Die letzte Fahrt des Walfängers Essex inspirierte Melvilles „Moby Dick“: Im Herzen der See (3D)
Ron Howards Film und die gleichnamige Buchvorlage
Nathaniel Philbricks Buch „In the Heart oft he Sea – The Tragedy of the Whaleship Essex“ erschien im Jahr 2000 und lag interessanterweise bereits im selben Jahr auch in deutscher Übersetzung vor: „Im Herzen der See – Die letzte Fahrt des Walfängers Essex“. Im Zentrum steht dabei die Katastrophenfahrt des Walfängers Essex, der im November 1820 im Pazifik von einem Pottwal versenkt wurde. Das Drama um die Essex wird darüber hinaus zum Anlass genommen, die Hintergründe der auf der Insel Nantucket (im US-Bundesstaat Massachusetts), seit dem frühen 18. bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts angesiedelten florierenden Hochburg des US-Walfangs eingehend zu beleuchten. Stets sachlich, aber überaus lebendig, vermittelt das Buch im Rahmen einer vorzüglich lesbaren Mischung aus wissenschaftlich fundierter analytischer Betrachtung und Tatsachenroman faszinierende Einblicke in den US-Wirtschaftszweig, der schon im 18. und frühen 19. Jahrhundert äußerst profitabel funktionierte.
Wie Philbrick dazu im Vorwort seines Buches feststellt, besaßen die noch jungen Vereinigten Staaten in ihrer frühen Geschichte, lange bevor sie zu einer geopolitischen Macht wurden, einen effektiv funktionierenden, globalen Wirtschaftszweig, indem ihre überaus reiche Walfangindustrie die westliche Welt mit begehrten Produkten, gewonnen aus den Ozeanriesen, versorgte: „Gnadenlos erwerbstüchtig, technologisch fortschrittlich und von dem Glauben beseelt, gleichsam erwählt zu sein, stellte Nantucket im Jahr 1821 in kleinerem Maßstab schon das dar, was Amerika erst noch werden sollte.“
Nach der Philbrick-Buchveröffentlichung entstanden zum Essex-Drama verschiedene Fernsehdokus sowie mindestens eine TV-Spielfilmadaption, darunter die beiden US-Produktionen Revenge of the Whale (2001) und besonders American Experience: Into the Deep – America, Whaling & The World aus dem Jahr 2010, welche hierzulande als erste Sendung zum Thema im Januar 2013 auf arte unter dem Titel Auf den Spuren von Moby Dick gezeigt worden ist. Im Kielwasser des Ron-Howard-Films Im Herzen der See entstand dazu jüngst sogar noch ein deutsches Pendant von Dokumentarfilmer Jürgen Stumpfhaus: Der Aufstand der Wale: Moby Dicks wahre Geschichte, das im Januar 2015 wiederum auf arte und dann nochmals im März als Terra-X-Doku im ZDF zu sehen war.
Für den Schriftsteller Herman Melville war die Essex-Katastrophe letztlich aber nur eine von sehr vielen Inspirationsquellen, aus denen er für seinen Roman „Moby Dick“ geschöpft hat. Dazu passend belegt das Essex-Drama als Vorbild für Melvilles berühmten Roman in Philbricks Buch auch nur ein paar ganz knappe Randnotizen. Der Wal, der die Essex zweimal rammte, besaß nichts von den geradezu mystischen Qualitäten eines Moby Dick. Auch der Kapitän der Essex, James Pollard Junior (Benjamin Walker), hat mit dem dämonischen Kapitän Ahab in Melviles allegorischem Roman nichts gemein. Kollisionen von Schiffen mit Walen waren zudem zwar nicht alltäglich, aber den damaligen Seeleuten keineswegs ungeläufig. Der Untergang der Essex erregte jedoch durch die in diesem Fall in höchstem Maße dramatischen Folgen beträchtliches Aufsehen. Während den Havarierten bei ähnlichen Vorfällen eher schnell Hilfe zuteil wurde, begann damit für die 21-köpfige Besatzung ein rund 90-tägiges Martyrium auf See, eine äußerst qualvolle Odyssee (Kannibalismus inklusive), bis die letzten acht völlig erschöpften und fast komplett denaturierten Überlebenden gerettet wurden. Entsprechend seiner ungewöhnlich drastischen Nachwirkungen blieb dieses Seeunglück in der Erinnerung der Zeitgenossen besonders lange Zeit verhaftet. Insofern ist es kein Zufall, dass Melville sich gerade für die Essex-Katastrophe besonders interessierte.
