Kleine Klassikwanderung 40: Franz Schmidt — bloß ein „Meister nach Brahms und Bruckner“?
Die berühmte Frage „Kennen Sie den?“ dürfte auf den Komponisten Franz Schmidt bezogen mancher Leser zwar mit „Ja“ beantworten, dafür allerdings wohl nur ein einziges Stück benennen können: nämlich das klangschwelgerische Intermezzo aus der ansonsten eher wenig geläufigen Oper „Notre Dame“ — nach dem gleichnamigen Roman von Victor Hugo.
Franz Schmidt (1874-1939) wurde im selben Jahr wie Arnold Schönberg in der heutigen Slowakei, in Bratislava geboren, das damals als Teil der k. u. k. Monarchie noch Pressburg hieß. Aufgewachsen im sehr musikalischen Umfeld des Elternhauses prägte ihn nachhaltig die deutsch-ungarisch-slowakische Mixtur der Region. 1888, nach dem Bankrott des Vaters, übersiedelte der erst 14-Jährige nach Wien, wo er als Hauslehrer bei einer gut situierten Familie unterkam. Und bereits 1890 begann der blutjunge Schmidt die Ausbildung am Konservatorium, wobei ab 1892 die ersten Kompositionen entstanden. Hervorstechende Merkmale dieser frühen Jahre waren außergewöhnliche Qualitäten beim Studienschwerpunkt Cellospiel sowie als Pianist. Im Februar 1896 erregte der junge Mann im Rahmen eines Schülerkonzerts sogar die Aufmerksamkeit des alten Johannes Brahms. Im Oktober desselben Jahres schnitt er trotz beachtlicher Konkurrenz beim Wettbewerb um eine freie Cellistenstelle im Wiener k. k. Hofopernorchester als Bester ab und wurde prompt engagiert.
Die folgende Dekade ist allerdings durch die Konflikte während der Ära Gustav Mahlers an der Hofoper nachhaltig überschattet worden. Das anfänglich gute Verhältnis beider Musiker scheint besonders durch diverse Intrigen in „eisige Kälte“ überführt worden zu sein. Auch hat Mahler, wohl ausgelöst durch einen Teil der Journallie, nach der Uraufführung von Schmidts erster Sinfonie (komponiert zwischen 1896 und 1899) begonnen, in ihm einen ungeliebten Konkurrenten zu sehen. Die Gesamtsituation wurde durch Schmidts temperamentvolles Verhalten sowie mangelndes diplomatisches Geschick und Überempfindlichkeit keineswegs entspannt. Auch die Umstände um die Uraufführung des 1904 fertig gestellten Opern-Erstlings „Notre Dame“ sind vom Konflikt mit Mahler überschattet. Mahler ließ sich zwar vorspielen, nahm das Werk aber nicht zur Uraufführung an. Schließlich wurde die Oper erst am 1. April 1914 an der Wiener Staatsoper unter Franz Schalk aus der Taufe gehoben. Ob die darauf folgende siebenjährige Schaffenspause des Komponisten zumindest teilweise darauf zurückzuführen ist, kann man nur vermuten.
1911 trat Schmidt aus dem Verband der Wiener Philharmoniker aus, blieb allerdings noch Mitglied des Wiener Hofopernorchesters, aus dem er sich erst 1914 endgültig zurückzog. Die als Verein organisierten Wiener Philharmoniker und das Wiener Hofopernorchester — heute das Orchester der Wiener Staatsoper — sind übrigens identisch; in beiden Klangkörpern spielen dieselben Musiker.
Chronologisch folgte die bereits 1911 begonnene 2. Sinfonie, uraufgeführt 1913. Ebenfalls in zeitlich gebührendem Abstand entstanden die beiden weiteren Sinfonien Nr. 3 (uraufgeführt im Dezember 1928) sowie sein vierter und letzter Beitrag zu dieser Gattung (uraufgeführt im Januar 1934). Auslöser für die vierte Sinfonie war ein Schicksalsschlag: 1932 starb seine Tochter Emma kurz nach der Geburt ihres Kindes. Schmidt widmete ihrem Andenken besagte 4. Sinfonie als ein „Requiem für meine Tochter“.
