Red River

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
7. Juni 2003
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Marco Polo hat eine Neueinspielung von Red River (1948) vorgelegt. Tiomkins Musik zu Hawks’ Edelwestern ist damit jetzt erstmals vollständig auf Tonträger zugänglich.

In einer Auflistung der besten Kinowestern hat Red River • Red River (1948) einen sicheren Platz in den obersten Rängen — was ebenso für den sehr lyrischen The Big Sky • Der weite Himmel (1952) gilt. In beiden Fällen handelt es sich um Abenteuerfilme von außergewöhnlichem Format, bei denen die Zeichnung der Charaktere besonders überzeugend gelungen ist.

Thematisiert werden typisch menschliche Schwächen und daraus resultierende Konflikte, wie fanatischer Ehrgeiz bei der Verwirklichung eines Lebens-Traumes (Red River) und/oder die Konfrontation von scheinbar überlegener Zivilisation und vermeintlich barbarischer Wildnis (The Big Sky). All dies ist visuell vor grandioser Landschaftskulisse in zum Teil episch-prachtvollen wie auch lyrisch-sinnlichen, hervorragend komponierten Schwarz-Weiß-Bildern eingefangen.

Der Regisseur Howard Hawks

Über Howard Hawks (1896-1969), der insgesamt sechs Western gedreht hat, schreibt John Belton in seiner Buchreihe „The Hollywood Professionals“, er sei einer der am schwierigsten zu analysierenden Filmemacher. Eines der markantesten Merkmale (nicht allein seiner Westernfilme) wird in der Gegenüberstellung mit den Werken von John Ford deutlich. Auch hierzu hat John Belton das Wesentliche prägnant formuliert: „Ford idealisiert seine Figuren, Hawks humanisiert sie.“ Die verstärkt menschliche Charakterisierung ist gepaart mit humorigen Akzenten, selbst in hochdramatischen Situationen und Konstellationen.

John Fords zweifellos wichtige und in Teilen auch großartige Western wirken abseits ihrer unleugbaren Bildgewalt — infolge der heutzutage oftmals als überzogen stilisiert und damit schnell etwas blutleer erscheinenden Figuren — ein wenig patiniert. Sowohl bei Ford als auch bei Hawks resultieren die Konflikte aus sozialen und kulturellen Konventionen und/oder aus persönlich-psychischen Problemen. Während aber bei Ford starre gesellschaftliche Konventionen vom handelnden Individuum kaum kritisch reflektiert oder unterlaufen werden (die Legende zumindest im Kern immer unangetastet bleibt), bekommen die Helden und Heldinnen in Hawks’ Filmen in der Regel eine zweite Chance, Fehler nicht zu wiederholen oder zu korrigieren. Dass die Helden in seinen Filmen dabei (zumeist) ihre Lektionen in Sachen Moral und Gefühl kapieren und am Ende verantwortliches Verhalten gelernt haben, dieser Schuss Wahrhaftigkeit schafft eine positive, optimistische Atmosphäre, die den Zuschauer besonders anspricht. Dieser empfindet die Figuren als stärker zur Identifikation geeignet und nimmt, wenn die Schlussmusik erklingt, oftmals etwas wehmütig von ihnen Abschied.

Hawks’ Humanismus führt zu komplexen, ernsthaften, ehrlichen und meist auch subtilen Stories über menschliche Schwächen und Triumphe. Seine Filme sind dabei oftmals kritische (mitunter zugleich komische) Abrechnungen mit typisch amerikanischen Fetischen wie Sex, Jugend, Erfolg und Geld.

Die unaufdringliche Art und Weise, wie hier — ohne erhobenen Zeigefinger — die Figuren Lern- und Reifungsprozesse durchmachen, ist es, die viele der Filme des Regisseurs auch heute vital und zugleich oftmals sogar zeitlos schön erscheinen lassen. In vielem war Hawks das entscheidende Vorbild für die Verfechter des französischen Autoren-Kinos. Innerhalb des Hollywooder Studiosystems gelang es ihm, seine Unabhängigkeit weitgehend zu erhalten und auch (von Ausnahmen abgesehen) Kontrolle über den gesamten Produktionsprozess seiner Filme zu behalten.

