„Do not forsake me, oh my darlin’. On this, our weddin’ day. Do not forsake me, oh my darlin’. Wait … along. The noon day train will bring Frank Miller. If I’m a man I must be brave. And I must face a man who hates me. Or lie a coward, a craven coward. Or lie a coward in my grave. “
Heutzutage haben diesem zweifellos folgenreichsten aller Filmsongs im Bekanntheitsgrad andere wie „Moon River“ oder besonders „My Heart Will Go on“ den Rang zwar längst abgelaufen; der zugehörige Film High Noon • Zwölf Uhr Mittags (1952, Regie Fred Zinnemann) gehört aber immer noch zu den Western, die unbestritten Klassikerstatus genießen. Es geht um den alternden Sheriff Will Kane, der sich am Tage seiner Hochzeit mit einer lebensbedrohlichen Situation konfrontiert sieht. Ben Miller, ein von ihm vor Jahren festgenommener und inzwischen begnadigter Killer wird mit dem Mittagszug eintreffen, um ihn zu töten. Drei Mitglieder der Miller-Gang sind bereits vor Ort und erwarten ebenfalls das Eintreffen Millers. Als Kane die Bürger des Ortes um Unterstützung ersucht, lässt man ihn nicht nur kläglich im Stich, sondern möchte ihn möglichst rasch loswerden: „Es ist besser für dich und besser für uns, wenn du gehst!“ Trotz aller Widrigkeiten stellt sich der Sheriff zum Kampf und kann diesen schließlich, nicht zuletzt dank des beherzten Eingreifens seiner Frau, für sich entscheiden.
Der Artikel des Begleitheftes, „High Noon — The Back Story“, wartet mit detaillierten Infos zur Entstehung dieses berühmten Westerns auf. Der erste, bereits sehr detaillierte Entwurf zur Filmstory entstand 1948 und stammt von Produzent und Drehbuchautor Carl Foreman, der damals gerade in Diensten des Produzenten Stanley Kramer stand. Als er seinem Agenten Henry Lewis davon erzählte, kam diesem der Kern der Geschichte bekannt vor. Eine Recherche förderte in der Tat eine sehr ähnliche Kurzgeschichte zutage: „The Tin Star“ von John Cunningham, erschienen im Dezember 1947. Foreman war sich nicht sicher, ob er diese Vorlage unbewusst plagiiert hatte und so kaufte man die Story ein. Bemerkenswert ist, dass in der literarischen Vorlage der Sheriff die Konfrontation mit den Banditen nicht überlebt. Dieser wesentlich bedrückendere Schluss ist von den Machern zwar durchaus in Erwägung gezogen, aber schließlich als zu pessimistisch verworfen worden. Ebenso interessant ist aber auch, dass der Anlass für den ersten Entwurf auf einen Repräsentanten der Vereinten Nationen (UN) zurückgeht, der auf der Suche nach Filmproduzenten für einen Film über die Ziele der UN war. Da Kramer gerade mit anderen, dringlicheren Filmproduktionen beschäftigt war, verzögerte sich alles Weitere bis zum Januar 1951. Zu diesem Zeitpunkt begann sich die Atmosphäre in Hollywood durch die zunehmenden Aktivitäten der HUAC (House Un-American Activities Committee) zur berüchtigten Kommunistenhatz Senator McCarthys zu verschlechtern. Nicht allein ein Klima der Angst, des Misstrauens und des Verrats bestimmte und drückte die Stimmung in jenen Tagen. Für viele Betroffene hatten die Anhörungen beträchtliche, zum Teil sogar lebensbedrohliche Konsequenzen.
