Hans-Martin Majewski – Deutsche Filmmusikklassiker

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
31. Dezember 2012
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

In der Filmmusikszene im westlichen Nachkriegsdeutschland war der aus Pommern stammende Komponist Hans-Martin Majewski (1911-1997) ein besonders interessantes und bemerkenswertes Phänomen — siehe hierzu den 2003er Artikel zum CD-Album „Hans-Martin Majewski: Deutsche Filmkomponisten, Folge 10“.

Eine Veröffentlichung zum großen Jubiläumsjahr

2011 wäre Hans-Martin Majewski 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass veröffentlichte das Alhambra Label ein preiswertes 6-CD-Set. Dieses ermöglicht dem Interessierten nach dem 2003er Einzel-CD-Album der Reihe „Deutsche Filmkomponisten“ (s. o.) nun eine besonders umfang- wie abwechslungsreiche klingende Zeitreise mit Themen und Suitenkompilationen aus insgesamt 27 Filmmusiken, die zwischen 1948 und 1978 entstanden sind und somit einen Zeitraum von 30 Jahren westdeutscher Kinogeschichte spiegeln.

Trotz des attraktiven Preises für das umfangreiche Box-Set bekommt der Kunde nicht nur sechs randvolle Tonträger mit insgesamt fast acht Stunden Musik. Erfreulicherweise ist auch ein 32-seitiges, informatives Booklet mit von der Partie. Visuell reizvoll ausgestattet mit zahlreichen farbigen Plakatmotiven findet sich darin eine biografische Skizze von Stefan Schlegel. Außerdem gibt es zu (fast) jeder der vertretenen Filmkompositionen kurze Kommentare des Komponisten. Letztere entstammen zum Großteil dem 2011 erschienenen Band „Hans-Martin Majewski. Ein Komponistenporträt“ (siehe im Anhang), Hrsg. Peter-Michael Majewski, Magazine-Music Verlag/Peermusic, Hamburg 2010.

Dass diese Veröffentlichung überhaupt möglich war, ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass insbesondere der älteste Majewski-Sohn, Peter-Michael, sich um die digitale Sicherung (professionelle Klangrestauration inklusive) der im Privatarchiv seines Vaters erstaunlich vielen erhalten gebliebenen Tonbandkopien der Originaleinspielungen verdient gemacht und diese auf einer Reihe privat produzierter CD-Alben (ausschließlich für Studienzwecke) präserviert hat. Entsprechend ist das für die Nachwelt gerettete Musikmaterial tontechnisch in beachtlicher, von mindestens befriedigender, in den meisten Fällen guter bis sehr guter Tonqualität. Der musikalische Nachlass wurde übrigens zwischenzeitlich an das Deutsche Komponistenarchiv in Hellerau — Europäisches Zentrum der Künste Dresden übergeben.

Von vornherein war Majewski keineswegs ein vorbehaltloser Anhänger der opernnahen und dabei häufig betont illustrativen traditionell-romantischen Kinosinfonik. So gab es bereits bei seiner ersten Filmvertonung zu Arthur Maria Rabenalts Flucht ins Dunkel (1940) massiven Ärger mit der NS-Zensur, da diese aus Jazz und zeitgenössischen Stilelementen besteht und als atonal empfunden wurde. (Leider zählt der Film zu den etwa 40 Titeln aus der NS-Ära, die, im Archiv der Murnau-Stiftung befindlich, derzeit immer noch unter Vorbehalt stehen, also nicht frei zugänglich sind.)

Majewskis eigentlicher Start als Filmkomponist begann im Jahr der Währungsreform, 1948, mit Wolfgang Liebeneiners Liebe 47. Für die filmische Umsetzung nach Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“ steuerte er eine recht üppig sinfonische Musik bei, die zwar das Mixtur-Trautonium Oskar Salas einbindet, welches hier allerdings nicht geräuschartig agiert, sondern nur ungewohnte Instrumentalfarben liefert und sich somit recht harmonisch in den überwiegend spätromantische Züge tragenden musikalischen Fluss einfügt. Zuvor hatte er bereits diverse Hörspiel- und Bühnenmusiken komponiert und auch seine erste Nachkriegsfilmkomposition geliefert, zum Dokumentarfilm Ruhrgebiet — Kraftquelle Europas (1947).

