Kommentar zu Film und Filmmusik
Königreich der Himmel, Ridley Scotts Ausflug in die Zeit der Kreuzzüge ist ein Exkurs im Zeitgeist mit dazu passender Botschaft. Seine Inszenierung des Mittelalters zeigt dabei einen gehörigen (modern-)liberalen Anstrich und freiheitliches Bewusstsein — dass einem fast schon King Arthur in den Sinn kommt. Nun, alles in allem ist es hier aber (trotz der nachfolgend zu lesenden Einschränkungen) längst nicht so schlimm geraten. Königreich der Himmel bietet ordentlich gemachte, in Teilen bildgewaltige Unterhaltung — nur, von wirklich großem Kino kann dabei eben nicht die Rede sein.
Dass es in den Kreuzzügen keineswegs allein um Religion ging, lässt Scotts Film unberührt. Pabst Urban II., der die Kreuzzugsidee 1095 ins Leben rief, begründete diese auch mit der mittlerweile dichten Besiedlung Europas. Vielleicht befürchtete er gar, dass jede Menge Nachgeborene aus dem Adel ohne Mittel und Perspektive vielleicht gar zu einer Gefahr für die bestehende Ordnung hätten werden können?
Im Scott-Film steht im Jerusalem um das Jahr 1187 der Mensch bereits derart im Mittelpunkt, wie man (in unseren Breiten) erst seit wenigen Jahrzehnten bemüht ist, es zu praktizieren. Derart gering scheinen die Klassenschranken, dass der Held Balian (Orlando Bloom) die nach der desaströsen Niederlage der Kreuzritter bei den „Hörnern von Hattin“ zur Verteidigung Jerusalems benötigten Kämpfer einfach so, per rundum-Ritterschlag (!) aus dem Volke rekrutiert. Und die Akteure gehen wiederum allzu sehr in einer Art und Weise miteinander um, wie man es heute gewohnt ist, aber in jenen Tagen gewiss nicht praktizierte. Auch der legendäre Sultan Salah ad-Din (Saladin), ein Kurde aus dem heutigen Irak, erscheint als rein gerissener (moderner) Politiker, als Mann der Diplomatie und des Ausgleichs: eine religiöse Vision besitzt er aber ebenso wenig wie seine Gegenüber auf der christlichen Seite. Religiöse Überzeugung und deren übersteigerte Form als sendungsbewusster Fanatismus spielen keine wichtige Rolle. Vielmehr gibt man sich insgesamt nahezu rein pragmatisch.
Die Konflikte verlaufen außerdem kaum sichtbar zwischen Christen und Moslems, sondern werden nahezu ausschließlich auf der christlichen Seite thematisiert. Die Bösewichte sind dabei nur griffige, klischeehafte Unholde, wie man sie aus Zeiten gewohnt ist, da die Bad Boys in den Western (von gestern) noch schwarze Hüte trugen. Scotts Filmplot ist zwar weitgehend mit historischen Figuren bevölkert, deren Tun und auch der zeitliche Ablauf der Ereignisse wird allerdings sehr freizügig gestaltet. Nach dem Tode von König Baldwin IV. vergingen immerhin rund zwei intrigenreiche Jahre, bevor die Schlacht von Hattin und der Kampf um Jerusalem stattfanden.
Nachdem man in früheren Filmen nicht vor diversen Klischees — wie bei der Charakterisierung der islamischen Terroristen in True Lies — zurückschreckte, versuchten der Regisseur und seine Mannen dieses Mal nun alles politisch korrekt zu machen. Dabei ist die Völkerverständigungsbotschaft zwar offensichtlich und sicher gut gemeint, aber das Ergebnis hinterlässt anlässlich des zuviel an Utopie einen arg schalen Beigeschmack. Die Juden hat man sogar sicherheitshalber ganz ausgespart. Alles ist einfach zu schön, um (noch einigermaßen) wahr zu sein. Und so wird locker das erreicht, was man schon vormals als typischen Hollywood-Kitsch bezeichnete. Besagter ist spätestens perfekt, wenn im Finale Richard Löwenherz seinen Auftritt erhält. Nur ein schwacher Trost ist dabei, dass sich auch hier die Verbundenheit mit den — keineswegs immer nur großartigen — Kino-Traditionen zeigt.