Diese Kenntnisse sind hilfreich, einige der Mythen und Legenden zu enttarnen, die sich im Laufe der Zeit um diesen Western-Klassiker gerankt haben: etwas, wodurch der zweifellos gute Film in Teilen fehlinterpretiert und in seiner Bedeutung für das Westerngenre überschätzt worden ist. So ist die immer noch herumgeisternde Behauptung, High Noon habe das Genre Western erst salonfähig gemacht seit langem als pure Legende enttarnt — siehe auch in „Das Westernlexikon“ von Joe Hembus. Ebenso wenig kann man die These einfach stehen lassen, in diesem Western eine Abrechnung mit dem McCarthyismus zu sehen. Diese ist von vornherein schon durch den bereits zwei Jahre zuvor detailliert (!) vorgelegenen Drehbuchentwurf problematisch. Zwar empfand auch Foreman, den bei den letzten Arbeiten am Drehbuch die HUAC bereits im Visier hatte, dass sich im Spielfilmszenario die Gegenwart zunehmend spiegele. Er hat aber in einem späteren Interview, dazu konkret befragt, einen unmittelbaren Zusammenhang nicht bejaht, hat vielmehr das Allegorische in der Story betont. Ebenso wenig hält die immer wieder beschworene Identität von Filmzeit und realer Zeit einer kritischen Prüfung stand.
Unterm Strich ist High Noon eine sehr beachtliche Gemeinschaftsleistung des Teams um Produzent Stanley Kramer. Aber abgesehen vom ungewöhnlich nüchtern realistischen Wochenschau-Look der Bilder ist der Film weder besonders unkonventionell noch ein Ausnahme-Western. Es handelt sich vielmehr um ein durchaus genretypisches Produkt.
Dimitri Tiomkin war in jenen Tagen Stanley Kramers Hauskomponist. Entsprechend lag es auf der Hand, ihn auch für diese Filmvertonung zu verpflichten. Obwohl High Noon als die Geburtsstunde des Songscores und damit der Pop-Ära der Filmmusik schlechthin gilt: Kramers Wunsch, eine speziell komponierte Titelballade als das entscheidende musikalische Leitmotiv zu benutzen, war seinerzeit jedoch keine Novität mehr. Das entscheidende Vorbild findet sich nämlich in einem Film von Lewis Milestone. Hier ist allerdings nicht etwa der berühmte Antikriegsfilm des Regisseurs Im Westen nichts Neues (1930) gemeint. Es geht vielmehr um den kleinen, aber beachtlichten Weltkrieg-II-Kriegsfilm A Walk in the Sun • Landung in Salerno (1945). Dort wird ein recht schlichtes Lied für die Soldaten (Musik: Earl Robinson, Text: Millard Lampell), „It was just a little walk in the warm Italian sun, but it was not an easy thing “ im Verlauf der Filmhandlung vom Interpreten mindestens sechsmal, allerdings 1:1, wiederholt.
Dimitri Tiomkin hingegen geht mit seinem Songthema deutlich vielseitiger zu Werke. Das von Tex Ritter interpretierte Lied wird nicht etwa fortlaufend einfach nur wieder und wieder vorgetragen. In der endgültigen Filmversion (s. u.!) erscheint das Lied vielmehr als integrierter Part einer geschickt sinfonisch ausgearbeiteten Filmvertonung. Von dem als Main-Title fungierenden Song werden anschließend nunmehr allein kürzere Abschnitte zitiert. Das Songthema bildet außerdem zugleich die Basis für die orchestral ausgeführten Teile der Musik. Dabei wird es wiederum nicht einfach fortlaufend nur in unterschiedlich ausgeführter Instrumentierung (einmal auch nur allein vom Saloon-Klavier) schlicht zitiert. Der Komponist verwendet vielmehr Varianten und greift ebenso auf markante, motivische Bruchstücke des Themas zurück.
Für zusätzliche Abwechslung sorgt nicht nur das spanisch anmutende Nebenthema für Helen Ramirez. Weiterhin tritt regelmäßig eine einfache, aber sehr geschickt gehandhabte pendelnde Klangfigur immer markanter in Erscheinung. Dieses rhythmische Gefahrenmotiv fungiert als immer bedrohlicher werdendes klangliches Symbol für die unaufhaltsam verrinnende Zeit, wobei Tiomkin dieses auch kontrapunktisch mit dem Songthema kontrastieren lässt. Daraus resultiert im Score eine fortwährend zunehmende Spannung, die in der Musik zum finalen Gunfight Höhepunkt und Katharsis markiert. Und wenn zwischendurch gelegentlich Tex Ritters Gesang aufschimmert, dann ist seine markante Stimme nicht immer voll präsent, abmischungstechnisch wird ihr mitunter auch eine gewisse geisterhaft anmutende Ferne verliehen, was ebenfalls zur überzeugenden Atmosphäre beiträgt. Letztlich ist der Song im rund 55-minütigen Score (für 85 Minuten Film) zwar überaus präsent, ohne sich dabei jedoch völlig zu verschleißen. Und schließlich kann man die zwischendurch aufscheinenden Textpassagen des Liedes auch im Sinne der Off-Kommentare des Chors in der antiken Tragödie interpretieren; etwas, das auch mit der Machart des Films sehr gut harmoniert. Dimitri Tiomkin hat übrigens dieses geradezu klassische Theater-Muster einige Jahre später nochmals aufgegriffen und eindeutig betont. Im John-Sturges-Western Gunfight at the OK Corral • Zwei rechnen ab (1959) ist der Titelsong „nur“ Teil einer ganzen Ballade, bei der der Sänger (dieses Mal Frankie Laine) zwischendurch die Handlung kommentierend begleitet.
