Sisi: The Movie Trilogy Suite

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
6. März 2016
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

Damit hatte wohl kaum einer der Freunde klassischer Filmmusik überhaupt noch gerechnet und urplötzlich ist sie nun doch da: Eine Veröffentlichung der Anton-Profes-Musik zu den drei Sissi-Filmen Ernst Marischkas, Sissi (1955), Sissi – Die junge Kaiserin (1956) und Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin (1957).

Herbert Tucmandl, Gründer und Geschäftsführer der Fa. Vienna Symphonic Library (VSL), Weltmarktführer bei realistischen Instrumentalsamples, hat sich mit der Einspielung der Sissi-Filmmusik nicht nur einen ganz persönlichen Wunsch erfüllt. VSL beabsichtigt vielmehr, mit Hilfe dieser unverwechselbar österreichischen filmmusikalischen Prestigeproduktion seine frisch eingeweihte „Synchron Stage Vienna“ als neues Tonstudio im internationalen Filmgeschäft so effektiv wie möglich zu positionieren und zu promoten. Die „Synchron Stage Vienna“ ist hervorgegangen aus „Halle 6“ der ehedem berühmten Wiener Rosenhügel-Studios (Teil der „Filmstadt Wien“). Sie ist jetzt komplett renoviert und wartet mit modernster Studiotechnik auf.

Die Neueinspielung von Teilen der Sissi-Filmmusiken erfolgte am selben Ort, wo die Originalaufnahmen stattgefunden haben, also „On Holy Ground“. Beim „Synchron Stage Orchestra“ handelt es sich wohl um ein Ad-hoc-Orchester, dessen Mitglieder sich sowohl aus Mitgliedern Wiener Orchester als auch internationalen Musikern rekrutiert. Am Pult stand mit Conrad Pope einer der geläufigen Orchestratoren und Dirigenten im US-Filmgeschäft. Zusammen mit den amerikanischen Musikern Dimitrie Leivici (Violine) und Jim Thatcher (Horn) sowie dem Toningenieur Dennis S. Sands wird zudem der bereits durch die seit 2007 jährlich stattfindenden Festivals „Hollywood in Vienna“ vollzogene Brückenschlag zwischen Wien und Hollywood nochmals geschickt hervorgehoben. 60 Jahre Sissi-Filme und 60 Jahre Wiener Opernball (nach dem Ende des 2. Weltkriegs) fielen 2016 zusammen, was wiederum für eine weitere Promotionaktion genutzt worden ist: in Form einer als „Damenspende“ ausgegebenen limitierten Erstauflage des CD-Albums.

Eine dezente Enttäuschung ist freilich die gesamte, eher nüchtern und technisch statt nostalgisch wirkende Aufmachung des CD-Albums. Schon das arg gekünstelt erscheinende Romy-als-Sissi-Portrait auf dem Frontcover lässt Kinofreunde auch für innendrin wenig Erfreuliches erahnen. Und exakt so ist es dann auch: Im schlanken Begleitheft finden sich leider ebenfalls keinerlei Filmfotos und Plakatmotive, sondern ausschließlich von den Aufnahmesitzungen und dem Aufnahmeort sowie drei kleinere zweisprachig (deutsch/englisch) gehaltene Texte. Offenbar hat man sich mit dem gegenwärtigen Rechteinhaber, Beta Film (München), nicht einigen können und sah sich entsprechend gezwungen, zu den originalen Filmmaterialien peinlich genauen Sicherheitsabstand zu wahren. Dafür erinnert das Blau von Inlay und Backcover etwas an die 2011er Royal-Blue-Sissi-Edition auf Blu-ray (s. u.). Etwas irritierend wirkt außerdem der „historisch korrekte“ Albumtitel mit „Sisi“ statt Sissi, wie die Filme ja nun einmal heißen. Zur Musik gibt es auf einer in royalem Blau gehaltenen Doppelseite nur sehr knappe, völlig allgemein gehaltene Infos. Das Fehlen einer mehr ins Detail gehenden, analytischen Betrachtung zu den drei Sissi-Kompositionen und der für die Gesamtsuite ausgewählten Stücke ist freilich bedauerlich. Eine weitere in dunkelrot gehaltene Doppelseite wartet mit einem kleinen, ebenfalls zweisprachigen Text zu Kaiserin Elisabeth und Romy Schneider auf. Und über wiederum zwei Seiten, dieses Mal schwarz unterlegt, werden ein paar Hintergrundinfos zur Entstehung der Synchron Stage Vienna vermittelt.

