Zum 100. Geburtstag von Hollywood-Legende Miklós Rózsa wollen auch die Italiener nicht hintan stehen: so hat Digit-Movies seine C.A.M.-Connections spielen lassen und das dort archivierte Band-Material der Originaleinspielung zum in Italien produzierten Sodom und Gomorrha (1962) als Doppel-CD-Album herausgebracht.
Über das von Robert Aldrich (Sergio Leone war für die Actionszenen zuständiger Second-Unit-Director) inszenierte Sandalen-Epos lässt sich auch beim besten Willen kaum etwas Positives anmerken. Der als multinationale Koproduktion (USA, Frankreich, Italien und Marokko) von Goffredo Lombardo, dem Geschäftsführer der Titanus-Gesellschaft, produzierte Film ist nicht mehr als ein absolut schwacher Nachzieher der seinerzeit bereits im Abschwung begriffenen Monumentalfilm-Welle. Der Untergang der beiden berühmtesten Städte des Alten Testaments ist in eine grottige Story verpackt, gewürzt mit etwas frivolem Sex und Sadismus sowie versehen mit schon damals nicht gerade bewegenden (eher billigen) Spezialeffekten im apokalyptischen Finale. Auch die Academy war mal konsequent, strafte Sodom und Gomorrha mit völliger Nichtbeachtung. Stewart Granger (geborener James Lablanche Stewart) in der Rolle des Lot spielte sich wenige Jahre später dem deutschen Karl-May-Kinopublikum als Old Surehand ins Gedächtnis.
Miklós Rózsa vermerkt zum Film in seiner Autobiografie: „Sodom and Gomorrah was a super-production costing seven million dollars, with the biblical story decked out with all sorts of absurd and gaudy extras. The director had left already, so we never met. The film was like a parody of the genre: a wretched script, bad acting, some passable battle scenes, some interesting photography; but I was stuck with it, and with close to two hours of music. However, the producer was a friend, the studio was paying me well, and I hoped I might be able to help a bit; but the cards were stacked.“
Nun, Miklós Rózsa, der kurz zuvor noch eine superbe Musik zum Samuel-Bronston-Spektakel El Cid fertiggestellt hatte, hat sich auch bei Sodom und Gomorrha weder blamiert noch einen nur als „routinemäßig erledigt“ zu bezeichnenden Job getan. Im Gegenteil! Er hat erfolgreich versucht, dem schwachen Film durch seine Musik das Bestmögliche mit auf den Weg zu geben. „Now, twenty years later, I can see that El Cid was my last major film score, and my last important film with the exception of Providence. Though I did my best with every film which came later, few had real stature. So I must regard 1961 as the climax and watershed of my film career.“ Rózsa schöpfte wiederum reichhaltig aus seinen Studien alter jüdischer Musik. Zwar ist dieser Score sowohl thematisch als auch in der Gestaltung des musikalischen Materials nicht derart reichhaltig wie die ganz großen Rózsa-Kompositionen, aber auch hier hat den Komponisten die Inspiration keineswegs verlassen. Besonders reizvoll ist das dominierende, in x-fachen Varianten aufscheinende Liebesthema. Im Vergleich zu den anderen Historien-Vertonungen Rózsas ist diese Musik betont archaisch gehalten. Das betrifft auch verschiedene A-Capella-Chorsätze, z. B. „Il Deserto – Die Wüste“. Entsprechend des in geschichtlich besonders weit zurückliegender Zeit angesiedelten alttestamentarischen Stoffes fehlt der Musik damit weitgehend der dem Hörer ansonsten so vertraute (und wohl auch erwartete) kräftige Schuss imperialen Glanzes, der spontan für sich einnimmt. Entsprechend bleiben hier vergleichbar prachtvolle Märsche und ähnlich glanzvolle Fanfaren kaum in Erinnerung, wie sie üblicherweise aus Rózsa-Filmmusiken zu historischen Sujets — wie Quo Vadis, Ben Hur, Ivanhoe, Diane oder auch El Cid — geläufig sind.
Zum Film erschien seinerzeit eine Musikauswahl von rund 42 Minuten auf einer RCA-Victor-LP. Eine 1978er Citadel-LP wartete – neben The Power (1968) – erstmalig mit rund 14 Minuten bislang unveröffentlichter Musik auf. Im Jahr 1985 folgte auf dem italienischen Label „Legend“ ein Doppel-LP-Album, das bis auf die sechs Bonustracks mit der Digit-Movies-Edition praktisch identisch ist. (Der Schnitt der alten RCA-LP ist bereits vor einigen Jahren als CD wiederveröffentlicht worden und immer noch erhältlich. Zudem erschien vor rund zwei Jahren noch eine Cambria-CD mit rund 65 Minuten Musik — allerdings komplett in Mono —, deren Material offenbar aus Rózsas Privatarchiv stammt.)
