Das natürlich noch schwarzweiße Fernsehen war in der Bundesrepublik der 1950er noch etwas ganz Besonderes. Am ersten Weihnachtsfeiertag 1952 war man an den Start gegangen und versorgte rund 300 Empfangsgeräte im Land mit zu Beginn gerade einmal mit täglich zwei Stunden Programm. Doch diese heutzutage eher Mitleid erregenden Zahlen änderten sich rasch. Im Wirtschaftswunderland wurde die 100.000er Marke bereits 1955 überschritten, und nur zwei Jahre später, 1957, waren bereits eine Million Geräte auf Empfang gegangen. Und dieser exponenzielle Wachstumsverlauf des mehr oder weniger liebevoll als „Flimmerkiste“ oder „Pantoffelkino“ bespöttelten neuen Mediums setzte sich fort. Ende 1959 erreichte man etwa 2 Millionen Zuschauer und 1960 standen bereits vier Millionen Geräte in den bundesdeutschen Haushalten. Das waren noch Zeiten, als es nicht nur um Adenauer, Petticoat, Pin-up-Girl, Nierentisch und Wiederbewaffnung ging, sondern sich vor Schaufenstern bereits Menschenansammlungen bildeten, wenn dahinter nur ein uns heutzutage winzig erscheinendes Schwarzweiß-Fernsehgerät lief.
Es war aber auch die Ära der ersten Meilensteine der TV-Geschichte, der so genannten „Straßenfeger“. So bezeichnete man für ihre Zeit mit bereits beachtlichem Aufwand produzierte Mehrteiler (heutzutage als Mini-Serien bezeichnet), die bei der Ausstrahlung die Straßenzüge im wahrsten Wortsinn leer fegten. Und wer keinen Fernseher besaß, ging zu Freunden und Bekannten oder erlebte diese TV-Ereignisse in der Kneipe nebenan. Mit dem natürlich auch nostalgisch besetzten Begriff Straßenfeger werden gerade die TV-Krimis der Francis-Durbridge-Reihe und dabei an erster Stelle wohl die im Januar 1962 gezeigte Produktion Das Halstuch verbunden.
Der erste derartige Mehrteiler wurde allerdings 1959 vom NWDR produziert. Regisseur Fritz Umgelter (1922-1981), einer der Pioniere des Fernsehspiels, verfilmte die wahre Geschichte eines Wehrmachtsoffiziers, der aus russischer Kriegsgefangenschaft nach einer mehrjährigen Odyssee schließlich dem sowjetischen Einflussbereich über die persische Grenze entfliehen kann. Der in erster Linie Rundfunk-Hörspiele verfassende Josef Martin Bauer hatte die Fluchtgeschichte 1955 zu einem überaus erfolgreichen „Tatsachenroman“ gestaltet. Dabei wurde die wahre Identität des Betroffenen geheim gehalten, wurde literarisch in den fiktiven Charakter des Clemens Forell überführt. Das Buch „So weit die Füße tragen“ wurde letztlich zum Welterfolg. Es ist mittlerweile in 15 Sprachen übersetzt worden.
Der Bucherfolg wurde zur Vorlage für die gleichnamige Hörspielproduktion im Jahr 1956, die in der jungen Bundesrepublik verständlicherweise auf große Publikumsresonanz stieß. War doch die Erinnerung an den zweiten Weltkrieg noch sehr frisch. Die gewaltigen Zerstörungen konnten trotz Wirtschaftswunder und Wiederaufbau erst bis zum Ende des folgenden Jahrzehnts vollständig beseitigt werden. Entsprechend erinnerten damals vielerorts ausgedehnte Ruinenbereiche noch tagtäglich an die jüngere Vergangenheit. Ebenso war die Teil des Mythos um Bundeskanzler Adenauer gewordene „Heimkehr der 10.000“, die Rückführung der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion im Jahre 1955 natürlich ebenfalls sehr präsent.