Kühne Reiter, Männerfreundschaft und Generationenkonflikt: Red River

Der Film erzählt die Geschichte des ersten großen Viehtriebs nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Im stark industrialisierten Norden entstand eine moderne Fleischindustrie. Die riesigen Schlachthöfe im Eisenbahnknotenpunkt Chicago benötigten für ihren Betrieb die im Süden in großer Zahl und preiswert vorhandenen Rinderherden. Und so wurde das Vieh unter großen Strapazen auf einer legendären Route von Texas über den Red River durch das Indianer-Territorium nach Kansas getrieben: auf dem legendären Chisholm-Trail. Infolge des Eisenbahnbaus entwickelte sich das anfänglich eher bedeutungslose Abilene zum wichtigen Ort zum Verladen der Tiere.

1047Im Rahmen eines Prologs erzählt Hawks’ Film dazu die Vorgeschichte: Im August 1851 verlassen der Ex-Army-Officer Thomas Dunson (verkörpert von John Wayne) und sein Kompagnon Groot Nadine (Walter Brennan) — der im Film zugleich als Chronist in Form eines Off-Erzählers fungiert — St. Louis und schließen sich einem Siedlertreck nach Kalifornien an. An der Nordgrenze von Texas beschließt Dunson, sich vom Treck zu trennen und sein Glück weiter im Süden zu versuchen. Seine Braut Fen bedrängt ihn, sie mitzunehmen, was er kategorisch ablehnt. Ein folgenschwerer Fehler: Der Treck wird durch einen Indianerüberfall vernichtet. Der einzige Überlebende, der 13-jährige Matthew Garth (gespielt von Mickey Kuhn, später von Montgomery Clift) und dessen Kuh stoßen zu Dunson und Nadine. Dunson nimmt den Jungen auf, ergreift von riesigen Ländereien nördlich des Rio Grande Besitz und baut sein Rinder-Imperium auf.

Die folgenden 14 Jahre werden in Form einer Montage erzählt. Der Bürgerkrieg ist verloren und damit sind die konföderierten Dollars und Kriegsanleihen wertloses Papier geworden. Dunson muss versuchen, den einzigen ihm verbliebenen Reichtum, seine gewaltige Viehherde, im Norden zu Geld zu machen.

Hier beginnt die eigentliche Geschichte des Films, in der es nicht allein um die unmenschlichen Strapazen und Gefahren eines rund 100 Tage dauernden Viehtriebes geht; vielmehr sind Liebe, Männerfreundschaft und der sich dramatisch zuspitzende Generationenkonflikt zwischen dem herrschsüchtigen Dunson und seinem Ziehsohn Matthew entscheidende Handlungselemente dieses spannenden und beeindruckenden Films.

In der Original-Story von Bordon Chase ist Dunson ein unverbesserlicher Querkopf, der seinen Starrsinn — ganz im Stile einer klassischen Tragödie — schließlich mit dem Leben bezahlt. Bei Hawks hingegen ist der Charakter insgesamt sympathischer gestaltet. Hier nutzt Dunson die ihm (durch das Drehbuch) eingeräumte zweite Chance und lernt, wenn auch unter harten Umständen, seine Lektion. Es kommt zu einer gewaltigen finalen Prügelei zwischen den Kontrahenten, deren Abbruch von Matts Freundin Tess mit dem Revolver in der Hand erzwungen wird. Die Streithähne erkennen die Komik der Situation, Dunson sagt verdutzt zu Matt: „Das Mädchen musst du heiraten!“ Matt erwidert: „Ich glaube auch! Aber wann wirst du endlich aufhören, anderen vorzuschreiben, was sie zu tun haben und was nicht?“ …

