Quo Vadis (Prometheus-Neueinspielung)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
30. März 2013
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

Hollywood in den späten 40ern: das aufstrebende Medium Fernsehen und die beginnende Gegenoffensive des Studiosystems

Während des 2. Weltkriegs blieben die USA auf eigenem Territorium zwar von Zerstörungen und Kampfhandlungen verschont, aber insbesondere Hollywood wurde bereits im Vorfeld, durch das bereits 1938 begonnene stückweise Wegbrechen der europäischen Absatzmärkte, erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Hinzu kamen nach dem Kriegseintritt der USA die Restriktionen aufgrund staatlicher Vorgaben sowie Spar- und Rationierungsmaßnahmen, etwa bei Roh- und Treibstoffen. Diese schränkten die Mobilität an der Heimatfront beträchtlich ein, was den US-Kinos einen Boom bescherte. Die steigenden wöchentlichen Besucherzahlen erreichten 1946 ihren Höhepunkt. Danach begannen sie bereits recht zügig zu sinken und lagen zehn Jahre später — übrigens trotz der Breitwand-Offensive der Hollywood Studios (s. u.) — nur noch bei etwa 50% des einstigen Spitzenwertes. Mitentscheidend dafür war eine auf den Plan getretene, zunächst noch unscheinbare Konkurrenz: das Fernsehen.

5756Nach ersten Testausstrahlungen im Jahr 1939 hatte 1941 The National Television System Committee (NTSC) den Standard für via Antenne empfangbare Fernsehprogramme gesetzt. Zwar verlangsamten die Kriegsjahre die Entwicklung, aber ab 1945 setzte mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Boom, befeuert durch das vom US-Außenminister George C. Marshall initiierte European Recovery Program (ERP), der Aufschwung auch beim Fernsehen ein. Auch wenn bis Ende der 40er Jahre erst in ca. 10 Prozent der US-Haushalte Schwarzweißgeräte betrieben wurden, war dies nur die Ruhe vor dem Sturm. Ab 1950 begann sich die Entwicklung dramatisch zu beschleunigen — ähnlich wie rund 10 Jahre später auch in der Bundesrepublik, siehe dazu So weit die Füße tragen. So eroberte sich das schwarzweiße Pantoffelkino bis 1959 rund 90 Prozent der US-Haushalte. (Farb-TV kam zwar bereits 1953 ebenfalls auf den Markt. Es führte allerdings bis etwa Mitte der 60er eher ein Schattendasein.) Entsprechend gilt in den USA diese Dekade auch als „The Golden Age of Television“. Nicht erst zu diesem Zeitpunkt, sondern bereits Ende der 40er begann in Hollywood, neben den Auswirkungen des so genannten „Hollywood Antitrust Case“, auch das Bewusstsein für die aus der Konkurrenz Fernsehen resultierenden Herausforderungen zu wachsen. Hinzu kam, dass bereits in jenen Jahren viele Amerikaner in die Vorstädte zogen und damit (zu) weit von den in den Innenstädten konzentrierten Abspielstätten entfernt waren.

Hollywood begann also bereits im Vorfeld der 1953 — infolge des dramatisch steigenden Absatzes von TV-Geräten — zusätzlich eingeführten Breitwandverfahren inklusive Stereo-Sound mit groß angelegten Kostümfilmproduktionen gegenzuhalten. (Darin einen reinen Konfrontationskurs zu sehen, wäre allerdings eine Überinterpretation. Die Studios sahen im Fernsehen nicht längerfristig ausschließlich die missliebige Konkurrenz. Sie begannen vielmehr recht zügig auch das im „Pantoffelkino“ steckende Potenzial zu erkennen. Entsprechend begann man bereits in den frühen 50er Jahren sich im Bereich der US-TV-Networks zu etablieren.) Dabei erscheint es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass die Hinwendung zu frömmelnden Stoffen nicht nur ein Wiederauflegen eines bereits in der Stummfilm- und frühen Tonfilmära erfolgreichen Genres gewesen ist. Der Kalte Krieg sowie die Hatz gegen die „gottlosen“ Kommunisten in der McCarthy-Ära dürften dabei durchaus mitentscheidend für die (zumindest in der Anfangsphase) auffällig bevorzugte Wahl biblisch angehauchter Filmstoffe gewesen sein. Dass man sich bei der Vermarktung der wohlwollenden Unterstützung durch die Kirchen sicher sein konnte, ist ebenfalls plausibel.