Regelmäßig zieht Philbrick zur Interpretation interessante Vergleiche heran: etwa die zweimonatige Fahrt der von den Meuterern der Bounty in einem Rettungsboot Ausgesetzten zur Insel Timor und die dabei vollbrachte navigatorische Meisterleistung oder auch die Erkenntnisse aus dem Minnesota-Hungerexperiment der Jahre 1944–45. Auch soziologische Aspekte zu den einzelnen am Walfang beteiligten Bevölkerungsgruppen, z.B. den Quäkern oder der indianischen Urbevölkerung, den Wampanoag, bleiben nicht außen vor. Selbst die zu jedem einzelnen Kapitel verfassten, in einem Anhang untergebrachten, ausführlichen Anmerkungen bilden eine überaus kenntnisreiche und spannende Lektüre, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Ron Howards Filmadaption Im Herzen der See, hat mit Philbricks gleichnamiger Buchvorlage allerdings nur sehr bedingt zu tun. Das Drehbuch gestaltet die Geschehnisse um die Katastrophenfahrt des Walfängers Essex nämlich in vielem zu einer freien Variante von Melvilles „Moby Dick“ um und führt so den Zuschauer hollywoodtypisch in die Irre. Die Umsetzung erinnert dabei zugleich an die wohl berühmteste Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 1956 von Regisseur John Huston. Dies betrifft nicht nur die Ähnlichkeit des offenbar von diversen Begegnungen mit Walfängern von vielen Narben gezeichneten weißen Pottwals, sondern ebenso den gemäldehaften Look inklusive der speziellen Farbgebung. Die Szenen auf See werden in der ersten Filmhälfte vom Meeresblau dominiert. Während der strapaziösen und qualvollen 90-tägigen Odyssey der Überlebenden hingegen tritt kräftiges Gelb als Symbol für die auf die Unglücklichen gnadenlos und gleißend herab scheinende Sonne hinzu.
Zwar schickt das Drehbuch von Charles Leavitt Kapitän Pollard (Benjamin Walker) entsprechend dem historischen Vorbild und damit ohne Holzbein ins Rennen. Es lässt die Filmfigur aber insbesondere in der ersten Hälfte allzu arrogant und schwächlich und damit für das Kommando kaum geeignet erscheinen. Erst während der auf den Untergang des Walfangschiffs folgenden hochdramatischen Odyssee der Havarierten gewinnt Pollard positiv an Profil. Letztlich schneidet er aber trotzdem gegenüber dem willensstarken Obermaat Owen Chase (Chris Hemsworth) schlecht ab – von dessen historischem Vorbild übrigens einer von zwei überlieferten Berichten über die Ereignisse stammt. Beim historischen Pollard bemängelt Philbrick jedoch in erster Linie, dass dieser während der Odyssee eindeutig zu wenig Durchsetzungsvermögen bewiesen habe. Herman Melville hat dazu sogar geäußert, dass vermutlich alle Schiffbrüchigen der Essex überlebt hätten, wäre Pollards Vorschlag in die Tat umgesetzt worden, Kurs auf Tahiti zu nehmen, anstelle der von Chase und der Mannschafft favorisierten südamerikanischen Küste.