Das in den folgenden rund 40 Jahren entstandene Gesamt-ŒŒuvre ist in seiner Vielseitigkeit besonders eindrucksvoll. In den Jahren zwischen 1950 und 1975 galt Majewski als der meistbeschäftigte Komponist im deutschen Filmgeschäft. Insgesamt entstanden — bis etwa Mitte der 1980er Jahre — rund 120 Spielfilmmusiken sowie rund 125 Tonschöpfungen für diverse Dokumentarfilme. Zwischen 1951 und 1992 vertonte er außerdem ca. 150 TV-Produktionen. Darüber hinaus finden sich etwa 100 Hörspielmusiken (darunter „Am grünen Strand der Spree“) sowie rund 80 Kompositionen für die Bühne, für Kabarett und Schauspiel.

Majewski blieb insgesamt der funktionalen, insbesondere der Filmmusik verpflichtet. Sinfonien hat er nicht geschrieben, wohl aber eine Reihe sinfonischer Musikstücke, wie den „Valse Romantique“ oder die „SUITE 52“ — die allerdings wiederum auf Material der Filmkomposition zu Weg zu Dir (1952) beruht.

Zwischen 1954 und 1975 hat Majewski insgesamt fünfmal den Bundesfilmpreis und dreimal den Preis der Deutschen Filmkritik erhalten. Trotz seiner häufiger unkonventionell und ungewöhnlich zu nennenden, äußerst vielseitigen Herangehensweise beim Vertonen der bewegten Bilder, erschien er dem Nachwuchs des Neuen Deutschen Films offenbar nicht als relevanter Partner. Ab Mitte der 1960er verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeiten daher zunehmend auf TV-Vertonungen. Bis Mitte der 80er Jahre entstanden dabei u. a. Musiken zu Großer Ring mit Außenschleife (SWR 1966), Frühling in Baden- Baden (SWF 1967), Die Pawlaks (ZDF 1982), Berliner Weiße mit Schuss (ZDF 1985) Liebling Kreuzberg (SFB/RBB 1986) und ebenso zu diversen Krimifolgen von Der Alte, Derrick und Der Kommissar. In der zweiteiligen Romanverfilmung nach Josef Joseph Roth, Die Geschichte der 1002. Nacht (WDR 1969), erhielt Majewski als Komponist der Filmmusik zugleich einen Mini-Auftritt als Dirigent in einer Szene im Wiener Prater.

Im Gegensatz zu den die Hollywoodmusiken jener Jahre noch dominierenden eher üppigen spätromantisch gefärbten Orchestersounds schrieb Majewski häufig für kleinere Ensembles, bevorzugte luftige, solistisch geprägte Klänge. Dabei agierte er auch im Umfang des komponierten Materials eher zurückhaltend, blieb stets abseits des für Hollywoodvertonungen so berüchtigten — in der Breite allerdings eher klischeehaft denn zutreffend unterstellten — „Wall-to-Wall-Scorings“. „Meine Liebe gilt der klassischen Musik und dem Jazz“, sagte er und bezeichnete als Wesensmerkmale seiner Filmvertonungen: „die Verbindung zwischen stark rhythmisch ausgeprägter Musik, gekoppelt mit volksliedhaften Themen, die nicht immer unbedingt ins Ohr zu gehen brauchen.“

Entsprechend der vorwiegend auf leichte (und oftmals seichte) Unterhaltung stehenden Zeichen im deutschen Nachkriegsfilm finden sich im umfangreichen Œuvre auch zwangsläufig viele eher leicht gewichtigere, von jazzigen und poppigen Unterhaltungs- und Tanzmusikstilen der Zeit beeinflusste Kompositionen. Dabei muss man aber eben auch sehen, dass im Gegensatz zum Hollywood jener Jahre im bundesrepublikanischen Nachkriegs-Kino der 50er und 60er sehr bescheidene Budgets (entsprechend auch für die Filmmusik) die Regel waren. Zwar waren die Jahre des 2. Weltkriegs auch an Hollywood nicht spurlos vorübergegangen. Aber nach dem Sieg konnte man praktisch durchstarten und fast nahtlos weitermachen. In Europa und besonders in Deutschland lagen die Kinolandschaft wie auch die Filmindustrie sprichwörtlich ebenso in Trümmern wie die meisten größeren Städte und die Infrastruktur. Hierzulande konnte man eben nicht an das anknüpfen, was die UFA vor der sogenannten „Machtergreifung“ gewesen war, sondern musste praktisch bei Null neu anfangen. Selbst die teuersten deutschen Produktionen bewegten sich bis etwa Mitte der 1960er bestenfalls in der mittleren US-B-Kategorie. Pendants zu den plüschigen US-Kostüm- und Abenteuerfilmen finden sich darunter übrigens nur im Ansatz. Damit fehlt aber eben auch ein vergleichbarer Produktionsrahmen, der für die Crème der so unverwechselbar markanten wie kraftvollen US-Filmmusik die Voraussetzung bildete, durch welche besonders viele der schon etwas älteren Hasen überhaupt erst nachhaltig für Filmmusik begeistert worden sind.