1916 begann Schmidt mit der Arbeit an seiner zweiten Oper „Fredigundis“, die er am 21. August 1921 abschloss. Die Uraufführung am 22. Dezember 1922 in Berlin wurde ein Misserfolg, aus dessen Schatten es dem Werk bis heute nicht gelungen ist, hervorzutreten. Die Wiener Erstaufführung erfolgte am 8. März 1924. Leider ist besagte „Fredigundis“ bislang nur in wenigen Bruchstücken und dabei auch noch in eher unzulänglicher Mitschnitt-Qualität vorhanden; wobei diese zudem schwer erhältlich sind. Die Probleme des Stückes liegen zum einen wohl in der — im Vergleich zum etwa zeitgleich entstandenen Berg’schen „Wozzeck“ — eher verhaltenen Modernität im Ausdruck. Zum anderen ist das offenbar von einer verworrenen und mit Logiklöchern durchsetzten Handlung bestimmte Libretto ebenfalls nicht dazu angetan, die Situation zu erleichtern. Die eher kolportagehaft und blutrünstig wirkende Opernhandlung beruht auf einem historisierenden Roman Felix Dahns: dem Band fünf der „13 kleinen Romane aus der Völkerwanderungszeit“. Die Geschichte um die Merowingerkönigin Fredigundis ist übrigens eine Fortsetzung seines Erfolgsromans „Ein Kampf um Rom“. Und so bleibt die „Fredigundis“ auch in den meisten Opernführern unerwähnt, fällt also komplett unter den Tisch.
Mitte der 1920er begann die Phase der Anerkennung und Würdigung seines Schaffens. Schmidts in diesem Zusammenhang bedeutende, umfangreiche Lehrtätigkeit lassen die folgenden Daten zumindest erahnen. Im Uraufführungsjahr von „Notre Dame“ übernahm der Komponist eine Professur für Klavierspiel an der Staatsakademie für Musik (dem Konservatorium), wo er ab 1920 auch Musiktheorie unterrichtete. 1927 wurde er Rektor der Wiener Musikhochschule, 1928 Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde.
Ende der zwanziger Jahre zeigten sich allerdings die ersten Symptome einer vielschichtigen, schleichenden Krankheit, deren Verlauf durch den unerwarteten Tod der Tochter (s. o.) ungünstig beeinflusst wurde. Ein chronisches Herzleiden begründete Todesangst und damit verbunden die ständige Befürchtung, ein Werk nicht mehr vollenden zu können.
In jedem Fall noch erwähnt werden muss das Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ nach Texten aus der Offenbarung des Johannes. Diese Vertonung der prophetischen Vision der Apokalypse entstand in den Jahren 1936 und 1937. Diese groß angelegte, theatralische Chorkomposition zählt zweifellos zum Wertvollsten im Werkkatalog des Komponisten. Neben den in Teilen äußerst komplex ausgeführten, ausladenden Chören ist der souveräne, vom Klang des Orchesters weitgehend abgesetzte Part der Orgel besonders bemerkenswert. Bei der Fertigstellung des Werks war Schmidt bereits ein todkranker, von körperlichem Verfall und nachlassender geistiger Leistungsfähigkeit stark gezeichneter Mann. Dass er, dem aus berufenem Munde politische Naivität bescheinigt worden ist, sich in dieser Schlussphase noch zur Komposition eines unvollendet geblieben Hymnus an Großdeutschland, der Kantate „Deutsche Auferstehung“, überreden ließ, ist daher kaum mehr als eine Randbemerkung wert. Franz Schmidt erlag am 11. Februar 1939 einem Herzanfall.