Entgegen Philbricks immer sachlicher, dabei zugleich durchgehend sehr spannend zu lesender Studie erliegt Howards Film nicht allein der Versuchung, den beim realen Vorfall zuerst wohl eher zufällig mit dem Walfänger kollidierenden und diesen anschließend rammenden Wal zur gezielt auf Rache sinnenden gequälten Kreatur zu mystifizieren. Der Wal wird dabei letztlich gar zum „Über-Moby-Dick“ stilisiert, indem man ihn die in drei kleinen Fangbooten eingepferchten Überlebenden wochenlang verfolgen und bei einer nochmaligen Attacke eines der Boote zum Kentern bringen lässt. Erst nach einer letzten Konfrontation mit Chase, der, Auge in Auge mit der Bestie, die drohend erhobene Harpune doch nicht zu werfen vermag, entschwindet der Wal endgültig in den Weiten des Ozeans. Dass Pollard Chase daraufhin wütend Vorwürfe macht, wirft auf Pollard erneut ein negatives Licht. Der Film suggeriert, dass der Bootsmann seine Einstellung gegenüber den Walen geändert und deshalb späterhin als Handelskapitän seine Karriere fortgesetzt habe. Das ist freilich Hollywood-Kintopp, versehen mit aufgesetzter Tierschützer-Attitüde und Walkitsch. Chase wurde vielmehr im Alter von den Traumata der Essex-Tragödie eingeholt und endete schließlich in einer Nervenheilanstalt. Howards Film unterschlägt dies und macht dafür aus dem in der Realität letztlich eher unspektakulären Sinken der Essex um des Effekts willen ein reißerisches Spektakel, indem er an Bord Feuer ausbrechen lässt, worauf das brennende Walöl ein visuell eindrucksvolles nächtliches Großfeuer abgibt.
Die den Ausgangspunkt des Films bildende Rahmenhandlung, in welcher der Schriftsteller Melville den ehemaligen Schiffsjungen Thomas Nickerson (Brendan Gleeson) interviewt, ist wiederum frei erfunden. Melville, der 1841 auf dem Walfänger Acushnet angeheuert hatte, kam vielmehr bei einer Begegnung mit dem Walfangschiff Lima William Chase, mit dem damals sechzehnjährigen Sohn von Owen Chase ins Gespräch. Dieser erzählte Melville vom Untergang der Essex und gab ihm auch das Buch seines Vaters zu lesen. Dass wie im Film behauptet Kannibalismus unter Überlebenden maritimer Katastrophen im 19. Jahrhundert ein totgeschwiegenes Sakrileg gewesen sein soll, ist ebenso eine reine Erfindung. Dass die beim ehedem massenhaft betriebenen Walfang beteiligten schwarzen Crewmitglieder besonders rüde und rassistisch behandelt wurden, bleibt bei Howards Hochglanzprodukt ebenfalls außen vor.
Doch wenn man von den unzweifelhaften Schwachpunkten einmal absieht, ist Howards Film, gerade in 3D, schon ein besonders spektakulär anzuschauender Mix aus Kintopp und drastischem, maritimem Überlebensdrama. Man kann die großen Strapazen für die damaligen Seefahrer erahnen, die bereits auf ihren Schiffen auf einem endlos erscheinenden Ozean den Naturgewalten trotzten und außerdem in zerbrechlichen Nussschalen agierend gewaltige Wale jagten. Die mitunter nur knapp über dem Meeresspiegel agierende Kamera fängt dies in grandiosen Seebildern ein. Auch die CGI-Technik ist fast durchgehend auf der Höhe der Zeit. Einzig in der den Film eröffnenden Unterwasserszene schwächelt sie etwas.
Dass die so brutale wie blutige Waljagd ein schmutziges und auch übelriechendes Geschäft war, ein äußerst archaisches Gebahren, bei dem sich laut Philbrick vormoderne und industrielle Welt begegneten, das wird auch im Film eindringlich dargestellt. Der Film unterschlägt dabei auch die wirtschaftlichen Aspekte des Walfangs nicht, der völlig abseits von Seefahrerromantik funktionierend (freilich harten) Broterwerb für viele bot. Dabei wird auch deutlich, dass das, was um 1690 in der Bucht von Nantucket begonnen hatte, infolge der völligen Überfischung der heimatnahen Regionen im frühen 19. Jahrhundert pro Walfangtour bereits einen Zeitaufwand von anderthalb bis zu zweieinhalb oder gar drei Jahren Dauer erforderte, also eine äußerst entbehrungsreiche Angelegenheit war. „1000 Wegstunden am Äquator entlang, wo das Wissen endete und das Rätseln begann. Dorthin hatten sich die Wale zurückgezogen. Soweit wie möglich vom Menschen entfernt.“
Zurückhaltend in der Wirkung geht Howards Film mit dem Kannibalismus während der Odyssee der Havarierten um. Die filmische Darstellung, Henry Coffin (Frank Dillane), der junge Neffe von Kapitän Pollard, habe sich erschossen und somit selbst geopfert ist falsch. Er wurde vielmehr per Los bestimmt und von seinen Kameraden pragmatisch hingerichtet. Den Weichzeichner, mit dem diese drastischen Vorfälle im Film versehen sind, sodass sie angenehmerweise mehr angedeutet als unnötig detailliert gezeigt werden, akzeptiert man dennoch gerne.
