Rebecca (Varèse)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
24. November 2002
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

Nach Daphne du Mauriers Roman-Vorlage inszenierte Alfred Hitchcock für den amerikanischen Produzenten David O. Selznick im Jahr 1939/40 Rebecca. Es wurde sein erster in Amerika überhaupt produzierter Film, nachdem er zuvor noch Jamaica Inn (ebenfalls nach einem du-Maurier-Stoff) in Großbritannien fertiggestellt hatte.

Der märchenhaft-romantische Film Rebecca hat weniger eine Hitchcock-typische Kriminalgeschichte zum Thema, sondern ist mehr eine sehr britisch wirkende Frauengeschichte, eine hochromantische Love Story, kombiniert mit psychologischen Untertönen sowie Mystery-Elementen. Es geht um eine junge Gesellschafterin (Joan Fontaine), die einen attraktiven Lord (Laurence Olivier) heiratet und ihm auf seinen luxuriösen Landsitz Manderley folgt. Dort gerät sie unter den lebensbedrohlichen Einfluss der dämonisch-psychopathisch anmutenden Hausdame, Mrs. Danvers (Judith Anderson), die der verstorbenen ersten Frau des Lords, Rebecca, über den Tod hinaus sklavisch ergeben ist und in der neuen Herrin auf Manderley eine „Rivalin der Toten“ sieht.

Dieser heute zu den Klassikern des berühmten Regisseurs zählende Film erhielt den Oscar als die beste Produktion von 1940. Das, was Rebecca zeitlos macht, ist die Mischung aus Liebesromantik und stimmungsvoller Atmosphäre, durch eine latent anwesend erscheinende „tote Rebecca“, die ihre Nachfolgerin in ernsthafte Verwirrung treibt – wobei hier Franz Waxmans Filmmusik eine Schlüsselrolle übernimmt. Für den Komponisten (näheres zu F. Waxman in Mr. Skeffington) resultierte immerhin eine Academy Award-Nominierung – die zweite von insgesamt 12 Nominierungen, die der Komponist bei insgesamt 188 Filmkompositionen erhielt.

Rebecca zeigt Waxman zum einen als zu starken melodischen Einfällen fähigen Vollblutromantiker (wie auch in Prince Valiant und Peyton Place) und zum anderen als jemand, der gleichermaßen das Mysteriös-Geheimnisvolle und Bedrohliche von Mrs. Danvers in adäquate Töne zu fassen verstand. In letzterem spiegelt sich ein Hauch seiner ebenfalls exemplarischen Horrorfilm-Musik von 1935 zu Bride of Frankenstein wider. Entsprechend der romantischen Love Story zeigt sich der vielseitige Komponist von einer ausgeprägt melodisch-lyrischen Seite, steht dabei teilweise stilistisch auch seinen berühmten Kollegen Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner nahe – z. B. in der Fanfare in „Entrance Hall“, in den Mickey-Mousing-Anleihen in „Marriage“ und in der breit ausschwingenden Melodik (nicht allein) in „Terrace Scene“. Hier greift das schon zum Adolph-Deutsch-CD-Album The Maltese Falcon Geschriebene ebenso: „… Die partielle Annäherung an Steiners und Korngolds sinnfällig-melodieorientierten – von den Klangidiomen eines Richard Strauss und Giacomo Puccini stark gefärbten – üppig romantischen Stil ist für den stark melodramatischen Stoff adäquat und keinesfalls ein flaches, unnötiges Stil-Plagiieren …“. Hierzu zählen auch zwei elegante Walzer, die natürlich in erster Linie gekonnt auskomponierte Hintergrundmusik, aber zugleich auch stimmungsmäßig wichtiges Handlungskolorit sind.

Franz Waxmans Musik zu Rebecca war zweifellos in ihrer Entstehungszeit als Untermalung für den zugleich hochromantischen und düster-geheimnisvollen Film ein Meilenstein und ist nach Bride of Frankenstein die zweite ganz große Waxman-Filmmusik. Mit Blick auf Waxmans spätere – kompositorisch noch vielseitiger und in Teilen auch raffinierter gestaltete – Werke, ordne ich diese zweifellos sehr hochwertige, betörend-schwelgerische Filmmusik aus der Glanzzeit des Golden Age bei fünfeinhalb Sternen ein.