Abgesehen davon steht so gut wie alles zum Besten. Die dicht am Original orientierte Einspielung ist sehr gelungen. Das gilt grundsätzlich auch für die Zusammenstellung der drei Suiten, die einen überzeugenden musikalischen Fluss ergibt. Ein sehr rundes, plastisches Klangbild rundet den positiven Eindruck vorzüglich ab.

Die Filmmusik zu den Sissi-Filmen von Anton Profes

Der österreichische Komponist Anton Profes (1896 – 1976) dürfte wohl so manchem Leser (zumindest unbewusst) geläufig sein, nämlich durch den Schlager „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“. Dieser stammt bereits aus dem Jahr 1929. Wiederverwendet in der gleichnamigen Filmkomödie von Franz Marischka mit Harald Juhnke und Vivi Bach, avancierte er zum Sommerhit des Jahres 1961. Profes komponierte ab 1930 rund 100 Filmmusiken, von denen die zu den drei Sissi-Filmen zweifellos die bekanntesten sind. Die Orchestration stammt übrigens vom Schönberg-Schüler Hanns Jelinek.

Alles in allem erweist sich Anton Profes in den Sissi-Musiken als ein äußerst solider Handwerker alter Schule, dessen Kompositionsstil der europäischen Kunstmusik des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert verpflichtet bleibt. Direkt in der Vorspannmusik wird deutlich, dass Profes (geb. 1896) in einer vergleichbaren Klangästhetik aufgewachsen und geschult worden ist, wie sein berühmter Kollege Max Steiner (geb. 1888). Deren Markenzeichen ist das stark von Wagner und Strauss gefärbte, dank üppiger Orchestrierung häufiger episch anmutende Klangidiom, welches neben mitunter schmachtenden Violinen und massiertem Bläsereinsatz auch ausgeprägt tonmalerisch gefärbte Passagen beinhaltet. Zuweilen finden sich Passagen, die Steiners so typischen Hollywoodsound besonders nahe stehen, und gelegentlich ist auch ein wenig „Mickey-Mousing“ mit von der Partie – insbesondere in Sissi, in einigen der komödiantischen Momente mit dem von Josef Meinrad verkörperten Gendarmeriemajor Böckl.

Die Themen und Motive der Kompositionen sind kaum leitmotivisch im Wagner’schen Sinne gehandhabt, sie sind den Figuren und Orten vielmehr eher lose beigeordnet. Die Musik ist nicht darum bemüht, dem Leinwandgeschehen ein ausgefuchst psychologisierendes Spiegelbild vorzuhalten. Sie dient vielmehr in erster Linie zur Illustration der Bilder und damit zur Verstärkung der durch die Handlung evozierten Emotionen. Dabei spielt das bereits in der Vorspannmusik zum ersten Filmteil dominierende, von tiefer Melancholie geprägte, liedhafte Thema eine wichtige Rolle, das für Sissis große Liebe zu Franz Joseph steht. Ebenso tritt ein kurzer melodischer Gedanke, vorgetragen von der Solovioline, stellvertretend für Sissi im Sinne eines Erinnerungsmotivs häufiger hervor.

Natürlich kommen auch die aus den Heimatfilmen jener Jahre nur allzu geläufigen musikalischen Standards, etwa Illustrationen von Hain und Flur, nicht zu kurz, z. B. in „Erstes Treffen in Ischl“. Und wenn es nach Ungarn geht, dann fühlt man sich bei der musikalischen Untermalung der visuellen Puszta-Idylle fast wie in einem der ungarischen Tänze von Brahms. Eine kleine gedämpfte Fanfare, intoniert vom teilweise gestopften Blech auf Streicherteppich mit Harfe, „Das Kaiserpaar“, dient zweimal als verbindende Brücke zwischen den drei Suiten.

