Eine Frau in Berlin (TB)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
12. Dezember 2008
Abgelegt unter:
Lesen

Kommentar zum Buch sowie dem Film von Max Färberböck

„Ihr seid schamlos, euer Anblick ekelt mich an!“ sagt Kriegsheimkehrer Gerd zu seiner Lebensgefährtin („Anonyma“), nachdem er ihre Tagebuchaufzeichnungen gelesen hat. Gerds Aussage zum Thema, der massenweisen Vergewaltigung der deutschen Frauen durch russische Soldaten, war im Nachkriegsdeutschland, über die Adenauer-Ära hinaus, bis Ende der 80er Jahre Programm. Entsprechend wurde die erste deutschsprachige Ausgabe des Buches im Jahr 1959 kaum beachtet, ist nach Attacken wie „Schande für die deutschen Frauen“ eher peinlich berührt totgeschwiegen worden.

Angesichts der deutschen Urheberschaft am Zweiten Weltkrieg und der Verbrechen während des Russlandfeldzugs blieb dieses dunkle Kapitel der russischen Besatzungsgeschichte noch über Jahrzehnte (in West-, aber auch in Ostdeutschland) ein nicht eingehender recherchiertes Tabuthema. Unter anderem bereitete der Dokumentarfilm Freier und Befreite (1992) von Helge Sander den Weg für eine Öffnung. Entsprechend entwickelte sich der Bericht der als „Anonyma“ anonymisierten Journalistin nach der Wiederveröffentlichung 2003 rasch zum Bestseller. Neben der gebunden Version aus dem Eichborn-Verlag ist nun auch eine Taschenbuchausgabe erhältlich, erschienen im btb-Verlag.

Wie viele Frauen ein derartiges Schicksal erleiden mussten, ist nach so langer Zeit nicht mehr sauber zu ermitteln. Immerhin schreibt Christine Eifler in „Krieg, Geschlecht und Traumatisierung“ (1999) von etwa 2 Millionen Vergewaltigungsopfern in der sowjetischen Besatzungszone bis 1947. Zu diesem immer noch schwierig zu behandelnden Thema sind die Aufzeichnungen der „Anonyma“ in dieser detaillierten Form ein praktisch einzigartiges Dokument aus Tagen und Wochen des Schreckens.

Umso erstaunlicher und zugleich erschütternd ist die Nüchternheit, ja fast schon Gelassenheit, welche dem Leser aus den Schilderungen der Anonyma entgegenschlägt. Die Autorin erweist sich im Trauma der mehrfachen Vergewaltigungen als unsentimentale und erstaunlich starke Persönlichkeit. Keineswegs präsentiert sie sich als kopflos, mag sich nicht in die Opferrolle drängen und treiben lassen. Sehr rational sucht sie vielmehr als Ausweg aus dem Schrecken das Arrangement mit dem Feind (in der Person eines russischen Offiziers) als einzige Überlebenschance. Natürlich waren nicht alle Betroffenen in jenen Tagen so stark wie diese Frau, aber viele müssen es schon in vergleichbarem Maße gewesen sein. Waren es doch gerade die Frauen, die in der Schlussphase des Krieges und auch in den ersten Nachkriegsjahren mit dem, was von den Familien übrig geblieben war, unter schwierigsten Umständen den Alltag meisterten und auch einen Neuanfang schafften. Der Schrecken jener Tage blieb allerdings auch vor den Jüngsten nicht verborgen, in deren Spiel „Komm Frau!“ sich die Ereignisse spiegelten.

Den Betroffenen blieben keine Zeit und auch keine Möglichkeiten sich durch fundierte psychologische Betreuung bei der Bewältigung ihrer individuellen Traumata unterstützen zu lassen. Soweit sie daran nicht völlig zerbrachen und Selbstmord begingen, mussten sie im harten Nachkriegsalltag ihren „Mann“ stehen. Und so haben auch viele dieser Opfer als Trümmerfrauen, nicht nur bei den ersten wichtigen Schritten zur Normalisierung des Lebens im Nachkriegsdeutschland, ihren Beitrag geleistet. Letztlich haben die außerordentlichen Leistungen der unzähligen von Leid geprüften, zähen Frauen beim Wiederaufbau mit die Voraussetzungen für das nachfolgende Wirtschaftswunder geschaffen.