Neben der knapp 8-minütigen Suite aus Rebecca (die Charles Gerhardt 1974 für das LP-Album „Sunset Boulevard – The Classic Film Scores of Franz Waxman“ im Rahmen seiner „Classic Film Score Serie“ einspielte) hat der Schweizer Adriano bereits 1991 eine Einspielung mit dem Tschechoslowakischen Radio-Sinfonie-Orchester Bratislava auf dem Marco-Polo-Label vorgenommen. Joel McNeely und das Royal Scottish National Orchestra sind nun nochmals angetreten und haben ihre Version dieser klassischen Waxman-Musik auf Varèse vorgelegt. Allerdings hat McNeelys Version einen groben Schönheitsfehler: Sie ist mit ihren knapp 55 Minuten gegenüber der Adriano-Fassung um ganze 18 Minuten kürzer. In beiden Booklets ist von rund zwei Stunden von Waxman für den Film eingespielter Musik die Rede und auch, dass die komplette Originalpartitur vorlag. So erscheint – im Zusammenwirken mit der im Booklet-Text kurioserweise völlig fehlenden Begründung zur Auswahl der eingespielten Musikteile – die McNeely-Kurzfassung mit ihren immerhin rund 25 Minuten ungenutzter CD-Kapazität als eine doch etwas merkwürdige „Sparversion“.

2365Der Adriano-Einspielung fehlt leider insbesondere die schwelgerische Eleganz, die diese ausgeprägt romantische Musik nun einmal braucht. McNeelys Version vermag spieltechnisch und interpretatorisch insgesamt mehr zu überzeugen; das gegenüber der Adriano-Fassung Fehlende schmerzt trotzdem: so die dem Track „Mrs. Danvers“ vorangestellte Korngold-ähnliche Fanfare in „Entrance Hall“ – welche die vergangene Pracht und Größe des Landsitzes Manderley symbolisiert; der nach „Hotel Lobby“ zweite große Walzer der Partitur für das Fest auf Manderley „Manderley Ball“ und auch der gesamte Musikkomplex nach dem Ball „After the Ball/The Rockets/At Dawn“. Ebenfalls schade ist, dass McNeely auf das den Score einleitende Selznick-International-Trademark (komponiert von Alfred Newman) verzichtet und damit ein gutes Stück Kinoatmosphäre schlichtweg verschenkt.

Neben dem schmucklosen und überhaupt etwas schlichten Booklet zur Adriano-CD schneidet die Varèse-Variante auch in diesem Punkt zwar deutlich besser ab, vermag aber auch hier nicht voll zu überzeugen. Christopher Husteds sorgfältig recherchierter, recht umfangreicher Text gibt zwar interessante Einblicke in die Hintergründe und Probleme bei der Filmvertonung, lässt dafür aber eingehendere analytische Anmerkungen zur Musik wiederum vollständig ausgespart.

So macht die jetzt vorliegende neue Einspielung der Rebecca-Musik insgesamt doch einen etwas zwiespältigen Eindruck: sie ist leider kein vollwertiger Ersatz zur schwächeren, dafür aber ein ganzes Drittel längeren Adriano-Version. Damit dürfte jetzt wohl der Weg zu einer voll befriedigenden Einspielung endgültig verbaut sein, denn kaum jemand dürfte hier wohl nochmals den Mut zu einem erneuten und damit dritten Anlauf finden …

Trotz dieser kritischen Anmerkungen und den nicht wegdiskutierbaren Schwächen auch der neuen Rebecca-Edition (dafür gibt es einen halben Stern Abzug), verbleiben unterm Strich 5 Sterne, die eine Anschaffung mehr als nur erwägenswert machen sollten.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Waxman, Franz

Erschienen:
2002
Gesamtspielzeit:
54:23 Minuten
Sampler:
Varèse
Kennung:
VSD-6160

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