Carl Nemeth verfasste 1957 das bislang umfassendste Porträt des Komponisten und seines Werkes. Auf ihn geht die lange Zeit das internationale Schmidt-Bild nachteilig prägende, unglücklicherweise mit dem Hauch des Epigonen interpretierte Typisierung als „Meister nach Brahms und Bruckner“ zurück. Diese Sicht scheint allerdings mittlerweile langsam einer Revision unterzogen zu werden. Während im österreichischen Musikleben das Andenken an den Komponisten recht lebendig gehalten worden ist, drohte seinem Werk außerhalb des österreichischen Mutterlandes geraume Zeit praktisch das Vergessen. Insgesamt scheint derzeit der Prozess einer eingehenderen Neubewertung des Komponisten zumindest angestoßen, wenn nicht bereits in vollem Gange zu sein. Möglicherweise zur Keimzelle einer umfassenden Schmidt-Renaissance wird das in den letzten Jahren zunehmend auf den Spielplänen erscheinende Oratorium „Das Buch mit den sieben Siegeln“.
Zwar ist die Musik Franz Schmidts von der neudeutschen Linie und damit natürlich von Wagner geprägt. Dramatisch ausgetragene Konflikte wie im Œuvre Richard Wagners oder auch Gustav Mahlers finden sich jedoch nur ansatzweise. Ein hervorstechendes Merkmal in den Kompositionen dieses österreichischen Komponisten ist daher gerade das ausgeprägt Lyrische. Julius Korngold schrieb von „weich melodisierend“, von einer „singenden Melodik“ und „brucknerischer Gebärde“. Trotzdem ist seine sowohl Franz Schubert als auch Johannes Brahms im Ausdruck innig verbundene Tonsprache keineswegs einfach epigonal, sondern im Detail vielmehr komplett eigenständig (weiter-)entwickelt. Dem Hörer begegnen kunstvoll gewobene üppige Klangteppiche von teilweise berauschender Farbigkeit, in denen meisterlich ausgeformte Satzkunst erkennbar wird. Besonders auffällig ist die fast allgegenwärtige kontrapunktische Raffinesse. Dabei schließt die Verwendung traditioneller Formen Dissonanzen sowie eine insgesamt kühne, gemäßigt moderne Harmonik keineswegs aus.
Das Schaffen Franz Schmidts — abseits des zu Unrecht auch im Kurkapellenbetrieb malträtierten Intermezzos aus „Notre Dame“ — lohnt sich zu entdecken und damit vor dem Vergessen zu bewahren. Derartiges ist nicht nur anregender als jede Endloswiederholung des Standardrepertoires. Daraus dürfte für manchen nicht nur eine interessante Hörerfahrung, sondern vielmehr echte Begeisterung resultieren. Erfreulicherweise ist der nicht allzu umfangreiche Werkkatalog auf Tonträger weitgehend erschlossen. Es bleibt natürlich zu hoffen, dass das Interesse an Schmidt sich weiterhin zunehmend auch in den Konzertprogrammen niederschlagen wird.
