Is Paris Burning?

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
8. Dezember 2016
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

René Cléments Film zur Befreiung von Paris 1944 und Maurice Jarres Filmmusik: Brennt Paris?

Mit Blick auf die brillante und zugleich sehr lebendig geschriebene Chronik über den D-Day, die alliierte Landung in der Normandie 1944, „Der längste Tag“ (erschienen 1959), des irisch-US-amerikanischen Journalisten Cornelius Ryan (1920–1974) verfasste das Journalisten-Duo Larry Collins und Dominique Lapierre seinen Tatsachenroman zur Befreiung der französischen Seine-Metropole im August 1944: „Brennt Paris?“, erschienen 1965, welches ebenfalls zu einem Bestseller avancierte (siehe Anhang).

Regisseur René Clément, dessen dichte Patricia-Highsmith-Thrillerverfilmung zu „Der talentierte Mr. Ripley“, Plein soleil * Nur die Sonne war Zeuge (1960) zu seinen besonders bemerkenswerten Arbeiten zählt, hat sich bereits in seinem ersten halbdokumentarischen Spielfilm La Bataille du rail * Schienenschlacht (1946) mit dem Widerstand gegen die Nazi-Besatzung beschäftigt. In Paris brûle-t-il? * Brennt Paris? (1966) spielt das Thema Résistance erneut eine gewichtige Rolle. Der Film schildert die letzten knapp drei Wochen deutscher Besatzung der Seine-Metropole im August 1944, als Generalleutnant Dietrich von Choltitz von Hitler zum General befördert und als Stadtkommandant und Wehrmachtsbefehlshaber von Groß-Paris eingesetzt worden war. Choltitz, verkörpert vom damals dank Goldfinger gerade zum internationalen Star avancierten Gert Fröbe, galt allgemein als gehorsamer und linientreuer Nazi. Er, der 1942 maßgeblich an der Einnahme von Sewastopol beteiligt war, sollte Ordnung in diese Etappenstadt bringen, in der hochrangige Wehrmachts-, SS- und Parteiangehörige die Besatzung bisher als „Belle Époque des dritten Reiches“ erlebt hatten. Entgegen den Erwartungen verweigerte er sich letztlich den fatalen Vorstellungen des GröFaZ, Paris um jeden Preis zu halten oder (gemäß Führer-Befehl vom 23. August) dem Feind nur als Trümmerfeld zu überlassen. Paris wurde nahezu unbeschädigt am frühen Nachmittag des 25. August an reguläre französische Streitkräfte unter dem Kommando von Generalmajor Leclerc (Claude Rich) übergeben.

René Cléments Brennt Paris? gestern und heute

„Die Nazis sind zurück!“ So, oder ähnlich müssen viele derjenigen wohl ein wenig empfunden haben, die im Sommer 1965 Zeuge der in der Seine-Metropole erfolgten Dreharbeiten geworden sind, und auch die Pariser Tageszeitungen berichteten ausführlich darüber. Völlig echt war die Inszenierung freilich nicht, denn dem Filmteam war es ausdrücklich verboten worden, die typischen leuchtend roten NS-Flaggen mit ihren schwarzen Hakenkreuzen auf weißem Grund aufzuhängen. Allein schwarzweiße Imitate waren genehmigt worden.

Das Drehbuch stammt von Gore Vidal und dem jungen Francis Ford Coppola. Hinter der Kamera stand der bewährte Marcel Grignon, und die Musik sollte für den noch jungen Maurice Jarre zu einer weiteren erfolgreichen Talentprobe werden.

Brennt Paris? ist anscheinend ausschließlich in Frankreich mit einigem Erfolg gelaufen. Ansonsten erhielt der Film eher verhaltene bis vernichtende Kritiken und verschwand anschließend rasch in der Versenkung, aus der er bisher nur äußerst selten wieder zum Vorschein gelangt ist. Selbst das 50-jährige Jubiläum verstrich, ohne dass, wie sonst üblich, der Streifen, in neu transferierter Fassung auf Bilddatenträger erneut zugänglich gemacht worden wäre.