(Bis Anfang der 60er Jahre wurde der Film hierzulande in einer gegenüber den 125 Minuten des Originals auf 92 Minuten verstümmelten Fassung unter dem Titel Panik am roten Fluss gezeigt. Kurioserweise ist in der auch aus dem Fernsehen bekannten neusynchronisierten Komplettfassung — Erstausstrahlung in der ARD 1968 — an einigen Stellen nicht Tiomkins Originalmusik, sondern irgendwelches Archivmaterial eingesetzt.)

Ein russischer Komponist: Dimitri Tiomkin

Dimitri Tiomkin wurde am 10. Mai 1894 in Krementschuk (der heutigen Ukraine) geboren. Bereits früh erhielt der Junge ersten Klavierunterricht durch seine Mutter und wurde vom Vater als siebenjähriger in St. Petersburg in eine Klavierklasse für Kinder gegeben. 1912 trat er in das St. Petersburger Konservatorium ein und studierte Klavier bei Felix Blumenthal (der auch Vladimir Horowitz ausbildete) und Komposition bei Alexander Glasunow. In diesen Jahren fungierte er — wie später ebenfalls der junge Schostakowitsch — in Stummfilm-Kinos als Pianist. Nach der Oktoberrevolution emigrierte er nach Berlin, lernte dort den russischen Emigranten Michael Kariton (ebenfalls Pianist) kennen und setzte auf dessen Anraten sein Studium bei Ferrucio Busoni fort. 1922 gab der junge Tiomkin sein Pianisten-Debüt mit den Berliner Philharmonikern und dem A-Moll-Konzert von Franz Liszt. Im Jahr 1923 gingen Tiomkin und Kariton nach Paris und gaben gemeinsame Konzerte. 1925 übersiedelten sie nach New York. Dort kam Tiomkin mit Musicals, dem Jazz und der sich rasch entwickelnden neuen amerikanischen Musik in Berührung. Er lernte die Choreographin Albertina Rasch kennen, und sie wurden bald darauf ein Paar.

Im Jahr 1928 war er der Pianist bei der europäischen Erstaufführung von George Gershwins Klavierkonzert in F. Der Prestigegewinn verhalf ihm zu zahlreichen Engagements an der Carnegie-Hall. Durch den Schwarzen Freitag und die 1929er Weltwirtschaftskrise hart getroffen, gingen die Tiomkins nach Los Angeles. Albertina fand dort bei MGM Interessenten für Ihre choreographische Erfahrung bei der Realisierung von Balletteinlagen in frühen Tonfilm-Musicals. Sie vermittelte auch ihren Mann, der gelegentlich in Los Angeles konzertierte.

Die Filmkarriere Dimitri Tiomkins begann mit Ballettmusik-Einlagen und seinen ersten Filmvertonungen für Resurrection (1931) und Alice in Wonderland (1933). 1937 kam der Durchbruch mit der Musik zu Frank Capras romantisch-exotischem und fantasiehaftem Lost Horizon • In den Fesseln von Shangri-La — die Einspielung dirigierte übrigens Max Steiner. Eine unfallbedingte Verletzung der rechten Hand zwang Tiomkin zur Aufgabe seiner Konzerttätigkeit. Daraufhin arbeitete er von 1939 bis 1966 für fast alle Hollywood-Studios als freischaffender Komponist. Durch Frank Capra unterstützt, befasste er sich eingehend mit Folksongs, Spirituals, Arbeiterliedern und entdeckte dabei seine Neigung zum Old West. Eine Neigung, die er mit dem Hinweis auf die Ähnlichkeit der nordamerikanischen Prärien mit den Steppen Mittelasiens begründete. Seine erste Westernmusik entstand 1940 für The Westerner • In die Falle gelockt. Für David O. Selznicks episches Technicolor-Melodram mit Western-Elementen, Duel in the Sun • Duell in der Sonne (1946), komponierte Tiomkin seine erste große Westernmusik. Von den folgenden Western-Vertonungen sind ganz besonders bemerkenswert die zu Red River (1948), The Big Sky (1952), High Noon (1952) und Gunfight at the O.K. Corral (1957) — wobei Tiomkin gerade durch High Noon zum zeitweilig bestdotierten Komponisten in Hollywood aufstieg.