Im Herzen der See in 3D auf Blu-ray
Das Doppel-BD-Set enthält neben der 3D-Blu-ray-Disc noch eine 2D-BD auf der sich neben der 2D-Fassung des Films auch die Boni befinden.
Bild, Ton & Extras
Bereits das 2D-Scope-Bild sieht dank guter Schärfe in Kombination mit guten bis sehr guten Werten für Kontrast und Schwarzwert sehr gut aus. Nur in einzelnen dunklen Passagen ist auch mal leichte Unruhe, verursacht durch Bildrauschen und/oder Banding-Artefakte, feststellbar. In 3D wird die Wucht vieler Einstellungen, aufgrund der geschickt gewählten Kameraperspektiven, noch eindeutig gesteigert. Und wenn die Essex mit dem Wal kollidiert oder auch wenn dessen riesige Schwanzflosse ins Wasser schlägt, sind auch einige reizvolle Pop-out-Effekte mit von der Partie.
Auch beim Ton gibt’s nichts zu meckern, sogar der letzte Schrei, Dolby-Atmos, ist dabei und selbst eine davon abgespeckte „nur“ 7.1 oder 5.1-Variante sorgt dank des auf allen Kanälen aktiven Surroundmixes für eine exzellente Akustik. Sowohl sehr sanft knarzende Schiffsplanken, schleifende Seile und weitere dezente Geräusche stehen genauso überzeugend im breiten akustischen Klangraum, wie das gewaltige Pfeifen des Sturms oder das Brechen von Planken.
Hinzu kommt eine ansprechende, insgesamt solide Kollektion an Boni, in denen es auch eine Reihe netter Blicke hinter die Kulissen des Drehs gibt, die allerdings noch etwas üppiger hätten ausfallen dürfen. Desweiteren gibt es „16 nicht verwendete Szenen“ (ca. 36 min.) sowie „vier erweiterte Szenen“ (ca. 7 min.) mit an Bord. Auch wenn der Titel der weniger auf den Film bezogenen knapp halbstündigen Dokumentation über die Walfänger von Nantucket, Die wahre Geschichte hinter Moby Dick, wiederum etwas in die Irre führt, bildet das Segment einen sehr ansprechenden Abschluss.
Fazit: Nicht allein durch die 2015er ZDF-Terra-X-Doku Der Aufstand der Wale – Moby Dicks wahre Geschichte dürfte der eine oder andere Leser bereits zuvor auf das interessante Thema, Spurensuche zu Moby Dick, aufmerksam geworden sein.
Ron Howards Filmadaption, Im Herzen der See, ist zwar in den hiesigen Kinos kaum beachtet untergegangen. Sie bietet jedoch ein schauspielerisch solides und besonders visuell eindringliches, ja bildgewaltiges Kinodrama, das trotz einiger hollywoodtypischer Schwächen bei Freunden maritimer Sujets einigen Eindruck hinterlassen dürfte. Das gilt ganz besonders für die 3D-Version, welche den Zuschauer noch intensiver am Geschehen teilnehmen lässt.
Darüber hinaus ist es überaus reizvoll, sich das gleichnamige Buch von Nathaniel Philbrick vorzunehmen, das in sehr lebendiger Darstellung nicht allein die tragischen Ereignisse um die letzte Fahrt des Walfangschiffs Essex im Jahr 1820 detailliert beschreibt, sondern darüber weit hinaus geht. Entsprechend liegt ein Teil der guten Wirkung des Films eben auch mit darin, dass er neugierig macht auf die in vielem nur den Filmtitel liefernde, auf ihre merklich andere Art aber mindestens vergleichbar beeindruckenden Buchvorlage.
Weiterführender LINK: „In The Heart Of The Sea: Fact And Fiction“ von Glenn McDonald
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.
Mehrteilige Rezension:
Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu: