House of Cards Symphony

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
30. Oktober 2018
Abgelegt unter:
CD

Score

(4/6)

Jeff Beal in Concert: House of Cards Symphony

Neben Game of Thrones von HBO ist die Netflix-Reihe House of Cards das derzeit den Olymp besetzende Highlight der US-TV-Serien – es geht in raffiniert vorgeführter Art und Weise um korrupte Politiker und die Macht im Weißen Haus in Washington. Jeff Beal (*1963), welcher die Serie seit Ihrem Start 2013 musikalisch betreut, kommt vom Jazz her. Seine Kompositionen bestehen entsprechend häufiger aus einem Mix aus Improvisationen eines Soloinstruments mit Orchesterbegleitung. Sein Lieblingsinstrument ist die Trompete. Daneben spielt er aber auch Flügelhorn, Gitarre und Klavier. Bemerkenswerterweise produziert Beal die betreffenden Vertonungen im heimischen Studio komplett selbst, d. h. er spielt sämtliche Instrumentalsoli und nimmt wiederum zuhause separat das zusätzlich benötigte kleinere, in der Regel ca. 17-köpfige, Streicherensemble auf. Überhaupt bleibt beim Produktionsprozess nahezu alles in der Familie. Beispielsweise wenn in einzelnen Passagen noch eine im Ausdruck an Operngesang erinnernde weibliche Sopran-Vocalise erklingt, dann stammt diese von Beals Frau Joan und bei Bedarf kommt auch Sohn Henry am elektrischen Bass noch mit hinzu. Abschließend erfolgt auch der vollständige Abmischungsprozess inkl. der den Sound voluminöser machenden Synthesizerunterstützung in Eigenregie.

Nach eigener Aussage entstehen so für jede Staffel jeweils rund sechs Stunden Musik, wobei die jeweiligen Staffelmusiken abseits der Bilder in Gänze selbst für ganz hart gesottene Fans der Serie wohl kaum in Frage kommen dürften. Jedoch auch die zu den einzelnen Staffeln erhältlichen, auf ca. 2 Stunden Musik abgespeckten Doppel-CDs haben einiges an Leerlauf im Gepäck. Das liegt mit daran, dass es sich bei einem Großteil um ein rein atmosphärisches Underscoring handelt, das praktisch nur als dramaturgische Teilkomponente der Serie seinen Zweck zu erfüllen, jedoch kaum für sich selbst zu stehen vermag. In aller Regel ist daher an dieser und vergleichbaren Stellen eine gezielte Rosinenpickerei das, was individuell den größten Genuss verspricht.

In diese Richtung geht Beals Konzertadaption in 10 Sätzen, für die er aus dem Musikmaterial der ersten fünf Staffeln wichtige Teile ausgewählt und als „House of Cards Symphony“ zusammengefügt hat. Die Uraufführung erfolgte unter der Leitung des Komponisten mit dem National Symphony Orchestra im Kennedy Center in Washington D.C. im Juli 2016.

Zur vorliegenden Einspielung kam es, weil Robert von Bahr, Chef des herausragenden skandinavischen Independent-Labels BIS, ein großer Fan der Serie ist. Man einigte sich auf eine Aufnahme der House-of-Cards-Symphony mit dem renommierten Norrköping Symphony Orchestra, welche die erste SACD des BIS-Sets mit rund 84 Minuten füllt. Neben Beals Frau Joan (Vocalise) und Sohn Henry (E-Bass) ist auch Robert Bahrs Frau, die aus Israel stammende Sharon Bezaly, mit von der Partie. Sie ist eine mit mehreren Preisen ausgezeichnete Flötistin, deren Instrument von Muramatsu Flutes aus 24-karätigem Gold gefertigt worden ist. Frau Bezaly interpretiert aber nicht nur Passagen der House-of-Cards-Symphony, etwa in „Betrayal“. Auf der zweiten SACD des Sets sind  darüber hinaus noch zwei ihr speziell gewidmete Kompositionen Beals vertreten, die brandneue „House-of-Cards-Fantasy“, ein spezielles Arrangement des Hauptthemas für Flöte und Orchester, und das sehr melodisch angelegte Flötenkonzert. Darüber hinaus erklingt das ebenfalls unmittelbar sehr eingängige „Six Sixteen“ für Gitarre und Orchester, interpretiert vom Grammy Preisträger Jason Vieaux.

Die House-of-Cards-Symphony ist zwar kein Superhighlight der Kinosinfonik, funktioniert aber insbesondere nach einigen Hördurchgängen zum Eingewöhnen schon recht gut. Besonders ansprechend sind dabei nicht zuletzt die Passagen, in denen improvisatorische Elemente hervortreten, etwa die Flügelhornsoli, die Jeff Beal auch hier höchstpersönlich interpretiert, z. B. im charmanten „Portrait of a Marriage“. Zum Schönsten gehört m.E. das melancholische „Dignity“, welches im letzten Abschnitt mit einem elegischen Walzer ausklingt.

Hinzu kommt, dass die Musik sich beim Norrköping Orchestra in hörbar guten Händen befindet. Dank des mit über 70 Spielern erheblich größer besetzten Orchesters klingt hier ohne die den Sound der Originale künstlich aufplusternde Klangsynthetik nun alles deutlich satter und auch edler. Trotzdem bleibt unüberhörbar, dass die sinfonische Gestaltung Grenzen hat, die Musik trotz einer Reihe guter Einfälle unterm Strich deutlich weniger raffiniert ausgestaltet ist als von Goldsmith, Williams und Co. gewohnt. Dies wird durch den ausgeprägt minimalistischen Ansatz und den daraus resultierenden statischen Eindruck diverser Passagen noch eindringlicher. Die Konzertstücke auf SACD 2 sind insgesamt unmittelbar eingängiger als das über größere Strecken betont atmosphärische Material auf SACD 1.

Fazit: Für den, der gern ein klingendes Souvenir zur Netflix-Serie haben möchte, aber eine Alternative zu den allzu weitschweifigen Staffelalben sucht, ist das BIS-Album sicher eine besonders gute Sache. Darüber hinaus bildet es als Kombi aus Filmmusik und Konzertwerken eine recht vielfältige klingende Visitenkarte des Komponisten Jeff Beal, welche für Aufgeschlossene sicher eine Überlegung wert ist. Auch unter Berücksichtigung der guten Aufmachung und der BIS-typisch vorzüglichen Aufnahmetechnik, welche in sämtlichen zur Verfügung stehenden Formaten mit einem transparenten wie druckvollen und insbesondere in der Mehrkanal-Version mit besonders süffigem Rundumklang aufwartet, halte ich daher als „Albumwertung“ vier Sterne für vertretbar.

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Komponist:
Beal, Jeff

Erschienen:
2018/08
Gesamtspielzeit:
132:23 Minuten
Sampler:
BIS
Kennung:
BIS-2299-SACD
Zusatzinformationen:
Norrköping Symphony Orchestra, Dirigent: Jeff Beal

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