Franz Schmidt auf CDs — eine Auswahl
Die vier Sinfonien
Bei der Vierten ist die Wahrscheinlichkeit noch am größten, sie einmal aufgeführt zu hören, aber auch die anderen drei Sinfonien verdienen es, gehört zu werden. Sein sinfonischer Erstling ist zwar noch nicht ein vollständig ausgereiftes Werk. Trotz in Teilen besonders spürbarer Nähe zu Brahms und Bruckner handelt es sich jedoch um einen überaus beachtlichen Beitrag zur Werkgattung Sinfonie mit bereits unverkennbar Schmidt-typischer Stimme. Die dreisätzige zweite Sinfonie zeigt dafür recht ungewöhnliche Struktur. Eine Art Präludium (1. Satz „Lebhaft“) und eine Coda (3. Satz „Finale: Langsam“) umrahmen einen ausgiebigen zentralen Variationszyklus („Allegro con variazioni“). Die drei Sätze fließen ineinander und sind außerdem durch eine bereits im ersten vorgestellte thematische Beziehung miteinander eng verbunden. Die dritte Sinfonie wurde in einem weltweit ausgeschriebenen Wettbewerb „im Geiste Schuberts“ der Columbia Gramophone Company (New York) eingereicht und erhielt den zweiten Preis — den ersten gewann übrigens der Schwede Kurt Atterberg mit seiner sechsten Sinfonie. Schmidts dritte Sinfonie ist eine seiner innigsten Kompositionen und seine wohl lyrischste Sinfonie geworden. Das orchestrale Requiem auf den frühen Tod der Tochter Emma bildet die vierte Sinfonie in Form eines Panoramas verklärten Leids und Abschieds. Im Adagio-Satz findet sich im Mittelteil als Ausdruck der Trauer und des Schmerzes ein Trauermarsch. Zum von Melancholie durchströmten und entrückt wirkenden Finale assoziierte der Komponist „ein Sterben in Schönheit, wobei das ganze Leben noch einmal vorüber zieht“.
Dem Interessierten sind derzeit zwei Gesamteinspielungen des Sinfonienzyklus besonders leicht zugänglich. Einmal die zwischen 1989 und 1996 vom Chicago sowie Detroit Symphony Orchestra unter Neeme Järvi (Chandos) sowie die derzeit jüngste, in den Jahren 2004 und 2005 entstandene Einspielung vom MDR Sinfonieorchester, Dirigent Fabio Luisi, veröffentlicht auf dem Label Querstand.
Der renommierte Genuese Fabio Luisi (geb. 1959) ist seit der Saison 2007/2008 als Generalmusikdirektor Leiter der Sächsischen Staatsoper und der Staatskapelle Dresden. Der 1937 im kleinen Estland geborene Neeme Järvi zählt zu den auf Tonträger häufig anzutreffenden großen Dirigentenpersönlichkeiten. Unter den über 350 vertriebenen Tonträgern ist der Este besonders für Einspielungen wenig geläufiger Musik, auch, aber eben nicht nur aus dem Norden Europas, bekannt.
Beide Einspielungen sind sowohl aufnahme- wie interpretationstechnisch tadellos geraten. Die beiden US-amerikanischen Orchester kommen in den Bläsersätzen vielleicht eine Spur effektvoller herüber als ihre Kollegen vom zweifellos vergleichbar hochwertigen MDR. Wobei Neeme Järvi insgesamt etwas temporeicher und energischer an die Sache herangeht als die etwas mehr introvertierten Interpretationen Fabio Luisis. Unterm Strich liegen beide Darstellungen aber auf vergleichbar hohem Niveau.
Klavierkonzert Es-Dur, Beethoven-Variationen
Die Reihe Franz-Schmidt-Alben auf dem Label Querstand ist erst vor wenigen Monaten mit zwei Raritäten abgeschlossen worden, die für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein entstanden: das Klavierkonzert Es-Dur sowie „Concertante Variationen über ein Thema von Beethoven“. Dabei handelt es sich um zwei wohl kaum als Meilensteine des Repertoires zu bewertende, aber sehr klangschöne und handwerklich sorgfältig auskomponierte Stücke. Besonders die auf thematischem Material der „Frühlingssonate“ basierenden Beethoven-Variationen sind, vielleicht gerade auch wegen ihres partiellen klassizistischen Touchs in Kopplung mit typischen Schmidt’schen Klangmixturen, das besonders elegante der hier vereinigten Werke.