Da lag der Gedanke einer filmischen Umsetzung ebenso nahe, und so entstand schließlich Fritz Umgelters ursprünglich sechsteilige TV-Produktion, die erstmalig von Februar bis April 1959 in der ARD ausgestrahlt worden ist. So weit die Füße tragen berührte die Nation tief und war wohl der erste Straßenfeger der deutschen TV-Geschichte überhaupt. Ich habe die TV-Verfilmung zum ersten Mal in den späten Sechzigern gesehen und war stark beeindruckt. Im Gegensatz zu so manch anderer, ursprünglich begeistert rezipierter Film-Begegnung im Kino oder im TV ist dieser positive Eindruck bis heute unverändert geblieben. Unabhängig von individueller Subjektivität erwies sich der Mehrteiler noch bis in das neue Jahrtausend als derart erfolgreich, dass man ihm auf einem der dritten Programme immer wieder einmal begegnen konnte.
Besonders in den letzten Jahren war dies freilich nur noch in einer kräftig gekürzten zweiteiligen Fassung der Fall. Offenbar setzt sich die besonders von den Privaten forcierte Meinung durch, dass man dem auf Schnelllebigkeit programmierten Nachwuchs allein noch auf maximal zwei Teile Getrimmtes vorsetzen kann. Zweifellos entspricht Umgelters Verfilmung nicht den Sehgewohnheiten des heutigen, auf rasante Action, gepaart mit ausgeklügelter Tricktechnik, eingestellten Massenblockbuster-Publikums. Vielmehr muss man sich hier an eine ruhige Erzählweise gewöhnen, die dafür von oftmals geschliffenen Dialogen sowie der fantasievoll vermittelten Atmosphäre getragen wird. Und da hat die sorgfältig umgesetzte Verfilmung Umgelters für den aufgeschlossenen Zuschauer schon einiges zu bieten, auch wenn das seinerzeit zur Verfügung gestandene Budget sichtbar begrenzt war. So sind viele Szenen zwangsläufig im Studio (überwiegend den Bavaria-Studios in München) inszeniert. Natürlich ist das heute (auch dank größerer Budgets) im Detail perfekter machbar. Aber auch wenn man derartig klassische Studio-Shots unmittelbar als solche bemerkt, sind sie dennoch beachtlich gemacht. Umgelters Verfilmung ist sehr bemüht, die Atmosphäre und auch die Sprache der Vorlage möglichst unverfälscht einzufangen. Außerdem hat man sich bei den Dreharbeiten vom echten Kriegsheimkehrer beraten lassen — so ist es zumindest in einem ausführlichen Interview mit dem Regisseur in der Boni-Sektion der DVD-Ausgabe zu hören, das etwa 1974 entstanden sein muss.
Eher sparsam, aber trotzdem packend inszeniert ist eine der frühesten Szenen dieses Mehrteilers. Die in einem Massenprozess zu 25-jähriger Zwangsarbeit verurteilten deutschen Kriegsgefangenen befinden sich auf der wochenlangen Bahnreise in eher dürftig ausgestatteten Viehwaggons in winterlicher Kälte nach Sibirien. Dabei macht einer von ihnen, ein ehemaliger Kartograph, anhand einer Skizze, die er an die bereifte Innenwand des Waggons malt, deutlich, welch gewaltige Entfernungen in Kürze zwischen ihnen und der Heimat liegen werden. Hier passt zwar nicht ganz ins Bild, dass man den Atem der Beteiligten nicht kondensieren sieht, aber ansonsten ist alles sehr stimmig und selbst heutzutage noch eindrucksvoll anzuschauen. Fast durchweg ist die TV-Verfilmung auch aus Kostengründen von „neuen Gesichtern“ getragen, eben nicht mit Stars besetzt. Für den den Clemens Forell verkörpernden Heinz Weiss wurde diese Rolle zum Durchbruch.
Im bereits erwähnten Interview verrät Regisseur Umgelter einiges aus der Trickkiste: Unter anderem, dass die Kaukasus-Sequenzen im Berner Oberland mit einer Schweizer Hundestaffel gedreht wurden. Auch sind silbergraue Schäferhunde zu Wölfen umfunktioniert worden, nachdem der Versuch, echte Wölfe einzusetzen, kläglich gescheitert war: Die Tiere hatten sich einfach nur in der Kulisse schlafen gelegt.