Natürlich wäre es ungemein reizvoll zu hören, wie Majewski (oder auch seine Kollegen) eine entsprechende Hollywood-Produktion mit Musik ausgestattet hätten. Bemerkenswert ist dazu, dass seine mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnete Vertonung zu Weg ohne Umkehr (1953) bei den als Produzenten tätigen Gebrüdern Schulberg Aufmerksamkeit erregte und Majewski gefragt worden ist, ob er die Musik zu Elia Kazans Gewerkschaftsdrama mit Marlon Brando, On The Waterfront • Die Faust im Nacken (1954), schreiben wolle. Daraus wurde dann allerdings aufgrund der Bedenken der US-Musikergewerkschaft nichts.

In einem Interview (siehe Anhang) hat sich Majewski, auf seine Einstellung zu leitmotivischer Filmmusik angesprochen, wie folgt geäußert: „Leitmotivische Filmmusik im Sinne von Richard Wagner hat sich bereits in der Stummfilmzeit und erst recht im Tonfilm als wenig praktikabel erwiesen. Stellen Sie sich einen Western vor, wo jeder Akteur — und Gegenspieler nebst wichtigen Nebenrollen — ein eigenes Motiv bekäme. Was würde das z. B. bei einem ‚„Gemetzel‘“ für ein lächerliches Durcheinander geben.“ Auf die Frage ob es drum also nicht sinnvoll sei, analog Steiners Vom Winde verweht für jeden Darsteller ein Thema zu komponieren: „In großen dramatischen Filmen kann sich zu dem Hauptthema durchaus ein Nebenthema gesellen. Heute und seit Jahren beschränkt man sich auf ein Thema, welches substantiell stark genug ist, einem Film das ‚Markenzeichen‘ und Profil zu geben und dazu beiträgt, dem Film zu einem Erfolg zu führen, letztlich durch innere Geschlossenheit.“ Zu der ihm häufig attestierten Abkehr von sinfonischen Stilmitteln bemerkte er: „Meine Abkehr von sinfonischer Filmmusik bezieht sich auf die Anwendung von Stilmitteln des 19. Jahrhunderts, soweit es sich um die Vertonung dramatischen Filmgeschehens handelt. Ein Rückgreifen auf sinfonische Elemente der Romantik des vorigen Jahrhunderts hat sich über Jahrzehnte hinaus als dankbar erwiesen. Oft haben sich Drehbuchautoren und Regisseure der Originalpartituren dieser Epoche bedient. Neu komponierte Musik sollte sich, wenn sie sich im sinfonischen Bereich ‚„tummelt‘“, einer heutigen Sprache bedienen.“

Der „Berliner Tagesspiegel“ meinte, Majewski hielte nichts davon, das Kinopublikum mit symphonischem Getöse zu erschlagen und „Der Spiegel“ schrieb gar, er habe das Kino der 50er Jahre von der handelsüblichen symphonischen Sülze befreit. Hier wird allerdings schnell arg polemisch und simplifizierend gegen die aus Hollywood gewohnten Vertonungsstandards zu Felde gezogen. Entsprechend wird dann auch gern mit leitmotivischer Filmmusik und ebenso naserümpfend und verallgemeinernd mit der Anwendung illustrativer Techniken bei der Filmvertonung, dem sogenannten „Mickey-Mousing“, allzu salopp abgerechnet.