Den Anfang machte Regisseur Cecil B. DeMilles Samson und Delilah (1949, Musik: Victor Young), gefolgt von David und Bathsheba (Regie: Henry King, Musik: Alfred Newman), den 20th-Century-Fox für 1951 vorankündigte. Beim größten und glanzvollsten der Hollywood-Studios, MGM, besann man sich eines bereits seit Mitte der 1930er in Erwägung gezogenen Projektes: Einer Neuverfilmung des 1895 erschienenen Erfolgsromans „Quo Vadis?“ des polnischen Romanciers Henryk Sienkiewicz. Produzent Sam Zimbalist und Regisseur Mervyn LeRoy nahmen die Sache schließlich in die bewährten Hände, nachdem Produzent Arthur Hornblow junior sowie Regisseur Sam Huston sich aus dem Projekt zurückgezogen hatten.

Wie der 1959er Ben Hur besitzt auch MGMs 1951er Quo Vadis nicht nur einen Vorläufer in der Stummfilmära. Die zweite, italienische Version aus dem Jahr 1912 besaß eine Lauflänge von etwa zwei Stunden und ist die erste Umsetzung, die sowohl dank professioneller Akteure und größerer Ausstattung bereits einen gewissen epischen Charakter besaß.

Um Kosten zu sparen, wurde MGMs Neuverfilmung in den italienischen Cinecittà Studios produziert, die damals noch stark vom Krieg gezeichnet waren und in Teilen erst hergerichtet werden mussten. Für die Produktion eines Filmepos’ in Technicolor — siehe dazu The Adventures Of Robin Hood (1938) — reichten zudem die seinerzeit in Rom verfügbaren Elektrizitätsmengen bei weitem nicht aus. Für die erforderliche massive Ausleuchtung der Szenen mussten daher fünf (späterhin sogar insgesamt sechs) große Generatoren herangeschafft werden.

Quo Vadis (1951): der Film

5757Der 2008 bei Warner Home Video auf DVD und Blu-ray erschienene neue Quo-Vadis-Transfer hinterlässt insbesondere in der HD-Version von Blu-ray einen überzeugenden Eindruck. Er lässt die Stärken, aber auch die eklatanten Schwächen des Films gut nachvollziehbar werden. Auch wenn seinerzeit sehr erfolgreich, ist der Film späterhin nie als annähernd gleichwertig mit dem 59er Ben Hur gehandelt worden. Einer seiner Pluspunkte liegt eindeutig im Bereich des Visuellen, wobei die verschwenderische Ausstattung dank 3-Farben-Technicolor besonders prachtvoll herüberkommt. Das auch zukünftig langlebigste Attribut des Films dürfte jedoch die faszinierende Musikuntermalung des ungarischen Komponisten Miklós Rózsa (1907-1995) sein. Die nicht erst heutzutage als gehörig seicht und klischiert angesehene Filmhandlung ist zusätzlich mit einer gehörigen Portion Kitsch versehen und vermag daher kaum zu fesseln.

Die im Jahre 64 nach Christus angesiedelte Story spielt im Rom Kaiser Neros (Peter Ustinov). Der von einem Feldzug in Britannien siegreich heimkehrende Feldherr Marcus Vinicius (Robert Taylor) verliebt sich in die als politische Geisel im Haus des Generals a. D. Plautius (Felix Aylmer) lebende Lygia (Deborah Kerr). Lygia ist bereits Christin geworden, und so wird auch Marcus in die dramatische Christenverfolgung nach dem Brand von Rom hineingezogen.

