Klassik-CD-Tipp, II-24: Eine Hans Werner Henze Hommage des Mozarteumorchesters Salzburg

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
31. März 2024
Abgelegt unter:
CD, Hören, Klassik

Das vorliegende Album bildet die Numero drei von insgesamt sechs, die laut Angaben des Labels Berlin Classics die Vielfältigkeit und Spielfreude der Musiker und Musikerinnen aus Mozarts Geburtsstadt aufzeigen möchten.

Hans Werner Henze, geboren 1926 in Gütersloh und 2012 in Dresden gestorben, war Komponist und Dirigent. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Tonsetzer des 20. Jahrhunderts. Seine in Teilen sehr modernistisch gehaltene Musik taugt mitunter auch zum dezenten Klassikhörer-Schreck. Beim vorliegenden Album liegt allerdings auch der eher konservativere Klassikfreund auf der absolut sicheren Seite. Dieses beherbergt nämlich Kompositionen, in denen sich Hans Werner Henze ambitioniert, fantasie- und liebevoll zugleich mit historischen und zeitgenössischen Vorbildern auseinandergesetzt hat. Und das steht bereits konzeptionell für eher leichter faßbare Musik. Damit ist das vorliegende Album zweifellos auch und besonders für den Henze-Einsteiger sehr zu empfehlen.

Die sehr überzeugende Henze-Hommage des Mozarteumorchesters Salzburg beginnt mit der dreisätzigen „Konzertmusik für Violine und kleines Kammerorchester“. Diese ist ein noch tastendes Frühwerk, welches der erst 17-jährige Henze Ende 1943 für seinen Schulfreund Kurt-Christian Stier komponiert hat. Die Komposition wurde nie aufgeführt, geriet völlig in Vergessenheit und ist erst 2017 im Nachlass Stiers wiederentdeckt worden. Dieses hier nun als Ersteinspielung vorliegende kleine Werk erweist sich als eine besonders reizvolle Entdeckung, da es in seinem neoklassizistischen Idiom an Hindemith gemahnt, partiell aber sogar einen Hauch von Schostakowitsch zu verströmen scheint. Bereits die Satzfolge schnell-langsam-schnell spiegelt dabei das Muster einer frühen klassischen Sinfonie oder auch eines Violinkonzerts. Besonders ausdrucksstark gibt sich der im Verhältnis zu den Ecksätzen lange ruhige Mittelsatz, in dem die Solo-Violine mit gedämpfter Trompete und Posaune in einen einfühlsamen konzertierenden Dialog tritt. Mit nur rund 11 Minuten Spieldauer ein im Umfang zwar nur kleines, aber sehr feines Stück, das es verdient hat, häufiger aufgeführt zu werden.

Dafür beansprucht das 1977 im Auftrag der Salzburger Festspiele entstandene „Il Vitalino Raddoppiato (Der kleine Vitali verdoppelt) für Violine und Orchester“ mit einer knappen halben Stunde  mehr als die Hälfte des gesamten Programms. Es beruht auf einer dem Barockkomponisten und Geiger Tomaso Antonio Vitali zugeschriebenen Chaconne für Violine und Generalbass, entstanden um 1700. Das von Ferdinand David im 19. Jahrhundert wieder aufgefundene und neu herausgegebene Stück, wird vom Komponisten des „doppelten Vitali“ als eine „seltsam schöne Jugenderinnerung“ bezeichnet. Der dank diverser Arrangements seither bei diversen Violinisten in Mode gekommenen Vitali-Chaconne hat Henze im Resultat ein unübersehbar beachtliches Maß an Aufmerksamkeit gewidmet. Er hat dabei die als Tanz und zugleich barocke Variationsform überlieferte Vitali-Chaconne durch diverse weitere hinzugefügte Variationen sowie eine virtuose Kadenz als Finale nicht bloß im Umfang ganz erheblich erweitert, sondern diese dabei zugleich unüberhörbar liebevoll zu einem Violinkonzert umgebaut und weiterentwickelt. Das im Ausdruck anfänglich noch klar Barocke tritt dabei im weiteren Verlauf zugunsten einer moderner anmutenden, neoklassizistisch gefärbten Tonsprache zunehmend in den Hintergrund. Alles in allem ist es ein sehr angenehm zu hörendes und dabei auch unterhaltsames Werk, das im sich stetig wandelnden Ausdruck schillernder Klangfarben eindrucksvoll die Akzente verschiebt.

Den Abschluss bildet die Bearbeitung der drei Mozart’schen Kirchensonaten, welche Henze 1991 anlässlich des 200-jährigen Mozartjubiläums für das aus dem Berliner Philharmonischen Orchester hervorgegangene Scharoun Ensemble erstellt hat. Entstanden ist daraus eine in glitzernden, „apollinischen“ Klangfarben gehaltene Kammersinfonie, die im Umfang auf eine der ganz frühen Mozartsinfonien verweist und entsprechend auch in der Satzfolge nach dem Muster schnell-langsam-schnell ausgeformt worden ist. Interessanterweise verzichtet das aus drei Gruppen bestehende Ensemble auf Violinen – 6 tiefe Holzbläser, gespielt in hoher Lage (Altflöte, Bassflöte, Bassklarinette, Fagott, Oboe d’Amore, Englischhorn), 6 Streichinstrumente (2 Violen, 2 Violoncelli, Kontrabass, Viola d’Amore)  sowie Harfe und Gitarre. Statt Violine kommt also die selten zu hörende, reizvoll klingende Viola D’Amore zum Einsatz. Das rund 12-minütige Finale der CD bildet damit eine sowohl charmante als auch äußerst anmutige, vergnügliche Henze-Mozart-Hommage.

Nicht nur der in den ersten beiden Programmteilen zu Worte kommende junge österreichisch-chinesische Violinist Ziyu He, sondern auch die übrigen Instrumentalisten des unter der Leitung der taiwanesischen Dirigentin Lin Liao so subtil wie klangschön aufspielenden Mozarteumorchesters Salzburg sorgen für insgesamt vorbildliche, vital-frische Interpretationen der drei versammelten Werke. Ebenso tadellos gearbeitet hat die Aufnahmetechnik, welche die vielfältigen Klangfarben kristallklar und vorzüglich durchhörbar abbildet.

© aller Logos und Abbildungen bei Berlin Classics. (All pictures, trademarks and logos are protected by Berlin Classics.)

Originaltitel:
Henze - Mozarteumorchester Salzburg

Erschienen:
03/2024
Land:
Deutschland
Gesamtspielzeit:
52:32 Minuten
Sampler:
Berlin Classics
Kennung:
BC 0303021

Weitere interessante Beiträge:

The Thing

The Thing

Benjamin Britten – Albert Herring

Benjamin Britten – Albert Herring

Prokofjew: A. Newski (Kantate)/Pushkiniana

Prokofjew: A. Newski (Kantate)/Pushkiniana

Schmidt-Kowalski: Sinfonie Nr. 3/Cellokonzert

Schmidt-Kowalski: Sinfonie Nr. 3/Cellokonzert

Cinemusic.de