Hierzu ein kleiner Exkurs: Beide Aspekte werden insbesondere mit Max Steiner assoziiert. Zwar hat dieser in einer seiner frühen Filmkompositionen für RKO in besonderem Ausmaß besagtes, freilich meisterlich ausgeführtes Mickey-Mousing eingesetzt: The Informer • Der Verräter (1934). Exakt auf dieses Beispiel wird (meist indirekt) wieder und wieder Bezug genommen. Dieses lässt sich aber nicht einfach 1:1 auf die übrigen Steiner-Musiken übertragen. In denen finden sich derart betont das Bild musikalisch verdoppelnde Momente nämlich eher vereinzelt. Und auch beim Einsetzen möglichst vieler individueller Themen für die tragenden Charaktere einer Filmhandlung (s. o.) herrscht abseits der beiden in diesem Punkt breit angelegten David-O.-Selznick-Melodramen — Vom Winde verweht (1939) sowie Since You Went Away • Als Du Abschied nahmst (1944) — im Steiner’schen Œuvre eher Übersichtlichkeit, ja häufiger geradezu Ökonomie vor. Man denke nur an die faszinierende Musik zum ebenfalls aus der frühen Schaffensphase stammenden King Kong und die weiße Frau (1933), deren Basis ein einzelnes markantes Dreinotenmotiv bildet.

Der berühmte Wiener bevorzugte freilich immer den Klang eines relativ groß besetzten sinfonischen Klangkörpers. In diesem Punkt ist er im Gegensatz zu Majewski eindeutig ein Vertreter der Spätromantik. Aber das ist nicht zuletzt eine Frage, in welche Zeit man hineingeboren wird: Max Steiners Geburtsurkunde verzeichnet 1888. Er ist damit immerhin 23 Jahre älter als Majewski (•1911). Da ist es an sich wenig überraschend, dass dessen (nicht ausschließlich aus Budgetgründen) häufig schlanker und auch dissonanter gestaltete Tonsprache in der Wahl der Mittel moderner anmutet. Entsprechend lassen sich stärker ausgeprägte Parallelen besonders in den Schöpfungen seiner annähernd gleichaltrigen Hollywoodkollegen finden, etwa bei Franz Waxman (•1906) oder auch bei Bernard Herrmann (•1911). Mit Herrmann teilte er in jedem Fall die Neigung zu einem betont luftigen, eher solistisch betonten Orchestersatz, mit Waxman die Liebe zum Jazz, das gewisse Maß an moderner Dissonanz und ebenso die Bereitschaft zu elektroakustischen Klangexperimenten — etwa in Waxmans Frühwerken wie Liliom (1934) und Frankensteins Braut (1935). Punktuell könnte man auch fast schon ein wenig Jerry Goldsmith (•1929) Vorwegnehmendes heraushören: etwa in der bereits an Strawinski und Bartók erinnernden Rhythmik in Nacht der Entscheidung (1955).

Von Majewski stammt allerdings auch die entscheidende Bemerkung: „Die Wahl der Stilmittel richtet sich nach dem Stoff und dem Inszenierungsstil.“ Und entsprechend setzte er dort, wo die Bilder es erforderlich machten, ebenso selbstverständlich auch illustrative Mittel ein, etwa das „berüchtigte“ Mickey-Mousing. Dazu findet sich im Alhambra-Set bereits auf CD 1 ein sehr hübsches Beispiel mit „Strandbad Wannsee“ aus Bumerang (1960). Ein drolliger, fast ein wenig John Addison vorwegnehmender, recht moderner Kostümfilmtouch bestimmt Der tolle Bomberg (1957) — wobei das ebenfalls mit Mickey-Mousing-Effekten durchsetzte Stück „Ahnfrauen“ in der hier präsentierten Suite nicht enthalten ist. Ähnliche illustrative Elemente sind aber auch in der charmanten, von einem Musette-Walzer dominierten Musik zu Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1957) zu vernehmen — übrigens nur einer von vielen, zum Teil gar ohrwurmverdächtigen [url=rezension.htm?rid=2363]Filmwalzern[/url], die Majewski geschrieben hat. Ein spürbarer Hauch von Hollywood-Musical findet sich sich in Klettermaxe (1952). Besonders bemerkenswert ist die Musik zum Heimatfilmdrama An heiligen Wassern (1960): Im üppigen Tonfall durchaus der Strauss’schen Alpensinfonie Nahestehendes (versehen mit Hollywood-Touch á la Steiner oder Newman) kontrastiert hier eindrucksvoll mit (auch in der Länge) sparsam gehaltenen, moderner wirkenden Tongebilden, welche der Atmosphäre des Dramas eindrucksvoll Ausdruck verleihen.