Das Buch mit sieben Siegeln
Die breit angelegte, aufführungstechnisch sehr anspruchsvolle expressive Klangvision des Jüngsten Gerichts in der etwas temporeicheren Darstellung aus dem Leipziger Gewandhaus unter Fabio Luisi oder doch lieber Nikolaus Harnoncourts etwas langsamere, im Vergleich jedoch keinesfalls behäbig wirkende Interpretation? Eine Frage, die jeder nur schlichtweg für sich beantworten kann. Beide Produktionen verfügen über durchweg sehr gute bis vorzügliche Kräfte. Ebenso tadellos sind der MDR-Chor und der Wiener Singverein. Dem stehen auch weder das MDR-Orchester noch die renommierten Wiener Philharmoniker nach. Und auch die technische Seite macht es nicht leichter: Sowohl die Querstand-Einspielung als auch der Live-Mitschnitt der Teldec sind tontechnisch vergleichbar hochwertig geraten.
Insofern vermögen beide jeweils sehr ambitionierten Aufnahmen ihrem jeweiligen Besitzer viel Freude zu machen. Zwar verdient „Das Buch mit sieben Siegeln“ eine eindeutige Empfehlung, aber weniger für den Einsteiger bei der Musik dieses Komponisten. Das Oratorium macht es dem Zuhörer unmittelbar nicht ganz einfach. Im Gegensatz zu den Sinfonien oder auch den Beethoven-Variationen erschließt es sich erst nach und nach.
Notre Dame
Beim Opernerstling des Österreichers hat der Klassikfreund nicht die Qual der Wahl: Die bislang einzige stereofone Gesamtaufnahme entstand bereits Ende der 1980er als Koproduktion von Delta Musik mit dem (damals noch) RIAS Berlin. Der Dirigent Christof Perick und das RSO Berlin stehen an der Spitze eines beachtlichen Ensembles (z. B. die Waliserin Gwyneth Jones und der amerikanische Heldentenor James King), welches die selten zu hörende Oper feurig lodernd, also mit leidenschaftlicher Emphase zum Klingen bringt. Der Ohrwurm aus dem berühmten „Intermezzo“ begegnet dem Hörer übrigens als eine Art von Leit- bzw. Erinnerungsmotiv häufiger. Und die von Hugo von Hofmannsthal (über rund 20 Jahre Textdichter der Opern von Richard Strauss) seinerzeit so gelobte, außerordentliche Textverständlichkeit kommt in der vorliegenden, sehr gut klingenden Aufnahme ebenfalls sehr gut zur Geltung.
Die Orgelwerke
Die 4-CD-Box des Capriccio-Labels beleuchtet eingehender einen Aspekt, der bislang noch nicht genannt worden ist: „Die Musik fand zuerst durch die Orgel in der Kirche Eingang in meine Seele“, lässt Franz Schmidt in einer autobiografischen Skizze verlauten. Dabei haben wohl die Erfahrungen, die Pater Felician, der junge Organist des Pressburger Franziskanerklosters, ihm vermittelte, die tiefsten Eindrücke hinterlassen. Die nicht nur in den Sinfonien häufig anzutreffenden choralhaften Themen und ebenso die vielfältigen fugalen Elemente dürften hier ihren Ursprung haben.
Schmidts Orgelwerke basieren auf den traditionellen barocken Formen, sind aber im Ausdruck durchaus eigenwillig, sowohl romantisch als auch gemäßigt modern. Sie zeichnen sich durch kühne Harmonik und wie auch die übrigen Kompositionen durch exquisit gehandhabte Kontrapunktik aus. Die Kompositionen für die Königin der Instrumente stammen fast sämtlich aus der Reifezeit des Komponisten. Seine erste veröffentlichte Schöpfung ist die ausladende „Fantasie und Fuge D-dur“ aus dem Jahr 1924, mit einer Spieldauer von über 20 Minuten. Das erste erhalten gebliebene Orgelstück bilden die auf den Königsfanfaren der Oper „Fredigundis“ beruhenden „Variationen und Fuge über ein eigenes Thema“. Besonders ungewöhnlich ist das Choralvorspiel zu Joseph Haydns „Gott erhalte“. Eigentlich handelt es sich hierbei um einen umgekehrten Variationssatz (inkl. Fuge): einen, bei dem sich erst ganz zum Schluss das eigentliche Thema, die alte österreichische Kaiser- und spätere deutsche Nationalhymne, in originaler Gestalt herausschält.