Was dazu hier nun über insgesamt fast drei Stunden geboten wird, ist schlichtweg ein Mix aus prochristlicher Propaganda und Geschichtsklitterung. Nero war immerhin von 54 bis 68 Kaiser des Römischen Reiches und damit rund vier Jahre über den Brand Roms im Jahr 64 hinaus, was in der Hollywood-Version völlig anders erscheint. Überhaupt sind die zeitlichen Abläufe im Film (wie häufig in Kinoproduktionen, z. B. auch in Der-Herr-der-Ringe-Trilogie) arg komprimiert. Historiker sehen Kaiser Nero heutzutage nicht mehr als derart überzogen exzentrisch oder gar latent wahnsinnig, wie von Peter Ustinov dargestellt — die (Roman-)Vorlage ist freilich von 1895. Die Bilanz der ersten fünf Jahre seiner Regierungszeit wird vielmehr als außerordentlich positiv beurteilt. Erst danach entwickelte er sich zunehmend zu einem von der Macht korrumpierten verschwendungssüchtigen Tyrannen. Er gilt auch längst nicht mehr als der, der Rom anzündete, und neben anderem gilt auch die Behauptung, er habe das große Feuer vom Balkon seines Palastes aus beobachtet und dazu gar begleitet von der Lyra besungen, als tendenziöse Erfindung römischer Chronisten. Der große Brand von 64 erweist sich bei genauerer Betrachtung nur als einer von vielen verheerenden Bränden, welche die antike Metropole und bis ins frühe 20. Jahrhundert auch andere eng und verwinkelt bebaute Städte immer wieder heimsuchten. Er ist allerdings der bestdokumentierte, da er Anlass der ersten großen Christenverfolgung wurde.

Die Christen, deren Symbol damals noch der Fisch und nicht das heutzutage geläufigere Kreuz war, wurden hier zwar zu den Sündenböcken gemacht. Dass sie im heidnischen Römischen Reich lange eher verhasst waren, kam allerdings nicht von ungefähr. Sie verweigerten sich nämlich dem gesetzlich vorgeschriebenen Kaiserkult, und das bedeute als Gotteslästerung eine schwerwiegende Störung des sozialen Friedens.

Trotz diverser Schwächen seines Drehbuches, das über manch positiven Aspekt der Romanvorlage hinweggeht, besitzt Quo Vadis aber in jedem Fall Stellenwert durch seinen großen Erfolg. Er hat zwar nicht das Genre an sich begründet, aber in jedem Fall die nachfolgende Welle der so genannten „Sandalen-Filme“ ausgelöst. Die junge Sophia Loren war übrigens eine von den rund 30.000 Statisten der Massenszenen, und Carlo Pedersoli alias Bud Spencer war ebenfalls mit von der Partie, als einer von Neros Prätorianergarde.

Experimentelle Musikarchäologie: Miklós Rózsa vertont Quo Vadis

Miklós Rózsa war über Leipzig, Paris und London, infolge des Kriegsausbruchs schließlich nach Hollywood gelangt. Der für Alexander Korda vertonte The Thief of Baghdad • Der Dieb von Baghdad (1940) gab Rózsa zum ersten Mal die Gelegenheit, Musik für ein märchenhaft-phantastisches Kostümsujet zu schreiben. Er löste diese Aufgabe ähnlich brillant wie im nachfolgenden Jungle Book • Das Dschungelbuch (1942). 1943 holte ihn Billy Wilder zu Paramount, und 1947 machte er bei Universal Pictures Vertrag. In diesen Jahren schuf Rózsa äußerst bemerkenswerte Filmmusiken zu durchweg betont kühlen, eher düster-realistisch angehauchten Produktionen, insbesondere für die Krimis der so genannten „Schwarzen Serie“, etwa Double Indemnity • Frau ohne Gewissen (1944), aber auch für Kriegsfilme wie Five Graves To Cairo • Fünf Gräber bis Kairo (1943) oder packende Sozialdramen wie The Lost Weekend • Das verlorene Wochenende (1945). 1949 besiegelte Rózsa durch seinen Wechsel zu MGM endgültig die Aufnahme in die Top-Liga der Hollywood-Komponisten des Golden Age. Der Ruhm seiner MGM-Jahre ist in ganz besonderem Maße mit der markant und zugleich unverwechselbar vertonten „Historischen Serie“ verknüpft, die zwar bereits mit Madame Bovary (1949) begann, aber erst durch Quo Vadis (1951) nachhaltig ins Bewusstsein der Film- und Filmmusikliebhaber gerückt ist.