Freunde italienischer Filmmusik können ein Lied davon singen, wie bescheiden im Vergleich zum aus den USA Gewohnten in der Regel die italienische Archivsituation bei Audiomastern ist. Mono-Aufnahmen klingen fast generell altertümlich und topfig. Selbst bis etwa Mitte der 1960er datierte Stereo-Einspielungen kommen gegenüber dem in den anderen europäischen Ländern erreichten technischen Standard in der Regel eindeutig nicht über einen hinteren Platz hinaus. Das gilt auch für die vorstehend genannten Alben zu Sodom und Gomorrha. Ist bereits das RCA-Album klanglich nicht gerade rekordverdächtig, lässt die fast 25 Jahre später veröffentlichte Legend-Doppel-LP in vielem ebenfalls sehr zu wünschen übrig. Nicht nur, dass der generell eher mäßige akustische Eindruck einiger bereits auf dem RCA-LP-Album vertretenen Stücke durch merkliche Verzerrungen und Tonhöhenschwankungen nochmals unterboten wird, auch der recht verhangene Klang des neuen Musikmaterials vermag keine Begeisterung hervorzurufen.
Dagegen ist die aktuelle Doppel-CD-Ausgabe von Digit Movies ganz erheblich überzeugender geraten. Gegenüber den offenbar unter technisch nicht optimalen Bedingungen ausgeführten früheren Überspielungen sind hier unüberhörbare klangliche Verbesserungen erreicht worden. Allerdings schwankt die Tonqualität auch hier merklich. Rauschen ist dabei weniger das Problem. Insbesondere das Stereo-Panorama variiert von Track zu Track deutlich. Manches ist dabei sehr klar und frisch, andere Stücke klingen hingegen spürbar enger und verhangener. Hinzu kommt, dass Teile der ursprünglich komplett stereofonen Aufnahmen die Zeitläufe offenbar nur noch in Duplikat-Mono-Abmischung überlebt haben, z.B. der Main Title oder die Pausenmusik (Intermezzo). Alles in allem reicht die Qualität des klanglich Gebotenen etwa von gut bis hin zu befriedigend. Das ist insgesamt schon sehr respektabel und rechtfertigt die Feststellung, dass die Musik zu Sodom und Gomorrha nie besser geklungen hat. Bis auf die eindeutig kürzere Schlachtsequenz dürfte die Musik zudem praktisch vollständig sein.
Ein wenig zu Lasten des insgesamt positiven Eindrucks geht, dass in „La Diga – Der Damm“ der auf der ursprünglichen RCA-LP (und natürlich auch im Film) zu hörende Chor fehlt. Dafür klingen die orchestralen Teile gegenüber sämtlichen früheren Veröffentlichungen interessanterweise sogar deutlich frischer. Zusätzlich zum bislang schon veröffentlichten Musikmaterial wartet die Digit-Movies-Edition mit einem rund 15-minütigem Anhang aus unveröffentlichten unspektakulären Archiv-Tracks auf. Von den sechs Stücken sind fünf rituelle archaische Chorsätze a capella. Die Nummer sechs bildet ein kleiner Tanz, gesetzt für Flöte und Harfe. Insgesamt handelt es sich bei diesen zudem völlig undokumentierten Bonus-Stücken um eine zwar gut gemeinte, aber letztlich wohl eher entbehrliche Zugabe, eine, die kaum die Chance erhalten dürfte, häufiger gehört zu werden. Ob die hier versammelten Tracks überhaupt etwas mit Rózsa zu tun haben, erscheint außerdem zweifelhaft.
In der heutzutage etwas klobig erscheinenden Doppel-CD-Box alten Stils befindet sich ein Begleitheft mit auf den beiden ersten Seiten einem Text (in Englisch) zu Miklós Rózsa, verfasst vom Album-Produzenten Claudio Fuiano. Im optisch eher augenunfreundlich präsentierten Artikel liefert Fuiano eine entbehrliche Rózsa-Filmografie sowie einige recht marktschreierisch abgefasste Infos zum Film und den bisherigen Veröffentlichungen der Filmmusik. Darüber hinaus gibt es über immerhin 16 Seiten eine Collage aus Filmbildern und Plakatmotiven. Das ist zwar optisch recht nett, aber in Sachen Information ist das Begleitheft schlichtweg enttäuschend. Insofern kann sich das Gebotene natürlich weder mit vergleichbaren US-CD-Alben von Intrada, SAE und BYU noch mit denen von Film Score Monthly messen.
Mehr als das jetzt käuflich zu Erwerbende ist allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei den Originalaufnahmen zu Sodom and Gomorrah nicht zu erwarten. Insofern verdient die Digit-Movies-Edition zum 45-jährigen Bestehen des Films als das wohl „letzte Wort“ zur Originaleinspielung von Rózsas letzter Sandalen-Epen-Musik, trotz ihrer klaren Grenzen, eine vorbehaltlose Empfehlung.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2007.
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