Einer der zentralen Vorwürfe, die gegen den Film erhoben werden, ist, er mache nicht deutlich, welche Beweggründe den zuvor als linientreuen Hardliner bekannten Choltitz veranlassten, seinem Führer die Gefolgschaft zu verweigern. Bereits in den 1960ern stritt man zudem darüber, welche Anteile neben den Alliierten die verschiedenen Résistance-Gruppen und insbesondere Charles De Gaulle bei der Befreiung von Paris in Wahrheit gehabt haben. Mit seiner berühmten Rede am Abend des 25. August hatte De Gaulle den Gründungsmythos der französischen Nachkriegsrepublik ins Leben gerufen: Paris habe sich „befreit aus eigener Kraft, befreit durch sein Volk unter Mitwirkung der Armeen Frankreichs, mit Unterstützung und Mithilfe ganz Frankreichs, eines Frankreichs, das kämpft, dieses einen, wahren, ewigen Frankreichs“. Erst recht heutzutage kann man die traditionelle, gaullistische Sichtweise des Films wie auch des ihm zugrundeliegenden Buches in Frage stellen. Bemängelt wurde außerdem, der Film verzettele sich in zu viele letztlich episodenhafte und daher für den Zuschauer eher verwirrende Handlungsstränge. Vielen Kritikern behagten zudem die häufig nur in kurzen Cameo-Auftritten dafür in Serie zu sehenden französischen Gast-Stars (etwa Charles Boyer, Jean-Paul Belmondo, Leslie Caron, Pierre Dux, Yves Montand, Michel Piccoli, Simone Signoret und Serge Rousseau) nicht. In meinen Augen ist es allerdings eher verzeihlich, dass der Film hier etwas die nationale Karte ausspielt und die französische Seele streichelt. Erwähnenswert ist in jedem Fall der Auftritt des Schweizers Billy Frick als Adolf Hitler.

Cléments Film besitzt sein Vorbild in der Cornelius-Ryan-Verfilmung (s.o.) von The Longest Day * Der längste Tag (1962) und ist neben Le Train * Der Zug (1964) die letzte größere in Schwarz-Weiß aufgenommene Filmproduktion geblieben. Diese Entscheidung gründet sich nicht allein darauf, dass man einen dokumentarischen und damit möglichst „authentischen“ Look wollte, sondern war allein schon deswegen unumgänglich, weil in großem Umfang Dokumentarmaterial eingeschnitten werden sollte. Und gerade da liegt, vergleichbar mit Midway * Schlacht um Midway (1976), m.E. auch der größte Schwachpunkt von Brennt Paris? Derartiges ist nämlich zwangsläufig immer unmittelbar erkennbar. Es wirkt schnell „billig“, und das sorgt für ein fades Gefühl beim Betrachter. Die bei den genannten  Filmen nicht nur umfangreiche, sondern fast schon exzessive Verwendung von Dokumentarmaterial, insbesondere in den Actionteilen, legt allzu frappant den Schluss nahe, dass man kräftig sparen wollte. Und gerade in diesem Punkt schwächelt Brennt Paris?, da ihm ein merklicher Schuss des epischen Atems fehlt, über den Der längste Tag verfügt. Daran vermögen weder das in Farbe gehaltene Finale, ein Rundflug über das Paris von „heute“, noch der ansprechende (auch in Deutsch verfügbare) 4-Kanal-Magnetstereoton etwas zu ändern. Zum wirklich schlechten Film gereicht es freilich nicht, auch wenn man der filmischen Umsetzung sicherlich eine Reihe von Schwachpunkten und einige Mätzchen attestieren kann. Allerdings hatte René Cléments Film von vorherein das Pech, in einer Zeit wachsender, sowohl nationaler wie internationaler, politischer wie sozialer Spannungen an den Start zu gehen. Daraus erklärt sich ein wesentlicher Teil der oftmals übertrieben negativen, mitunter gar vernichtenden Haltung so mancher zeitgenössischer Kritik.

Choltitz in Volker Schlöndorffs Diplomatie (2014)

Fast 50 Jahre nach René Clément hat sich Volker Schlöndorff in Diplomatie (2014) erneut der Thematik  angenommen und auf Spurensuche nach den Choltitz’schen Beweggründen begeben. Das Drehbuch beruht allerdings auf dem gleichnamigen, in Paris sehr erfolgreichen Bühnenstück von Cyril Gély. Entsprechend ist dabei ein intimes Kammerspiel herausgekommen, welches man sich in erster Linie aufgrund seiner soliden Inszenierung als ein von guten Darstellern getragenes, elegantes Wortduell anschauen kann – André Dussollier als Konsul Raoul Nordling und Niels Arestrup als General von Choltitz. Aufgrund seiner rein fiktiven Handlung hat der Film jedoch zur Rolle von Choltiz während der Befreiung von Paris absolut nichts Erhellendes beizutragen. Die vertretene These, der hier eher allzu engstirnig Porträtierte habe sich vom schwedischen Generalkonsul, Raoul Nordling, die Zusage geben lassen, dass, falls er Paris verschone, Nordling seine von Sippenhaft bedrohte Familie schützen würde/könne, ist schlichtweg abenteuerlich. Die entscheidende Anregung dazu dürfte der Autor des Bühnenstücks allerdings in den Memoiren des Generals gefunden haben. Darin hat Choltitz nämlich der von den Nazis nach dem Attentat vom 20. Juli auf Angehörige von Verrätern angewendeten Sippenhaft sogar ein ganzes Kapitel gewidmet. Er stellt dazu allerdings nur fest, wie angewidert er von dieser barbarisch-rücksichtslosen Vorgehensweise gewesen sei, als er davon erstmalig während seiner Fahrt nach Paris im Gespräch mit einem ranghohen SS-Offizier erfahren habe.