Rózsa hat nämlich gerade für die aufwändig inszenierten, in historisch weit zurückliegenden Epochen angesiedelten Filmsujets seine ohnehin ungemein markante, in der Spätromantik des ausgehenden 19. Jahrhunderts verwurzelte, durch typisch ungarische Einflüsse im Tonfall schwermütige und farbenreiche Tonsprache durch virtuos gehandhabtes Einbeziehen alter Musikstile elegant bereichert. Im Resultat kann dabei von standardisiertem Hollywoodsound nicht die Rede sein. Rózsa hat dem jeweiligen Film in ganz besonderem Maße seinen Stempel aufgedrückt, indem er ihm ein außergewöhnliches wie zugleich unverwechselbar Rózsa-typisches musikalisches Gewand verpasste. Seine starke melodische Inspiration sorgte außerdem für sehr prägnante thematische Einfälle, die als Leitmotive für die Protagonisten, den siegreichen Feldherren Marcus Vinicius und die anmutige Lygia dienen.

Im Falle von Quo Vadis konnte der Komponist aber nicht wie etwa bei Ivanhoe, Diane • Diane — Kurtisane von Frankreich (1956) oder auch El Cid (1962) direkt auf überliefertes Musikmaterial zugreifen. Über die Musik der Antike ist nämlich nur Bruchstückhaftes überliefert. Man kennt eine Reihe antiker Blas-, Zupf- und Rhythmusinstrumente von antiken Abbildungen auf Mosaiken und Skulpturen. Davon sind für Quo Vadis auch verschiedene in größerer Zahl nachgebaut worden, etwa die wohl jedem Sandalenepen-Freund besonders geläufige Cornu, ein kreisrund gefertigtes Metallhorn, das über der Schulter getragen wurde und durch eine schräg im Durchmesser verlaufende Stütze dem Großbuchstaben G ähnelte. Mit diesem frühen Vorläufer des heutigen Waldhorns werden z. B. in Agora — Die Säulen des Himmels (2009), Der Untergang des römischen Reiches (1964) oder in Ben Hur (1959) militärische Signale geblasen. Die nachgebauten antiken Instrumente wurden allerdings nicht etwa in das uns heutzutage geläufige Sinfonieorchester integriert, sondern dienten ausschließlich zur Illustration in diversen Szenen des Films. Einzig eine keltische Harfe kam in der eigentlichen Filmmusik zum Einsatz, da deren Klang dem der antiken Lyra vermeintlich besonders nahe kommt. Den auf den Zuhörer so überzeugend, ja faszinierend wirkenden „römischen Sound“ erzeugte Rózsa letztlich also noch konventionell, nämlich mit ausschließlich modernem Instrumentarium, aber auch durch besondere Spielanweisungen — ähnlich Bernard Herrmann in Anna and The King Of Siam (1946).