Ein mit 46 Spielern mittelgroß besetztes Orchester meldet sich in Gänze nur in relativ wenigen Passagen zu Wort. Den Hauptteil der High-Noon-Musik bestreiten erheblich kleinere Ensembles von bis zu maximal 19 Instrumentalisten. Diese Sparsamkeit ist nicht etwa einfach nur ökonomischen Vorgaben geschuldet. Das zumeist eher schlanke und durchsichtig gehaltene Klangbild ist zugleich ein dramaturgisch sinnvolles Stilmittel, um die Einsamkeit des Sheriffs musikalisch zu unterstreichen. Darüber hinaus wird in der Streichersektion komplett auf Violinen verzichtet, was dem Klangbild zusätzlich eine weniger romantisierende, kühlere Note verleiht.
Ganz besonders sparsam gibt sich Tiomkin beim Song: Tex Ritters Gesang wird allein von Gitarre und Akkordeon begleitet. Hinzu kommt allerdings noch ein direkt zu Beginn auch als Solo zu hörender, etwas merkwürdig anmutender Rhythmus. Wie wiederum das Begleitheft verrät, stammt dieser überraschenderweise von einem Novachord (Vorläufer der Synthesizer): dessen Klaviatur hierfür sogar mit dem Ellbogen angeschlagen worden ist. Und dem die Stadt schließlich den Rücken kehrenden Sheriff stellt Tiomkin im Finale kein jubelndes Orchesterfortissimo, sondern wiederum nur das schlichte Lied zur Seite. Mit dem quasi kammermusikalisch leisen Beginn und ebenso Ausklang steht der Komponist im klaren Gegensatz zu dem, was man ihm gern attestierte: nämlich, dass seine Musik eher laut denn subtil sei.
Das Begleitheft verrät aber auch, dass High Noon sich keineswegs von Anfang an auf der Straße der Sieger befand. Die erste Testvorführung verlief desaströs. Nach der ursprünglichen Planung sollte der Song (wie im 1945er Vorbild) x-fach in längeren Teilen wiederholt werden. Teile des Publikums hatten zu lachen begonnen, als dieser zum vierten Mal auftauchte. Einige Begleiter Kramers rieten diesem daraufhin sogar, auf das Lied komplett zu verzichten. Auch die zweite Preview wurde von allen Beteiligten als enttäuschend empfunden. Erst anschließend erhielt der Musikschnitt die endgültige Form (s. u.).
Dimitri Tiomkin war von der Qualität seines Song-Themas offenbar am meisten überzeugt und bewies damit einen guten Riecher. Er sicherte sich die Veröffentlichungsrechte und machte sich daran, eine Plattenfirma zu überzeugen. Capitol, das Vertragslabel von Tex Ritter, zeigte sich anfänglich nicht interessiert, und so kam zuerst die abseits der bislang unveröffentlichten Filmmusik erheblich geläufigere Version mit Frankie Laine auf Columbia Records zum Zuge — übrigens, noch bevor der Film an den Start ging. Der sich unmittelbar herausstellende Hit-Charakter des Stücks veranlasste dann auch Capitol zum Handeln. Und so kam kurz darauf auch noch eine Tex-Ritter-Fassung in Umlauf.