Weiterhin erwähnenswerte Vertreter der Gattung Western-Filmmusik sind Friendly Persuasion • Lockende Versuchung (1956), Giant (1956), Night Passage • Die Uhr ist abgelaufen (1957), Last Train from Gun Hill • Der letzte Zug von Gun Hill (1958), Rio Bravo (1959), The Alamo (1960) und The Unforgiven • Denen man nicht vergibt (1960).

Auch außerhalb des Western-Genres hat Dimitri Tiomkins Œuvre manch Edles zu bieten. Hierfür seien nur einige genannt: Shadow of a Doubt • Im Schatten des Zweifels (1942) und Strangers on a Train • Verschwörung im Nordexpress (1951) beide für Alfred Hitchcock; It’s a Wonderful Life • Ist das Leben nicht schön? (1947), Frank Capras zeitlos reizendes humanistisches Weihnachtsmärchen mit James Stewart; The High and the Mighty • Es wird immer wieder Tag (1954), die Keimzelle aller Airport-Filme mit einem berühmten Ohrwurm als Hauptthema; Land of the Pharaohs • Land der Pharaonen (1955) als erster packender Ausflug ins Monumentalfilm-Genre und der lyrische The Old Man and the Sea • Der alte Mann und das Meer (1959) nach der berühmten Hemingway-Novelle — weitere Infos im Artikel zu 36 Hours.

Tiomkin erhielt den Oscar insgesamt viermal: für High Noon (jeweils für Song und Musik), The High and the Mighty und The Old Man and the Sea; 20 weitere Filmmusiken wurden nominiert.

1970 arbeitete der Komponist letztmalig für das Kino; er adaptierte und dirigierte die Musik Peter Tschaikowskys für die russische Verfilmung über das Leben des Komponisten in Tschaikowsky, bei dem er zugleich als Koproduzent fungierte. Dimitri Tiomkin starb am 12. November 1979.

Die Musik zu Red River

Im Jahre 1980 legte Laurie Johnson mit dem London Studio Symphony Orchestra und den John McCarthy Singers das Kompilations-LP-Album „The Western Film World of Dimitri Tiomkin“ vor (Label: Unicorn-Kanchana). Die rund 10-minütige Suite aus Red River war das Highlight eines insgesamt sehr erfreulichen Albums. Die lange erwartete und jetzt endlich erhältliche Gesamteinspielung (des Teams John W. Morgan und William T. Stromberg für das Marco-Polo-Label) ist allerdings von deutlich stärkerem Kaliber. Dies nicht einfach nur, weil sie mit ihren rund 64 Minuten Spieldauer erstmals die vollständige Filmmusik bietet. Man merkt vielmehr deutlich, dass nur der Marco-Polo-Einspielung die originale Instrumentierung zu Grunde liegt. Christopher Palmers Arrangements für das Laurie-Johnson-Album zeigen somit gewisse Abweichungen im Klangbild, aber vor allem gibt es einschneidende Retuschen im musikalischen Ablauf. Hier wurde im Geiste der Suitenkompilationen von Charles Gerhardt verfahren, die dieser seiner „The Classic Film Score Series“ zu Grunde gelegt hat.

