Effi Briest

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
21. Mai 2010
Abgelegt unter:
CD

Score

(4/6)

Effi Briest, Theodor Fontanes komplexes Lebens- und Sittenbild ist angesiedelt im Preußen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dies ist zwar wirtschaftlich gesehen eine Epoche, die wegen der vielen zukunftweisenden Firmengründungen als „Gründerzeit“ in die Geschichte eingegangen ist. Im gesellschaftlichen Leben ist man jedoch rückständig, befindet sich geradezu in der Agonie, was in sinnentleerten Ritualen und überkommenen Ehrenkodexen zum Ausdruck kommt. In diesem Umfeld scheitert und zerbricht die junge, unglücklich mit einem älteren Mann verheiratete Effi Briest schließlich an den gesellschaftlichen Ressentiments die aus einer Jahre zurückliegenden Affäre mit einem anderen Mann resultieren.

Sicher sind die Erzählungen Fontanes zeitgebunden, aber sie wirken bis heute, wie ihre Figuren, keineswegs blutleer oder antiquiert. Messerscharfer Realismus in der Beschreibung der oftmals grotesk wirkenden Verhältnisse und weiser, dezenter Humor in der Betrachtung sorgen für Frische und zählen zu den Ingredienzien, die Fontanes Schriften über die Ära ihrer Publikation hinaus lesbar und lesenswert machen und zugleich moderne Interpretationen zulassen.

Regisseurin Hermine Huntgeburth (Die weiße Massai) hat sich für einen abgewandelten, modernisierten Schluss entschieden. Ihre Effi Briest stirbt nicht an „gebrochenem Herzen“, sondern beginnt nach der Scheidung von ihrem Ehemann sich zu emanzipieren und ihr Leben neu zu organisieren.

Zum von der Kritik recht einhellig gelobten Film hat der Schwede Johan Söderqvist (•1966) die Musik komponiert. Söderqvist, der als Keyboarder in Jazz- und Folkbands begann, konzentriert sich seit Anfang der 90er auf das Komponieren für Film, Fernsehen, Radio und Theater. Bereits für seinen Leinwanderstling Agnes Cecilia (1991) wurde er mit dem schwedischen Musikpreis Grammis ausgezeichnet. Effi Briest ist nun seine erste Vertonung für eine deutsche Leinwandproduktion.

Söderqvist kombiniert Stilismen traditioneller sinfonischer Filmmusik und heutige Elemente, wie die synthetischen Klangraumkompositionen Thomas Newmans oder insbesondere durch Philip Glass verstärkt zum Trend derzeitiger Filmmusik avancierte Minimalismen. Hinzu kommen ungewöhnliche Klänge, die auch geräuschartig sein können. Diese werden entweder durch außergewöhnliche Instrumente oder unkonventionelle Spielweisen erzeugt. Nach Aussage des Komponisten sollen in Effi Briest Uhrwerke, Glocken, Schlagwerk sowie elektronisch verfremdete Violinen der Musik einen fremdartigen Charakter verleihen. Derartige klangliche Reibungen sollen beim Zuschauer helfen, eine emotionale Verbindung zwischen Theodor Fontanes Originalvorlage und deren moderner Interpretation durch das Drehbuch herzustellen.

Im Zentrum des weitgehend monothematischen Scores steht ein elegantes schwelgerisches Thema, das im Main Title eingeführt wird. Es wirkt tänzerisch, fast wie für einen Ball des späten 19. Jahrhunderts tauglich und durchläuft im Weiteren beträchtliche Verwandlungen. Dabei beschwört Söderquist im traditionellen Teil seiner Filmkomposition die Klangwelten Bernard Herrmanns, wobei sich in der Kombination von Streichern mit der Harfe insbesondere die geheimnisvolle, wie auch obsessive Atmosphäre von Vertigo • Aus dem Reich der Toten (1958) spiegelt. In einigen Passagen reflektiert die insgesamt sehr elegische Musik aber auch die nervöse Streicher-Motorik von Psycho (1960). Der Kunstgriff harmoniert durchaus mit den als zeitgemäß empfundenen klanglichen Verfremdungen wie auch den eingestreuten Minimalismen; nimmt doch gerade Herrmanns Filmmusik die Letztgenannten bereits so eindeutig vorweg.

Insgesamt erhält der Interessent hier nicht nur ein sehr respektables Höralbum, das als klangliches Souvenir auch abseits des Films weitgehend frei von Durchhängern funktioniert. Darüber hinaus ist die Musik überhaupt beachtlich konzipiert und umgesetzt. Sie hebt sich von den Standards rein routinierter, abgedroschener Einheitssoßen für die tönende Leinwand ein gehöriges Stück ab. „Fette“ dreieinhalb Sterne erscheinen mir hierfür als unbedingt verdient, und für das Debüt von Herrn Söderqvist auf Cinemusic.de gibt’s in diesem Falle einen schlanken Bonus obendrauf und damit ebenfalls noch vertretbare glatte vier Sterne.

Eingespielt wurde vom Slovak National Symphony Orchestra im slowakischen Bratislava (dem ehemaligen Preßburg) unter der Leitung von Hans Ek, der übrigens zusammen mit Ingvar Karkoff zugleich die Orchestrierung ausführte. Das beiliegende 8-seitige Marketing-Booklet ist ansprechend bebildert und wartet neben biografischen Infos zur Regisseurin und dem Komponisten mit einem Interviewauszug auf, indem Johan Söderqvist über seine Arbeit an der Effi-Briest-Musik berichtet. Regisseurin Hermine Huntgeburth meldet sich ebenfalls zur Zusammenarbeit mit dem Komponisten zu Wort, im Rahmen eines freilich etwas überschwänglichen Kurzkommentars. Zusammen mit der tadellos klingenden CD verdient damit auch dieses Album des Labels „Königskinder“ in punkto Präsentation das Attribut „professionell“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2010.

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Erschienen:
2009
Gesamtspielzeit:
44:22 Minuten
Sampler:
Königskinder
Kennung:
MusicKK 007

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