Is Paris Burning? auf Tadlow: Ein Jarre-Score der Glanzzeit

Die Musik zum Film komponierte Maurice Jarre (1924–2009), dessen markante Handschrift bereits in der Filmversion von Der längste Tag (1962) in den Perkussionseffekten unüberhörbar ist. Im selben Jahr etablierte sich der Komponist übrigens auch international mit seiner Vertonung des David-Lean-Filmklassikers Lawrence von Arabien, für den er seine wohl beste Filmvertonung überhaupt lieferte.

Die Originaleinspielung zu Brennt Paris? entstand seinerzeit in den Londoner Shepperton Studios. Aus dieser wurde auch der LP-Album-Schnitt mit einer Spielzeit von knapp 37 Minuten produziert. Dafür fasste Jarre wichtige Teile seines Scores in zwei großen Suiten zusammen. Bei der Zusammenstellung legte er rein musikalische Kriterien an, ohne dabei auf eine streng chronologische Anordnung der einzelnen Teile zu achten. Diese bilden zusammen mit der eröffnenden Original-Film-Ouvertüre und der als Bindeglied zwischen den beiden Suiten dienenden, speziell für die LP eingespielten, rund dreiminütigen Konzertversion des Paris-Themas den Plattenschnitt. Damit waren für den Hörer bislang aber eben auch nur insgesamt rund 34 Minuten (rund 50 %) der Gesamtpartitur überhaupt zugänglich. Dank des Gründers des Tadlow-Labels, James Fitzpatrick, hat sich dies nun grundlegend verändert. Seit dem 26. August 2016 ist nun erstmalig die komplette Jarre-Musik, rund 69 Minuten umfassend, in einer Neueinspielung zugänglich.

Die LP-Stereo-Master-Tapes der originalen Filmeinspielung klingen zwar durchaus respektabel. Mit der Transparenz und der Power von Tadlows aktueller Digitaleinspielung können sie allerdings nicht annähernd mithalten. Da die Prager Musiker unter Nic Raine zudem energisch zupackend und mit vergleichbarem Verve aufspielen wie seinerzeit unter Maurice Jarres Leitung ihre britischen Kollegen, ist das Resultat eben nicht nur klanglich eindeutig überzeugender geraten. Die neue Einspielung der Filmmusik präsentiert sich somit als ein mitreißendes Hörerlebnis, welches sich keineswegs vor dem Original verstecken muss und ist eine echt feine Sache geworden.

Über die knapp 70 Minuten passiert nämlich eine sehr einfalls- und abwechslungsreiche, dabei geschickt und elegant konstruierte Filmmusik Revue. Im Zentrum des Scores steht ein süffiger Musette-Walzer, der nicht nur ausgeprägten Ohrwurmcharakter, sondern mit dem häufig solistisch eingesetzten Akkordeon zugleich typisch Pariser Charme besitzt. Mit der Liedversion, „Paris en colère“, landete Mireille Mathieu einen Hit des Jahres 1966. Darüber hinaus arbeitet Jarre mit vier Marsch-Themen, zwei modernistisch gefärbten dissonanten Motiven sowie diversen Zitaten.

