Friedrich Wilhelm Murnau war einer der berühmtesten Regisseure des deutschen Stummfilmkinos. Besonders einige seiner in den 1920ern produzierten Filme wurden bahnbrechend für die Entwicklung von Kino zur Kunstform. Dafür stehen besonders Nosferatu (1921/22) und Der letzte Mann (1924). Wobei der Reiz des Letzteren besonders auf einer entscheidenden Innovation beruht: der entfesselten Kamera. Der letzte Mann bildete auch den Grundstein für seine wenn auch nur kurze US-Karriere — Murnau kam bereits 1931 bei einem Autounfall ums Leben.
1926 schloss Murnau mit dem Produzenten William Fox (20th Century Fox) einen Vierjahresvertrag ab. Er erhielt für sein erstes US-Filmprojekt, Sunrise — A Song of Two Humans • Sonnenaufgang, in geradezu legendärem Ausmaß finanzielle und künstlerische Gestaltungsfreiheit. Das Drehbuch dazu entstand noch in Deutschland, verfasst vom versierten (Haus-)Drehbuchautor Carl Mayer, der die Filmstory nach Hermann Sudermanns Erzählung „Die Reise nach Tilsit“ gestaltete. An der Ausführung des Films war noch ein weiterer bewährter Mitstreiter, der Architekt Rochus Gliese, beteiligt. Sieht man Sunrise heute, dann vermag die eher simple Handlung des Liebesdramas kaum zu überzeugen: Murnau inszenierte hier ein zu artifiziell und klischeehaft wirkendes allegorisches (Moral-)Märchen um Sünde, Schuld und Sühne.
Bei der im vergangenen Jahr auch hierzulande als Special Edition erschienenen DVD wird der versierte Audio-Kommentar von John Bailey geradezu zum Geheimtipp, dass in der filmischen Gestaltung liegende Ungewöhnliche und die entscheidenden Neuerungen in der Inszenierung nicht zu übersehen, sondern vielmehr aufzuspüren und eingehender zu studieren. Das gilt besonders, da die Qualität des von der einzigen noch existierenden Kopie des Museum of Modern Art (MoMa) angefertigten Transfers zwar passabel, aber im Vergleich zur Brillanz bei Der letzte Mann oder dem guten bis sehr guten Eindruck bei Nosferatu erheblich abfällt. Selbst in den besten Momenten erreicht das Gezeigte gerade mal knapp das Mittelfeld. Dabei steckt hinter dem etwas bescheidenen Endergebnis durchaus beachtlicher Aufwand. Die vorliegende Restaurations- und Konservierungsarbeit ist das Resultat der Zusammenarbeit vom Academy Film Archive mit dem British Film Institute und 20th Century Fox. Das Originalnegativ fiel bereits 1937 einem Nitrat-Brand zum Opfer. Hier hat schlichtweg der recht bescheidene Zustand der noch erhaltenen Filmmaterialien das Ergebnis begrenzt.
Baileys Ausführungen helfen aber nicht allein dabei, das im häufiger leicht schäbigen Bild unmittelbar meist weniger Auffällige zu erkennen: wie die bemerkenswerten Beleuchtungseffekte, Überblendungen, Modelltricks, variable Schärfentiefe und die hier geradezu faszinierend „entfesselte Kamera“. Er macht zugleich deutlich, welch nachhaltige Impulse die visuellen Errungenschaften gerade des deutschen Stummfilm-Expressionismus dem Hollywood-Kino gegeben haben. Die Kritik reagierte seinerzeit sehr positiv, und auch bei der ersten Oscar-Verleihung der Filmgeschichte im Jahr 1929 wurde der Film reichlich bedacht. Neben einer Nominierung für die Ausstattung gab es Awards für die beste Kamera (Charles Rosher, Karl Struss), für die Hauptdarstellerin (Janet Gaynor) sowie in der Kategorie „Bester Film“. Trotzdem war Sunrise an der Kinokasse ein Total-Flop.
Zum Film ist entweder die Vitaphone-Tonfassung mit der Musik von Hugo Riesenfeld (in überraschend guter Qualität) oder die von David Newman für das Sundance Film Festival 1989 neu komponierte Untermalung wählbar. Riesenfelds Untermalung ist zumindest in Teilen noch der Kinotheken-Potpourri-Tradition verpflichtet. David Newmans Komposition wirkt nicht zuletzt in einigen zur Collage tendierenden Teilen zeitgemäßer. Neben einem recht schlank gehaltenen Ensemble ist auch ein kleiner Chor mit von der Partie.
Ein kleines Making-Of (rund 12 Minuten) und einige geschnittene Szenen von Sunrise ergänzen sich zu einem soliden Gesamteindruck. Darüber hinaus sind im ROM-Part der DVD noch Materialien als PDF-Dateien untergebracht: zu Sunrise (das Drehbuch: einmal versehen mit handschriftlichen Anmerkungen Murnaus und einmal ohne diese) sowie Materialien zum verlorenen Film Four Devils. Im Begleitheft finden sich außerdem noch einige Anmerkungen zur 2003 erfolgten Restauration.
Alles in allem bekommt der Interessierte eine sehr zufrieden stellende DVD-Edition zu einem für Freunde des Stummfilms unverzichtbaren Film. Daran ändert auch der unübersehbare Mangel an optischer Brillanz nichts. Dieser geht hier wohl nicht auf das Konto liebloser Aufbereitung, sondern ist (s. o.) eher durch die Materialsituation begründet.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2007.
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