Das, was vor rund 50 Jahren als anspruchsvolle Fernsehunterhaltung firmierte, ist nur in der Art der Inszenierung unübersehbar ein Produkt einer anderen Zeit. Jetzt und zukünftig dürfte dieser nicht ausschließlich gelobte Klassiker des deutschen Fernsehens aber sein Publikum finden. Das „Lexikon des Internationalen Films“ vermerkt z. B.: „So weit die Füße tragen war die erste wirkliche deutsche Fernseh-Eigenproduktion und bot nicht nur spannende Unterhaltung, sondern Balsam für die Seele des Volkes, da ein unbescholtener Deutscher in der Rolle des Kriegs-Opfers gezeigt wurde. So passte die Produktion auch ideologisch in das Klima dieser revanchistischen Ära, ohne zuviel politischen Zündstoff zu bieten.“ Diese Feststellung erweist sich jedoch als so nicht gerechtfertigt. Die Vorgeschichte des Clemens Forell fehlt nämlich nicht nur im Film, sondern ebenso in der Romanvorlage. Bauers mit rund 500 Seiten nicht gerade kurzer Roman hat sich nun einmal die außergewöhnliche Fluchtgeschichte zum Thema gesetzt. Dem Autor des Buches vorzuwerfen, er verharmlose vorsätzlich, ist zumindest unfair. Zwar hätte er — eventuell in Rückblenden — in traumatischen Kriegserlebnissen die Verbrechen der Wehrmacht im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion andeuten können. Das wäre allerdings damals vermutlich bei der Masse des deutschen Publikums weniger gut angekommen — siehe dazu auch die Probleme bei der Veröffentlichung von Erich Maria Remarques Buch „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“. Und als Einzelschicksal hat sich die Geschichte ja auch nicht ausschließlich für die deutschen Leser als packend erwiesen, sondern vielmehr weltweit. Zudem ist die nach Kriegsende in Massenprozessen stattgefundene pauschale Verurteilung deutscher Kriegsgefangener wegen Kriegsverbrechen eher ein aus dem Kriegsgräuel heraus verständlicher sowjetischer Racheakt, aber alles andere als rechtsstaatlich gewesen.
Fritz Umgelter hat jedenfalls in der Darstellung der Russen nichts unternommen, was man zu Recht als revanchistisch bezeichnen könnte. Und nur wenig später, bei seinem zweiten TV-Mehrteiler Am grünen Strand der Spree (1960), hat er das hier Fehlende nachgeholt. Besonders im ersten Teil dieser TV-Saga wird das Publikum mit für seine Zeit drastischen Szenen vom Massenmord an den Juden im Osten konfrontiert.
2001 wagte Regisseur Hardy Martin ein Remake von So weit die Füße tragen mit Bernhard Bettermann in der Rolle des Clemens Forell. Es ist nicht nur die Differenz zwischen den rund 150 Kino- zu den rund 370 TV-Minuten, welche hier den entscheidenden Unterschied ausmacht. Das Remake nimmt sich gegenüber der Vorlage einfach zu große Freiheiten, welche das stark komprimierte Geschehen verwässern. Im Ergebnis vermag es auch durch einige aufgesetzte Modernisierungen nicht recht zu überzeugen. Hier wird die an sich sehr vielfältige Fluchtgeschichte, bei der Clemens Forell so vielen unterschiedlichen Menschen begegnet und mit ihnen vielschichtige Erfahrungen macht, in erster Linie zu einem Duell zwischen dem Flüchtenden und einem ihn durch die gesamte Sowjetunion jagenden Offizier stilisiert. Dadurch soll Spannung erzeugt werden. Spätestens in der finalen Konfrontation der Kontrahenten auf einer Brücke an der Grenze zum Iran verunglückt der Plot endgültig zu einem eher platten Duell in Westernmanier.