Die vor dem Film platzierte Ouvertüre beginnt mit dem für die deutschen Okkupanten stehenden Marsch, der hier zuerst in Form einer raffiniert stilisierten, langsam anschwellenden, pfiffigen Imitation des typischen Marschtritts der Wehrmacht auftaucht. In der Filmmusik wird der Nazi-Marsch oder auch nur sein Rhythmus immer wieder verwendet. Zwar wird der Nazi-Marsch kaum variiert, dafür erhält dieses so markante Synonym für die Besatzer gerade durch die Trennung oder auch nur unterschiedliche Betonung des rhythmischen sowie des melodischen Parts einen besonders vielschichtigen Auftritt. Häufiger wird er eher dezent hörbar und tritt nur gelegentlich betont massiv und fett orchestriert in den Vordergrund. Letzteres ist z.B. im direkt auf die Ouvertüre folgenden „Main Title“ der Fall, wo zu Wochenschaubildern der paradierenden Wehrmacht exakt bildsynchron (Marschtritt und Pauken-/Beckenschlag) der brutal-auftrumpfende Rhythmus einen besonders eindringlichen, nämlich zugleich drohenden, aber eben auch karikierenden Effekt ergibt. Dafür steht die ungewöhnliche, freilich geradezu Jarre-typische, Instrumentierung, in der neben dem nur gelegentlich stärker hervortretenden Blech, nicht allein eine starke Schlagwerksektion, sondern außerdem 12 Klaviere auf den Plan treten. Diese geben zusammen mit dem Schlagwerk mitunter geradezu massiv den Takt an. Sie bringen dem Hörer die Deutschen aber eben auch nur unterschwellig in Erinnerung, etwa in „Through the German Lines“, wo der Nazi-Marsch nur sehr dezent aufscheint. In „Preparing for Destruction“ darf er letztmalig, jetzt allerdings in außergewöhnlichem Maße, seine betont fratzenhafte, rücksichtslose Wucht geradezu verstörend entfalten.

Dem Nazi-Marsch zur Seite gestellt sind noch zwei weitere, wiederum den Deutschen zugeordnete musikalische Bausteine: Der faszinierende modernistische Cluster-Akkord, welcher direkt zu Beginn des Films zum Paramount-Logo ertönt und insbesondere bei diesem ersten Auftritt unmittelbar besonders bedrohlich wirkt, sowie das direkt im Anschluss, im Zusammenhang mit Choltitz, der sich auf dem Weg ins Führerhauptquartier befindet erklingende, dissonante  Klaviermotiv. Diese beiden Bausteine werden häufiger einzeln oder auch zusammen dem Nazi-Marsch oder einer seiner beiden tragenden Komponenten (Rhythmus und Thema) mit verblüffend unterschiedlichen Wirkungen hinzugefügt

Jarre, der die Befreiung von Paris als 20-jähriger Student direkt miterlebte, scheute sich zwar nicht, das nationale Anliegen dieses französischen Prestige-Films mit viel Marschmusik zum Ausdruck zu bringen. Allerdings kommt diese hier kaum mit dem berüchtigten um-tata daher. Viel häufiger klingt sie luftiger und frischer und somit deutlich weniger brachial und martialisch als in so manch vergleichbarem Kriegsepos nur wenige Jahre davor. Das liegt auch darin begründet, dass Jarre den sehr harten, fanfarenmäßigen Stil französischer Militärmusik stark abmildert, indem er anstelle des Blechs vielmehr die Holzbläser betont. Und wenn er dann auch noch das perkussive Element zurücknimmt, ja dieses häufiger geradezu spielerisch einsetzt, dann mutet das zu Hörende oftmals geradezu elegant an.

Den Franzosen, die ihre Hauptstadt befreien wollen, werden insgesamt sogar drei Märsche zur Seite gestellt. Besonders markant ist der besonders häufig auftauchende Marsch der Résistance, welcher erstmalig in der Ouvertüre nach dem Nazi-Marsch zu Hören ist. Der Résistance-Marsch erinnert in der melodischen Kontur und der Rhythmik interessanterweise zugleich an das Thema, das Dimitri Schostakowitsch in seiner siebten, der „Leningrader Sinfonie“ dem Widerstand gegen die eindringenden Deutschen zugeordnet hat. Ein weiterer Marsch ist den Bürgern von Paris gewidmet. Dieser erklingt erstmalig in „Aux Barricades“. Der dritte Franzosen-Marsch steht für die unter General Leclerc anrückenden französischen Verbände des Freien Frankreich und wird in „General Leclerc“ eingeführt.