Im Taucherdrama mit Hans Albers, Der Mann im Strom (1958), spielt die berühmte Shanty-Melodie „Rolling Home“ eine gewichtige Rolle. Als eine Art lichtes „Leitmotiv“ setzt sie zu den eher grüblerisch atmosphärischen Spannungspassagen einen markanten Kontrast. Der sowohl intelligent getextete als auch thematisch einprägsame Titelsong „Verloren vergessen“ (interpretiert von Ralf Bendix) zum U-Boot-Drama Haie und kleine Fische (1957) — ein Vorläufer von Wolfgang Petersens Das Boot (1981) — taucht auch in Teilen der Spannungspassagen auf und besitzt damit eine ähnliche Funktion. Ebenfalls im maritimen Milieu bewegt sich die besonders intim gehaltene, geschickt für Streicher, Gitarre und Holzbläsersoli gesetzte Musik zur TV-Produktion Der Schimmelreiter (1978).

Abschließend bleibt noch ein weiteres, allerdings entscheidendes Problem zu erwähnen: Die Musik Hans-Martin Majewskis ist derzeit, selbst hierzulande, in erster Linie Spezialisten geläufig, da sie abseits einzelner Veröffentlichungen der LP- wie auch der CD-Ära so gut wie nicht zu hören ist. Somit bleibt zumindest zu hoffen, dass das feine Alhambra-Set möglicherweise Wegbereiter einer kleinen Majewski-Renaissance werden möge. Im Bereich des Rundfunks, aber auch bei den sich erfolgreich etablierten Filmmusik-Konzerten wäre m. E. ein Potential vorhanden, zumindest einige der besonders gelungenen Schöpfungen (auch als stereofone Neueinspielungen) wiederzubeleben: Etwa die so innige wie warmherzige Musik zur Erstverfilmung von Erich Kästners Das fliegende Klassenzimmer (1954). Auf zwei kontrastierenden musikalischen Ebenen reflektiert diese Komposition stimmungsvoll auf die Welt der Kinder (Mundharmonika-Trio) und die der Erwachsenen (mittelgroßes Sinfonieorchester mit starker Streicherbesetzung). Wobei sich beide Ebenen aber nicht etwa konsequent voneinander absetzen, sondern einander häufiger auch durchdringen, also quasi durch das Band zwischen den Generationen miteinander verbunden sind. Die reizende Kopplung aus kindlich-spielerischer, quirliger Primanermusik mit den ungemein warmen, mitunter etwas wehmütig nostalgisch — wie eine Erinnerung an die verlorene Kindheit — wirkenden Streicherkantilenen der Erwachsenenwelt (leichter Mantovani-Touch inklusive) zählt vielleicht zum Schönsten und zugleich am tiefsten Empfundenen, was sich bei Majewski finden lässt. Unbedingt in die Kategorie des besonders Reizvollen gehört Peter Voss der Millionendieb (1958), wo Majewski sein liedhaftes Hauptthema, passend zu den weltweit verstreuten Schauplätzen, in mannigfaltigen, auch klanglich raffinierten Varianten elegant Revue passieren lässt. Aber auch so manch weiterer melodisch sehr inspirierter Einfall besitzt unmittelbar ansprechende Qualitäten und wäre als klingender Werbeträger für das Schaffen dieses Komponisten verwendbar, auch wenn er sich hinter heutzutage praktisch vergessenen Filmtiteln verbirgt: etwa das Thema für „Mutter und Kind“ aus Herr über Leben und Tod (1955).

Fazit: Das überaus sorgfältig produzierte 6er-CD-Set von Alhambra ist auch in Anbetracht seines außergewöhnlichen Umfanges eine besonders wertvolle editorische Leistung zum Thema Deutsche Filmmusik im Nachkriegsdeutschland. Majewskis Filmmusikschaffen zählt zum Besten, womit der westdeutsche Nachkriegsfilm aufwarten kann. Das macht das umfangreiche CD-Set zum besonders vielseitigen wie aufschlussreichen Studienobjekt.

Weiterführende Links:

Majewski-Interview auf: filmmusik.wordpress.com/2008/03/01/interview-hans-martin-majewski/

Jonas Uchtmanns Rezension zum Band „Hans-Martin Majewski. Ein Komponistenporträt“, 122 Seiten & 2 CDs auf Filmmusikwelt

Mehr Klingendes von Hans-Martin Majewski ist erhältlich bei duo-phon-records

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2012.

Erschienen:
2011
Gesamtspielzeit:
ca. 466 Minuten
Sampler:
Alhambra Records
Kennung:
A 9000

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