Die prächtige Disney-Film-Version des populären Dornröschen-Märchens kam nach rund sechsjähriger Produktion im Jahre 1959 in die Kinos – verarbeitet sind sowohl Elemente der französischen Märchenfassung von Charles Perrault als auch der hierzulande geläufigeren der Gebrüder Grimm. Die Highlights des Studios – beginnend mit Snow White and the Seven Dwarfs • Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937) und in den Folgejahren über Fantasia (1940), Pinocchio (1940), Bambi (1942) bis hin zu Sleeping Beauty • Dornröschen (auch unter dem Titel Dornröschen und der Prinz gezeigt, 1959) – zeichnen sich durch eine Kombination aus bewährten Disney-Standards in der Gestaltung der jeweiligen Charaktere und durch Vielfalt und Innovation in der zeichnerischen Ausführung aus.
Dornröschen brilliert durch die aufwändigen Entwürfe des Malers Eyvind Earl, der sich eingehend mit Architektur und Malerei des Mittelalters, der Gotik und der Renaissance auseinandersetzte und deren Einflüsse in seinem grafischen Stil raffiniert miteinander verschmolzen hat. Das Resultat sind stilisierte, modern wirkende Szenenhintergründe und Set Designs von markant-eigenwilligem Charme – zum Teil an mittelalterliche Gobelins sowie an naive Malerei erinnernd. Auch die Charaktere sind zeichnerisch deutlich von den berühmten Vorläufern Snow White and the Seven Dwarfs und Cinderella abgesetzt. Damit markiert diese Produktion zugleich eine deutliche stilistische Zäsur der Zeichentrick-Animation des Disney-Studios: weg von den sanften runden Formen der Vergangenheit, hin zu mehr kantigen und eckigen. In Folge zeigen die späteren Disney-Filme aber leider auch nicht mehr die beeindruckende Raumtiefe und quasi-Dreidimensionalität der genannten Meisterwerke, sondern bevorzugen für lange Zeit insgesamt eher flächige Sets und Hintergründe.
Als erster Zeichentrickfilm produziert in Super-Technirama-70, also auf hochauflösendem 70-mm-Filmmaterial, zeigt Dornröschen unübertroffenen Reichtum und Detailvielfalt in seiner Gestaltung. Insgesamt erforderten die komplexen Arbeiten für diesen Film rund 6 Jahre. Daneben kommt auch die berühmte Multiplan-Technik – Infos hierzu im Fantasia-2000-Special – nochmals eindrucksvoll zum Einsatz und suggeriert dem Zuschauer faszinierende Raumtiefe. George Bruns arrangierte Teile von Peter Tschaikowskis Dornröschen-Ballett zu einer stimmigen musikalischen Begleitung. (Die Musik wurde übrigens in Berlin aufgenommen.)
Wer sich den Film eingehender anschaut, dem dürften einige Vorbilder zu Shrek deutlich werden: im von einem Wolkenwirbel gekrönten Schloss der schlafenden Prinzessin, in der Gestaltung des Drachens und im Sangeswettstreit der Prinzessin und der Vögel.
Dornröschen ist als 70-mm-Produktion eindeutig für entsprechend große (und breite) Kinoleinwände konzipiert; aber auch die erstklassige Video-DVD-Präsentation zeigt klar die hervorragende Qualität dieses Disney-Meisterwerks.
Das makellose Bild des in 1994 sorgfältig digital restaurierten Films (der Aufwand ist vergleichbar mit der 1993er Restauration von Schneewittchen und die sieben Zwerge – siehe dort) wird im originalen Seitenverhältnis präsentiert. Es erstrahlt gestochen scharf, detailliert und zeigt neben Top-Werten für die Kontraste auch exzellente Farben. Der AC3-Ton (in Deutsch und Englisch) kommt in einem sehr voll klingenden sauberen Stereo daher, wobei Effekte eher sparsam, aber dafür sehr stimmig eingesetzt sind.
Ein echtes Sahnehäubchen ist das üppige Bonusmaterial – erfreulicherweise fast vollständig von der Deluxe-US-Laser-Disc-Edition von 1996 übernommen und dazu konsequent deutsch untertitelt. Die erste DVD enthält neben dem Film ein sehr informatives Making of von rund 16 Minuten – für Kinder gibts außerdem zwei Spiele: „Rettet Aurora“ und „Mal-Studio“.
Die zweite DVD bietet in Ergänzung zum Making of eine reichhaltige Fülle von Einblicken in die Produktion: z. B. Storyboards, Design, Musik, Layouts, Hintergründe und Restauration. Daneben sind die beiden im Premierenjahr in den US-Kinos als Vorprogramm gezeigten Kurzfilme, Die Peter-Tschaikowsky-Story und Grand Canyon (jeweils mit rund 30 Minuten Länge), vollständig, in guter Qualität enthalten – Dornröschen hat nur eine (Kino-)Lauflänge von rund 75 Minuten. Beim zweiten Film handelt es sich um eine optisch reizvolle Umsetzung der bekannten Grand-Canyon-Suite von Ferde Grofé – einem berühmten Beispiel für „American-Light-Music“ – mit Hilfe eindrucksvoller Naturaufnahmen.
(Es soll ja immer noch Leute geben, denen die schwarzen Balken bei Breitwand-Präsentationen ein Dorn im Auge sind. Diese sollten sich den eindrucksvollen „Vergleich Widescreen & Pan-and-Scan“ anschauen, um einen – hoffentlich – nachhaltig abschreckenden Eindruck von der Kastration bei Pan-and-Scan-Bildern zu erhalten.)
Seinerzeit wurde Dornröschen von der Kritik recht ungnädig behandelt und hat nicht einen vergleichbaren Bekanntheitsgrad wie z. B. Fantasia oder Bambi erreicht. Darum dürften manche – selbst der älteren Leser (der Schreiber dieses Textes eingeschlossen) – diesen prächtigen Film nicht im Kino erlebt haben. Ein Grund mehr, sich diese edle DVD-Produktion nicht entgehen zu lassen.
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