Indem jetzt auch die unüberhörbar direkt auf die Bilder komponierten Passagen enthalten sind, welche diese mitunter auch musikalisch verdoppeln, tritt auf der  vollständigen, chronologisch angeordneten Filmmusik auf CD 1 das narrative Element erheblich klarer hervor als beim LP-Schnitt. Das betrifft nicht nur den kurzen, entspannenden Moment, wenn in „The Wedding“ der Wagner’sche Hochzeitsmarsch stimmig zum Leindwandgeschehen erklingt. Entsprechend wirksam platziert sind auch weitere Originalzitate, etwa der Yankee-Doodle oder The Star-Spangled Banner für die Amerikaner. Ebenso erklingen die Vichy-Hymne und natürlich die unverzichtbare Marseillaise. Dabei arbeitet Jarre mit dem genannten Material handwerklich überaus versiert, indem er nicht bloß einfach zitierend, sondern raffiniert, etwa kanonisch oder kontrapunktisch miteinander verknüpft. In „Lafayette we are here again“ trägt die entstehende raffinierte Schichtung der verschiedenen Klänge bereits ein wenig collageartige Züge.

Über die Gesamtlänge der auch als Höralbum attraktiven, vollständigen Filmmusik wird somit eine deutlich größere Vielfalt erfahrbar und damit zugleich bewusst, wie raffiniert Maurice Jarre diese Musik gestaltet hat.

Alle die sich jedoch gerade mit dem LP-Schnitt ganz besonders angefreundet haben, kommen auf der zweiten CD des Sets auf ihre Kosten. Dort bildet eine Wiedergabe des aus dem Material der Neueinspielung montierten LP-Albumschnitts die gute Hälfte des Gebotenen. Darüber hinaus wird mit diversen Suiten, zusammengestellt aus Jarre-Scores mit mehr oder weniger direktem 2.-Weltkrieg-Bezug auf rund 73 Minuten Gesamtspielzeit aufgefüllt. Auch das hier Vertretene ist prima interpretiert, wobei neben der rund 10-minütigen Konzertsuite aus Der Zug (1964) noch die rund 12-minütige aus Die Nacht der Generale (1967) besonders positiv hervorsticht. Zwei Versionen des Songs „Paris en colère“, zum einen mit dem Chor der Prager Philharmoniker und zum anderen als Solo mit der Sängerin Melinda Million, bilden einen stimmigen Abschluss.

Das sorgfältig gestaltete Begleitheft, versehen mit Frank K. DeWalds informativem Text, verleiht dem zudem mit attraktiver Gesamtspielzeit von über 140 Minuten aufwartenden Produkt zusätzlichen Glanz. Einer vorbehaltlosen Empfehlung des feinen aktuellen Tadlow- Albums steht daher nichts im Weg.

Fazit: Mag man René Cléments Brennt Paris? durchaus einige Schwächen oder auch Mätzchen attestieren und  vielleicht gerade wegen seiner ausgeprägt gaullistischen Perspektive unter gewissem Vorbehalt betrachten. Unabhängig davon zählt Maurice Jarres meisterhafte Filmkomposition zu den Filmvertonungen der Top-Kategorie des französischen Komponisten. Und exakt dies belegt und unterstreicht diese vorzügliche, derzeit jüngste Jarre-Tadlow-Gesamteinspielung in besonderem Maße.

Anhang

Europa im August 1944

Als General Dietrich von Choltitz von der Normandie-Front abberufen am 7. August wegen seiner Ernennung zum Stadtkommandanten von Groß-Paris ins Führerhauptquartier nach Rastenburg fuhr, neigte sich die Abwehrschlacht in der Normandie bereits ihrem Ende zu. Nach dem Ausbruch der Alliierten aus dem Normandiebrückenkopf bei Saint-Lô („Operation Cobra“ zwischen dem 25. Juli und 4. August) begann sich bereits die mit katastrophalen Verlusten für die Deutschen endende Kesselschlacht von Falaise abzuzeichnen. Ab dem 15. August 1944 landeten außerdem rund 180.000 alliierte Soldaten an der malerischen Côte d’Azur bei Saint Tropez („Operation Dragoon“, fast halb so groß wie „Operation Overlord“, der D-Day am 6. Juni in der Normandie) und setzten die Deutschen nun auch von Süden her massiv unter Druck. Die Wehrmacht verlor im Zuge der Invasion allein im Westen über eine halbe Million Soldaten.

An der Ostfront war die Situation mindestens vergleichbar prekär: Dort hatte die russische Großoffensive „Operation Bagration“ (22. Juni bis 20. August) zur völligen Vernichtung der Heeresgruppe Mitte geführt, einem Debakel, das mit Verlusten von bis zu 600.000 Mann weitaus schlimmer als die Niederlage von Stalingrad (Februar 1943) war. Infolge hatte die bereits seit dem Kursk-Desaster im Sommer 1943 schwer bedrängte Wehrmacht auch im Osten endgültig ihre operative Handlungsfähigkeit verloren.