Dass ein echter Araber, der syrische Schauspieler Ghassan Massoud, den edlen Saladin spielen darf, ist ebenfalls kaum mehr als eine gehobene Randbemerkung wert. Saladin erscheint hier derart zum Gentleman stilisiert, dass dies selbst so mancher der arabischen Geschichtsschreiber nicht vorbehaltlos stehen lassen würde. Massoud macht dabei als Darsteller sicher keinen schlechten Eindruck. Seine Rolle ist allerdings insgesamt kaum wesentlich größer angelegt als die von Balians Vater, verkörpert durch Liam Neeson, der bereits in der ersten halben Stunde des Films sein Leben aushaucht. Und Orlando Bloom, der attraktive Elbe aus den Herr-der-Ringe-Filmen? Er kommt in der Gesellschaft hochrangiger Nebendarsteller über einen netten Achtungserfolg nicht hinaus. Die Figur des Balian wird nicht nur merkwürdig holprig eingeführt, sie bleibt auch im weiteren Verlauf des Spektakels ein eher blasser Charakter.
Was inhaltlich etwas bescheiden geraten ist, wird visuell immerhin recht nett verpackt. Die CGI-Panoramen des alten Jerusalem und auch die Kämpfe sind eindrucksvoll, wenn auch die Proportionen in üblicher Hollywood-Gigantomanie (auch diese hat ja Tradition) wiederum arg übersteigert wurden. Derart groß, wie jüngst im Kino zu sehen, waren weder das antike Rom oder gar Troja, noch das mittelalterliche Jerusalem, von den im Weltkrieg-II-Format antretenden massigen Heeren, die anscheinend gänzlich ohne Tross — noch dazu durch eine wasserlose Wüste — anrücken, ganz zu schweigen. Die schließlich in Serie geradezu wie Dominosteine umfallenden Belagerungstürme sind ein ähnlich überzogen wirkender Gag, wie auch die 120.000 Liter Propangas zum Erzeugen der seit Apocalypse Now offenbar unverzichtbaren Feuersbrünste. Marcus Junkelmanns Worte vom Wunsch vieler Zuschauer, bei aller Begeisterung für den Unterhaltungswert sowie die technischen wie optischen Qualitäten eines Historienfilms, trotzdem einen möglichst unverfälschten Blick in die Vergangenheit werfen zu wollen, sie verhallten auch hier ungehört — siehe „Hollywoods Traum von Rom“.
Zu den verpassten Chancen des neuen, arg weichgespülten Ridley-Scott-Epos gehört die Begegnung der Kreuzfahrer mit den faszinierenden, in vielem überlegenen orientalischen Kulturen. Das bis zur Plünderung durch die christlichen Gotteskrieger (!) 1204 noch reiche Konstantinopel war dabei in besonderem Maße ein Ort, an dem die Erinnerung an den Glanz der Antike noch lebendig war. Nicht nur dort gab es seinerzeit hochkarätige Medizin und Wissenschaft und ebenso zivilisierte Ess- und Schriftkultur. Dem hatte das christliche Abendland damals wenig entgegenzusetzen. An das ehedem blühende weströmische Reich und dessen positive kulturelle Einflüsse konnte man sich bestenfalls noch in manchen Klöstern erinnern — was, im übertragenen Sinne, Alfred der Große, Bezwinger der Wikinger (1968) nett verdeutlicht. Gut ausgebaute Straßensysteme, häusliche Wasserversorgung und Fußbodenheizung sind nur einige der für Jahrhunderte verlorenen Errungenschaften der Antike. Und so brachten die Ritter aus den Invasionskriegen über die Jahre nicht nur riesige (geraubte) Reichtümer, sondern auch noch so manch nützliches mit nach Hause. Die Gabel ist eines der bis dahin in unseren Breiten unbekannten Utensilien — wozu Becket (1963, Musik: Laurence Rosenthal) mit einer originellen Szene aufwartet. Und auch ein weiterer wichtiger genießerischer Aspekt, der unser Leben in nicht unbeträchtlichem Maße beeinflusst, ist durch die Begegnung zwischen Abend- und Morgenland zumindest bereichert worden: die Erotik.
