Nur ein halbes Jahr nach Matrix: Reloaded startet am 5. November der letzte Teil der Matrix-Trilogie, Matrix: Revolutions, weltweit in den Kinos. Im zweiten Teil hatte sich der Konflikt zwischen den intelligenten Maschinenwesen – den Erschaffern der gigantischen Menschen-Zucht- und Ausbeutungs-Maschinerie „Matrix“ – und einer Gruppe von Abtrünnigen um den „Ausersehenen“ Neo (Keanu Reeves) dramatisch zugespitzt. Revolutions schließlich schildert den letzten großen Befreiungskampf der Menschheit gegen die Maschinen.
Don Davis’ Score hierfür markiert den Endpunkt einer musikalischen Entwicklung: In seiner Vertonung für The Matrix (1999) verband er „minimal music“ (mit John Adams als unüberhörbarem Haupt-Stilvorbild) mit Einflüssen der Nachkriegs-Avantgarde und betrat damit im Filmmusikbereich Neuland. Oftmals stark dissonante polyphone Klangschichtungen, wilde ostinate Motorik und solide Motivarbeit definieren den damals erfrischend neuartig klingenden, modernen „Matrix-Stil“.
Matrix: Reloaded (2003) knüpfte daran an, ließ aber (neben stark betonter Techno-Rhythmik) schon eine Tendenz zu traditionelleren Mitteln, vor allem zu konventioneller figuren- und situationsbezogener Themenarbeit erkennen.
Eine Richtung, die Davis in seiner finalen Revolutions-Partitur konsequent weiterverfolgt. Diese bietet einerseits die mittlerweile bekannten Matrix-Elemente wie das antiphonal changierende Bläser-Hauptmotiv, auf vielfach ineinander verzahnter Wiederholung von Motiven beruhenden Kontrapunkt, ausgiebige Verwendung von Cluster-Akkorden und die Pyramidentechnik (schrittweises „Aufeinanderhäufen“ von immer höher/tiefer werdenden Klängen). Zu diesen sehr zeitgenössischen Techniken stößt andererseits auch der eine oder andere eher spätromantische Gefühlsausbruch im Stile eines James Horner, und in den Action-Momenten wird desöfteren mit bewährten martialischen Rhythmus-Schemata gearbeitet. Revolutions nutzt auch den Chor intensiver als die Vorgänger-Musiken, wobei sich der Komponist hier ebenso an Altbewährtem orientiert – und dabei manchmal gar in bedrohliche Nähe zu Howard Shores Lord-of-the-Rings-Scores (inklusive dem jetzt mehr denn je „vorbelasteten“ Knabensopran) gerät. Die von Neutönern wie Ligeti u. a. erschlossenen Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme werden großteils außen vor gelassen.
Musikalisch ist die Matrix also insgesamt merklich „zahmer“ geworden. Manche mögen darin einen konzeptionellen Mangel sehen und Davis vorwerfen, ihm hätte der lange Atem gefehlt, die einmal eingeschlagene Gangart bis zum Ende durchzuziehen. Das wäre allerdings vorschnell geurteilt. Er hat vielmehr eingesehen, dass gewisse filmische Handlungsmuster (Liebesgeschichte, Happy End etc.) einfach nach erprobteren Musiklösungen verlangen. Bei aller Freude am Experiment ist ihm bewusst, dass ein um jeden Preis aufgezwungener ungewöhnlicher Vertonungsansatz unter Umständen mehr schaden als nutzen kann. Was Orchesterhandwerk und kreativen Umgang mit dem Motivmaterial angeht, befindet sich die Musik dabei ungefähr auf vergleichbar hohem Niveau wie die Vorgänger. Ein Grund mehr, nicht krampfhaft Schwächen zu erfinden, wenn keine augenfälligen vorhanden sind.
Für den „durchschnittlichen“ Filmmusikhörer dürfte die soeben erörterte stilistische Aufweichung sogar von Vorteil sein. Er bekommt mit Matrix: Revolutions einen vergleichsweise zugänglichen, in Teilen Mut zu melodisch-eingängigen Phrasen (etwa in den Tracks „Kidfried“ und „Spirit of the Universe“) zeigenden Score, der dennoch klar dem Matrix-Klangkosmos angehört. Erklärte Anhänger des modernistisch-rauen Matrix-Stils wiederum werden sich vor allem für jene Stücke begeistern, in denen Davis sein komplexes Actionscoring zu neuer Intensität steigert. Denn die teilweise Rückkehr zu bewährten Hollywood-Standards bedeutet nicht, dass der Komponist nicht darauf bedacht wäre, an manchen Stellen dennoch für (kleine) Revolutionen zu sorgen. Hier sei exemplarisch die 6-minütige orchestrale Achterbahnfahrt „Neodämmerung“ genannt, in der auch der 80-köpfige (Sanskrit-Verse singende) Chor recht eindrucksvoll zum Zug kommt.
Das Revolutions-Album bietet großzügige 50 Minuten von Don Davis’ Originalkomposition und damit den längsten Score-Anteil aller Matrix-CDs (5 Minuten davon enthalten die aus Reloaded bekannten Drum-Loops von „Juno Reactor“, die die Musik hier zwar genausowenig aufwerten, aber diesmal nicht allzu penetrant wirken). Die verbleibende knappe Viertelstunde entfällt auf einen leider wertvolle 9 Minuten aufzehrenden, auf „World Music meets Techno“ getrimmten „Neodämmerung“-Remix von „Juno Reactor“ („Navras“) und die lärmende Techno-Nummer „In My Head“ von „Pale 3“. Letztere dürfte ein letztes verzweifeltes Zugeständnis an jene sein, deren Interesse sich bisher vor allem auf die „Inspired by“-CD zu The Matrix und CD 1 des Matrix: Reloaded-Doppelalbums gerichtet hat. Ganz alleine auf weiter Flur, wie er sich hier als Track 4 präsentiert, wirkt der Titel jedoch denkbar deplatziert und stört den sonst flüssigen Ablauf des Albums – Programmieren schafft Abhilfe.