Als Choltitz am 25. August 1944 Paris übergab, befand sich die deutsche Westfront zunehmend in Auflösung. Die Reste der deutschen Truppen wichen überall, teilweise geradezu fluchtartig zurück: nach Westen in Richtung Reichsgrenze, nach Norden gen Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Der alliierte Vormarsch geriet, auch aufgrund der hinter der Seine liegenden Ebenen, so zumindest zeitweise zu einer Art von alliiertem „Blitzkrieg“, bei dem Truppenteile ein Tempo erreichten, welches dem der Wehrmacht im siegreichen Westfeldzug im Sommer 1940 glich.

General Dietrich von Choltitz: „Der Retter von Paris?“

Obwohl General Choltitz späterhin zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt worden ist, taugt seine Person zweifellos nicht zur heroischen Verklärung, da diese, ähnlich der vergleichbarer Zeitgenossen, z.B. Erwin Rommel, bei eingehenderer Betrachtung einen besonders widersprüchlichen und zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Dass der lange linientreue Choltitz Hitler als unzurechnungsfähig abgeschrieben und sich daher dem Wahnsinn eines fanatischen Weiterkämpfens ehrlich verweigert hat, das kann man ihm aber schon als glaubhaft abnehmen. Für eine möglichst objektive Beurteilung des Generals liefern nämlich die von Sönke Neitzel in seiner bemerkenswerten Studie „Abgehört“ (s. u.) publizierten Protokolle aus Trent Park wertvolle Hinweise. Sie werfen sowohl Licht als auch dunkle Schatten auf die Figur. Ersteres etwa mit der Äußerung zur Person Adolf Hitlers: „Das Schlimmste eben ist, dass man ihm lange Jahre so brav gefolgt hat.“ Deutlich wird ebenfalls, dass Choltitz dem Widerstand um Stauffenberg nahe stand. Auf der anderen Seite belastet sich der General jedoch schwer, wenn er seine (bisher unbekannte) Beteiligung an der Ermordung der Juden (auf der Krim) eingesteht: „Der schwerste Auftrag, den ich je durchgeführt habe – allerdings auch bis zur letzten Konsequenz durchgeführt habe –, ist die Liquidation der Juden.“

Bereits das Journalisten-Duo Larry Collins und Dominique Lapierre hat sich in „Brennt Paris“ weitgehend an den Paris-Memoiren des Generals orientiert. Selbstverständlich muss man gerade die in den ersten zwei Dekaden nach dem Krieg erschienenen Memoiren führender Kriegsteilnehmer mit besonderer Vorsicht lesen. Wie Choltitz in seinem nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft verfassten Buch „— brennt Paris? adolf hitler —“, 1949 als Tatsachenbericht erschienen, (s. u.) – schreibt, lehnt er es sogar ausdrücklich ab, als „Retter von Paris“ zu gelten. Choltitz vermerkt dazu vielmehr, er habe mitwirkend an einem vielfältigen großen Geschehen seinen Teil dazu beitragen können, ein düsteres Verhängnis von der Stadt abzuwenden, um das Verhältnis der beiden Völker nicht noch mehr zu belasten: „Ich strebte damals über den noch währenden Kriegszustand hinausblickend, aus voller Überzeugung an, nichts zu tun, was eine künftige notwendige Zusammenarbeit (von Deutschen und Franzosen) hätte unmöglich machen müssen. Vor allem deshalb befolgte ich die mir gegebenen Zerstörungsbefehle nicht.“ In diesem Zusammenhang darf man freilich nicht übersehen, dass auch andere aktiv mitwirkten, nicht wiedergutzumachen Schaden abzuwenden, wie Hans Speidel (späterhin entscheidend am Aufbau und der Integration der Bundeswehr in die NATO beteiligt), damals Chef des Stabes der Heeresgruppe B, der Hitlers am Abend des 25. August ergangenen Befehl, Paris unter V2-Beschuss zu nehmen, nicht weiterleitete.

Auch Söhnke Neitzel hat Zweifel daran geäußert, ob Choltitz überhaupt die Möglichkeiten besessen habe, die geplanten großflächigen Zerstörungen vorzunehmen: Neben Notre-Dame, dem Louvre wie auch dem Eifelturm sollten gemäß Führerbefehl 45 Seine-Brücken gesprengt werden. Letzteres hätte zusätzlich eine fatale Flutkatastrophe ausgelöst.