Das Resultat ist hierbei klar eine (gute) Konzert-Fassung, aber eben nicht eine konsequent dem Original verpflichtete Filmmusik-Suite; sondern vielmehr eine, die den musikalischen Fluss von den — den Hörern klassischer Musik ungewohnten und daher möglicherweise als störend empfundenen — filmmusiktypischen Unterbrechungen befreit hat (hierzu siehe auch They Died with Their Boots On und Objective: Burma!). Beispielsweise wenn in der Abschiedsszene in „Dunson Heads South“ zu den Bemerkungen des Treckführers über die seit zwei Tagen sichtbaren Rauchzeichen feindlicher Indianer die Love Music von im Orchester erklingenden charakteristischen regelmäßigen Tom-Tom-Rhythmen und Klangfiguren von Holzblasinstrumenten in einfacher Vier- und Fünftonskala gestört wird, um die latente Bedrohung durch die „Wilden“ dem Kinogänger klanglich erfahrbar zu machen.

Im Main Title wird das kraftvoll-majestätische und breitmelodische Hauptthema nach einer einleitenden Hörner-Fanfare von vollem Orchester und Männerchor intoniert. Tiomkin erzeugt unverwechselbar und mitreißend zugleich ein sehr nostalgisches Gefühl von den Pioniertagen Amerikas, beschwört die Mythen und Legenden und auch die endlose Weite der Prärien.

An dieser Stelle offenbart sich eine kleine Schwäche der neuen Einspielung. Der dreißigköpfige russische Männerchor ist verständlicherweise nicht in der Lage (an den Stellen, wo gesungen wird), die englischen Worte sauber zu intonieren; es musste mit Hilfe der Phonetik (Lautlehre) „getrickst“ werden — hier sind die John McCarthy Singers des Laurie-Johnson-Albums natürlich besser. Allerdings, in den überwiegenden Einsätzen braucht der Chor nur zu vokalisieren und da spielen die markant-typischen, besonders ausdrucksstarken russischen Stimmen gegenüber denen ihrer britischen Kollegen wieder klare Trümpfe aus.

Tiomkins Musik ist stilistisch durch die russische Spätromantik geprägt. Die heraushörbaren Einflüsse reichen etwa von Alexander Borodin und Peter Tschaikowsky über Nikolai Rimsky-Korssakoff bis zwangsläufig (s. o.) Alexander Glasunow und auch Sergej Rachmaninoff. Seine Musik ist selten transparent oder subtil; überwiegend pulsiert und wogt sie in satten Orchesterfarben, kann oftmals bombastisch genannt werden, wobei der mächtig akzentuierte Bassrhythmus ihr typisches Markenzeichen ist. Selbst die Instrumental-Soli erklingen oftmals über einem — wenn auch soft — aufspielenden Tutti, was einem (in gewissem Sinne) fetten und intensiven Klang entspricht. Gerade in den oftmals lauten, sich hoch auftürmenden, sehr farbig instrumentierten Klangsäulen läuft musikalisch einiges parallel ab. An diesen Stellen kommen oftmals anarchisch-wild wirkende Klangschichtungen zu Gehör, deren mitunter chaotisch-schriller Eindruck durch das flatterzungenhafte Überblasen des Blechs besonders eindringlich wird. Hier zeigt sich ein unverwechselbarer, typischer, leuchtkräftiger und sehr energiegeladener Personalstil. Diese Russen- und hier Tiomkin-typischen Barbarismen sind für manchen Hörer anfangs sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig, aber nach Eingewöhnen auch eine urtypisch-kraftvolle und zugleich unverwechselbare Angelegenheit: oftmals geradezu eine Wucht.

Ebenso bedeutungsvoll sind seine meist von starker melodischer Inspiration geprägten Themen, so im Hauptthema von Red River, aber auch im Liebesthema in der Abschiedsszene des Prologs zwischen Dunson und Fen („Dunson Heads South“). Auch Tiomkin ist in der Lage, seinen Themen stimmungs- und variationsmäßig viel abzugewinnen und so eine Filmmusik abwechslungsreich zu gestalten. So in „Birth of the Red River D“, wo das herrliche Hauptthema besonders prachtvoll zitiert und gesteigert wird.