So weit die Füße tragen auf DVD
Zum 50-jährigen Jubiläum ist der erste Mehrteiler der bundesdeutschen TV-Geschichte jetzt in einem 4-Disc-Set auf DVD zugänglich. Direkt vorweg: Das Pandavision-Team und die Beteiligten der WDR Mediagroup haben hier sehr liebevolle Arbeit geleistet. Erfreulicherweise hat man sich anstelle einer Überarbeitung des vorhandenen Videomaterials für eine aufwändige Neuabtastung des archivierten 35-mm-Filmmaterials (Bildformat 1: 1,33) in High Definition (HD) mit anschließender digitaler Restauration entschieden. Und das sieht bereits von DVD ganz vorzüglich aus. Nur vereinzelt sind noch Reste von Verschmutzungen oder ehedem größeren Bildfehlern zu erkennen. Fast durchweg wird aber sehr knackiges, mit differenzierten Grauabstufungen und entsprechend vielen Details aufwartendes Schwarz-Weiß geboten. Da kommt beim Schauen wirklich Freude auf.
Der Aufwand hat sich also gelohnt. Damit ist das alte Filmmaterial nicht allein für die nachfolgenden Generationen gerettet worden. Es steht nun auch rechtzeitig für das offizielle Jahr 1 der High-Definition-TV-Ära ab 2010 ein qualitativ adäquater Videotransfer zur Verfügung. Da ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis hier eine Blu-ray-Ausgabe erscheint. Unspektakulär, aber in sauberem, klarem Mono präsentiert sich der Ton. Das Wermutströpfchen betrifft die Hörgeschädigten, für die leider keine Untertitel anwählbar sind.
Die sechs Serienfolgen sind jeweils als Doppelpack auf insgesamt drei DVDs untergebracht. Das Bonusmaterial beherbergt die vierte DVD. Sie unterstreicht mit etwas über 100 Minuten durchweg interessanten Materials die bis hierher bereits sehr ansprechende Präsentation des Sets als Digipack. Da ist das bereits erwähnte ausführliche Interview aus den 1970ern mit Regisseur Fritz Umgelter (ca. 22 Minuten) und dem Hauptdarsteller Heinz Weiss, die zum Thema passende Folge der Guido-Knopp-Reihe „ZDF-History“ (ca. 29 Minuten) und neben zwei kleinen Featurettes zu den allgemeinen und im vorliegenden Fall speziellen Problemen bei der digitalen Transferierung und Restauration alter Filme (insgesamt ca. 11 Minuten). Darunter befindet sich auch ein aufschlussreicher Vergleich der alten Videofassung mit der aktuell restaurierten HD-Version. Außerdem findet sich noch ein interessantes Interview mit dem Historiker Dr. Andreas Hilger (ca. 41 Minuten) zum historischen Hintergrund. Und als Werbeblock gibts abschließend noch eine Trailershow. Last but not least liegen dem DVD-Set noch eine Karte, welche die Stationen der Flucht des Clemens Forell eindrucksvoll dokumentiert, und ein 15-seitiges Begleitheft bei. Im Letztgenannten findet sich ein Serienguide sowie Informatives zur Entstehung des Mehrteilers, zur Produktion, zum Autor des Buches sowie zu Regisseur und Hauptdarsteller. Lesenswert ist auch der am Schluss platzierte Spiegel-Artikel, „Fernseh-Spiegel“, erschienen Ende April 1959.
Fazit: So weit die Füße tragen war die erste im Verhältnis aufwändige deutsche TV-Produktion einer Romanverfilmung. Zwar sichtbar ein Kind einer anderen Zeit, ist die Serie aber nach wie vor atmosphärisch dicht, eindrucksvoll und sogar spannend anzusehen. Dank Neuabtastung des gut erhaltenen Filmmaterials in HD sowie sorgfältiger Restauration ist dieser deutsche „TV-Klassiker“ jetzt in hervorragender Qualität erhältlich. Derzeit ist er zwar „nur“ in bereits vorzüglich aussehender DVD-Auflösung erhältlich, dürfte aber mittelfristig auch als Blu-ray-Ausgabe zu erwarten sein. Ob bis dahin das gute Stück bereits in HD über die Flachbildschirme „geflimmert“ sein wird?
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.
Weitere detaillierte Infos zum Mehrteiler finden sich im Wikipedia-Artikel.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2009.
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