5758Im Rahmen eines Artikels im Heft November/Dezember 1951 der Zeitschrift „Film Music Notes“ hat Rózsa im Umfeld des US-Kinostarts eingehender seine quasi „musikarchäologische“ Tätigkeit erläutert. Er beschreibt darin, wie er sich für Teile seiner Komposition deduktiv an die Musikstile der Antike im ersten Jahrhundert angenähert hat. Natürlich war sich der Komponist darüber im Klaren, dass er die Hörgewohnheiten des heutigen modernen Publikums nicht außer Acht lassen durfte, sonst wäre er nämlich beim Einbringen archaischer Klänge aus längst vergangenen Epochen Gefahr gelaufen, den Hörer zu irritieren. Aus diesem Bewusstsein resultierte eine sehr persönliche und im Resultat unverwechselbar gehandhabte Synthese, bei der er aufbauend auf ein Fundament aus vertrauten, spätromantischen Kompositionstechniken Elemente zurückliegender Musikstile in seine Komposition einbaute. Dabei hat sich Rózsa durch die seinerzeit bekannten, aus der Antike und dem frühen Mittelalter überlieferten musikalischen Fragmente nicht nur inspirieren lassen, sondern einzelne sogar in auskomponierter Form in seiner Filmpartitur verwendet. So entstammt etwa die Melodie des den Main Title eröffnenden machtvollen, vom vollen Orchester begleiteten Chorsatzes „Quo Vadis Domine“ (CD 1, Track 2) einer frühmittelalterlichen gregorianischen Hymne „Libera me Domine“. Neros Solo-Gesänge muten hier fast wie Kunstlieder an. Der erste, „The Burning of Troy“ (CD 1, Track 11), basiert auf dem „Lied des Seikilos-Grabsteins“, einer griechischen Quelle aus dem 1. Jahrhundert. Die Nummer zwei, das zum Brand Roms erklingende „The Burning of Rome“ (CD 2, Track 2), verwendet wiederum etwas aus der Gregorianik, den Choral „Omnes sitientos venite ad aquas“. Und zum Brand Roms ertönt im schweren Blech, von lodernden Figuren der Streicher und Holzbläser tonmalerisch umsäumt, feierlich ein Motiv aus der antiken „Hymne an die Sonne“ des griechischen Lyrikers Mesomedes (CD 2, Track 1).

Die charakteristischen frühchristlichen Hymnen verleihen dem Score ebenfalls seine besondere Note. Sie werden weitgehend korrekt, nämlich unisono, also einstimmig, und schmucklos vortragen. Ein packendes Beispiel für die so geschickt ausgeführte Gratwanderung ist hierzu „Jesus Lord/The Last Supper“ (CD 1, Track 14). Es mutet durch seine Einstimmigkeit zuerst etwas glanzlos „antik“ an. Erst durch das im zweiten Teil hinzutretende, brillante Orchesterarrangement erhält es dann aber auch den für heutige Ohren stimmigen feierlichen Charakter.

Hinzu kommen der erste prächtige „römische“ Triumphmarsch im Rózsa’schen ŒŒuvre überhaupt: „Hail Nero“ (CD 1, Track 7), diverse Fanfaren und auch diverse als Hintergrund für Zeremonien, Bankette etc. dienende Source-Stücke wie der „Assyrische Tanz“ (CD 1, Track 10), das besonders urwüchsig anmutende „Bacchanale“ (CD 1, Track 9) oder die zum Einzug des siegreichen Marcus Vinicius in Rom erklingende Hymne in „Dance of the Vestal Virgins“ (CD 1, Track 6).

Dafür geht es im den ersten Filmteil beschließenden kleinen Wagenrennen, „Chariot Race“ (CD 1, Track 19), auch mal ungeschminkt Rózsa- wie hollywoodtypisch zu: Das musikalisch auf dem Marcus-Thema und dem Quo Vadis Domine basierende, sehr bildhafte, im Stile eines Galopps gehaltene Stück wirkt gerade durch den geschickten Einsatz des Schlagwerks (simulierte Peitschenschläge inklusive) besonders effektvoll.

Der bewanderte Rózsa-Hörer begegnet auf der insgesamt abwechslungsreichen musikalischen Reise durch diese groß angelegte Monumentalfilmmusik aber auch Bekanntem: In den glanzvollen Fanfaren für Nero spiegelt sich bereits das spätere, breiter auskomponierte Hatfield-Thema aus Young Bess • Die Thronfolgerin (1953) und der Marsch „Hail Galba“ wurde als „Bread and Circus March“ in Ben Hur wiederverwendet.