Hochdramatisch gestaltet ist das Finale in Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin. Beim Staatsbesuch in Venedig, bei der Fahrt des Kaiserpaares in der festlich geschmückten kaiserlichen Jacht „Elisabetta“ auf dem Canal Grande, spiegelt die Musik die aufgeheizte, anti-österreichische Stimmung geschickt wieder, indem ausschließlich Moll-Varianten von Bruchstücken der alten Haydn’schen Kaiserhymne immer wieder schicksalhaft hervortreten. Eine kurz eingeworfene Phrase aus Verdis Nabucco-Gefangenenchor ruft dabei den zuvor erlebten Eklat beim Besuch der Mailänder Scala in Erinnerung. Erst nachdem auf dem Markusplatz Sissis kleine Tochter auf ihre Mama zugelaufen ist, diese stürmisch umarmt hat und die berührten Italiener „Viva la Mamma“ gerufen haben, bricht sich die Kaiserhymne endgültig Bahn. Vorbereitet von festlichen Fanfaren und Tamtam-Schlag, bringt sie feierlich vorgetragen sowohl den Film als auch das CD-Album glanzvoll zum Abschluss.

Bei aller Wertschätzung des vorliegenden Albums muss ich an dieser Stelle doch noch einen, freilich kleinen Einwand vorbringen. Ich empfinde ich es nämlich schon als bedauerlich, dass man das Projekt mit rund 55 Minuten Spieldauer „nur“ auf gehobene LP-Länge ausgelegt hat, anstatt auf die volle CD-Kapazität besser nutzende 75 bis 80 Minuten. Weiteres entsprechend interessantes musikalisches Material wäre dazu zweifellos reichlich vorhanden gewesen. Nun, vielleicht wird diese „Scharte“ ja in Zukunft doch noch ausgewetzt (s. u.).

Sissi-Film-Mythos gestern wie heute?

In meinen Augen ist ein derartiges Sissi-Kompilationsalbum lange, lange überfällig, da es hierfür (nicht erst seit heute) durchaus einen vielleicht sogar überraschend respektablen Markt geben dürfte – siehe dazu auch den 2000er Cinemusic.de-Artikel zu den Sissi-DVD-Editionen und hier geht’s zur 2011er Sissi-Filmtrilogie in HD. Ausreichend Indizien bestärken die Vermutung, dass unter sämtlichen vergleichbaren Ausgrabungsprojekten klassischer Filmmusik, gerade Sissi ein herausgehobenes Vermarktungspotential besitzen müsste. Die Sissi-Filmtrilogie und wohl nahezu alles damit Verbundene ist nämlich bis heute ein unverwechselbar österreichischer „Exportschlager“ par excellence geblieben. Die 50er-Jahre- Filme um die Kaiserin der Herzen sind inzwischen geradezu ein über mittlerweile sechs Dekaden ungebrochen anhaltender Kult, einer, der zudem über Europa eindeutig hinaus geht. Dafür steht auch der 145-minütige 1962er Zusammenschnitt der Paramount für den US-Kinomarkt, Forever my Love, der übrigens nicht bloß in Amerika, sondern auch in Fernost sehr erfolgreich war. Dass ein europäischer Film erst rund sechs Jahre nach seiner Uraufführung (!) in die amerikanischen Kinos kam, ist zudem zweifellos eine absolute Ausnahmeerscheinung. Sissis nach wie vor große Beliebtheit belegen des Weiteren diverse noch sehr frische Pressebekundungen anlässlich des 60. Jubiläums der Uraufführung am 21. Dezember 1955 im Wiener Apollo-Theater. Die Ruhr Nachrichten stellten dazu fest: „Sissi erobert immer noch die Herzen der Zuschauer“, und das ZDF titelte: „60 Jahre Sissi: Zwischen Kitsch, Kult und Kulturerbe“.

Bereits zwei Jahre zuvor, 2013, erwies der Tenor Alessandro Cipriano dem Sissi-Kult seine Referenz in seiner rührseligen Herz-Schmerz-Liedbearbeitung des Themas für Sissis große Liebe zu Franz Joseph in „Wenn die Maske fällt“. Dazu ist im Vorspann des auf Youtube abrufbaren Musikvideos zu lesen: „Sissi, ein imperialer Schatz und ein Kulturgut im Herzen Wiens.“ Und last but not least ist da ja auch noch Lissi und der wilde Kaiser (2007), Michael „Bully“ Herbigs Zeichentrick-Film über die Kaiserin der Herzen. In einem Interview mit Welt Online hat Herbig dazu, gerade im Hinblick auf die Filmtrilogie bemerkt: „Sissi ist fast schon Weltkulturerbe.“ Mehr geht wohl kaum noch, oder?