Die Angaben des Generals in seinen Memoiren sprechen bei den ihm zur Verfügung stehenden Kräften von nur einem von ehedem vier Regimentern, bestehend aus etwa 3000 älteren Soldaten, einer Sicherungsdivision sowie einem beweglichen Batallion (max. 1200 Mann), was insgesamt bis zu 4200 Mann entspricht. Der in den westlichen und südwestlichen Vororten befindliche Flakring, bemannt mit 17-jährigen Arbeitsdienstlern, wurde mit dem noch verbliebenen Regiment aus der Sicherungsdivision verstärkt, um daraus einen weit vorgelagerten Sperrriegel vor der inneren Verteidigungslinie zu schaffen. Nach den Angaben von Choltiz stellte das bewegliche Battallion die einzige zur Verteidigung des Stadtzentrums zur Verfügung stehende Kampftruppe dar. Die in diesem Zusammenhang für ganz Paris kursierenden (auch im Buch „Brennt Paris?“ angeführten) 22.000 Mann Besatzungsmacht dürften also erheblich zu hoch gegriffen sein. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der äußere Sperrriegel, im Rahmen des Machbaren, noch zusätzlich mit zurückflutenden Wehrmachtssoldaten verstärkt worden ist, wozu in den beiden genannten Publikationen allerdings keine konkreten Zahlen angegeben sind.

Dabei darf man nicht vergessen, dass sich Paris damals im Rücken einer kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Front befand und bereits seit Ende Juli zunehmend von Truppenteilen entblößt worden war. Darunter befanden sich auch die drei Regimenter der o.g. Sicherungsdivision, welche bereits an der Normandiefront verheizt worden waren. Am 15. August ließ Choltitz als Machtdemonstration die zu diesem Zeitpunkt noch in der Stadt verbliebenen Truppenteile sämtlicher Waffengattungen paradieren. Von den daran Beteiligten waren ihm die meisten Soldaten aber nur von ihren jeweiligen Oberbefehlshabern ausgeliehen worden und hatten bereits kurze Zeit später die Stadt verlassen.

Ab dem 19. August begann der Aufstand gegen die in einzelnen strategisch wichtigen Orten im Zentrum verschanzten Besatzer. Die nur völlig ungenügend bewaffneten Gruppen der Résistance konnten sich zwar recht frei bewegen, hatten aber keine reelle Chance, die deutschen Stützpunkte aus eigener Kraft einzunehmen. Entsprechend lieferten sich die Kombattanten nicht wirklich eine Schlacht, sondern etwas, das man treffender als hinhaltendes Katz- und Mausspiel bezeichnen kann. Durch die im Anmarsch befindlichen Kräften unter General Leclerc arbeitete allerdings die Zeit eindeutig für die französischen Kämpfer. Choltitz hielt derweil über den schwedischen Generalkonsul Raoul Nordling (im Film gespielt von Orson Welles) Kontakt mit der Résistance und konnte die äußerst angespannte, kritische Situation auch durch Vereinbaren eines zeitweiligen Waffenstillstandes einigermaßen stabilisieren. Als die Übergabe erfolgte, war Paris insgesamt 1533 Tage von den Deutschen besetzt und Dietrich von Choltitz gerade einmal 18 Tage Stadtkommandant gewesen.

 „Brennt Paris?“, das erstmalig 1965 erschienene, im Stile eines Tatsachenromans packend geschriebene und in seinen Betrachtungen um Fairness gegenüber sämtlichen Beteiligten bemühte Buch von Larry Collins und Dominique Lapierre ist zwar derzeit vergriffen. Es ist jedoch antiquarisch problemlos zu günstigen Preisen erhältlich.

„— brennt Paris? adolf hitler —”, der erstmalig 1949 erschienene „Tatsachenbericht“ des Stadtkommandanten Dietrich von Choltitz ist 2014 als Nachdruck mit Ergänzungen im R. G. Fischer Verlag erschienen.

„Abgehört: Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942-1945“ von Sönke Neitzel, Historiker der Nachkriegsgeneration (geboren 1968) mit Schwerpunkt Zeit- und Militärgeschichte. 2005 hat Neitzel mit dieser hochinteressanten Studie einiges Aufsehen erregt. Er hat aus den überlieferten (1996 freigegebenen) Abhörprotokollen des Combined Services Detailed Interrogation Center (UK), kurz: CSDIC (UK) diejenigen 189 ausgewählt und ausgewertet, welche die (fast durchweg) im britischen Lager Trent Park zwischen Sommer 1942 und Herbst 1945 internierten deutschen Generale betreffen. Wie Ian Kershaw dazu im Vorwort treffend anmerkt, ermöglicht die Auswertung dieses bislang nahezu komplett vernachlässigten Quellenmaterials wertvolle Einsichten in die Mentalität und politischen Ansichten der deutschen Militärelite.