Was damals noch in den Kinderschuhen steckte, nämlich eine Antwort auf die Frage zu finden: „Wie klang antike Musik?“, da ist man heutzutage erheblich weiter. Klangformationen wie „SYNAVLIA“ oder „MVSICA ROMANA“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, dem Klangempfinden römischer Musik möglichst nahe zu kommen. Auch wenn jede derartige Rekonstruktion mangels zuverlässiger Überlieferungen immer grobe Näherung bleiben wird, macht sie deutlich, dass, so faszinierend der Rózsa’sche Vertonungsansatz auch ist, er mit der Realität nur wenig gemein hat. Interessanterweise hat Jerry Goldsmith dies wohl ähnlich gesehen. Die von ihm für Masada (1981) entworfenen archaisierend gehaltenen Source-Musiken, darunter auch der originelle Marsch zur Feier von Kaiser Vespasians Geburtstag, sind klanglich dem auf „Römerfesten“ unserer Tage Gebotenen besonders nahe, wirken somit recht „authentisch“.

Die vollständige Quo-Vadis-Musik in der Prometheus-Tadlow-Neueinspielung

Direkt gesagt: Die lang erwartete Neueinspielung der erstmalig vollständigen Ouo-Vadis-Musik ist wiederum eine äußerst runde und damit empfehlenswerte Sache geworden. Die Prager Philharmoniker inklusive Chor unter der Leitung von Nic Raine meistern souverän alle Tücken dieser kolossalen Rózsa-Filmmusik. Die Aufnahmetechnik hat ebenfalls grandios gearbeitet. Vielleicht sind dafür auch die vom Toningenieur Jan Holzer am legendären „Decca Tree“, der bereits für die frühen Stereoaufnahmen der 1950er zum Einsatz kam, positionierten drei Neumann-150-Mikrofone in besonderem Maße mitentscheidend. Ebenso lobenswert ist der wiederum so kompetente wie detaillierte Begleithefttext von Frank DeWald, der dem Leser unter anderem verrät, dass das für die Einspielungen benötigte Orchestermaterial aus der mühevollen Arbeit von Leigh Phillips und seinem Team stammt.

Für das exzellente Gesamtergebnis bildete zweifellos die „Quo Vadis: Music and Effects Reconstruction“, enthalten in FSMs verdienstvollem 15-CD-Box-Set „Miklós Rózsa Treasury (1949 – 1968)“, erschienen 2010, die mitentscheidende Referenz. Von den originalen Musikeinspielungen zu Quo Vadis sind neben den auf dem 1951er-LP-Album veröffentlichten rund 26 Minuten nur noch Fragmente erhalten geblieben, etwa diverse Pre-Recordings der beiden Römischen Märsche „Hail Nero“ und „Hail Galba“ sowie einige Lieder wie Neros „Burning of Troy“ und diverse Fanfaren. Die vorstehend genannte FSM-Box vereint nicht nur dieses Material auf einer CD (rund 71 Minuten). Auf einer zweiten befindet sich außerdem die eingangs erwähnte chronologische Zusammenstellung (rund 77 Minuten) aus den noch im Archiv befindlichen „Music and Effects Tracks“, also den für Synchronisationszwecke verwendeten Musik-und-Geräusche-Mix (s. o.). Das hier Gebotene ist zwar technisch sämtlich von eher bescheidener Qualität, aber es ermöglicht natürlich wertvolle tiefe Einblicke in die Original-Einspielung.