Ein zusätzliches Votum vermitteln die seit langem als fester Bestandteil des in der Regel weihnachtlichen deutschen TV-Programms verankerten Ausstrahlungen der drei Filme, welche man aber auch zwischendurch auf diversen deutschsprachigen Kanälen anschauen kann. Hinzu kommen noch seit mehreren Jahren buchbare Vorstellungen sogar zweier Musicals zum Thema: „Sissi – Liebe, Macht & Leidenschaft“ sowie „Elisabeth“, die indirekt ebenfalls ihren Teil dazu beitragen, den Sissi-Kinomythos fortwährend am Leben zu erhalten. Das gilt sogar für eine ganz aktuell geprägte Gedenkmünze, eine Replik des silbernen Doppelguldens zur Silberhochzeit des Kaiserpaares 1879, welcher ebenfalls mit der Romy-Sissi beworben wird.

Entsprechend sollte, ja müsste das jetzige CD-Album mittel- bis längerfristig nicht nur die Produktionskosten wieder reinholen, sondern dürfte darüber hinaus auch respektablen Gewinn abwerfen. Diese These wird noch durch die massenhaften Sissi-Fundstellen im Internet gestützt, wo es beispielsweise den ersten Film sogar mit russischen Untertiteln gibt. Dabei dürfte das Käuferpotenzial in diesem Fall absolut nicht in erster Linie auf die reinen Filmmusikliebhaber beschränkt sein – deren Menge in der Praxis meist kaum ausreicht eine Veröffentlichung überhaupt rentabel werden zu lassen. Da Sissi-Film- und Sisi-Kaiserinnenkult einander durchdringen, lässt dies den infrage kommenden Käuferkreis für das CD-Album weiter wachsen. Von Wien bis Schloss Neuschwanstein dürfte selbst in reinen Souvenir-Läden über den reinen Mitnahmeeffekt hinaus hiervon einiges absetzbar sein.

Nun, vielleicht löst das vorliegende Produkt in ein paar Jahren noch eine weitere CD oder gar ein Doppel-CD-Album aus, welches mehr vom bislang völlig vernachlässigten Anton Profes erschließt, dessen filmmusikalischer Werkkatalog sicher eine partielle Wiederbelebung verdient hätte, etwa Gustav Adolfs Page (1960). Dabei könnte ein musikalischer Sissi-Nachschlag, „More Music from Sissi“, ein den Absatz deutlich erhöhendes Zugpferd sein, um auch weitere Suiten aus Filmkompositionen von Anton Profes an den Mann oder die Frau zu bringen. Der gesamte Profes-Nachlass liegt seit 1977 bei der „Wienbibliothek im Rathaus“. Darin befinden sich auch die Originalpartituren der Sissi-Kompositionen, aus denen Paul Hertel die vorliegende Filmtrilogie-Suite zusammengestellt hat. Insofern ist die Verfügbarkeit des jeweils erforderlichen Notenmaterials zumindest sehr wahrscheinlich.

Fazit: Die Überraschung dürfte geradezu perfekt gewesen sein. „Endlich auf CD verfügbar: Die Musik zur weltberühmten Sissi-Filmtrilogie.“ So oder ähnlich kann man sinngemäß seit Kurzem an so manchen Plätzen des Internets, aber auch in Printmedien lesen. Auch wenn die Präsentation visuell enttäuscht und auch die Begleithefttexte informativer sein könnten. Das Allerwichtigste jedoch: Die CD ist eine sehr gelungene Sache. Sie überzeugt durch eine tadellose Einspielung der herrlichen Musik, und das überstrahlt die genannten Schwächen eindeutig. Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.

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Komponist:
Profes, Anton

Erschienen:
2016
Gesamtspielzeit:
55:03 Minuten
Sampler:
Vienna Classic Records
Kennung:
VCR 65 361
Zusatzinformationen:
Ltg.: Conrad Pope

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