Im Score zeigt sich aber auch die starke Verbindung zur amerikanischen Folklore: unzählige Folksongs, wie der berühmte „Oh Susannah“, sind wunderschön eingearbeitet. Stark folkloristischen Touch verleihen Fiedel und Banjo der bejubelten Ankunft der Herde in Abilene in „A Big Day in Abilene“. (Wobei die — vor allem jüngeren Filmmusikfreunden besonders geläufige — Copland-Americana hier nicht zu spüren ist.)

Tiomkins große Filmmusiken spiegeln in weiten Teilen den Handlungsverlauf musikalisch wider. Wobei der Komponist (hier analog Max Steiner) auch zur kunstvoll ausgeführten akustischen Spiegelung des im Bild Gezeigten greift (siehe auch „Max Steiner: The RKO-Years 1929-1936“). Er arbeitet mit Hilfe erprobter naturalistischer Standards, die vom Hörer unbewusst eingeübt und im Bewusstsein entsprechend verankert sind. So werden z. B. das Brüllen der Rinder („On to Missouri“ und „The Brazos Trail“), das Chaos der in Panik ausbrechenden Herde („Stampede“) und Naturgewalten wie ein heulender Sturm („Thunder on the Trail“) auch abseits der Filmbilder allein durch die Musik klangsinnlich erfahrbar.

Der Komponist psychologisiert aber auch elegant, indem er in Dunsons Begegnung mit Matts Freundin Tess die in der Erinnerung des Patriarchen auflebende Vergangenheit Klang werden lässt. Dunson erkennt, dass Tess das Armband trägt, das er einst seiner Braut Fen zum Abschied schenkte und das er einem der ihn und seinen Partner verfolgenden Indianer im Zweikampf wieder abgenommen hatte. (Die drei tödlichen Messerstiche, mit denen Dunson seinen Gegner tötet, werden durch drei furiose Schläge des vollen Orchesters unterstrichen.)

Als Zeichen der persönlichen Verbundenheit hatte er das Armband seinem Ziehsohn Matt geschenkt, mit dem es später während des großen Viehtriebes nach heftigem Streit zum völligen Zerwürfnis gekommen ist. Dunson hat, von verletztem Stolz und Eitelkeit getrieben, tödliche Rache geschworen und verfolgt Matt. Auf dem Weg nach Abilene stößt er auf einen Wagen-Treck, der von Matt und seinen Männern vor Indianern gerettet wurde — wobei Matt Tess kennenlernte und sich in sie verliebte.

Als Dunson das Armband wahrnimmt, tritt das Liebesthema aus der lange zurückliegenden Abschiedszene des Filmprologs zuerst von der Solovioline zart intoniert auf („Out of the Past“). In „Memory of Love“ ertönt es anschließend machtvoller, wenn ihm Tess ihren herzzerreißenden Schmerz beim Abschied von Matt schildert und dabei exakt die gleichen Empfindungen in Worte fasst wie Fen damals gegenüber Dunson. Tiomkin erinnert eher schemenhaft an die tragischen Folgen von Dunsons Fehlentscheidung, indem er die drei Orchesterschläge, die oben für die tödlichen Messerstiche stehen, in drei sanfte Harfen-Akkorde ummünzt.

Und die finale Konfrontation zwischen den Generationen hat Tiomkin in abwechslungsreich rhythmisierte, marschartige Klänge gefasst, die die Handlung unerbittlich zum Kulminationspunkt vorantreiben.