Dabei geht der Autor durchaus kritisch an die Dinge heran, indem er sich z.B. eingehender mit der naheliegenden Frage auseinandersetzt, ob die Generale nicht doch damit gerechnet haben, belauscht zu werden und entsprechend auch ihre in rein privaten Gesprächen gemachten Äußerungen darauf abgestimmt hätten. Neitzel kann dies letztlich überzeugend entkräften, indem er verdeutlicht, dass im Gegensatz zu den in Verhören gemachten Aussagen oder auch angefertigten Tagebuchaufzeichnungen, wo offenbar darauf geachtet worden ist, weder politische Motivation noch verwertbare militärische Details anzugeben, die Lektüre der Fülle ausgewerteter Abhörprotokolle nicht den Eindruck vermittelt, dass sich die Generale im persönlichen Gespräch zurückgehalten hätten. Anhand der schonungslosen Offenheit in den die betreffende Person zum Teil stark selbstbelastenden Äußerungen wird nicht nur die offenbar in der Regel vorherrschende Ahnungslosigkeit der Belauschten deutlich. Es zeigt sich daran aber wohl auch, wie außerordentlich groß der psychologische Druck nach umfassendem Austausch untereinander gewesen sein muss, etwa um zuvor hochdramatisch Erlebtes, wie die eigene Gefangennahme, zu verarbeiten.

Auch die aufwändige Organisation der Abhöraktionen in Trent Park wird eingehender beleuchtet und dem Leser dadurch bewusst gemacht, dass es sich bei den überlieferten Gesprächsprotokollen nicht etwa, wie von Einzelnen behauptet, um gezielte Fälschungen zu Propagandazwecken handelt. In den zusammengetragenen Dokumenten spiegelt sich, was die deutschen Offiziere dachten, über Hitler, den Nationalsozialismus, den Krieg, das Attentat vom 20. Juli, die Kollaboration und auch die Ermordung der europäischen Juden. Insbesondere beim letzten Punkt wird Neitzels Studie zu einem weiteren wichtigen Beleg dafür, dass die deutsche Militärelite sehr genau über die in Osteuropa in besonderem Ausmaß verübten Verbrechen Bescheid gewusst hat. Dass dabei in den Schlussfolgerungen und Bewertungen keinesfalls pauschal verallgemeinernd, sondern vielmehr sehr differenziert vorgegangen wird, hebt den Band zusätzlich heraus. Abgerundet werden die Ein- und Ansichten durch Kurzbiografien derjenigen, die in den Abhörprotokollen zu Wort kommen. Ergänzt werden diese durch die aufschlussreichen Beurteilungen welche in Trent Park zu den dort Inhaftierten verfasst worden sind. Darüber hinaus finden sich im lfd. Text zusätzlich viele Verweise auf erläuternde Anmerkungen im umfangreichen Anhang. Entsprechend ist der Leser häufiger gezwungen zu blättern, was das Lesen zwangsläufig etwas schwieriger macht. Aber das nimmt man bei einer so informativen wie bemerkenswerten Lektüre gern in Kauf. Auch wenn Neitzels Studie „Abgehört“ keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse liefert, so liegt ihre große Bedeutung darin, dass sie ein weiterer essentieller Mosaikstein in der endgültigen Demontage des Mythos um die im Wesentlichen sauber gebliebene Deutsche Wehrmacht ist.

Die gebundene Erstausgabe aus dem Jahr 2005 ist inzwischen vergriffen. Sie ist im vorliegenden Fall besonders bemerkenswert ersetzt worden: nämlich durch die 2007 erschienene erweiterte und überarbeitete (!) und damit sogar höherwertige (Taschenbuch-)Ausgabe der Ullstein Buchverlage GmbH im List Taschenbuch. Neu hinzugekommen ist ein ausführliches Vorwort. Darin sind die anhand der von Angehörigen der im Buch Genannten zur Verfügung gestellten weiteren privaten Dokumente zwischenzeitlich zusätzlich gewonnenen Erkenntnisse eingeflossen.

„70 Jahre Befreiung von Paris: Barrikaden mussten sein“, Artikel aus FAZ.Net

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Jarre, Maurice

Erschienen:
2016
Gesamtspielzeit:
142:06 Minuten
Sampler:
Tadlow Music
Kennung:
TADLOW023
Zusatzinformationen:
The City of Prague Philharmonic Orchestra and Chrous, Ltg.: Nic Raine

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