Der außergewöhnliche Erfolg des Liedes wurde für den erst einige Wochen nach Veröffentlichung der Schallplatten in den Kinos gestarteten und dabei auch von der Kritik gut aufgenommenen Film (!) zusätzlich zu einem bedeutenden Promotionsfaktor. Dass der zuerst scheinbar so wenig vielversprechende High Noon schließlich sogar insgesamt vier Oscars abräumte, darunter je einen für die beste Filmmusik und den besten Song, ist in der Geschichte Hollywoods nur eine von vielen vergleichbaren Kuriositäten.
SAE hat nun erstmalig die originale Filmmusik zugänglich gemacht. Als Vorlage für die Veröffentlichung dienten Mitschnitte der Aufnahmesitzungen auf Acetate-Discs, die parallel zu einkanaligen Magnettonaufzeichnungen erfolgten, die jedoch nicht mehr erhalten sind. Der Zustand der Acetate-Discs ist fast durchweg überraschend gut, und das in Sachen Tonrestauration sehr erfahrene Team um Ray Faiola bei den Chelsea Rialto Studios (siehe dazu auch The Big Sky • Der weite Himmel) hat wiederum hörbar sehr gute Arbeit geleistet. Und schließlich ist man beim Kompilieren des Albums exakt den ursprünglichen Intentionen Tiomkins gefolgt. Einige nachträglich von Seiten der Produktion eher hastig vorgenommene Eingriffe (bei den Songreprisen sowie im Finale) wurden rückgängig gemacht. Im Anschluss an den Schlussakkord kann man nicht nur hören, wie sich der Komponist begeistert bei den Orchestermitgliedern bedankt. Neben einer Demo-Version des Songs kann man noch miterleben, wie Dimitri Tiomkin mit Tex Ritter den Song einstudiert hat.
So steht nun auch Dimitri Tiomkins Originaleinspielung zu High Noon in einer mehr als nur respektablen Alben-Edition den interessierten Sammlern zur Verfügung — wobei selbstverständlich die weiblichen Geschlechts einbezogen sind. Der Klang ist, von einigen wenigen kürzeren Passagen abgesehen, erstaunlich frisch und klar. Das wiederum mit viel historischem Bildmaterial angereicherte, umfangreiche und sehr informative Begleitheft ist dazu — wie gewohnt — eine gelungene und wichtige Ergänzung.
Im Jahre 1980 hat Laurie Johnson mit dem London Studio Symphony Orchestra auf dem Kompilations-LP-Album „The Western Film World of Dimitri Tiomkin“ (Label: Unicorn-Kanchana) eine rund 13-minütige Suite eingespielt. An der guten Kompilation (Song-Main-Title, The Clock, Gunfight und Finale) hat man auch heute noch seinen Spaß. Allerdings zeigt der Vergleich eindeutig, dass sich Johnson im Sinne einer Konzertfassung gegenüber dem Original einige Freiheiten genommen hat. So hat er nicht nur auf den so charakterischen Sound des Novachords verzichtet, die durchgehend vertonte Gunfight-Sequenz ist bei ihm um rund ein Drittel gekürzt.
Dank SAE kann man jetzt auch Dimitri Tiomkins Original-Einspielung zu High Noon vollständig hören und beurteilen. Die erklärte Mutter aller Song-Scores, die letztlich auch die Pop-Ära der Filmmusik einläutete, erweist sich dabei sowohl als geschickt konzipierte Filmmusik als auch von den Bildern getrennt als durchweg sehr gut fließendes und damit überzeugendes Höralbum. Was der Komponist aus dem zentralen Song-Thema herausholt, ist sehr beachtlich und stellt viele der späteren eher simplen Nachfahren der so genannten Popscores eindeutig in den Schatten. Trotz der Dominanz des Songthemas hängt die Musik auch für sich allein zwischendrin keineswegs durch. Wertungsmäßig kommen hierfür vier bis viereinhalb Sterne in Betracht. Zusammen mit dem editorischen Wert erscheint der obere Wert in jedem Fall gerechtfertigt.
In Anbetracht des recht überschaubaren Aufwandes der eingesetzten Mittel wäre auch eine späterhin durchaus wünschenswerte Neueinspielung dieser wichtigen Musik etwas, das nicht im Bereich des eher Utopischen anzusiedeln sein dürfte.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2008.
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