Die nicht reißerische, sondern betont sachliche Darstellung des Traumas derjenigen Frauen, die sogar mehrfache Vergewaltigungen ertragen mussten, aber auch die differenzierte Betrachtung der von den deutschen Verbrechen ebenso verstörten Russen sind es, die dieses Buch so eindringlich und damit lesenswert machen. Interessanterweise sah sich die Anonyma nur bedingt als unschuldiges Opfer. „Ich hatte wenigstens das Gefühl, dass mir da etwas geschah, was eine Rechnung ausglich“, ist ihre ganz persönliche Schlussfolgerung aus den zumindest bruchstückhaft registrierten Verbrechen der Wehrmacht während des Ostfeldzuges. Ebenso sah sie die langwährende Verdrängung des Themas voraus: „Wir Frauen werden schön den Mund halten müssen, sonst mag uns hinterher kein Mann mehr. Armes Deutschland!“

Max Färberböck hat daraus nun einen Film gemacht, der sowohl als Ergänzung oder aber auch als Einstieg in das Buch durchaus beachtlich und damit ansehenswert geraten ist. Erfreulicherweise wird die Leinwandadaption der Vorlage sehr gerecht, kommt ihr besonders atmosphärisch sehr nahe. Neben Nina Hoss in der Titelrolle geben sich weitere renommierte Vertreter der deutschen Schauspielerzunft ein Stelldichein: Juliane Köhler (Nirgendwo in Afrika), Ulrike Krumbiegel, August Diehl, Sandra Hüller und auch die über das Kino des Rainer Werner Fassbinder bekannt gewordene Irmgard Hermann.

Nina Hoss leistet sich keinerlei Ausrutscher ins Sentimentale. Sie vermittelt vielmehr einfühlsam und ausdrucksstark das Bild einer starken, aber keineswegs unsensiblen Frau; einer, die bei den Schilderungen eines von deutschen Verbrechen erzählenden Russen auch Betroffenheit sichtbar werden lässt, ohne dabei zu dick aufzutragen. Die russischen Charaktere werden sämtlich von russischen Darstellern, an der Spitze Eevgeni Sidikhin, verkörpert. Dabei ist es nicht nur das gesprochene Russisch, was hier so stimmig wirkt. Die russischen Besatzer werden nämlich ebenso unideologisch und differenziert dargestellt wie die deutschen Charaktere. Färberböcks Film verdeutlicht aber neben dem Leid der Frauen auch das der zum Mitleid unfähigen Männer: hilf- und sprachlose Kriegsheimkehrer, die der Situation weniger gewachsen sind als ihre Ehefrauen und mitunter nur im Freitod einen Ausweg sehen.

Andreas Kilb bemängelt in seinem Artikel in der FAZ, „Kitsch und Vergewaltigung: Anonyma“, die filmische Umsetzung, indem er dieser unter anderem „objektive Klischees“ und „Bonbonfarben des Melodrams“ attestiert. Wirklich? Das Buch, aber auch der Film sind in meinen Augen vielmehr eine bemerkenswerte Momentaufnahme des Schreckens jener Tage. Dass die filmische Umsetzung hierbei die Vorlage nicht 1:1 umsetzt, umsetzen kann, liegt in der Natur der Sache. Anonyma — Eine Frau in Berlin von Max Färberböck ist verfilmte Geschichte und damit im Resultat ein Kunstprodukt der Kategorie Spiel-, eben nicht Dokumentarfilm. Der Wert der guten derartigen Filme — denen man im Detail immer Mängel wird attestieren können — liegt m. E. darin, dass sie ein wichtiges Thema breiteren Publikumsschichten nahe bringen und damit bei mehr Menschen Anstöße vermitteln können, als es eine Buchpublikation vermag. Eine unnötige Beeinträchtigung des auf der Leinwand Gezeigten sehe ich allerdings in der eher konzertant denn filmisch wirkenden und somit völlig unsubtil, dafür aufdringlich neben den Bildern, agierenden Filmmusik von Zbigniew Preisner.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2008.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Autor:
Anonyma

Erschienen
2008
Seiten:
282
Verlag:
btb München (Random House)
Kennung:
978-3442732166
Zusatzinfomationen:
€ 9,00 (D)

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