Der aus Kufstein in Tirol stammende Andreas Juffinger hat bereits 1988 an der Orgel der Jesus-Christus-Kirche in Berlin das praktisch komplette Orgelwerk Franz Schmidts auf vier CDs vorgelegt — und hat übrigens auch die Orgelpartien in der Gesamtaufnahme von „Notre Dame“ interpretiert. Er erweist sich dank transparenter und luftiger Darstellung der Stücke als überzeugender Sachwalter einer Musik, zu der ihr Schöpfer ja ausdrücklich angemerkt hat, dass er in der romantischen „Orchesterorgel“ mit ihrer Fülle an Klangimitationen einen strikt abgelehnten Bastard sah.
Die „Franz Schmidt-Gesellschaft Wien“
Die 1951 gegründete „Franz Schmidt-Gesellschaft“ sieht ihre Aufgabe sowohl in der wissenschaftlichen Erforschung des Schmidt’schen Werkes und seines zeitlichen Umfelds als auch in der Förderung von Konzerten mit Werken des Komponisten. Wer die Musik dieses österreichischen Meisters mehr als nur hören, sich vielmehr eingehender sowohl mit dem Werk als auch den Lebensumständen des Komponisten in seiner Zeit beschäftigen möchte, der kann hier ausgiebig fündig werden.
Die beim Verlag Doblinger seit 1985 erschienenen Symposiumsbände der jährlichen so genannten „Franz-Schmidt-Tage“ und weitere hauseigene Publikationen bieten reichhaltige Informationen. Wie breit dabei der Themenkreis ausgelotet wird, dafür nur ein paar Beispiele. So wartet z. B. der 1985er Band „Franz Schmidt und seine Zeit“ neben Anmerkungen zu wichtigen Werken und ihrer Rezeption in England auch mit einem ungewohnt harschen und provokanten Blick Anton Staudingers auf die braune Vergangenheit auf, in „Faschismus in Österreich — Zur Aufarbeitung der österreichischen Geschichte 1933 bis 1945“. Reiner Schuhenns „Franz Schmidts oratorische Werke“ beleuchtet eingehend die Entstehungsgeschichte von „Das Buch mit sieben Siegeln“ und auch der unrühmlichen „Deutsche(n) Auferstehung“. Wobei der 1999er Symposiumsband „Apokalypse“ zu „Das Buch mit sieben Siegeln“ das Werk eingehend analysiert und dabei auch weitere, zum Teil praktisch unbekannte Vertonungen des Jüngsten Gerichts einbezieht, wie Friedrich Schneiders Oratorium „Das Weltgericht“. Gerold W. Grubers Studie „Franz Schmidt als Rektor“ gestattet Einblicke in die viel gerühmte Lehrtätigkeit, aber auch in ein offenbar wenig rigide, für die Zeit bemerkenswert liberal ausgeübtes Rektorat an der Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien in den Jahren 1927 bis 1931.
Im 1989er Band „Oper in Wien — 1900 bis 1925“ werden natürlich die beiden Schmidt-Opern eingehender, aber, wie der Titel des Buches bereits erahnen lässt, ebenso ihr Umfeld (darunter das Opernschaffen von Schreker und Zemlinsky) gewürdigt. Dabei sind nicht zuletzt die tiefgehenden Betrachtungen zum absoluten Stiefkind „Fredigundis“ besonders aufschlussreich und machen zudem neugierig.
So bleibt als Abschluss die Hoffnung, dass sich zumindest mittelfristig ein Plattenlabel (wohl wiederum in Koproduktion mit dem Rundfunk) auch besagten Stiefkindes im Rahmen einer sorgfältigen Produktion annehmen möge.
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