2366Das Moscow Symphony Orchestra mit Chor unter William T. Stromberg schlägt sich wacker, liefert eine insgesamt sehr saubere und gelungene Darbietung dieser schwierig zu spielenden Musik. Der Vergleich einiger besonders markanter Passagen der Neueinspielung mit den entsprechenden Teilen der (Film-)Tonspur — wobei hier die Musik sehr leise abgemischt ist — unterstreicht den schon zuvor gewonnenen sehr überzeugenden Eindruck. Insgesamt kommt diese Nachspielung dem Original sehr nahe, ja, ist diesem deutlich näher als die (nach wie vor gut anhörbare) Laurie-Johnson-Suite. Überhaupt präsentieren sich die 64 Albumminuten (trotz chronologischer Abfolge) als kurzweilige, sehr gut fließende und dazu abwechslungsreiche (Hör-)Angelegenheit. Eine, bei der es auch klanglich nichts zu bemängeln gibt. Red River zählt zu den größten Westernmusiken; eine Gattung, in der Dimitri Tiomkin und Max Steiner bis in die 50er Jahre hinein unangefochten führten.

Das Begleitheft des CD-Albums macht ebenfalls einen sehr soliden Eindruck. Insbesondere die von John W. Morgan, William T. Stromberg und Ron Frontier beigesteuerten Textteile sind informativ, von nostalgischem Charme und viel Liebe zum Metier geprägt. John W. Morgans „Red River Music Notes“ machen deutlich, wie viel mühsame Detailarbeit in der finalen Einspielung steckt. Hier wird interessant erläutert, dass auch während der Recording Sessions für den finalen Filmschnitt feine, aber trotzdem mitunter wichtige Änderungen vorgenommen worden sind. Wobei die meisten davon auch bei der vorliegenden Neu-Einspielung berücksichtigt sind.

Nicht in gleichem Maße überzeugt der (einen besonders breiten Raum einnehmende) Artikel von Jack Smith. Smith ist Tiomkin-Kenner und verfügt spürbar über ein großes Wissen. Allerdings wirkt nicht alles in seinem Text gleichermaßen überzeugend oder völlig logisch gefolgert. Beispielsweise, wenn er sagt, dass Hawks sich nach durchgeführten Farb-Tests doch für das (wirklich?) stärker realistische Schwarz-Weiß entschieden habe. Vor allem lässt aber der Abschnitt zum triefigen Propaganda-Epos The Alamo doch etwas sehr ein ausreichendes Maß an kritischer Distanz vermissen. So wenn die Musik als „… one of the greatest and most admired scores of all time“ beschrieben wird und Smith anschließend noch das historische Ereignis hinter diesem filmischen Machwerk als Schilderung von „… one of the most valiant moments in American history“ verklärt.

Nun, diese kleinen Schwachpunkte vermögen den sehr positiven Gesamteindruck nicht nachhaltig zu trüben. Es resultiert damit große Freude über eine echte Bereicherung des Repertoires.

(Und für mich gilt dies in besonderem Maße: Ist doch mit der Gesamt-Einspielung von Red River ein lang gehegter Jugendtraum endlich in Erfüllung gegangen. Gerade diese Musik gehört zu denen, die ich bereits mit etwa 13 Jahren unbedingt haben wollte. Unter heutzutage lachhaft-primitiv erscheinenden Bedingungen versuchte ich diesen Wunsch zu verwirklichen: durch Mitschnitt des Films auf Tonband — mangels eines Audio-Ausgangs am Fernseher sogar nur mit Hilfe eines schlichten Mikrofons.)

Die Aufnahmen für das Marco-Polo-Album erfolgten übrigens „on holy ground“: in den Mosfilm-Studios, wo der Komponist vor etwas mehr als dreißig Jahren seine letzte Filmmusik zu Tschaikowsky (1970) einspielte. So bleibt Ron Frontiers Anmerkungen im Booklet-Text „There once was a Cowboy from Russia …“ und schließlich „The russian Cowboy had come home“ nichts hinzuzufügen.

Komponist:
Tiomkin, Dimitri

Erschienen:
2003
Gesamtspielzeit:
64:10 Minuten
Sampler:
Naxos|Naxos
Kennung:
8.557699

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