5759Dieses Material ist natürlich ebenso für den Käufer der aktuellen Prometheus-Gesamtaufnahme eine wertvolle Referenz, und ebenso für die in früheren Einspielungen präsentierten Auszüge. Dabei wird unter anderem deutlich, wie sorgfältig auch die beiden Lieder Neros (interpretiert von John Langley) in der Nachspielung realisiert wurden. Zum anderen wird aber auch die experimentelle Herangehensweise des Komponisten ansatzweise nachvollziehbar. Diese Aussage betrifft einige der Source-Cues, mit deren Konzeption Rózsa die Vertonung von Quo Vadis überhaupt begann. Besonders markant sind dabei die erhalten gebliebenen Pre-Recordings der sogar im Freien aufgenommenen beiden „Römischen Märsche“, wobei es „Hail Nero“ interessanterweise in drei verschiedenen Geschwindigkeiten gibt. Die langsamste davon kommt übrigens Rózsas 1978er Decca-LP-Einspielung sehr nahe, während das Tempo der Filmversion dagegen erstaunlich straff anmutet. (Hierzu bleibt anzumerken, dass in Konzertdarbietungen und auch CD-Einspielungen gerade die Ben-Hur-Märsche, aber auch das quasi römische Marschfinale aus Respighis „Römische Pinien“ häufiger derart zu schnell präsentiert werden, dass man dazu kaum mehr zu marschieren vermag.)

Neben dem (nur im Choreinsatz) geringfügig andersartigen Film-Main-Title findet sich im Doppel-CD-Set als sinnvolle Zugabe die vom Komponisten erstellte viersätzige Konzertsuite. Diese ist (wie auch bei der zu Ben Hur etc.) merklich anders instrumentiert und setzt sich dadurch vom Klang des Originals deutlich ab. Hier hat Rózsa nämlich noch mehr Rücksicht auf die Hörgewohnheiten des mit Filmmusik wenig vertrauten Klassik-Publikums genommen und z. B. die im Original reine Bläserbesetzung der Märsche mit Streichern ergänzt, diese dadurch weniger archaisch und stattdessen runder gemacht. Insbesondere Nachspielungen einzelner Stücke der besagten Konzertsuite bilden die Basis der unzähligen auf dem Markt befindlichen Rózsa-Sampler und -Kompilationen.

Fazit: Auch wenn der 1951er Quo Vadis als Film heutzutage wesentlich weniger interessant erscheint als der ungleich kraftvollere Ben Hur (1959), lässt sich diese Aussage nicht auf die in beiden Fällen von Miklós Rózsa stammende Filmmusik übertragen. Hier zeigt sich spätestens nach eingehenderem Hören der nun endlich vorliegenden, exzellenten Prometheus-Tadlow-Gesamteinspielung, dass beide Musiken von gleich hoher kompositorischer Qualität sind, was zugleich den hohen Repertoirewert der Produktion unterstreicht.

Nun ist man nicht mehr auf die einen merklich anderen Charakter besitzende Konzertsuite oder auf die technisch eher unbefriedigenden Auszüge aus der Originaleinspielung von der alten 51er Plattenveröffentlichung beschränkt: Vielmehr kann man sich die Quo-Vadis-Musik in der Original-Filmversion jetzt endlich auch komplett, interpretiert mit viel Verve sowohl in brillantem Stereo-Klang als auch annähernd originalen Filmtempi zu Gemüte führen. Dagegen verblasst dann auch der Glanz der zwar klangtechnisch sehr guten, aber insbesondere unter ihren teilweise sehr schleppenden Tempi leidenden 1978er Decca-LP-Einspielung von rund 40 Minuten an Musikauszügen mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung des Komponisten.

Weiterführender Link: Unbedingt lesenswert zum Thema sind die betreffenden Teile im online frei zugänglichen umfangreichen Begleittext der FSM „Miklós Rózsa Treasury (1949 – 1968)“, in welchem auch ein Reprint des oben erwähnten Rózsa-Quo-Vadis-Artikels aus dem 1951er Heft November/Dezember der Zeitschrift „Film Music Notes“ enthalten ist.

Hier finden Sie einen Überblick über alle bei Cinemusic.de besprochenen CDs des Labels Tadlow Music.

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Komponist:
Rózsa, Miklós

Erschienen:
2012
Sampler:
Prometheus
Kennung:
XPCD 172 (2 CDs, Vertrieb Tadlow/Silva Screen Records)
Zusatzinformationen:
City of Prague PO, N. Raine

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