Scott of the Antarctic

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
26. Juni 2017
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

Ralph Vaughan Williams: Scott of the Antarctic, complete Filmmusic

Bereits im Jahr 2001 schrieb Richard Young in seinem Artikel „The Film music to Scott“ im Journal der Ralph-Vaughan-Williams-Society, dass eine mit moderner Aufnahmetechnik erstellte  Kompletteinspielung der Filmmusik zu Scott of the Antarctic * Scotts letzte Fahrt (1948) dringend erforderlich sei, um die Komposition als zusammenhängendes Ganzes beurteilen zu können. Das Besondere hierbei ist nämlich nicht allein, dass diese (übrigens seine siebte) Filmpartitur seine ambitionierteste ist und anschließend als Basis für die 7. Sinfonie „Antarctica“ diente und dass ihr Schöpfer damals bereits immerhin 75 Jahre alt war. Nein, das Außergewöhnlichste war, dass Vaughan Williams, der sich ohne das Drehbuch zu kennen ausschließlich anhand von Büchern über das Drama der Scott-Expedition des Jahres 1912 inspirieren ließ, diese Film-Musik bereits fertigstellt hatte, noch bevor die Dreharbeiten überhaupt begonnen hatten. Um dies zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen was Vaughan Williams in seinem Essay „Composing for the Films“ geschrieben hat: „Vielleicht wird eines Tages ein großer Film aus der Musik hervorgehen. Zuerst wird man die Musik komponieren und dann den Film dazu konzipieren.“ Die endgültige, an den Filmschnitt angelegte Musikfassung zu erstellen, überließ er Ernest Irving, dem Musikdirektor der Ealing Studios. Dabei fiel übrigens mehr als die Hälfte der komponierten Musik letztlich der Schere zum Opfer.

Die im Jahr 2002 von Stephen Hogger anhand des unpublizierten Original-Manuskripts (verwahrt in der British Library) erstmalig zusammengestellte Suite war der erste Schritt in die von Richard Young aufgezeigte Richtung. Noch im selben Jahr wurden nämlich aus dieser Zusammenstellung 18 Stücke (rund 41 Minuten) eingespielt für das erste Ralph Vaughan Williams-Album der Reihe CHANDOS-MOVIES von Rumon Gamba. 2016 hat der für die Hebung rarer musikalischer Schätze bekannte, aus London stammende Dirigent Martin Yates nun erstmalig die vollständige Filmmusik aus dem Archiv geholt und der hier vorliegenden Neueinspielung mit dem tadellos disponierten und mit unüberhörbarer Spielfreude agierenden Royal Scottish National Orchestra zugrunde gelegt. Das Resultat umfasst jetzt rund 80 Minuten Musik, was gegenüber der Hogger-Suite fast einer Verdopplung entspricht. Zwar wird bereits durch die Hogger-Suite das komplette thematische Material der Filmmusik abgebildet. Die durch die Erweiterung hinzukommenden zusätzlichen Varianten sind allerdings schon eine wirkliche Bereicherung dieses ungeahnt breit angelegten filmmusikalischen Dramas. Das man dieses jetzt erstmalig auch ungekürzt auf sich wirken lassen kann, ist entsprechend eine richtig runde, ja hervorragende Sache, zumal beide Interpretationen auf ähnlich hohem Niveau angesiedelt sind. Dieser Feststellung widersprechen auch die bei Yates zuerst eventuell etwas gewöhnungsbedürftigen, in Teilen deutlich gedehnteren Zeitmaße keineswegs. Spätestens nach mehrmaligem Hören (und damit Eingewöhnen) wird nämlich deutlich, dass gerade dadurch die Dramatik diverser Passagen gegenüber dem von Gamba Gewohnten merklich gesteigert wird, was das Gehörte schon noch etwas eindrucksvoller werden lässt. Außerdem erscheint in der Yates-Einspielung die Vokalise (gesungen von der russischen Sopranistin Ilona Domnich) nicht wie in der Gamba-Version durch das übermäßig betonte Vibrato von Merryn Gamba extrovertiert hervorstechend, sondern deutlich dezenter und damit auch überzeugender in den Gesamtklang integriert. Stimmiger sind auch die hier wiederum weniger prominenten, dadurch natürlicher erscheinenden Geräusche der Windmaschine. Vaughan Williams hatte die Windmaschine sogar wieder entfernt, weil beim Erstellen der Tonspur schließlich originale Windgeräusche verwendet werden sollten. Welche Interpretationsweise man letztlich bevorzugt, ist wie immer in erster Linie Geschmacksache, mit besser oder schlechter kann hier kaum sinnvoll argumentiert werden.

In Heft 21 des Journals der Ralph-Vaughan-Williams-Society (siehe Anhang) hat Christopher Parker insgesamt 35 Stücke aufgelistet. Die Hooger-Suite umfasst nur 27, der aktuellen Yates-Einspielung hingegen liegen sogar 41 Tracks zugrunde. Davon fällt allerdings Track 10, Queen’s Birthday March, etwas aus dem Rahmen. Hierbei ist offenbar nicht klar, ob Vaughan Williams diesen als reine Hintergrundmusik (Source Cue) anzusehenden, für sich genommen durchaus charmanten, zeittypischen Marsch wirklich selbst komponiert hat, oder aus welcher Quelle dieser entlehnt worden sein könnte.

Die im hochauflösenden und zudem mehrkanalfähigen Hybrid-SACD-Format erstellte Digitalaufnahme klingt bereits im CD-Modus vorzüglich. Der kraftvolle und farbenreiche Klang ist nuanciert aufgefächert. Er lässt daher auch feinste Details des großbesetzten Klangkörpers hörbar werden, z. B. des ungewöhnlich reichhaltigen Schlagwerks, dessen äußerst subtiler Einsatz ein atmosphärisch überzeugendes musikalisches Pendant zu den herb unterkühlten, unwirtlichen Polregionen der Filmhandlung schafft. Darüber hinaus wartet das tadellose Begleitheft noch mit einem informativen Einführungstext auf. Entsprechend resultiert eine vorbehaltlose Empfehlung für diese absolut fein geratene, erstmalig komplette Neueinspielung der „Film-Musik“ zu Scott of the Antarctic.

Anhang:

Wer sich möglichst umfassend mit den Hintergründen der Entstehung der Scott-of-the-Antarctic-Filmmusik und deren Bedeutung im Gesamtwerk des Komponisten auseinandersetzen möchte, der kann sich die beiden nachfolgend zitierten Hefte des Ralph Vaughan Williams Society Journal sogar kostenlos herunterladen:

Scott of the Antarctic Part 1: enthält „The film music to Scott“ by Richard Young und „Scott – A Personal View“ by Michael Nelson in RVWS-Journal, Heft 20/2001, S. 10-21

sowie

Scott of the Antarctic Part 2: enthält „Sinfonia Antartica: Introduction and CD Review“ by Jonathan Pearson und „The music for Scott of the Antartic“ by Christopher J. Parker.  In RVWS-Journal, Heft 21/2001, S. 3-14.

© aller Logos und Abbildungen bei Dutton Epoch. (All pictures, trademarks and logos are protected by Dutton Epoch.)

Erschienen:
2017
Gesamtspielzeit:
79:38 Minuten
Sampler:
Dutton Epoch
Kennung:
SACD CDLX7340

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