhältlichen 3-DVD-Set, der 1955er Film zusammen mit Susi und Strolch 2, zugreifen.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2006.
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