So bleibt es unter Umständen der zukünftigen, wohl deutlich verlängerten DVD-Edition vorbehalten, einige der Schwächen des Films in Teilen vielleicht doch noch etwas abzumildern. Bis dahin gibts für besagtes Königreich der Himmel „noch“ eine kleine Empfehlung! Wer gute, imposante Optik und ebenso imposante Schlachtpanoramen schätzt, dabei nicht allzu viel über den Plot nachdenkt, kann einigermaßen zufrieden sein. Wer mit mehr Anspruch hineingeht, wird jedoch zwangsläufig enttäuscht.
Umso überzeugender ist die Begegnung mit der Filmmusik ausgefallen. Obwohl höchstwahrscheinlich mit Zimmers Gladiator als Temptracks unterlegt worden ist und Harry Gregson-Williams selbst der Zimmerschule entstammt, ist seine Komposition nur wenig mit der zu besagtem früheren Scott-Epos verwandt; die Musik ist außerdem erstaunlich wenig martialisch ausgefallen. Selbst im Sturm auf Jerusalem erwarten weder Holstsche Mars-Rhythmik noch anderweitig Brachiales den Hörer: Diesem tritt vielmehr ein interessanter Mix aus der Gregorianik nahestehenden Chorpassagen (für die Europäer) und stark ethnisch-arabisch eingefärbten Teilen für die Muslime gegenüber. Dabei stehen sich die beiden so unterschiedlichen klanglichen Ebenen erstaunlich friedlich gegenüber. Ob nun gewollt oder nicht, das ohrenfällig sehr harmonische Miteinander der Kulturen rückt die hörenswerte CD in die Nähe eines mittelalterlich-exotisch angehauchten reizvollen Oratoriums. Dabei stören weder die nur äußerst dezent eingesetzten synthetischen Klangunterstützungen, noch die elektrische Violine oder das elektrische Cello. Anteil an der guten Wirkung dürften auch die vorzüglichen Beteiligten haben: The London Sessions Orchestra, The Bach Choir, The Choir of The Kings Consort sowie „Fretwork“, eine auf restaurierten Violen (Gamben) konzertierende Instrumentalisten-Gruppe. Letztere sorgt für ein besonders klangschönes Flair alter Musik. Weitere klangliche Akzente verleihen Dudelsack, Laute, weibliche Vokalise, zwei Soprane und ein Countertenor. Außerdem sind diverse ethnische Instrumentalisten (Schlagwerk etc.) und natürlich auch arabische Vokalisten mit von der Partie. Das massive Aufgebot erstklassiger Chorsolisten sorgt dabei für besonders eindrucksvolle Momente. Schweres Blech und großes Schlagwerk kommen nur sehr gezielt und sparsam zum Einsatz.
Der Komponist gestaltet den Score im Wesentlichen mit zwei Themen: das erste steht für die Kreuzritter und zugleich wohl auch für die Hauptfigur, den Franzosen Balian. Dazu setzt das (erstmalig in „Ibelin“ erscheinende) zweite Thema den exotischen Kontrast. Mit den Themen wird zwar nicht in allzu großem Umfang gearbeitet, sie sind aber im musikalischen Geflecht fortwährend auf ansprechende Art und Weise präsent. Eine arabische Songversion des Ibelin-Themas, interpretiert von Natacha Atlas, setzt den musikalischen Schlusspunkt des Albums.
Alles in allem präsentiert sich Königreich der Himmel als subtil ausgeführter Schlachten-Epen-Score, ist einer der besonders leisen Töne. Ein Score, der im Film und auch beim ersten Hören von CD etwas unspektakulär wirkt, deswegen aber nicht leichtfertig überhört werden sollte. Vermag er es doch, sich, mit etwas Geduld, zu einem sehr angenehmen und klangschönen Höralbum zu entwickeln. Wertungsmäßig halte ich dafür eine kleine Stufe oberhalb des Gladiator für angemessen — dezenter Augenaufschlag zu vollen vier Sternen inklusive.